Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Viertes Kapitel.

Fast gedankenlos und wie in Verzweiflung drang Georg mit geflügelten Schritten dem Nordpole zu.

Fast nur auf Augenblicke verweilte er, indem er einen kleinen Compaß herausbrachte, mit schnellen, scharfen Blicken an den Himmel, und dann wieder zurück auf die kleine zitternde Nadel sah. Sobald er über seine Reiselinie wieder einig war, sprang er gleich einem gereizten Löwen empor und flog dahin über die unermeßlichen, gräßlichen Eisgefilde.

Grimmig schüttelte ihn der Frost, dann aber machte er ihm die Glieder fast fühllos und leckte vampyrartig das Blut durch die Haut vor. Dennoch strebte er vorwärts, wie von einem rettenden Zauber getragen.

Nach einer Weile aber färbte sich die tiefe Nachtbläue des Himmels in eine lichtgelbe stetige Lohe um; sein Fuß wandelte nicht mehr über Eisfelder, sondern über zornigtosende, entsetzliche Wasserstrudel, in welche zu versinken die Schnelligkeit seiner Bewegung nicht Raum gab. Aber auch diese ewige Quelle des Weltmeeres wurde weiterhin ruhiger, und Heere von Wallfischen lagen und spielten in den durchsichtigen Fluthen und bliesen funkelnde weiße Wasserstrahlen fröhlich durch ihre Nasenlöcher empor.

Der ganze Himmel stand jetzt blendendweiß, feuerhell, aber ohne Sonne und ohne Sterne allum. Eine allbelebende Luft, welche aber oft wundersam in sich selbst in hellen Funken aufknisterte, umwehte allmälig den verwegenen Wanderer. Wie eine frosterstarrte Pflanze im frischen Frühlingsthaue ihre Blättlein wieder fröhlich emporrichtet, so fühlte sich nunmehr auch Georg von milderem Himmelsodem erquickt und genesen.

Ohne Zögern eilte er aber vorwärts. Seinen Blicken zeigte sich jetzt ein Land, prangend in weißem Frühlingsscheine.

Wer nie auf dem Meere eine längere Reise gemacht, wer nicht die große, gewaltige Abgeschlossenheit von der lebendigen Welt gefühlt, und noch nicht Tage lang schwankend auf dem trüglichsten Elemente nur den Himmel über sich, und des Himmels Trugbild – das Meer mit seinen leichenbegierigen Ungeheuern – unter sich gesehen, wen die furchtbaren hungrigen Zungen der Sturmwoge noch nicht den Leib geleckt, und wem die düstere Wolkensturmgluth noch nicht in das Auge geleuchtet hat, der kann die Wonne des Seefahrers nicht ermessen, wenn es vom Mastkorbe herunterschallt: Land! Land! –

Dieses Gefühl aber schlug wie mit Blitzstrahlen durch Georgs freudebebende Seele.

Er stand jetzt mit seinen Füßen auf der treuen Erde. Er warf die Ueberschuhe an seine Füße, und, aller Gefährten auf einmal vergessen, schritt er hinein in dieses Mährchenland.

Schaaren schneeweißer Vögel schwärmten rings durch nie gesehene, hohe, farbenlose Pflanzenbäume. Mächtige, fromme Thiere, elephantenähnlich, schritten bedächtig einher und grasten in den Stauden. Mannshohe Blumengewächse mit bleichen, großen Blüthen, ohne Blatt und Stengel, gleich Herbstzeitlosen, trieben aus der Erde hervor.

Georg wanderte sinnend und forschend, fröhlich erstaunt und dennoch innig von unbekannter Ursache gerührt einher, der Lösung des Räthsels seines Lebens immer mehr entgegen.

Nicht länger vermochte er endlich dem Drange seiner Gefühle zu widerstehen. Still und ruhig, wie es ihm nur sonst möglich war in seinen Kinderjahren, betete er, auf die Erde hinknieend, zu dem Vater aller Wesen, dankerfüllt in frommer Begeisterung empor. Immer lauterer wurde sein Herz, klarer und bestimmter, als je, trat in ihm sein eigentliches Sein und Wesen, welches von der langen Irrfahrt des Lebens mit Blumen und Erdschollen zugleich überworfen und bedeckt war, aus der Kruste gleich einer frischen Blume aus zersprengter starrer Hülle wonnenerfüllt hervor.

Nur erst jetzt spürte er ganz die Kraft des Gebetes an sich und in sich. Kräftig und heiter stand er auf, wie in sich selbst verklärt. Nur erst jetzt glaubte er sich ganz anzugehören, sowie sich ihm die festeste Ueberzeugung in seine Seele drückte, daß er nunmehr bald eingehen werde zur Behausung Aquilina's.

Nach kurzer Frist befand er sich endlich vor einer himmelanragenden Felswand, welche, gleich einer Spiegelplatte, durchaus rein und hell polirt war.

Er sah sich um, ob sich irgend ein Ausgang zeige; aber während er also forschte, bemerkte er ein großes Thor von leuchtendem, bläulichem Stahle fast in der Mitte dieser unermeßlichen Granitwand.

Er drückte die Hände an seine Brust, welche unruhig zu pochen beginnen wollte und trat vor das Thor hin. An einer Kette hing ein großer Hammer herunter. Er nahm ihn und schlug dreimal fest an das dröhnende Thor.

Alsbald sprangen nach Innen zu die gewaltigen Thorflügel donnernd auf.


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