Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Zweites Kapitel.

Mit gepreßtem, gequältem Herzen, in schmerzlichen Träumen vertieft, hatte endlich Georg die letzte Anhöhe überstiegen. Mattigkeit verhinderte ihn weiter zu gehen. Er warf sich in das dürre Gras und starrte verzweiflungsvoll in die dunkle Nacht hin. Sein ganzes, vergangenes Leben rückte in klaren Bildern an seinem inneren Auge vorüber; aber die zuletzt im Schooße des friedlichen Thales verlebte Zeit stand still und mahnend vor seiner Seele. Die Geister dieser Vergangenheit reihten sich mit rührenden Vorwürfen um ihn her; sie zeigten ihm all die Liebe, all die Freundschaft, welche er von seinen Umgebungen dort genossen, und schienen ihn zu fragen: und warst du Sündiger aller dieser Liebe werth? Dann führten sie seine Erinnerung in das freundliche Zimmer im Gartenhause, beleuchteten mit zauberischen Lampen ihm alle Traulichkeiten des Orts, indem sie an jeden Gegenstand umher irgend eine kleine Geschichte gesprächig anzuknüpfen wußten; dann zeigten sie ihm jene Stube Karolinens, darinnen das wunderholde Bild Lina's auf dem Sopha im rosigen Lichte der Liebe erglühen; dann wandten sie seine Gedanken woanders hin, hoben einen Schleier auf und deuteten auf ein darunter liegendes Todtengesicht, indem sie fragten: kennst du die Gemordete?

So hing an seinem Herzen die Rückerinnerung, wie ein stechender Scorpion. Vergebens drückte er sein Gesicht auf die kalte Erde; vergebens rang er nach Trost; diese Gedanken wichen nicht von ihm. Sie bemächtigten sich immer mehr seiner ganzen Seele.

Er setzte sich wieder auf, ein Glanz von vielen Lichtern traf aus der Ferne her sein Auge. Dieß ist ihre Leiche! sprach es in ihm oder neben ihm, zu unterscheiden vermochte er es nicht. Er starrte den langsam wandelnden Lichtern nach.

Wie war Sie so schön, begann wieder die Stimme zu sprechen, so herrlich vor allen Jungfrauen! Wie war ihr Antlitz so holdseelig mit dem blauen, leuchtenden Augenhimmel? mit der hohen, zartgewölbten Stirne? und dem rothaufglühenden Munde? Und ihre Gestalt? Und ihr Gang? ihr liebliches Wesen, ihre Anmuth in Allem? soll ich dir mehr sagen? Aber ihr Gemüth war nicht das eines Erdenweibes! so innig und zart, so rein, fromm und kindlich war es, wie das Wesen einer Gottestochter. Wie glücklich mußte der Mann sein, dem es in aller seiner Heiligkeit sich zuneigte! – Sie ist ermordet in ihrer Jugend, gleichgültig zertreten wie eine Blume in ihrer Schönheit, von ihm, der ihr Liebe heuchelte! doch von dir? von dir? –

Georg schlug sich verzweifelnd mit den Fäusten in das Gesicht. Lange noch stierte er hinunter zu dem Lichterzug, welcher sich jetzt hinter einem Hügel verlor, jetzt wieder empor kam; hinunter schwebte, weiter, weiter, bis in die Stadt hinein.

Als er nunmehr verschwunden war, glaubte Georg Alles, das Allerletzte verloren zu haben, und sank lautschluchzend mit dem Haupte zurück auf die kalte Erde.

Vor ihm stand auf einmal Doctor Voland. Seine glühenden Augen ruhten stechend auf ihm. In Schaudern bebten Georgs Glieder.

Von Elend zu Elend hingerissen, begann Voland zu sprechen, vom Irrthume ewig bestrickt und immer mehr der Selbsterkenntniß, und dadurch der Verzweiflung schrecklich hingenähert, bebst du armer Erdenwurm hier im Staube. Hast du doch der Stimme deines Gottes gefolgt, besiegt die Leidenschaft, die allgewaltige, vor deinen dürstenden Lippen den Becher ausgeschüttet, und nun? – Hingegeben seeligen Liebesgenuß der Pflicht, und nun? Wo ist sie hin, die Kraft deiner Seele? Wohin der Frieden deines Herzens? das seelige Unschuldsgefühl? Sieh, armer Unglücklicher, anders kann dir Jener nicht lohnen!

Da Er die Welten und Wesen darauf erschuf, mußte er zum Gesetze die Nothwendigkeit, welche, über ihn und über Alles gebietend, das Gefühl nicht kennt, erheben. Ihr Arm rollt dich eben so gut fort, als den Felsenblock, welcher, den Schwerpunkt verlierend, hinunterstürzt, und im Thale zerschmettert. Ihr Odem verwandelt deine Vernunft in Thorheit, und deine Dummheit in Weisheit; nur die Qual kann sie drücken in das blutende Herz, aber nicht davon wegnehmen! –

Nicht Gott fährt im Donnerwetter herauf, sondern nur die Nothwendigkeit, mit welcher sich ein chemischer Prozeß entwickeln muß. Nicht der, welchen du Gott nennst, führt den Sommer und den Winter heran, sondern die unabänderliche Nothwendigkeit. Glaubst du, Gott wäre so allmächtig, um die See zu halten, welche sich über euere Wohnungen stürzt, und die Mutter sammt dem Säuglinge ertränkt? Kann er 7 aus 2 + 3 machen? – Thor! worauf hast du dein Vertrauen gestellt!

Georg rang mit ganzer Seele nach Trost und Erleuchtung von oben; herüber und hinüber schweiften seine Gedanken, ängstlich schmachtend und ringend.

Hilf dir selber, so ist dir geholfen! fuhr der Doctor fort; entsage Ihm und seinen Werken, so bist du frei, wie Er. Ich sehe deine Gedanken. Du fragst: verdanke ich nicht Ihm mein Leben? Dein Leben? dieses Ergebniß des Zufalls und der Nothwendigkeit. Du fragst in dir: gab er mir nicht die Wonnen meiner Knabentage? Springt nicht auch der junge Stier wohlbehäglich auf der grünen Wiese?

Werde selbst dein Gott!

Warum, du entsetzlicher Grübler, erwiederte Georg, drängst du dich mit den Gedanken deiner Hölle zu mir, der ich dich nicht rufe?

Weil ich, entgegnete dieser, in dir einen ungewöhnlichen Geist, welcher, besseren Geschickes werth, mein ganzes Mitleid aufruft, walten und ringen sehe! – und, weil ich Ihm es nicht gönne, dich seiner Unseeligkeit durch Unseeligkeiten zuzuführen! –

Georg warf sich auf seine Kniee und betete: Herr, ich fühle dich mit deinem Heile selbst in meinem Elende. Nicht umsonst drängt sich zu dir empor an deine Brust mein kindliches Gefühl in Demuth und Anbetung. Ich fühle es, daß deine Züchtigungen selbst zu meinem Heile dienen!

Die Ruthe für deine Dummheit! schaltete Voland ein, und eine Zuckerdüte hintennach.

Befreie mich, mein Gott, von den Fallstricken des Bösen! rief Georg von Neuem empor.

»Bist du fertig?«

Ja! – sprach Georg gestärkten Herzens und kräftiger Stimme.

»Ich auch!« Ein Blitz leuchtete auf, und Voland stieg, ein Liedchen pfeifend, den Berg hinunter.


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