Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Viertes Kapitel.

Georg schlief einen tiefen, sanften Schlaf. In den lieblichsten Gefilden des Traumes schwebte seine Seele. Er wähnte sich in einen wunderbaren Zaubergarten versetzt. Fremde Bäume mit goldenen Blättern und leuchtenden Blüthenkränzen behangen, aus denen liebliche Lieder drangen, tausendfarbige Blumen, aus deren Kelchen die Düfte wie Flämmchen spielten, standen und prangten ringsumher vor der in Glückseeligkeit vergehenden Seele. Feenhafte Gestalten, ihm wohlbekannte Ideale der Dichter, schwebten wahrhaftig und lebendig ihm vorüber.

Jetzt bemerkte er erst, daß ein himmlisches Weib neben ihm stand, und ihn mit verklärten Blicken ansah.

Wie leuchtete so wunderlich das Antlitz der Jungfrau im süßen, geheimen Erröthen! wie wölbte sich die in Schnee und Licht verklärte Stirne so heilig empor! In welch wundersames Scheinen, das um die ganze Gestaltung gegossen war, verschwebten nicht des Hauptes blonde Locken! Wie lebte ein ewiger schöner Lenz göttlicher Jugend in der holdseeligen Webung aller Glieder, an welche leichtgefaltetes Gewand sich hingoß! –

Das sonnige Haupt ein Weniges geneigt, das blaue Himmelsauge, wie verstohlen, auf ihn entzückend hingewendet, schien sie die entblößten Arme aus dem röthlichen Schleier ihres Gewandes, emporheben zu wollen.

Um ihre Lippen schwebte es bald wie lächelnder Traum, bald wie ein mildes beginnendes Wort, bald wie Küsse seeliger Geister.

Georg, kennst du mich? flüsterte Sie endlich.

Höher leuchtete der weiße Blüthenglanz ihrer Arme, und seelig sank Georg ihr entgegen.

Von Neuem fühlte er, um seinen Nacken geschlungen den sanften Arm, und sein Haupt ruhen an einem schlagenden Herzen.

Ihm war es, als müsse in diesem Entzücken sein Sinnen, sein Denken, all Träumen und Wähnen, seine ganze Seele ersterben.

Zu einem tiefen Seufzer hob sich seine Brust empor, indem er von diesem Traume erwachend, die Augen aufschlug. Aber über sein Gesicht herein neigte sich immer noch das Antlitz der Jungfrau. Umsonst rang er zu erwachen; aber er war erwacht, und die Jungfrau sah ihn dennoch an mit ihren klaren Augen, die in wonniger Feuchte glänzten, und ihre Stimme klang zu ihm wie ein verhallender Flötenton: Georg, kennst du mich nicht?

Er faßte nach ihr; sie aber wich zurück, und sprach: du bist noch nicht gerettet! noch nicht mein!

Indem ihm die Angst und Pein, das Grausen und Entsetzen der Nacht vor seine Seele trat, zugleich aber auch die holden Bilder seines Traums, die leuchtenden Gefilde, und selbst die schönste Jungfrau in der Wirklichkeit vor ihm standen, und dennoch nur wieder sein Schlummer unter einem seidenen Baldachine auf schwellenden grünsammtenen Polstern als Nächstes und Wahres; aber auch dieses wiederum als Unerklärliches sich ihm aufdrang, sprach er vor sich hin: laß mir, mein Gott, diesen schönen Wahnsinn!

Mit lieblichem Lächeln bemerkte die Jungfrau diesen Kampf seiner Gefühle.

Bin ich denn nicht der Höllenmacht verloren gegangen? fragte er in zagenden Zweifeln. Wie ein zartes Mitleid wandelte es über das Gesicht der Jungfrau.

Georg, sprach sie, Georg! wie kann das Reine dem Unreinen dienen? Schon vor Jahrtausenden war ich ja dein!

Wie oft habe ich um dich geweint! Wie du Knabe warst, spielte ich im Traume so oft mit dir! Oft wenn du am Ufer des Stromes, oder auf dem Thurme standest, und mit einer, dir unerklärlichen Sehnsucht hinaus schautest in die blaue Ferne, war ich dir unsichtbar zur Seite. Als ich aber sah, wie der finstre Wahnwitz des Erdgeistes, welchem dein jetziger Vater erlegen ist, auch dein reines Sein zu ergreifen drohte; da mußte ich dir die Klarheit deiner Seele retten; da flüchtete ich dich herüber in mein Reich, in das Reich der Idee.

Und wer bist du denn, göttliche Jungfrau? fragte Georg mit leiser, gerührter Stimme.

Ewig dieselbe, versetzte sie, habe ich jetzt auf Erden mancherlei Namen, bald nennen sie mich Maria, bald Musa, bald noch anders; du aber nennst mich Aquilina! denn wie ein Adlerweibchen besorgt ist um sein Junges, so ist es mein Herz um dich, du reines Gemüth, du, der Erdensöhne Herrlichster!

Aquilina! rief Georg begeistert, und der Schmerz der ersten Liebe, und niegefühlte Sehnsucht innigen Verlangens, glommen in seinem Herzen und in seinem Antlitze auf. Aquilina! rief er, mein Herz will vergehen vor den Blicken deiner sonnigen Augen! – Dein bin ich auf ewig!

Aquilina bebte vor ihm in Wonneschauern, und im süßen Seelenwehe zuckten leise ihre Lippen. Er streckte seine Arme aus; sie sank hinein, und in einem Kusse vermählten sich zwei Seelen auf immerdar.

Die geängstigte Jungfrau riß sich los aus seinen Armen. Du willst mich unglücklich sehen, Georg, seufzte sie. Laß ab von mir! Wer giebt dir schon jetzt diese Gewalt über mich? Unbändiger, wer lehrte dir diesen Zauber?

Aquilina! rief Georg in seeliger Trunkenheit.

Nenne mich nicht mehr, entgegnete sie; denn deine liebende Stimme kränkt mich so sehr! Du mußt mich verlassen; denn schon jetzt weiß ich nicht, ob das Geschick nicht hart es ahndet, daß ich dich, den Ungeprüften, an mein Herz zog, und in fremde Rechte eingegriffen habe! – Wie der Urgeist es will! – Aber jetzt mußt du mich verlassen!

Ich kann sterben, rief er, aber dich nie meiden! –

Und doch kannst du noch nicht bei mir bleiben. Höherem Willen sind wir Beide unterthan. Du kannst nicht bei mir weilen; so lange du durch all den Wahn der Menschheit dich noch nicht zur Klarheit durchgerungen hast! Du mußt wieder hinabsteigen zu denen, welchen du im Glauben und Irren noch angehörst. Alle Leiden, alle Verlockungen, welche zu ihren wankelmüthigen und hoffährtigen Herzen verführerisch sprechen, ihr selbst geschaffenes Elend mußt du an deiner Seele reinigend vorübergehen lassen, und daran deine Gotteskraft erproben! Darum ziehe von mir wieder hinunter! Sobald du nur dem Gottthume angehören wirst, bist du auf ewig mein, ungetrennt von mir! –

Welche drohende Aussicht eröffnest du vor mir, Aquilina!

Nimm diesen Ring von mir, fuhr die Holdseelige fort, daß du dich meiner und der Worte, welche ich zu dir gesprochen, immer erinnern mögest! Vor jeglicher Gefahr, welche deinen Leib betreffen könnte, wird er dich bewahren; alle schlummernde Geisteskräfte in dir zum Leben erwecken; aller Sprachen dich mächtig machen; alle Geister, welche dir gleich sind, in Freundschaft dir zuneigen! Nie wird das Glück ganz von dir weichen, so lange du ihn trägst! Aber mit diesem Ringe hast du auch Gewalt über mich! Hüte dich jedoch, mich hinunter zu bannen auf die Erde; dieser Bann würde mich und dich unglückseelig machen; denn ohne Rückerinnerung an die Göttlichkeit meines Ursprungs, würde ich wohl gar vielleicht ein armes Erdenweib, wie jedes Andere werden, und auch sterben müssen, dich aber vielleicht nie mehr wiedersehen! Darum mißbrauche den Ring nicht dazu, mich zu verderben, dich aber unglücklich zu machen. Ich vertraue dir mein Schicksal, mein Heil, ja! Alles an, mein Freund, mein Geliebter! –

Mit diesen Worten steckte sie ihm den Fingerreif mit hellstrahlendem Edelsteine an.

Und nun, Georg! bleibe mir treu, bleibe dir selbst treu! lebe wohl, du Theuerster vor Allem! lebe wohl! –

Betäubung auf Betäubung umstrickte Georgs Sinne. Er sank vor ihrem Kusse nieder. Noch einmal zuckte ein weiches Glühen auf seinen Lippen; dann ward er von dem Drucke zwei sanfter Hände, welche auf seinem Haupte ruhten, zu mildem, festen Schlummer hinabgetaucht. Vergeblich suchte er von dieser Betäubung sich loszuringen, alle Glieder versagten ihm den Dienst, bis denn endlich das letzte Aufglimmen des Denkens ihm entschwand.


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