Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.

Zwei Tage darauf hatten die beiden Freunde vom Grafen Rüderig ihre Rollen überschickt erhalten. Georg war jetzt fast fortwährend in Ellerhaußen mit Einrichtung der kleinen Bühne zur Aufführung dieses Stückes, zugleich mit dem Grafen beschäftiget. Er hatte kaum Zeit, seine langathmige Rolle einzustudiren.

In der allgemeinen Probe des Tags vor dem Feste griff das Spiel wacker zusammen; die kleine Störung, welche dadurch entstand, daß Lina sich hatte entschuldigen lassen, und die Gräfin ihre Rolle dafür ablas, ungerechnet.

Heinrichs Versicherungen, daß Lina ganz gewiß zur Aufführung des Stückes erscheinen, und ihre Rolle wohl geben würde, hatte alle Fragen beschwichtigt.

Nach der Probe zog er seinen Freund bei Seite und flüsterte ihm zu: Lina habe die vergangene Nacht so untröstlich an zu weinen begonnen, daß sie bis zum frühen Morgen nicht zu beruhigen, auch die Ursache von dieser außerordentlichen Erregung von ihr nicht herauszubringen; deswegen aber auch ihr unmöglich gewesen wäre, mit nach Ellerhaußen zu kommen. Georg wurde von dieser Nachricht sehr bestürzt.

Er sowohl, als sein Freund Heinrich, fühlte, wie ein großes Unheil durch den Nebel der Zukunft mit entsetzlichem Auge, gleich einer Klapperschlange sie anstiere und wider Willen sie banne, still zu stehen und die Vernichtung in qualvoller Ruhe abzuwarten.

So kam das Michaelisfest heran. Es war ein trüber Herbsttag. Dichte Wolken verhüllten die Sonne, so wie den ganzen Himmel. Ein ungewöhnlich rauer Wind, der erste Vorläufer des Winters verkündete, daß die schöne Sommerszeit vorüber war.

Die ganze vornehme Welt der Umgegend hatte sich im großen Schloßsaale, wo die Bühne errichtet war, beim Einbruch der Nacht versammelt, und Aller Augen waren auf den geheimnißvollen Vorhang, welcher eine Wunderwelt noch zu verbergen schien, neugierig gerichtet. Gespannt standen und saßen die Spieler hinter den Coulissen umher. Lina saß wie in sich zusammen gesunken an einem kleinen Tische, und starrte wie es schien, gedankenlos in ihre Rolle hinein. Eine geheime Angst leitete immer Georgs Blicke auf sie hin. Verschiedene Male hatte er mit theilnehmenden Fragen sich an sie gewendet, aber mit zitternder Stimme erhielt er nur allgemeine Antworten. Eine gewisse Beklommenheit schien ihre Worte ersticken zu wollen.

Endlich schwieg die Musik. Der Graf und Georg mußten sich auf die Bühne begeben, und so die Uebrigen, wie nun einen Jeden sein Stichwort rufen mochte. Sie spielten sämmtlich trefflich. Mit hinreißender Wahrheit gab Georg im dritten Acte die Stelle, wo Clavigo reuig, um Verzeihung und um Mariens Herz und Hand flehend, mit erneuerter Leidenschaft vor ihr erscheint, dagegen löste Lina mit einer ungemeinen Gewandtheit, oder vielmehr mit einer so gefühlten Tiefe eines schmerzenvollen Glückes diese Schwierigkeit ihrer Rolle, daß selbst der Graf hinter den Coulissen in das Bravogerufe der Zuschauer mit einstimmte, die Hereinstürzende in seinen Armen auffing und ihr entzückt die Hände küßte.

Zu Ende des vierten Acts ward endlich hinter der Scene die Leichenbahre, worauf Lina als Maria zu liegen kommen sollte, herbeigebracht.

Lina kam in einem weißen Leichengewande, auf der todtenbleichen Stirne den Myrthenkranz, aus dem Ankleidezimmer heraus. Sie wankte an Karolinens Arme einher.

Der Graf, sowie alle Uebrigen waren von dieser geisterhaften Erscheinung betroffen. Um Gotteswillen, Fräulein, flüsterte er ihr zu, es ist ihnen doch wohl? Mir scheint es so; antwortete sie. Im schmerzhaften Lächeln zuckten ihre Lippen. Georg hob sie auf die Bahre. Ich danke Ihnen für diesen letzten Freundschaftsdienst, wenn es denn der letzte sein sollte: sprach sie mit halbverhaltener Stimme.

Die Frauen besteckten sie mit Kränzen und Sträußern; jetzt nahte Rudolph mit dem Leichentuche, um es über sie hinzubreiten. Ehe dieß noch geschah, sah sie noch einmal empor in Georgs Augen, welcher sich mit schmerzlichen Gefühlen über sie herabbeugte, und reichte ihm die Hand, so wie ihrem Bruder Heinrich, und flüsterte, während schon das Leichentuch über sie hinfiel, noch ihm zu: gute Nacht an Vater und Mutter.

Georg verhüllte sich das Gesicht; Heinrich selbst fühlte bei diesen Worten in unermeßlicher Angst sein Herz beben.

Es begann der fünfte Act. Georg spielte mit vielem Gefühl. Eine Todtenstille, welche nur dann und wann von einem Seufzer aus theilnehmender Brust unterbrochen wurde, herrschte unter den Zuschauern.

Jetzt stand die enthüllte Bahre inmitten der Bühne; die Leichenmänner hielten mit Fackeln umher; Beaumarchais und Clavigo aber standen, fechtend über der Leiche Mariens, an den beiden Seiten derselben. Clavigo stürzte verwundet auf die Leiche herab; und mit einem gellenden Schrei des Entsetzens fuhr Georg, wie von einer Natter gestochen, plötzlich empor, stürzte wieder nieder, stöhnte, und in unarticulirten Jammertönen zuckte er krampfhaft am Boden.

Rudolph stand erstaunt. Die ganze Versammlung sprang auf. Der Graf kam schnell herein, hin zur Bahre, strich mit der flachen Hand über Lina's Gesicht, winkte, und der Vorhang fiel.

Jammernd stürzte Heinrich herbei und schrie: Lina! Lina! Schwester! – Er entfaltete vergebens die starren Hände, er hob vergebens ihr kaltes Haupt empor; – sie war todt. –

Wie die Herrliche wunderbar in dieser Gegend erschienen, so war sie nunmehr auch aus dem Leben geschieden auf eine außerordentliche Art, als wäre sie ein überirdisches Wesen aus dem Reiche der Glückseeligen nur heruntergestiegen, um auf kurze Zeit menschlich unter den Menschen zu wandeln, alle Erdenwonne und Erdenleid zu empfinden, um alsdann ruhig das Erdengewand wieder abzulegen und heimzugehen im entzückten Aufschwunge mit dem unendlichen Mitleide für all die Schmerzen und Qualen, welche das arme Menschenherz hierunten in der Nacht des Irrthums und der Leidenschaft drücken und drängen.


 << zurück weiter >>