Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Drittes Kapitel.

Heinrich saß neben seinem Freunde, sah still und wehmüthig vor sich hin und zerpflückte eine weiße Moosrose, welche er in der Hand hielt.

Georg hatte die Laute neben sich, und seinen Arm um des Freundes Nacken gelegt. »Ich errathe,« sprach er, »was dich auf einmal so still gemacht hat.« »Nein,« versetzte Heinrich, du hast gewiß keine Ahnung von dem, was ich gedacht oder geträumt habe; doch möchte ich wissen, was du wähnst.« »Mit zwei Silben will ich das Räthsel lösen,« entgegnete Georg und flüsterte ihm leiser in das Ohr: »Lina!«

»Du irrst,« versetzte Heinrich, »du irrst sehr, wenn du glauben solltest, daß ich diese Himmlischreine je zu meinem Weibe begehren möchte. Dennoch aber mag ich dir es nicht leugnen, daß ich das mir wunderbar von Gott bescheerte Glück, mich durch Lina's Gegenwart von trüber Melancholie gerettet zu sehen, freudig anerkenne.«

»Du willst fragen, wie das Alles zusammenhängt? So höre denn die kurze, traurige Geschichte meines Lebens! Meine erste Jugendliebe galt der Tochter eines armen Gärtners. Sie hieß Elisabeth. Schenke mir die Schilderung aller meiner verliebten Thorheiten, eingebildeter Leiden und süßester Freuden!«

»Das Mädchen hing an mir mit einer Innigkeit der Empfindung, welche kaum sich träumen läßt. Es lebte nur in mir und ich in ihm. Wir fühlten uns unglücklich, wenn nur ein Tag verging, an welchem wir uns nicht sehen konnten. In welchen leuchtenden Farben lag damals das Leben um mich her! Unsere Liebe kannte keine Grenzen; und eben deswegen mußten wir zu namenlosen Unglück untergehen; denn der Mensch darf hier nicht glücklich bleiben. Sie gewährte mir Alles; denn ihr ganzes Sein war in ihrer Liebe zu mir aufgegangen. Mein schlimmes Gewissen aber löschte in meinem Herzen alles Feuer der Liebe zur armen Elisabeth aus, und gab mir dafür Entsetzen und kalte Reue.«

»Ich suchte der Qual meiner Seele dadurch zu entgehen, daß ich auf Reisen ging. Einige Wochen darauf fand ich in einem Briefe, welchen einer meiner Bekannten in Handelsangelegenheit an mich geschrieben hatte, nebenbei erwähnt: »die hübsche Elisabeth hat man im Floßteiche ertrunken gefunden. Sie ist zwar auf dem Gottesacker in der Stille begraben worden, hat es aber nicht verdient, da es zu beweisen war, daß Sie sich selbst den Tod gegeben hat.«

Heinrich seufzte tief auf und Thränen badeten seine Augen. Nach einer Pause fuhr er mit bewegter Stimme fort: »in gedankenloser Verzweiflung zog ich nun in der Welt umher. Alle Geschäfte blieben liegen. Ich wußte fast von mir selbst nichts; bis sich endlich in einem Augenblicke, wo ich auf freiem Felde, von welchem der Thauwind des Februars eben den Schnee hinwegschmolz, bei dem Geläute der Abendglocken in den umherliegenden Dörfern, mein Inneres zu weinendem Schmerz auflöste.

Ich saß dort auf einem Feldsteine, in meinen Mantel hineingewickelt, die ganze Nacht hindurch. Am Morgen fühlte ich mich wohlthätig ermattet, und eine innige Wehmuth über meine Seele hingebreitet. Ich gewann hierauf einige Haltung und Besonnenheit, in soweit dieses möglich war, und konnte meines Vaters Geschäfte einigermaßen beendigen.

Damals traf ich dich, mein Freund! – Deine Freundschaft hat meine Seele wieder gekräftigt. Ich eilte zurück in meine Heimath. Meinen Aeltern habe ich mich entdeckt.

Ueber ein Jahr verging nunmehr, ohne daß mich sonderlich etwas angeregt hätte; wenn es nicht der Gedanke an unsere Freundschaft war. In unseren Handlungsgeschäften war ich thätig, ohne daß ich Freude an der Arbeit verspürt hätte. Wir hatten damals überhäufte Arbeit zu besorgen; denn da der Krieg der Deutschen mit Frankreich immer drohender wurde, so sahen wir uns genöthigt, so viel als möglich, unser Vermögen sicher unterzubringen.

In unserem Städtchen war damals viel Lärm; denn da die Heerstraße vorüberführt, so wimmelte es oft an allen Enden von Auswanderern, welche aus dem, vom feindlichen Heere, feindlich besetzten und behandelten Nachbarlande mit Weib und Kind und der Habe, welche sie mit fortbringen mochten, durch diese Gegend flüchteten.

Vorzüglich war es an einem Tage, und selbst die ganze Nacht durch lebendig auf der Straße. Die Armen litten oft Mangel am Nötigsten.

Am Morgen fuhr mein Vater, den Wagen mit Lebensmitteln vollgepackt, hinaus auf die Straße, um die Dürftigen, welche etwa vorüberkommen sollten, damit zu unterstützen.

Wie er auf der Anhöhe vor dem Städtchen angelangt war, sah er an dem steinernen Kreuze, welches wenige Schritte von der Straße abwärts steht, eine Gestalt liegen. Er ließ halten, und in einen rothsammtnen, reich mit Gold gestickten Mantel gehüllt, lag ein fremdes Mädchen bewußtlos dort in Gluth und Fieberhitze. Mein Vater ließ es in seinen Wagen heben und behutsam zu uns hereinfahren. Er selbst war vorausgegangen, uns die Kranke anzusagen.

Wir eilten zur Thüre hinaus. Eben kam der Wagen die Straße heruntergefahren. Man hob die Jungfrau aus dem Wagen heraus, und ich wäre fast, wie vor einem elektrischen Schlage zu Boden gestürzt; es war oder schien meine Elisabeth zu sein. So ähnlich, wenn gleich noch schöner, ist Sie der Verstorbenen.

Der herbeigerufene Arzt erklärte das Mädchen für höchst gefährlich krank. Drei Monate lang lag es mit dem Tode kämpfend. Sie phantasirte, wie es schien, beständig.

Freund, denke dir alle die unsäglichen Gefühle, welche damals auf mich einstürmten! Ich glaubte in mir selbst vergehen zu müssen. Mehr ein peinigendes Schmerzen, als Liebe flößte mir jedoch die wiedererstandene Elisabeth ein.

Unterdessen genas das fremde Mädchen; aber ihr Gedächtniß war so geschwächt, daß die ganze Erinnerung an ihr früheres Leben verschwunden war. Selbst die deutsche Muttersprache hatte sie beinahe vergessen; doch kostete es ihr nur kurze Zeit, um alle Ausdrücke in derselben sich wieder anzueignen. Trotz aller ihrer Anstrengungen aber, konnte sie sich weder erinnern, wie sie in diese Gegend und zu uns, noch wo sie sonst hergekommen sei; selbst von ihren Aeltern fand sie keinen Anklang in ihrem Gedächtnisse. Sie glaubte nur, daß ihre Umgebungen sie früherhin Lina genannt hätten.

Bei diesem unglücklichen Verhängnisse grämte sich Lina so sehr, daß sie beinahe vom Neuen gefährlich krank geworden wäre. Nur durch die zarte Sorgfalt und Behandlung meiner Mutter genas sie endlich vollkommen.

Unterdessen hatte mein Vater allenthalben rücksichtlich unserer Pflegebefohlenen Nachfrage gehalten; aber bis jetzt hat er nirgends eine Auskunft erhalten können. Selbst das kostbare Geschmeide, in welchem die Gute einen noch unberechneten Reichthum besitzt, hat auf keine Spur geführt.

Einige Monate lang, vorzüglich als endlich die schöne Jungfrau, zwar blaß, aber doch vollkommen hergestellt, unter uns trat, lag ich im heftigen Zwiespalte mit mir selbst. Es bebte mein wankelmüthiges Herz, wenn ich sah, wie sie so kindlich sich an uns alle anschloß, wie sich ihr feiner, hochgebildeter Geist, welcher unsere kleinen Verhältnisse weit überfliegt, zugleich immer mehr entwickelte. Oft schien es mir, als müsse Elisabeth verklärt in ihr wieder zur Erde herabgekommen zu sein, um die Qual meines Herzens zu stillen.

Dieser Gedanke trieb mich in einer dunklen Nacht hinunter auf den Friedhof zum Fliederstrauche in der Ecke, wo Elisabeth ruht.

Wie ich dahin kam, sah ich auf dem Grabe eine Gestalt sitzen; wenig erschrocken nahte ich mich ihr. Wie ein Nebelgebild, unendlich schön und lieblich, nicht wie man sich Geistererscheinungen sonst denkt, saß Elisabeth da; dessen ungeachtet wollten mir meine Sinne jetzt vor dieser Geisternähe vergehen.

Ich warf mich vor ihr nieder, und meine Stimme bebte in den Worten vor: »darf ich deiner noch liebend gedenken, dir treu bleiben?«

Ueber ihr mildleuchtendes Gesicht schienen seelige Wonnen zu wandeln; indem sie selbst in wehenden Nebeln verschwand.

Ich habe an ihrem Grabe geschworen, sie in Lina als meine Schwester zu ehren, und diese brüderlich zu pflegen. Nun weiß ich zwar wohl, daß diese Erscheinung Elisabeths nur ein Wahngebild war; denn ich vermochte, von früher Kindheit an, Bekannte, auf welche ich alle meine Gedanken richtete, in der Finsterniß der Nacht, vor mein äußeres Auge in Nebelgestalt hinzustellen; aber dennoch kann ich mich nie ganz vom Aberglauben, sie wahrhaft gesehen zu haben, losmachen.

Heinrich stand auf, faßte Georgs Hand und sprach gerührt: »nun, Freund, weißt du Alles, du wirst mein Vertrauen wie ein heiliges unveräußerliches Gut bewahren.«

Georg umarmte ihn und sagte: »du hast ein Vergehen schwer gebüßt, die Treue aber wird dich hinüber retten in die Unsterblichkeit; denn dem Tode entgeht nur ein unsterbliches Gefühl.«


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