Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Zehntes Buch.

Erstes Kapitel.

Ein berühmter Arzt in London machte einst an einem Matrosen, welcher sich ihm zu beliebigen Operationen einer verlorenen Wette gemäß bei lebendigem Leibe verkauft hatte, das Experiment, wie lange ein Mensch bei unterbundenen Adern leben könnte.

Der Arzt machte fürwahr seine Sache brav. Glied um Glied verwelkte und wurde abgenommen, aber der Mensch blieb unverwüstlich gesund und munter, trank sein Ale, aß sein Beafsteak, rauchte seinen Tabak und spielte mit den aufwartenden Personen Mariage.

So war es endlich noch zu verwundern, daß er eines Morgens gar nicht wieder aufstand, nachdem ihm sein Brod- und Leibherr des Abends zuvor ganz meisterhaft die Halspulsader unterbunden hatte.

Dann war auch vor Kurzem ein Koch in Paris, welcher die Erfahrung machte, daß der Mensch nicht sowohl die Speise selbst, als vielmehr nur den Dampf davon zu seiner Unterhaltung benöthiget sei. Für einen Sous ließ er arme Handarbeiter aus St. Antoine in seiner Küche um den Heerd herumsitzen, und die Dämpfe von den geschmorten Braten und köstlichen Brühen, welche für die Kostgänger aus höheren Ständen gehörten, behaglich riechen und einziehen. Eine Erfindung, welche um so mehr allgemeinere Anwendung in einem wohlgeordneten Staate verdiente, je harmloser eine gute, väterlich gesinnte Regierung alsdann die Unter- und Beigegebenen in die erwerbende und verzehrende Klasse eintheilen könnte.

Es ist eine ewige Schande für unser erfindungsreiches Deutschland, daß ein Pariser Koch durch die Lösung dieses Problems unsere größten Staatsmänner überflügelt hat.

Wie leicht ist es nunmehr, vermittelst einer wohl eingerichteten Küche, worinnen für die Offiziere gekocht würde, ein großes stehendes Heer auf den Beinen zu erhalten! Philosophen und Dichter aber dürften nur erst jetzt durch diese Ernährungsmethode ganz besonders ätherisch ausgebildet werden. Und wie würde nicht durch diesen Fortschritt in der Cultur der deutsche Bauernstand bedacht werden können, welcher bei gehörig eingerichteten Gemeindedampföfen nur noch herzugeben brauchte.

Unser Zeitalter geht mit Riesenschritten vorwärts! Das Wohlbefinden Aller ist kein leerer Traum mehr!

Von diesem berühmten Arzte in London, dem Küchengenius in Paris, von Rumforter Suppe, den Mauth- und Abgabensystemen in dem ehemaligen Deutschlande unterhielt sich eine bunte Gesellschaft aus allen Weltgegenden während der Leipziger Michaelismesse zusammengeschneit und nun jetzt Abends zusammengeballt an der table de hôte im Hôtel de Russie. Die angeschnittenen braunen Braten und italiänischen Sallate nebst einem Regimente Tirailleurweinflaschen, welche ruhelos die Tafel beplänkelten, schienen eben nicht zu beweisen, daß man hier bloß vom Geruche lebe.

In diesem Augenblicke trat ein abenteuerlicher Fremder, welcher keinem Volke und keiner Zeit anzugehören schien, zur Thüre herein. Sein vielfach geschlitztes Oberkleid, enganliegende Beinkleider, seltsam geschnürte Saffianstiefel schienen längst vergangenen Jahrhunderten anzugehören.

Bei seiner fremdartigen Erscheinung, waren auf einmal alle Gesichter mechanisch, wie auf ein gegebenes Kommandowort, auf ihn hingeschraubt.

Ein grün beschürzter Markör ging auf ihn zu, indem er durch eine weiße Serviette einen porzellanen Teller drehte und fragte: steht ihnen zu Befehl?

Auf die Antwort des Fremden: daß er zuvörderst ein Zimmer sich angewiesen wünsche, zog sich der Markör längst der Tafel hin, um bei diesem Falle, wo allerdings das Ansehen des Hotels durch die Tracht des Fremden ein wenig gefährdet erscheinen mochte, den Haus- und Tafelherrn, welcher gesprächig zwischen seinen Gästen saß, selbst entscheiden zu lassen.

Der Wirth hatte den Ankömmling bereits fixirt, und sprach gelassen halb für sich, halb zum lauschenden Grünschürz: Nummer Zwölf! –

Mit artigem Lächeln, wie es einem gebildeten Leipziger wohl anstehen mag, kehrte der Markör zurück, zündet ein Licht an, und bat den Fremden mitzukommen.

Während nun der Mann aus dem Mittelalter die gebohnte, saubere Treppe hinangeht, mag der Leser mit Recht über die Höflichkeit der Leipziger Gastwirthe, welche den einfachen bestaubten Fußgänger, wie den Inhaber prächtiger Equipagen gleich freundlich aufzunehmen gewohnt sind, sich ein Weniges verwundern.

Als aber der schnellfüßige Markör wieder in die Wirthsstube zurückkehrte, rufte es von allen Seiten: Karl! Karl! wer ist der Fremde? woher? aus Griechenland? aus Polen? aus Jena?

Karl zuckte mit den Schultern, nahm das große Fremdenbuch unter den Arm nebst der Leipziger Zeitung und dem Tageblatte, vergaß nicht, eine Flasche Wein nebst Zubehör mitzunehmen, und flüsterte, rückwärts zur Thüre sich hinausschiebend: gleich zu dienen, meine Herren! –

Und die wißbegierigen Gäste saßen und sprachen wieder vom berühmten Arzte in London, vom Koche in Paris und dem geseegneten Deutschlande mit seinen Schlagbäumen.

Der freundliche Markör kam zurück, trat an die Tafel und zeigte das Fremdenbuch vor. Da fand man denn mit Verwunderung, daß der Fremde nur Georg Venlot hieß, seinen Charakter als: »sanftmüthig« bezeichnet, die übrigen Rubriken aber mit: »ungewiß« ausgefüllt hatte.

Die Gäste fuhren in ihren unterhaltenden Gesprächen fort, während Georg einsam und trübsinnig in seinem Stübchen saß, das Haupt in die Ecke des Sopha's gedrückt.

So war denn Georg in Leipzig. Nachdem er einige Gläser Wein getrunken hatte, brach er endlich in die Worte aus: und sollte ich darüber zu Grunde gehen, dich, Aquilina, muß ich wiederfinden! sollte ich auch die Welt durchstreichen bis in das letzte Indien. Ohne dich bin ich immerdar elend mit der brennenden, ängstigenden Sehnsucht und Qual meines Herzens! – Nicht umsonst riß die Wunderwelt vor mir ihre Thore auf, nicht umsonst wurde mir das Außerordentliche gewährt! – Nicht umsonst ist mir Raum und Zeit dienstbar geworden! Sie, die ewig Geliebte, werde ich, muß ich mir wieder erringen.

In eigenthümlicher Ideenverwechselung trat ihm Lina´s bleiches Bild vor die Seele. Lina! Lina! rief er, und krampfte die Hände zusammen. Ihm schmerzte das Haupt.

Aufgeregt schritt jetzt Georg in der Stube auf und ab, bis sich endlich der Sturm in seinem Inneren ein wenig besänftigte.

Mechanisch griff er zum Tageblatte der Stadt Leipzig und las mit Aufmerksamkeit die verschiedenen Anzeigen, wie z. B.: »Heute Abends ist Feuerwerk zum Besten der dürftigen Abgebrannten zu ...« u.s.w. Ja! rief er und lächelte wehmüthig vor sich hin, noch lebt in Sachsen ein edler, menschenfreundlicher Geist.

Indessen Georg also seine Gedanken wie die Schreibfeder eines wetterwendischen Schriftstellers bald hieher, bald dorthin planlos kreuzen ließ, hörte er dann und wann aus der Nachbarstube herüber ein herzliches Seufzen flüstern.

Sein erster Gedanke war, das ein Kranker sich dort befinden müsse. Als er aber deutlich drüben den wehmüthigen Ausruf hörte mein Gott und Herr! fing er an zu glauben, daß dem Fremden im Nebenzimmer ein plötzliches Uebelbefinden zugestoßen sein müsse.

Vom Mitleide ergriffen trat er zur Thüre, durch welche es aus seinem Zimmer hinüberzugehen schien. Er legte die Hand auf die Klinke des Schlosses, und versuchte, ob sie zu öffnen sei. Die Thüre sprang auf.


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