Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Erstes Buch.

Erstes Kapitel.

Der Maskenball hatte begonnen. Rauschende Musik belebte im kerzenhellen Saale die wunderlichsten Figuren und Gruppen. Die Abgeordneten aus allen Irrenanstalten Europa's schienen sich hier im Festputze versammelt zu haben. Nur in einem anstoßenden Zimmer, durch dessen geöffnete Flügelthüren man die ganze bunte Menge bequem übersehen konnte, saßen beim Weinglase mehrere einfache schwarze Domino's, welche die Lästigkeit der Maske abgelegt hatten. Es waren mehrere jüngere Doctoren und Studenten.

Ihre ernsthaften Gesichter schienen zu bekräftigen: »daß der Deutsche über Alles, und Alles über ihm schwer werde.« Der Inhalt ihres Gesprächs mochte nicht die Wahrheit dieses Satzes widerlegen.

Sagt mir nichts von dem alten Wahnwitze der Menschheit, versetzte der Eine; es ist Alles nichts als Entstehen, Leben und Vergehen; und darüber hinaus giebt es nichts! Thoren sind es, welche nicht einsehen wollen, daß das Leben nicht Mittel, sondern Selbstzweck ist! Die schaffende Flüssigkeit, welche aus der Materie heraus, als ein ewig bewegtes und bewegendes chemisch operirt, ist das einzige Lebensprinzip. Die Pflanze, welche von dieser Naturkraft zu Blatt, Stengel und Blüthe, ja! selbst zum Wachen, Schlafen und Empfinden emporgetrieben wird, und ihre Freude und Wollust in Farben und Düften ausströmt, lebt dasselbe Leben, welches, nur in höherer Potenz, der Mensch lebt. Was ihr Geist, Seele, nennt ist nur der Nervensaft, der sich im Lebensprozesse erzeugt und wieder verflüchtigt; sowie ein angezündetes Talglicht zu fröhlicher Flamme sich verwandelt, und in der Entwicklung des Wärme- und Lichtstoffes lebt, bis nichts mehr übrig bleibt, als todte Asche! –

Ein hagerer Mann mit einem todtbleichen Gesichte, welches zwei feurige Augen belebten, hörte besonders aufmerksam zu. Er hatte sich bei der Gesellschaft unter dem Namen Voland, und dem Charakter eines Doctors der Philosophie, eingeführt. Seltsam lächelte er bei den Worten des Redners.

Ein anderer Jüngling mit freiem, klaren Antlitze, auf welchem die freudigste Gesundheit des Leibes, wie des Geistes aufleuchtete, erhob sich vom Sitze. Wie ein Apollo, mit edlem Zürnen auf der reichumlockten Stirn und den schönen Lippen, stand er vor den Genossen da, und ehe er noch sprach, schien seine erhabene Gestalt Ehrfurcht und Liebe zugleich einzuflößen, und zum Anerkennen des Göttlichen im Menschen unwiderstehlich hinzureißen.

Es ist unlöblich, begann er zu sprechen, deuteln zu wollen an der Würde des Menschengeistes; Wehe dem, welcher nicht mehr fühlen kann, wie er das Ebenbild Gottes in seiner Brust beherberge, der sich dem trüben Erdgeiste aufzuopfern unglückseelig bestrebt. Mir aber soll Niemand meinen Glauben antasten! Ich rufe alle Mächte des Chaos, die Uebelgewillten, herauf: mir dieses Licht zu rauben! Sie sollen mit ihrer Klugheit zu Schanden werden an meiner Einfalt!

Großsprecherei! flüsterte der Eine. Es ist ein Enthusiast! versetzte ein Anderer. Er hat keine Ahnung von der großen Weltironie, meinte ein Dritter.

Doctor Voland aber trat auf ihn zu, und fragte: sie haben hier schöne Gesinnungen geäußert, wodurch sie mir sehr werth geworden sind. Sie heißen Georg Venlot?

»Ihnen zu dienen, Herr Doctor Voland!«

Wir müssen näher mit einander bekannt werden, sprach der Doctor; sind sie es zufrieden: Du auf Du! –

Du auf Du! versteht sich, riefen die Andern. Doctor Voland und Georg Venlot ergriffen die Weingläser, und tranken mit verschränkten Armen academische Brüderschaft.

Eine Maske trat jetzt herein, nahm Georg Venlot bei Seite, und gab sich zu erkennen.

»Ah, Stubengenosse, willkommen! ich habe schon lange auf dich gewartet; was kommst du erst so spät?«

Mein Maskenanzug blieb so lange außen. Warst du schon tüchtig vergnügt?

»Ziemlich.«

Ein Brief ist an dich angekommen. Warte! ich habe ihn beigesteckt. Hier ist er! Mit diesen Worten drückte er Georg den Brief in die Hand. Dieser trat zu einem Wandleuchter, erbrach ihn, und las:

»Geliebter Sohn!« »In dem Augenblicke, daß Du diese Zeilen gelesen hast, erfülle die inständigste Bitte Deines Vaters, und komme heim! Furchtbares Geheimniß habe ich Dir zu entdecken; eile! bevor die Verzweiflung Deinen armen Vater getödtet hat. – Ich erwarte Dich mit Schmerzen! – Gott geleite Dich glücklich zu mir, geliebtes Kind!«

Was ist dir? fragte der Ueberbringer des Briefes, du erbleichst ja im ganzen Gesichte!

Um Gotteswillen, rief Georg, ich muß in meine Heimath zurück! Ich muß gleich abreisen! Lebewohl, und grüße die Freunde!

Mit diesen Worten ließ er den Erstaunten stehen, und stürzte fort.

Nach einer Stunde fuhr Georg schon zum Thore hinaus. Munter bließ der Postillion in jubelnden Klängen auf dem Horne in die Nacht hinein, und im schnellsten Fluge auf der Heerstaße rollte der Wagen dahin der Heimath entgegen.


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