Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Drittes Kapitel.

Georg! hast du den Erdstoß vernommen? Mit diesen Worten stürzte Heinrich, das Nachtlicht in der Hand, herein. Georg lag besinnungslos auf dem Sopha mit offenen stieren Augen; von seiner Stirn perlte kalter Schweiß. Nur mit Mühe brachte er ihn zu sich selbst.

Um Gotteswillen, Georg, du hättest hier des Todes sein können! Wer wird denn weiße Lilien in das Zimmer setzen, wenn man schlafen will? Er riß die Fenster auf und frische Morgenluft strömte in das Zimmer. Georg wankte an seinem Arme hin. Wie dem von Stürmen und Mühen ermatteten Schiffer der Leuchtthurm an, der Küste des Vaterlandes fröhlich in die Augen fällt, so herzerquickend war jetzt für Georg der Anblick des Morgensterns, welcher in ungewöhnlicher Pracht emporleuchtete.

Und hast du wirklich nichts vom Erdbeben, das mich aus dem Schlafe und aus dem Bette zu dir, gejagt, vernommen? fragte Heinrich.

Ich glaube, versetzte Georg, ich habe den schlimmsten Traum, den nur ein Mensch träumen kann, gehabt.

Du warst auch gestern, erwiederte Heinrich, sonderlich ausgelassen. Ich dachte mir es gleich, daß dir unwohl sein müsse, da du dich heimlich nach Hause stahlst. Mit dem Doctor habe ich mich ausgesöhnt; es ist ein unglaublich tiefsinniger Kopf. Georg sagte kein Wort darauf. Im Fieberschauer zitterte leise sein ganzer Leib.

Heinrich sah den Brief, an Lina überschrieben, auf, dem Tische liegen. Was ist das? fragte er. Freund! ich bitte dich, antwortete Georg mit matter Stimme, nimm diesen Brief, und übergieb ihn heimlich deiner Pflegeschwester. Ich bitte dich herzlich darum! Sein Freund sah ihn schweigend und betroffen an.

Ja, Herzensfreund, fuhr Georg fort, ich habe darinnen Abschied von der Herrlichen genommen; ich muß Euch verlassen! Du uns verlassen?, versetzte Heinrich, und warum? Laß kein Geheimniß obwalten zwischen mir und dir! Sei nur halb so mein Freund, wie ich der deinige bin!

Georg stürzte in seine Arme und rief: ach, mein Freund! das Mährchen, welches ich herausgegeben habe, ist nicht erdichtet, es ist meine wahre Lebensgeschichte!«

Bei Gott! versetze Georg, du sprichst im Fieber; ich fühle es an deiner heißen Hand, wie krank du bist.

Nein! Heinrich, sprach Georg weiter, es ist nicht Phantasie, es ist wirklich Geschehenes, was du gelesen hast; eben so gut ich an Aquilina, an dir, an mir, ach, und an Lina, welcher ich an dem vergangenen Abend meine verbrecherische Leidenschaft für sie gestanden habe, schmählichen Verrath begangen habe! O, nun sehe ich, rief Heinrich aus, wie das Unglück, vor dessen entferntem Anblicke sich schon unsere Sinne verwirren, von Neuem drohend über uns heraufzieht! – Wir waren zu glücklich unter uns; nun werden unsere Herzen wieder dafür bluten müssen!

Auf einmal schrie Georg: wie wird mir? und sank ohnmächtig in seines Freundes Arme.

Georg brachte den Fieberkranken zu Bette. Von nun an war ihm die Fiebergluth in schrecklichen Phantasien ununterbrochen herum. Mehrere Wochen lang rang seine gute Natur mit dem Krankheitsstoffe. Er wußte wahrend dieser Zeit nichts von sich selbst und von seiner Umgebung.

In der fünften Woche seines Fiebers fiel er endlich gegen Abend in einen sanften Schlaf. Er dauerte die ganze Nacht hindurch bis zum Mittage des folgenden Tages.

Als er aufwachte, war es ihm, als wäre vor seinem geblendeten Auge eben eine weiße Gestalt vorübergeflohen. Es war Lina! sagte ihm sein Herz. Um sein Bett herum saßen sein Freund Heinrich, dessen Mutter und der Arzt. Ein leerer Stuhl, welcher ihm zunächst stand, verrieth ihm, daß kurz vorher noch Jemand bei ihm gewesen war.

Er fühlte sich fieberfrei und doppelt erquickt, wie er sowohl den herzlichen Antheil, den man an ihm genommen hatte, als nun auch die Freude über sein Wohlbefinden bei allen den Trefflichen, welche älterlich, brüderlich ihn umfingen, wieder bemerken konnte. –

Sieben Tage nachher konnte er schon wieder, wenn auch noch matt, an der Hand seines Freundes, welcher weich und mild mit dem tiefen Gefühle herzlichster Anhänglichkeit sich zu ihm jetzt, wie zu einer geliebten Braut hinneigte, wieder hinaus vor das Thor in das Freie wandeln.

Schon standen die Gefilde kahl und aller Frucht beraubt. Die Blätter der Bäume verfärbten sich und logen mit grellen Todtenfarben den Blüthenlenz nach. Auf dem hohen Kirchendache, um den Glockenthurm herum sammelten sich mit lärmendem Gezwitscher Schwärme von Schwalben, um in andere Länder zu wandern, wo eine mildere Sonne scheint.

Heinrich deutete in die öden Felder hinaus und sagte: sieh, mein Georg, so geht denn Alles, nachdem es sich lange zuvor zum Abschiede vorbereitet hat, zur Auflösung heim, um nach kurzer Frist blühend, schmachtend, mit süßen Klagen, tausendfach lebendig wieder empor zu steigen. Ob wir nun auch so hinüberwandeln, um endlich zu neuem kräftigen Sein wieder empor zu leben? –


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