Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Viertes Kapitel. .

Mitternacht kam unbemerkt heran. Kühlung zu genießen, war Georg in den Vorsaal gegangen und hatte sich in ein Fenster zurückgezogen. –

Nur ein Gedanke, oder vielmehr nur eine Anschauung stand in seiner Seele. Nur dem Bilde Lina's, das seine Einbildung fortwährend ihm auch hier vorwob, war sein ganzes Wesen hingegeben.

Vergebens, gleich einem Ertrinkenden, welcher nach einem schwimmenden Halm, um sich daran empor zu helfen, instinktartig greift, sprach er den Namen: Aquilina! leise für sich aus. Aber selbst die Aehnlichkeit des Namens Lina mit diesem, selbst wenn sie jener Ueberirdischen auch nicht wundersam geglichen hätte, bannte den vielfach Aufgereizten und Aufglühenden in Lina's Zauberkreis.

Eben gingen mehrere ältere Damen, unter diesen Rudolphs Mutter, an ihm vorbei, in die Brautkammer. Die Thüre blieb offen stehen. Ihm war es, als ob er in ein kleines Feenreich hineinschaute.

Und das hübsche Schlafhäubchen, sprach bewundernd die eine Matrone, mit den feinen Spitzen! Es sind welche aus Brüssel, versetzte die Brautmutter, ein Handelsfreund hat sie uns vor einigen Jahren bereits überschickt. – Wie weiß und sauber die zwei Betten neben einander stehen! versetzte eine Dritte; Gott wird die guten Kinder seegnen! –

Nachdem die Matronen sattsam dieses Heiligthum durchschaut hatten, schlichen sie sich wieder davon. Georg seufzte im gedankenlosen Hinstarren tief auf.

Plötzlich stand Voland vor ihm. Freund, sprach er, zaudere nicht! schwärme nicht dem Glücke vorüber, und renne nicht dem Wahnwitze einfältiger Einbildungen nach! – Georg drückte ihm im stummen Schmerze verhaltener Neigung zu der unwillkührlich Geliebten die kalte Hand.

Voland faßte ihn beim Arme, zog ihn auf die andere Seite des Saales, öffnete eine Thüre und schob ihn hinein; es war das für Karolinen bestimmte Wohnzimmer.

Ein Lampe, deren Schein durch übergedeckten seidenen Schirm gemildert war, verbreitete über die zierlichen Umgebungen ein magisches Helldunkel.

Lina, welche sich dorthin, um von langwierigen Tänzen sich zu erholen, zurückgezogen hatte, saß davor. Sie hatte auf ihren mildgerundeten, blendendweißen Arm ihr Haupt gestützt, die blonden, halbaufgelösten Locken quollen lieblich über und unter der Hand hervor.

Wie Georg eintrat, bebte sie auf. Kaum hatte sie ihn aber erkannt, so wich das erste Erschrecken einem weichen Lächeln, das um ihren rosig leuchtenden Mund schwebte. Ach, Georg! – sprach sie bewegt, was kommen sie jetzt hieher?

Er faßte ihre Hand, sie entzog sie ihm nicht und er bedeckte sie mit heißen Küssen und brennenden Thränen. Um Gotteswillen, rief die schöne Jungfrau, ich beschwöre sie, entfernen sie sich! – Sie sah mit unaussprechlicher Milde in sein thränenfeuchtes Antlitz.

Lina, liebst du mich? flüsterte er, schlang seinen Arm um ihren Nacken, und im brennenden Küssen schmolzen dürstende Lippen zusammen.

Von Neuem suchte er ihre Hand zu fassen, da sah er – und Gewissensschauer packten grimmig seine Seele an – den Stein im Ringe, welchen ihm Aquilina gegeben, wie einen Stern, unzählige Strahlen auswerfend, im blendenden Lichte an seiner Hand funkeln. Wehe mir! schrie er entsetzt, ach, Aquilina! Aquilina! – und stürmte mit diesen Worten zum Gemache hinaus.

Der Doctor ergriff ihn draußen und rief hastig und leise, und wie in heimlich grimmiger Freude: Herzensjunge, du weißt dich zu benehmen! Herzensfreund!

Verruchter! schrie Georg auf und schleuderte ihn mit Riesengewalt von sich. Ein leises, kaum hörbares Weinen schlich sich wildfremd durch dieses Getöse hindurch.

Mehrere Gäste stürzten aus dem Saale heraus und verworrene Stimmen riefen: Was gibt es? Was war das? Ha! Ha! lachte der Doctor, der Wein wirkt gut, man kann darüber stolpern und ging mit der lachenden und jubelnden Menge hinein in den Saal.

Georg war in das Ankleidezimmer gesprungen; er nahm Hut und Mantel und schlich betäubt nach Hause.


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