Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Viertes Kapitel.

Georg hatte seit jenem verhängnißvollen Augenblicke Lina nicht wieder gesehen. Um nach ihr zu fragen, hielt eine besondere Schüchternheit ihn zurück, so gern er auch gewußt hätte, ob Heinrich den Brief an sie bestellt habe. Zwar dachte er auch von Neuem an seine Abreise, aber theils mußte er sich sagen, daß seine schwach befestigte Gesundheit von einer solchen Wanderung, dem Verlassensein und dem Elende entgegen, vielleicht auf immer untergraben würde; theils aber fühlte er sich auch durch die herzliche Pflege, welche ihm von seinem Freunde und dessen Aeltern angediehen war, mit neuen Fesseln der Dankbarkeit und der Freundschaft an die Trefflichen gebunden.

Wie er sich nunmehr wieder einigermaßen gekräftiget fühlte, schickte Graf Rüderig seinen Wagen und ließ ihn zu sich fahren.

Diese Aufmerksamkeit, so wie die freundlichste Aufnahme, welche er im Schlosse fand, that ihm jetzt vielfach wohl.

Wenn der Graf selbst seinen gebeugten Geist unvermerkt durch die gewandteste und erheiterndste Unterhaltung wieder aufrichtete und ihn endlich allen Genüssen der Geselligkeit wieder zuführte, so fand er sich nicht minder von dem zarten Sinne der Gräfin, welche in seiner Brust die angenehmsten Empfindungen hervorzuzaubern wußte, wohlthuend angesprochen.

Doctor Voland, nach dem er sich einmal schüchtern erkundigt hatte, war bereits vor einiger Zeit wieder von Ellerhaußen abgereist. Der Graf versicherte ihm, daß es einer seiner ältesten und trefflichsten Bekannten wäre und nur die üble Gewohnheit habe, daß er sich nirgends lange aufhalten ließe.

So verging einige Zeit, während Georg fast einen Tag um den andern in Ellerhaußen war. Heinrichs Aeltern hatte er zu verschiedenen Malen in der Stadt besucht; Lina aber nie dort angetroffen. Außerdem schien es, als wenn man mit besonderer Absicht ihn nicht an sie erinnern wollte.

Endlich wagte er es, bei seinem Freunde Heinrich sich nach ihr zu erkundigen.

Ich will dir keine Vorwürfe machen, entgegnete dieser, darum muß und will ich von allem Uebrigen schweigen und dir nur dasjenige einhändigen, was ich auf deine Nachfrage darum zu überreichen habe. Es war ein Brief. Georg erbrach ihn schnell und las:

Es ist vorüber! – Meinetwillen Ihren Freund, und uns Alle zu verlassen, dürfte nun nicht nöthig sein.

Lina.

Georg schloß daraus, daß Lina das Abenteuer an jenem Abende zu vergessen wünsche, oder, indem sie sich beleidigt fühle, ihn bereits selbst der Vergessenheit geweiht habe. Er täuschte sich.

Möchte dem Erzähler erlassen sein, den düsteren Schleier von Lina's blutendem Herzen, in dessen zartestem Lebenskeime der heimlich tödtende Wurm nagt, hinwegzuziehen! – Wenn ein holdes Wesen, ausgestattet vom zärtlichsten Muttersinne der Natur mit den tiefsten und schönsten Gefühlen, und zugleich geziert mit jeder Anmuth und Schönheit, langsam und grausam gequält, langsam vergehen muß, und endlich selbst der Tod vor ihm gerührt und zaudernd steht, und es wie im innigen Mitleide liebkost mit gebeindurchrieselnden Schauern, da muß sich vor der werdenden Heiligen selbst die Muse weinend neigen und ihr Antlitz und die trüben Augen verhüllen.

Lina war wie eine halberblühte und eben geknickte Lilie, welche unvermerkt und langsam hinwelkt. Ihr Gesicht hatte der Seelenschmerz seit jener Nacht zu einer schönen Bleiche verklärt und eine wunderbare Klarheit in ihren Augen angezündet. Ihre Schmuckringe hatte sie von sich gelegt, ehe sie ihr noch völlig zu weit wurden. Niemand ahnete, daß ein stiller Engel, himmelwärts deutend, ihr zur Seite ging. Nur wenn gegen Abend zwei rosige schmale Streife auf ihren Wangen, nicht von der fröhlichen Gesundheit dort gemalt, sich entzündeten und am späteren Abende endlich ihr ganzes Antlitz in einer rosigen Gluth, (gleich wie das der eisigen Jungfrau im Alpenlande von der untergehenden Sonne herrlicher angestrahlt wird, als von der aufgehenden) purpurn aufleuchtete, wurde nur Mutter Meier immer bedenklicher, obgleich sie ihr versicherte, daß sie sich ganz wohl fühle.

So gehe denn hin, Märtyrerin der Liebe, sanfte Dulderin, herrliches Weib! – Deiner wird nie vergessen werden, so lange diese Zeilen leben! – Himmlische sind bereit, dir zu dienen, und deine Herrlichkeit dort oben vermißte dich längst!

Wird dein Herz, dieses arme zitternde, dem Leben dennoch immer zugeneigte Kind, dann und wann zu schwer, so gebe dir dein guter Engel eine kurze fromme Thräne und langen Trost? und tritt das Bild des Geliebten, ärgeren Schmerz erregend, in aller seiner verlockenden Anmuth vor deine Seele, so bedauere den Armen in seiner Verblendung; denn er liebt dennoch nur dich, mehr als er selbst denkt.

In den schrecklichen Stunden aber, wo dein Herz zuweilen mit seinen Schlägen auf einmal aufhört, dann von Neuem ängstlicher zu pochen beginnt, und dich so erschrocken, an die Minute mahnt, wo es auf immer stille stehen wird; richte dein brennendes Auge und deine bebende Seele nach Oben hin, von wo unsichtbar freundliche Engel heruntersteigen, um dich zu trösten und empor zu richten.

Warum mußte ihm, Georg, so wie fast allen Anderen, dieses stille Anschicken zu langem Abschiede verborgen bleiben? Nicht zum letzten Male sollte sich Georg täuschen.


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