Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Drittes Kapitel.

Georg verlor sich in alte Träume, und eilte immer nordwärts vor. In sich gekehrt bemerkte er nicht, wie ihm allmälig die Sonne ganz verschwand und die Polarnacht um ihn her dunkelte.

Als aber jetzt schneidender Frost seine Glieder durchdrang, blickte er empor. Er befand sich auf einem unermeßlichen, Eisgebirge, ringsum funkelten im weißen Sternenlichte große geborstene Eisblöcke smaragdhell auf. Moschusstiere und Rennthiere sah er pfeilschnell über die Eisfelder dahingleiten.

Ein weißer Bär, welcher ihn nicht sah, aber doch ausgewittert hatte, sprang grimmig um ihn herum, that jetzt einen heftigen Satz neben ihm vorbei und stürzte in einen Spalt des Eisberges zwischen den zackigen Wänden hinab. Schaurig scholl das Stöhnen des Thieres aus der Tiefe empor durch diese Einöde dahin.

Hier stehe ich nun, sprach für sich Georg, und wie ich ahne, beinahe am äußersten Ende der Erde; – aber wo finde ich dich, Aquilina? – Wo liegt dein wunderbares Land? Oder lebst du unter den Menschen? Wer kann mir davon ein Wort sagen? –

Er sah jetzt den Himmel von einem plötzlichen, weißen Scheine übergossen. Am Horizonte stiegen diamantene Lichtsäulen zischend und rollend hervor.

Flockiger Zitterschein flackerte überall wunderbar auf gleich bewegten, klingenden Engelsschwingen. Ueber ihm hob sich, funkelnd in Rubinen und Sapphiren, eine ungeheuere Domkuppel empor, welche sich in einen sprühenden Strahlenkranz endigte. In diese heilige Kirche herein blitzten die Sterne gleich hellen Engelsaugen.

Georg schrie vor Entzücken auf: nun habe ich deine Heimath gefunden, Aquilina! – Er stürzte nieder auf die Eisscholle und hob zu dankendem Gebete seine erstarrten Hände empor.

Immer herrlicher leuchtete der Himmel in unermeßlicher Pracht auf, und die entzückendsten Farbenscheine jagten sich über die Schnee- und Eisfläche wie tanzende Elfenkinder.

Georg stürzte sich dem Strahlenmeere entgegen, aber wie er auch dahinflog, so erreichte er dennoch nicht die Schwelle dieses Tempels.

Schon konnte er fast kaum mehr Odem holen, und der Hauch seines Mundes fiel, zu Eis gefroren, vor ihm nieder.

Wie ein Schattenspiel verlöschte jetzt die Erscheinung und die klare, stille Nacht trat wieder hervor. Georg taumelte zurück. Er eilte in mildere Gegend zu kommen.

Bald erblickte er in der Ferne ein menschliches Wesen. Wie so wohl that dieß seinem vielfach getäuschten Herzen!

Er zog die Ueberschuhe über seine Stiefel, und eilte auf die Gestalt, welche auf flüchtigen Schneeschuhen einherschwebte, rufend zu.

Es war ein grönländischer Jäger, in Rennthierfelle gekleidet, Kopf und Gesicht mit einer Pelzmütze verhüllt.

Georg that, wie er zu ihm gelangt war, seinen Nebelmantel von sich. Der Grönländer stürzte beinahe vor Schreck zu Boden. Endlich gelang es Georg doch, den Bebenden aufzurichten, und ihn zu überzeugen, wie auch er ein Mensch sei. Der Mann war außer sich vor Freude.

Georg fragte ihn hierauf: was war dieß jetzt für ein Glänzen und Scheinen, für ein Rollen und Zischen? Das war ja unser Nordlicht! versetzte der Grönländer.

Nur ein Nordlicht! flüsterte schmerzvoll Georg. Der Jäger ging mit ihm zurück in seine Wohnung, welche sich halb über, halb unter der Erde befand. Ein kleines, dickes Weib mit gelbem Gesichte, aus dem schwarze, geschlitzte Aeuglein vorblitzten, empfing ihn mit freundlichen Geberden.

So ärmlich und elend auch die Wohnung dieser Menschen war, so gefiel sie dennoch jetzt dem ermüdeten und frierenden Georg mehr, als sonst das prächtigste Gemach eines Fürsten mit bequemen Polstern und unbequemen Gebräuchen.

Gastfrei setzten ihm diese Leute gedörrte Fische und Brod, aus Mehl und geriebener Birkenrinde gebacken, in reichlichen Trachten vor. Nie hatte ihm eine Speise zuvor also gemundet, nie die Gastlichkeit der Menschen mehr erquickt.

Wie er sich jetzt gesättiget hatte, brachte der Grönländer eine Flasche Branntwein und eine Tabakspfeife herbei.

Nichts war Georg sonst widerlicher, als Beides. Die Kälte aber stumpft den Geschmack ab und der menschliche Leib bedarf solcher heftiger Reizmittel dagegen.

Er fand den scharfen Trank angenehm. Er nahm die Pfeife zur Hand und las auf dem porzellanenen Kopfe mit roth eingebrannten Zügen geschrieben: Es blühe Sachsen! – Wie wohl thaten seinem Auge diese deutschen Schriftzüge! – Wie reizend kam ihm diese schlechte, so weit in die Einöde verirrte Pfeife vor! ja! sie schien ihm durch diesen frommen Wunsch, welchen sie hier unverstanden an ihrer Stirne trug, einem edlen Genius zu gleichen, welchen seine Umgebung und seine Zeit nicht versteht und nur zum Dampfmachen gebrauchen kann.«

Es blühe Sachsen! sprach er wehmüthig vor sich hin, streckte sich auf das weiche Mooslager, welches ihm die Leute zubereitet hatten, deckte sich mit warmen Bärenfellen zu und schlief allmälig und sanft ein.

Nachdem er völlig durch Speise und Trank, durch Ruhe und Schlaf sich gestärkt fühlte, brach er nach einigen Stunden wieder auf. Er nahm Abschied von den armen und frommen Menschen, welche an ihm, dem Fremdlinge, Bruderpflicht geübt hatten, und trat wieder hinaus in die freie eiserstarrte Natur.


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