Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel.

Erzähle weiter! bat Heinrich, wie auch fernerhin die Poesie dein junges Herz erregt hat.

Mir ist bei dieser deiner Erzählung, als wenn ich an einem Weihnachtsmorgen vor Tages Anbruch durch die Ritze eines Fensterladens hineinblickte in deine hell erleuchtete Kinderstube, und sähe die tausend bunten Sachen, den grünen Paradiesgarten mit den Schäfern und Lämmern, und den heiligen drei Königen, aufgeschmückt, auf dem Tische, und darüber den Christbaum schwer von goldenen Aepfeln und Nüssen, und mächtigen Pfefferkuchen, mit seinen hundert Wachslichtern funkeln und leuchten, und dich den Gebieter über alle diese Herrlichkeit unermeßlich reich davorstehen. Erzähle weiter, Freund!

Du hast mir, versetzte Georg, mit dieser Weihnachtsschilderung das schönste Kapitel aus jener Zeit zum Voraus weggenommen. Zur Strafe will ich dir nunmehr einige Jahre überspringen.

Du findest mich wieder unter einem schattigen, weißblühenden Hollunderstrauche mit einem Buche, das mir viel zu schaffen macht, in der Hand.

Ich muß dir zuvörderst bemerken, daß ich mit dem Sohne des Cantors, einem meiner tollsten Jugendgenossen, in inniger Freundschaft lebte. Sein Vater hatte eine ziemlich gute Handbibliothek von Uebersetzungen alter Klassiker. Plutarchs Leben berühmter Männer hatte mir mein Freund daraus entlehnt.

Wie dieses Buch, ob ich gleich dessen Verständniß nur ahnen konnte, sich meines ganzen Wesen bemeisterte, wie ich es las und wieder las, wie endlich Theseus, dessen Geschichte mich am meisten fesselte, in der abenteuerlichsten Tracht in allen meinen Träumen lebte, davon kannst du dir keine Vorstellung machen!

Später kam mir durch denselben Freund Diodor aus Sicilien in die Hand; und Shakespear's Romeo und Julie in der Eschenburg'schen Übersetzung; zugleich ein alter Virgil, wo hinter jedem lateinischen Satze die deutsche Uebersetzung folgte.

Daß alle diese Welten nur wie verworrene Traumbilder auf den wißbegierigen Knaben einwirkten, brauche ich dir nicht erst zu gestehen. Doch hatten diese Bücher einen mächtigen Einfluß auf mein Träumen und Denken.

Eine ungemessene Sehnsucht über die Berge hinüber zu wandern in die weite Welt, beherrschte mich ganz. Täglich stieg ich in jener Zeit heimlich und einsam auf den Kirchthurm hinauf und starrte zu den Schalllöchern stundenlang hinaus in das Blaue. Der starke Wind, welcher zuweilen die Glocken neben mir leise ertönen ließ, schien sich dem schwärmenden Knaben zu verkörpern und in geheimen Liedern mit ihm zu sprechen von sonderbaren, geheimen, lockenden Wonnen.

Was kann ich dir weiter sagen, als daß die klare Zeit der Kindheit damals von mir gewichen war und ein fremdartiger Geist mit allen seinen Entzücken und Schauern zu meiner gereizten Seele sprach.

Georg und Heinrich kamen jetzt über eine lange Reuthe, auf welcher unzählige gelbe Blumen erblüht waren, hinüber. Gedankenvoll schwiegen Beide.

Eine Birkhenne, ihre pispernden Küchlein um sich her, scharrte am Waldsaume und spreitete ihr Gefieder aus, sich in der Sonnenwärme zu baden; – jetzt gewahrte sie aber die Wandelnden; lang streckte sie den Hals empor, schaute mit ihren rothen Augen schüchtern sie an, und verschwand, wie ein Blitz, laut kluckend im Gebüsche mit der flüchtigen Brut. –

Und wie kamst du denn endlich, fragte Heinrich, wieder zu dir selbst?

Erst nach einer Reihe von Jahren, versetzte Georg, nachdem ich durch Klopstocks Messiade, später durch Schillers Trauerspiele, von Neuem die Scene im Orgelwinkel vielfach, nur in anderer Weise in mir selbst wiederholt fühlte. Nur erst durch Göthe's und Shakespear's Werke, besonders auch endlich durch das Niebelungenlied kam ich wieder auf mich selbst zurück.

Hiermit hast du den Abriß meines innern Jugendlebens, und meines Verkehrs mit denjenigen Geistern, welche bedeutendern Einfluß auf meine Ausbildung ausübten.

Du vergißt die neukatholisch-romantische Schule zu erwähnen, versetzte Heinrich.

Ihre Ansichten, entgegnete Georg, ihre Leistungen haben nur in Einzelnheiten mich angesprochen; aber im Ganzen widerstand mir überall die blaue Blume, dieses ewige Hineinschwindeln in das Unaussprechbare. Diese Kunstsehnsüchteleien, diese ungesunden Krämpfe, woran die meisten dieser Neuromantiker leiden, waren mir stets unbehaglich. Nur einzelne Werke dieser neueren Dichter ergötzten mich; aber nur dann, wenn der Stoff selbst über ihre trüben Ansichten wie bei Schiller die gesunde Natur der Geschichte über die gleich krankhafte Schicksalsidee in seinem »Wilhelm Tell« gesiegt hat. –

So sprachen die Freunde noch lange fort im Austausche mannichfaltiger Ansichten.

Nachdem sie noch eine Zeit lang in gerader Richtung den Wald durchschnitten hatten, gelangten sie hinaus in das Freie, wo sie eine weite Aussicht in das Thal hinunter, über die niedrigern Berge mit ihren Dörfern und Weilern hinüber, genossen.

Georg lagerte sich im Schatten eines Ahorns auf einer Felsenplatte, welche über eine Quelle zum Theil hinüber hing, nahm seine Schreibtafel heraus und schrieb Einiges nieder, während Heinrich auf den Rücken gelegt zum Himmel emporstarrte, wo flockige Silberwölkchen in mancherlei Bildern gekräuselt vorüberflogen.

Nach einer Weile sagte Georg, die Schreibtafel zusammenlegend: ich fühle einen recht muntern Hunger. Schleuß dein Speiseschränkchen auf, Bruder! und rücke mit dem Inhalte heraus; denn, Gott sei es geklagt! vom Reimen und Träumen wird der Mensch nicht satt.

Das ist ein braver Gedanke, versetzte Heinrich, ein Gedanke, der immer zeitgemäß bleibt! –

Alsbald brachte er aus seiner Jagdtasche mit unverholener Behaglichkeit Tüchtiges und Brauchbares heraus; selbst ein Fläschchen Wein war nicht dabei vergessen.

Es ist dennoch etwas Erbauliches, bemerkte Georg, in der freien Natur und Halbwildniß ein Küchenkunststück thätig zu bewundern und ein zahmes Fläschchen Wein der Poesie und dem Durste zu Ehren auszustechen.


 << zurück weiter >>