Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Drittes Kapitel.

Die Gesellschaft blieb noch lange im Schlosse zu Ellerhaußen beisammen. Schon war es Nachts elf Uhr, als sie aufbrach. Lina fuhr mit ihrer Pflegemutter wieder in die Stadt zurück; Georg und Heinrich zogen es vor, zu Fuß den Heimweg anzutreten.

Mit seinen glitzernden Sternenlichtern wölbte sich der Himmel rein und klar über die ganze stille Gegend, wie ein unendliches Heiligtum empor. In den Bäumen blätterte der Wind herum, und flüsterte wie in sich selbst hinein unverständliche Lieder von alter untergegangener Herrlichkeit. Der Mond stieg eben am Himmel empor, wie ein ernstes, geisterbleiches Weib, das nur einmal liebend zur Erde niedergestiegen, den schönsten Schläfer zu küssen, und in seine Träume hinein ein leises, wunderbares Wort zu sagen, um dann ewig von ihm getrennt, im ewigen Schweigen zu trauern. Ueber die Wiesen am Sumpf dahin stieg jetzt wallender Nebel; darunter hervor tanzten und spielten Irrlichter wie Erlkönigs Töchter; und, als die langen Schatten der beiden Wanderer über die Fläche sich hinüber zu ihnen streckten, schienen sie sich alle verwundert zu versammeln, um die sonderbaren Ankömmlinge betrachten zu wollen.

Wenn ich hinaufschaue in den unermeßlichen Himmel, begann Heinrich zu sprechen, und sehe die Millionen Sterne, welche fast eben so viel Sonnensysteme sein sollen, und bedenke dann, daß unsere Erde kaum ein Sonnenstäubchen in diesem großen Weltalle ist, und daß endlich der Mensch, dieses eigenthümliche Geschöpf, gegen alles Dieses, ein Nichts ist, so fühle ich in mir eine Trostlosigkeit, welche nicht ausgesagt werden kann.

Ich frage mich dann in der Stille: warum leben wir überhaupt? – Um glücklich zu sein? Nein; denn nur der Träumende oder Wahnsinnige kann glücklich sein, nicht aber der Erweckte; denn der Geist, welcher die gewaltige unentwickelte Kraft in sich fühlt, kann eben deswegen, weil er Befriedigung des in ihn gelegten, immer fortbrennenden Durstes seiner Seele nach Wissen, nimmermehr findet, weder Ruhe noch Glück, sondern nur Irrthum, Zweifel, kaum Dämmerlicht der Wahrheit gewinnen, und, überlegt er es wohl, sich kaum vor der Verzweiflung retten. Aber wenn soll dieses Unheil enden? –

Georg seufzte tief; denn ihn überlief ein bekannter Fieberschauer. Heinrich, sprach er leise, wohin geht jetzt dein Geist? –

Das möchte ich eben wissen! versetzte dieser. Wenn nun endlich die ganze Schöpfung nichts wäre, als eine in der Materie untergegangene Gottheit, welche aufringend zur Freiheit, emporstieße in allerlei Schaffung, und immer wieder erfolglos, jammernd, und dennoch fortringend, wieder untersänke? und wenn nun so alles Lebende und Wesende nur Eins, ein schreckliches Eins wäre; das in sich selbst uneins, in den Bestrebungen, sich von einander loszuringen, Alles hervorgebracht hat und noch hervorbringt? und eben alles Fortbestehen nur in diesem Gottkampfe seine Ursache hätte? und wenn nun hier auf Erden der Menschengeist der höchste Punkt wäre, bis zu welchem sich diese Untrostlosigkeit den Sieg über die Materie erränge? und diese Sehnsucht nach Vollkommenheit in uns weiter nichts wäre, als die Uridee der um Freiheit streitenden, bald gänzlich untergehenden, bald aufsteigenden, im ewigen Leide wirkenden Gottheit? Wenn nun dieses Alles so wäre, Freund, Mitgott! mein Mit-Ich, müßten wir da nicht in stiller Verzweiflung um uns schauen, und vor namenloser Angst vergehen?

Georg war heftig ergriffen von den sonderbaren, verwegenen und schrecklichen Phantasien seines Freundes. – Vergeblich hatte er sich bemüht, einige Zweifel geltend zu machen; Heinrichs Gedankenstrom riß ihn unwiderstehlich hin.

Denke selbst nach: wie ist es möglich, daß eine freie Gottheit einen Geist, wie den des Menschen, schaffen gekonnt hat, einen Geist, welcher ewigen Heiles werth, in ewiger Unseeligkeit ruhelos, nie, nie ein Letztes, die Allvollkommenheit, und in ihr das Urheil, das er doch ahnen muß, finden kann?

Glaubst du, der Anachoretenwahn: die Materie, die Sinnlichkeit von sich abzuwerfen, habe nicht seinen Grund in demselben unseeligen Gefühle?

Hörst du nicht die heimlichen, herzzerschneidenden Töne der Klage durch die ganze Natur hinziehen? Wenn du im Lenze, wo von Neuem das Losringen des Geistigen vom rohen Stoffe lebendiger beginnt, aus der Erde Gras und Blumen, aus den Zweigen Knospen und dann Blätter und Blüthen hervorwachsen, überall aber allerlei Gethier sich im Wasser, auf der Erde und in der Luft regen und bewegen siehst, und all dieses Leben in mancherlei Tönen sich kund geben hörst, erfaßt dich da nicht, so wie jedem Menschen es überhaupt geschehen muß, ein unnennbares Weh, dessen Ewigkeit sich fühlen läßt? Ruft es nicht eben sowohl durch die Kehle der Nachtigall, wie durch das Geheul der Raubthiere mit schrecklicher, verstandloser Klage, die nur in der Brust des Menschen mehr Bewußtsein gewinnt und in vielen Weisen von seiner Lippe tönt, nach Freiheit empor?

Schaue in die Augen der Thiere, und den stummen Schmerz, welcher sich darinnen ausprägt; und höre auf das Rauschen des Windes, auf das Gemurmel der Quellen und schaue in die Kelche der Blumen hinein und zu dem Himmel empor, oder schlage selbst die Geschichte der Menschheit auf, so wirst du doch nur überall die klagende Stimme der Gottheit, bald mehr, bald minder, vernehmen! – Fühlst du nicht das Elend dieser Gottheit? Fühlst du es nicht?

Heinrich wandte sich, und sah in das bleiche Gesicht seines Freundes. Sie stürzten einander in die Arme, Brust an Brust, Mund an Mund. Thränen funkelten in Georgs Augen. Weine mir nicht! flüsterte Heinrich, dieser Schmerz ist für Thränen zu groß.

Die beiden Freunde kamen jetzt an das Gartenhaus. Sie drückten sich einander die Hände und jeder ging in sein Zimmer.

Eben schlug es auf dem Thurme Zwölf; dann ward die Nacht wieder stille und stiller, und fügte zu den Träumen der Menschen Schlaf und neue Träume. Ruhig wob sich der Sternenschleier am Himmel über der Erde fort; und der Wind spielte mit den Blättern in den Bäumen leise, leiser, als wolle auch er einschlafen wie ein beschwichtigtes Kind in dem Schooße der mütterlichen Nacht.


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