Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Viertes Buch.

Erstes Kapitel.

Einige Wochen nach dem Johannisfeste wanderte Heinrich, um das Freie herzhaft zu genießen und mit Frühlingsodem seine Brust zu füllen, hinaus auf die grünenden Gefilde.

Glühend hatte die Sonne den ganzen Tag lang über der Erde gebrütet. Jetzt aber stiegen im Südwest dunkle Wolkenhaufen herauf, und zogen die heiße Sonne, als ein rothes Herz, in ihren Busen hinein. Nichts wagte sich auf der weiten Flur zu regen, als nur dann und wann ein schüchternes Lüftchen, welches über die Spitzen des Getreides lief, als suche es sich irgendwo in einer Blume zu verstecken.

Heinrich schien von dem Allen nichts zu bemerken; er zog an dem Saume des Waldes, welcher an die Felder vorstieß, gedankenvoll hin. Die Geschichte, welche er neulich vorgelesen hatte, wollte nicht aus seinem Gedächtnisse verschwinden. Erinnerte er sich doch so ganz deutlich an den Jüngling, welchen er auf dem St. Bernhardin getroffen, mit welchem er sich in so kurzer Zeit herzlichen Beisammenseins zu ewiger Freundschaft zusammengelebt hatte; und dennoch konnte er sich es nicht erklären, wie diese schöne Scene seines Lebens auf eine solche Weise in ein solches sonderbares Mährchen mit verflochten sein konnte. –

Seitdem er sich selbst in dieser Gesellschaft fremdartigster Gestalten in jenem Buche wieder gefunden hatte, war es ihm, als müßte er an seinem wirklichen, einfachen Dasein zweifeln.

So mag es einem Menschen zu Muthe sein, der gemächlich in seinem Zimmer sitzt, und zu dem herein jetzt ein Fremder tritt, bei dessen erstem Anblick er sich sagen muß: daß dieser sein bester Bekannter, sein Freund, sein erster und einziger sein müsse, ob er gleich sich nicht erinnern kann, wo und wie er ihn einst getroffen habe. Er fragt bestürzt nach den Namen des Eintretenden und freundlich lächelnd nennt der Fremde den eigenen Namen des Fragers, dem zugleich der gegenüberstehende Spiegel zeigt, wie sein Selbst sich dreimal im Zimmer befinde.

Während Heinrich in ähnlichem Irrgarten des Denkens vergeblich einen Ausweg suchte, drang vom nahen Felsen her, an dessen Fuße die Landstraße vorüberzog, der Klang einer Laute. Eine kräftige, männliche Stimme begann sich im Gesange zu erheben. Er stand still, horchte aufmerksam zu und vernahm folgendes Lied:

In die Ferne geht mein Sehnen,
Zu den Wolken dringt mein Blick,
Aus dem Auge rinnen Thränen,
Um das längst vergangne Glück.

Lüfte, die ihr in den Bäumen
Leise flüsternd, weiter eilt.
Wißt ihr wohl von jenen Räumen,
Wo die Allerschönste weilt?

Weiden weinen an den Bächen,
Quellen an der Felsenwand;
Klagend scheinen sie zu sprechen
Von dem wunderbaren Land.

Doch mein Leid, wer kann es theilen?
Luft und Welle darf entflieh'n,
Ueber Erd' und Himmel eilen;
Ich nur langsam weiterzieh'n.

Jetzt schwieg der Sänger. Heinrich bog sich um die Felsenecke herum, und sah unten auf einem Blocke einen Wanderer sitzen, welcher zu seinen Füßen den Reisestab über seinem Bündel, und eine Laute, auf welche er nachdenkend das Haupt hinunterbeugte, auf seinem Schooße liegen hatte. Noch bedeckten sein Gesicht die langen herunterhängenden Locken. Heinrich ging auf ihn zu. Der Fremde sah empor und Heinrich glaubte vor Ueberraschung in die Erde sinken zu müssen; denn dieses war Georg Venlot's Gesicht.

Dieser stand von seinem Sitze auf, eine freudige Röthe trat in sein Gesicht und nahte sich ihm, der noch immer sprachlos da stand, mit der Frage: »bist du nicht mein Freund, Heinrich Meier?« und alsbald umarmten sich die beiden Jünglinge und ihre Augen glänzten in freudigem Wasser.

Willkommen! Willkommen! jubelte Heinrich; so hast du dich doch endlich entschlossen, mich einmal aufzusuchen? Wie oft, ja täglich habe ich, seitdem wir am Ufer des Comersees uns trennten, an dich gedacht! Nicht wahr, nun bleibst du auf lange Zeit bei mir? Glaube mir Freund! man findet eher die Beruhigung des Gemüths im engen Kreislauf des Lebens, als im Lärme großer Verhältnisse! Sprich, wo bist du unterdessen herumgewandert? Hast du deine Wanderlust endlich gestillt? – Mit solchen Fragen und Ausrufungen überstürzte Heinrich, aufgeregt und erhitzt, seinen Freund.

Von Elend, äußerer und innerer Noth, versetzte dieser, gehetzt wie ein Wild, komme ich über die Berge herüber zu dir! Seit ich dich nicht gesehen, es sind wohl vier Jahre unterdessen vergangen! habe ich beinahe die halbe Welt durchwandert; – Afrika und Asien vorzüglich.

Wie ein Gott der Erde, von Vermessenheit das ganze Herz voll, hob ich mich weit über alle menschlichen Verhältnisse empor; auf einmal brach mein Himmel über mich zusammen, und begrub mich mit seinen widerlichen Scherben.

Als Bettler kam ich wieder heim. Mir gehört nicht einmal der Stein, welchen ich unter mein Haupt lege, um darauf zu schlafen. Heinrich! ich bin ganz vernichtet und zertreten. Wenn ich mich nur wenigstens am Glauben meiner Väter emporrichten könnte! –

Allenthalben bewarb ich mich in meinem Vaterlande um ein Amt. Ich hatte keine Gönner, keine Empfehlung, als mich selbst, und wurde überall höflich abgewiesen.

Endlich trat ich in den Sold der Muse, nachdem ich ihr früher in edelster Begeisterung gedient, ja! sie mein genannt hatte. Was ich lange in mir gehegt und gepflegt, daraus suchte ich eine Welt zu bilden, und sie auf einem festen Knaufe emporzuheben. Es ward ein Trauerspiel. Wie alles, so tüchtig, als immer möglich, zusammengestellt war, sendete ich es an die Bühne meines Vaterlandes zur Aufführung. Mir fehlte der Namen; es liegt noch heute dort; während ich beinahe verhungert wäre, wenn ich nicht Gelegenheit gefunden hätte, bei einem Advokaten um Lohn zu schreiben.

Von Neuem fing ein in sich abgeschlossener Kreis von Gestalten in mir klar hervorzuquellen, zu treiben und mich zu drängen. Mit eigener Lust und Liebe ward das Gedicht vollendet. Ich hatte es leider in Versen und Reimen geschrieben, und Sinn für die Musik des Rhythmus vorausgesetzt; und dies war ein arger Mißgriff!

Kein Buchhändler mochte es sich unterfangen, dieses Gedicht herauszugeben. Ich konnte es dem Kaufmanne nicht verdenken. So wie das deutsche Volk, als solches, selbst ein formloses ist, und die einzelnen Staaten Deutschlands nur zusammengekehrte Haufen von Individuen sind, und mithin jeder von ihnen nur ein Ganzes in der Idee, nicht aber an und für sich selbst ist, eben so wenig kann auch überhaupt der Deutsche einen Sinn für eine große poetische Abgeschlossenheit in der Einigung des Stoffes mit der Form gewinnen. So wie sein ganzes Dasein ein fragmentarisches ist, eben so kann er nur durch die formlose Masse ergriffen werden. – Meine Handschrift loderte im Feuer auf.

Ich glaube, meine Nase war damals um einige Zoll auf einmal länger geworden; ich stieß an jeder Ecke damit an. Nun sagte ich allem Weltruhme ein herzliches Lebewohl und schrieb, des Gelderwerbs halber, meine eigene Lebensgeschichte, in ein Mährchen verknetet. Aus Barmherzigkeit nahm diese Sache ein Buchhändler mir ab und bezahlte dafür – meine Schulden.

Nunmehr schüttelte ich ein unglückseliger Poet, der sich ohne Beruf zum Altar der Muse gedrängt hatte, die Erbärmlichkeit dieser Existenz von mir ab. Als ein Bettler komme ich zu dir, mein Freund! Du weinst, Heinrich? – bin ich doch endlich bei dir, und schaue in deine klaren, frommen, herzigen Augen!

Was hast du Alles ertragen, du Armer! versetzte Heinrich sehr bewegt. Warum bist du nicht früher zu mir gekommen? Du hast nicht an meine Freundschaft geglaubt! Jetzt aber, Flüchtling, halte ich dich fest! An deinen theuer errungenen Erfahrungen mußt du mich belehrend vorüberfühlen; du mußt bei mir bleiben und Neues fördern, so wie es nur immer möglich ist!

Sie waren unter diesen Gesprächen durch das Thor des Städtchens gegangen. Schon dämmerte der Abend heran. Die Donner des nahenden Gewitters begannen zu rollen, und der Sturmwind jagte den Staub durch die Straßen, während dann und wann ein schwerer Regentropfen herunter fiel. Heinrichs Vater, der weidliche Mann, stand freundlich unter der Hausthüre und bewillkommnete herzlich den Freund seines Sohnes.


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