Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Dreizehntes Buch.

Erstes Kapitel.

Unter dem hohen Bogen des Felsenthores stand ein Riesenweib, sibyllenartig anzusehen. Ueber ihren Scheitel wallten reiche silberglänzende Haare, welche unter dem Kinne zusammengebunden waren, lang herunter bis auf die Füße, welche mit eisernen Schuhen angethan waren, und umhüllten die urkräftige Gestalt so ganz, daß man kaum das graue faltige Gewand noch bemerken konnte. Aber trotz diesem eigenthümlichsten geisterartigen Ansehen konnte ihre Gestalt kein Grauen oder sonst Furcht einflößen, denn das Gesicht des Weibes war fürwahr, so bleich es auch war, erhaben und schön zugleich zu nennen; wie es denn, überhaupt nichts Ehrwürdigeres geben kann, als ein edles, unverzerrtes Antlitz einer Greisin, obgleich nur selten ein solcher Anblick gewährt sein mag. Schon Vater Logau singt davon:

»Ein altes Weib, die schön ist, vereinet selt'ne Gaben;
Auch schweben über solche beständig weiße Raben.«

Mit seinem elfenbeinweißen Antlitze, auf welchem nur wenige weiche Fältchen zu sehen waren, blickte rührend freundlich aus hellen, blauen Augen das Weib den Ankömmling an.

Wie Georg dieses Weib, welches mehrere Kopflängen höher als er emporragte, ob es gleich leicht gebückt da stand, vor sich sah, war es ihm, als stände er vor der Urmutter des Menschengeschlechtes. In kindlicher Ehrfurcht schaute er empor in ihr mildes Mondengesicht.

Das Weib fragte ihn mit sanfter, aber dennoch kräftiger Stimme: was suchest du hier, wunderliches Menschenkind? hier, wo vor dir noch kein Mensch dieser Zeit stand?

Mutter, versetzte Georg, ich wünschte zu meiner Braut, der schönen Aquilina, zu gelangen!

Verwegenes Kind! was träumst du? versetzte die Greisin. Sie, die Königin aller Menschengeister, willst du dir erstreiten? – Zu Ihr willst du wandern? Große Wunder geschehen jetzt freilich dem Menschengeschlechte; darum könnte es wohl auch sein, daß du zu Ihr gelangtest! Trete in mein Haus, du kühner Geselle! – Vielleicht weiß einer meiner Söhne dir Auskunft zu geben, wenn du so lange hier harren willst, bis einer von seiner Weltreise zurückkommt! –

Ja, gönne mir, ehrwürdige Mutter, bat Georg, so lange Herberge und nimm mich auf, als wäre ich dein Kind! – So komme mit mir! entgegnete das Weib, faßte ihn bei der Hand, und führte ihn mit hinein in ihre Wohnung.

Wie das Thor des Felsens, so war auch der ganze Saal, in welchen Georg alsbald eintrat, aus spiegelhellem, fleckenlosem Stahle gebaut, und auf gleiche Säulen gestützt. Eine große, runde Tafel, um welche dreiunddreißig Sitze standen – Alles von gleichem Metalle kunstreich geformt – befand sich in der Mitte der großen Halle. Oben von der Decke, an welcher sonderbar verschlungene Kreise und Zeichen zu sehen waren, hing ein vielfarbiger Ring herunter, in welchem eine große weiße Eule saß. Aus den leuchtenden Augenrädern des düsteren Vogels strömte ein blendendes Licht, welches den ganzen Saal erhellte. Auf der Tafel selbst aber lag ein großes, aufgeschlagenes Buch, worin viele Zeichen in mannichfaltigen blendenden Farben Georg in die Augen schimmerten.

Das Weib setzte sich hin und las darinnen. Es schien, als bekümmere sie sich wenig mehr um ihren Gast. Georg aber selbst hatte Muse genug, sich alles dieses Geheimnißvolle genau zu betrachten, ob er gleich den Sinn davon nicht zu finden vermochte.

Ein dumpfes Brüllen scholl jetzt von draußen her. Was ist das? rief Georg. Es wird der West sein! versetzte die Altmutter.

Näher heran kam das unheimliche Getöse; jetzt pochte es heftig an das Thor. Die Alte rief: wer draußen?

Der Tiger aus West! versetzte die Stimme.

Durch das offene Thor herein schritt im rothen Mantel, mit Hermelin verbrämt, eine untersetzte Gestalt, auf deren Haupte eine rothe Flammenkrone brannte. Ein Tiger und ein Löwe zogen mit ihm herein.

Mit stechenden, klaren, grauen Augen stierte der Mann finster vor sich hin. Seine schmalen Lippen, über welchen eine Adlersnase trotzig saß, waren eingekniffen. Die tiefen Einschnitte, welche von der Stirne herunter sich zwischen den beiden Augenbrauen hineinsenkten, machten das Gesicht widerlich hart. –

Die Arme übereinander geschlagen, ging er im Gemache auf und ab. Endlich wandte er sich zum Weibe, welches sich um ihn wenig zu bekümmern schien und im Buche fortlas, und sprach kurz und abgebrochen vor sich hin: du hast Gesellschaft? Wer ist es? Woher?

Ich heiße Georg Venlot, erwiederte Georg, unangenehm von diesen harten Fragen berührt, und komme, hier oben nach Aquilinens Behausung zu fragen.

»So? Nichts weiter? Ich weiß nichts von Ihr!«

Wiederum schritt der Unfreundliche im Zimmer auf und ab.

Was macht dein Bruder, der Samum? fragte endlich die Alte, indem sie vom Buche aufsah.

»Eh qu' importe mon frêre.«

Du kommst aus Spanien?

»Wohl!«

Wünschest du etwas zu essen?

»Ich weiß zu fordern! Nein!«

Der West warf sich in seinen Stahlstuhl, seine Augen an den Boden geheftet, rechts und links die schnurrenden Katzenthiere neben sich.

Nach einer Weile fragte mit etwas gedämpfter Stimme der Gewalthaber: »was steht auf dem nächsten Blatte der Weltgeschichte?«

Viel Blut, und der Untergang derer, welche dir ähnlich sind! – versetzte die Sibylle.

»Nein!« rief dieser zornig dagegen. »Nein!« – Ich erschlage das Schicksal, ehe es noch Odem geholt hat.

Hast du wieder?

»Ich habe.«

Thor! Thor! – du säest Salz aus ins Meer, und pflügest in der Luft, dort giebt es keine Frucht und hier keine Furchen! Thor! – Und was hast du mit dem Schiffe gethan, worauf die Mohrensclaven sich befanden, welche sich gegen ihre Dränger empört und über Bord geworfen hatten?

»Ich ließ sie auf einer Sandbank einander vor Hunger selbst schlachten und verzehren, und ihren Durst zu stillen, eigenes Blut trinken!« –

Das waren Deine Thaten?

»Nein, – nicht genug! Grimmig haßte ich eine Stadt seit langer Zeit, weil sie sich und das Land gegen den Herrscher, welcher darüber gebot, empört hat. Vergebens sendete dieser gegen die Tollen seine Legionen; – die Empörer vernichteten das schöne Heer in ihrer Wuth. Vergebens sann ich lange auf Mittel, die Frevler zu züchtigen. Endlich aber fand ich Rath. Neulich zog ich sehr müde über Aegypten einher. Um auszuruhen, ließ ich mich eben am Fuße einer Pyramide nieder. Vor meinem Nahen stäubte der Sand ellentief aus einander; mitten in der Sandgrube aber sah ich ein längliches, vielseitig geschliffenes Crystallgefäß herausblitzen. Ich nahm es in die Hand und bemerkte, wie ich hineinblickte, darinnen in einem gelben Wölkchen ein ganz kleines, nacktes, abscheuliches Männlein schwimmen. Ich hielt das Gefäß an mein Ohr; denn es schien drinnen sich eine Stimme vernehmen zu lassen, – und der Crystall schrillte und klang: laß heraus! heraus! ich bin die arme Pest! – Schnell steckte ich den Crystall zu mir, stieg auf und eilte zur Stadt der Empörer zurück. Hoch oben stand ich alsbald über den Verlorenen.«

»Ich warf den Crystall mit Gewalt hinunter auf den Markt der Stadt, daß dieses Glas klingend wie ein Hohngelächter in Stäubchen zersprang. Alsbald erhob sich das gelbe, nackte Männlein und sprang einem Kinde, welches dort sein Spiel trieb, an den Hals und erwürgte es – und ward um Kindeslänge höher; und wie es wieder einen Menschen umbrachte, so wurde es wieder um eine Menschenlänge höher. Das griff um sich heimlich, furchtbar, still, mordlustig und unersättlich. Es erwürgte Jung und Alt, Groß und Klein, und wurde immer riesiger und immer entsetzlicher. Mit tausend Händen griff es nach Opfern, mit tausend Augen sah es sich um nach neuen Opfern. Grimmig zuckte das falbe Leuchten des blutsaugenden Krötengesichts.«

»Endlich ragte das Gespenst über alle Dachgiebel der Stadt und über ihre Thürme empor, und sein Giftodem ging in Strömen aus durch das ganze Land. Gleich einer hungrigen, wüthigen Riesenschlange hing es von oben herunter über die hingestreckten Leichen, über die Sterbenden, welche lagen und ächzten, und über alle Menschen, welche jammernd emporschauten zum vergifteten, ehernen Himmel. Ich hoffe, daß ihr Trotz gebeugt, ihre Kraft gebrochen, und ihr Freiheitsschwindel dahin ist! – Mich aber schauderte selbst bei dem Anblicke des Würgers, und machte einen Luftritt zu dir heim!« –


Thor! – der du nur ein schlechtes Werkzeug der Vorsehung bist! – Armseeliges Gift, das in der Hand des Arztes Arzenei wird! – Nicht dir und deinem Sinnen, sondern dem größeren Herrn, der dich gebraucht nach seiner Absicht, mußt du – ein störriger Knecht – so gut dienen, wie der starke Stier dem Pflüger, welcher ihn unter dem Joche zur Arbeit treibt!

Düster schwieg der Entsetzliche und nagte an seinen Lippen.

Ein Neger kam nicht lange nachher schnell hereingestürzt, und zu den Füßen des Gewaltigen hinknieend, überreichte er ihm einen Brief.

Kaum hatte dieser einen Blick in das Schreiben geworfen, so sprang er auf, stampfte zornig auf den Boden, daß die metallenen Fugen krachten, und schrie: unerhört! Was sind dieß für Zeiten! – Neger, meine Pferde! –

Mit diesem Ausrufe ging er, indem er den bebenden Sklaven vor sich herstieß, mit gewaltigen Schritten zur Thüre hinaus und brüllend und heulend folgten Tiger und Löwe.

Das Weib aber sprach für sich selbst:

So gehet Jeglicher dahin in seinem Sinne! Was der Betrogene meint, das geschieht nicht, und was er nicht will, kommt über ihn, wie ein Dieb in der Nacht. Der Arge schmiedet Waffen Tag und Nacht, und hat viel Bosheit im Herzen, – aber der Herr geht einher, schlägt ihn mit dem eigenen Vorsatze und den eigenen Waffen und der eigenen Thorheit. Er zieht ihm einen Ring durch die Nase und setzt seinen Feind ihm auf den Nacken, daß er diene und gehorche dem Zügel und dem Sporen dessen, den er zu vertilgen gewillt war.

Höre ich nicht ein Waldhorn aus der Ferne hertönen, fragte jetzt Georg; was ist das? Donnert es? Wie das braust! Hörst du, Altmutter, das wunderbare Schmettern? Wie es immermehr wächst? Mir ist es, als wenn die Erde vor dieser Zaubermusik zu hüpfen beginnt! – Was war dieß für ein langgezogener, unermeßlich herrlicher Klang? Die Erde geht unter. Mit diesen Worten wankte er auf das Weib zu und faßte es ängstlich bei der Hand; denn der Boden unter ihren Füßen zitterte wirklich.

Das Weib aber sprach gelassen: es ist nur mein Sohn Nord! –


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