Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Achtes Buch.

Erstes Kapitel.

Georg hatte sich endlich von dem kurzen, aber heftigen Fieberanfalle völlig wieder hergestellt. Er fühlte sich kräftiger, als je in frischer Gesundheit aufgeweckt und angeregt.

Der Gedanke, daß Lina ihm abhold geworden sein müsse, war ihm gewissermaßen lieb; denn nur in ihm konnte er Beruhigung für die Vorwürfe seines Gewissens finden. Zugleich mochte er die Hoffnung, sich ihre Zuneigung, aber nur als eine herzlich schwesterliche, endlich wieder zu gewinnen, in sich gern nähren.

So gab er sich einer halb wahren, halb erlogenen Ruhe, welche ihn wenigstens für den Augenblick betäubte, willig hin.

Er nahm seine geschichtlichen Arbeiten wieder auf, um einen Stoff zu einem Volkstrauerspiele, welchen er schon längst bei sich herumgetragen hatte, immer gediegener auf geschichtlichen Thatsachen zu begründen.

Während er in dieser Weise mit poetischen Planen und Phantasien sich zu beschäftigen, und vor dem innern Zerwürfnisse sich zu retten suchte, trat der Gedanke an seine Abreise immer mehr in den Hintergrund zurück.

Der gesellschaftliche Verkehr mit Lina's Freundinnen, welcher ihm so manche angenehme Stunde verschafft hatte, war theils durch Karolinen's Verheirathung mit Rudolph unterbrochen, theils von ihm selbst absichtlich nicht wieder angeknüpft geworden. Er hörte von den Lieben nur dann und wann Etwas durch Rudolph, welcher ihn und Heinrich auch jetzt noch fleißig besuchte.

Kurz vor Michaelis hoffte er, sie Alle, und mit geheimer Scheu, und dennoch mit kaum zu verbergender Sehnsucht, unter ihnen auch Lina endlich wieder zu sehen. Graf Rüderig und dessen Gemahlin hatten die beiden Freunde, Lina mit ihren Gespielinnen, und das junge Ehepaar nebst vielen andern geselligen Herren und Damen aus der Umgegend zu einem Familienfeste eingeladen.

Er hatte sich vorgenommen, mit Heinrich und Lina zugleich hinauszufahren, um gelegentlich eine endliche Versöhnung mit der Schwergekränkten einzuleiten.

Der Sachwalter aber, welchem er, während der Abwesenheit von seiner Heimath, die wegen seiner Erbschaftsangelegenheit zwischen ihm und seinen Seitenverwandten anhängige Prozeßsache übergeben hatte, reiste in andern Aufträgen eben durch dieses Städtchen und benutzte zugleich diese Gelegenheit, sich mit ihm langathmig zu besprechen. Georg mußte daher Heinrich mit seiner Mutter und Lina allein fahren lassen, und erst gegen Abend gelang es ihm, sich von dem Lästigen loszumachen, und einsam nachzugehen.

Als er dort ankam, fand er die ganze Gesellschaft um den Grafen versammelt, welcher den letzten Act aus Göthe's »Clavigo« vorlas.

Schnell hatten seine Augen beim Eintritte, im hellerleuchteten Saale Lina gesucht und gefunden. In zauberhafter Röthe schien ihm ihr schönes Gesicht mit den feuchten hellen Augen entgegen.

Kaum vermochte er mit gehöriger Fassung die gebräuchliche Begrüßung zu geben und zu nehmen. Zu Lina's Seite wies ihm die Gräfin seinen Sitz an. Er bat den Grafen, mit dem Vorlesen dieses Trauerspieles fortzufahren.

Auf seine Versicherung, daß ihm dieses Stück durchgängig bekannt und gegenwärtig sei, fuhr der Graf fort.

Georg saß mit gepreßtem Herzen neben Lina. Er konnte es nicht vermeiden, sie dann und wann heimlich anzublicken. Ihr Haupt war gesenkt, ihre Blicke zu Boden geschlagen. Seine Seele überflog eine unerklärliche ahnungsvolle Wehmuth. Hätte er wissen können, wie das Schicksal Mariens nicht nur im vorgelesenen Trauerspiele sich entwickelt hatte, sondern auch eben jetzt mit tückischer Hand neben ihm in ein anderes Herz mordend hineingreife, so hätte er im Jammer vergehen müssen.

Freundlich verhüllt uns ein gütiges Geschick die werdenden Schrecknisse; denn wir sind stärker, das gegebene und nothwendige Uebel, als den Anblick des langsam sich emporhebenden und heranrückenden Medusenhauptes des Unglückes zu ertragen.

Mit den Worten: »Er stirbt. Rette dich, Bruder!« war das Trauerspiel und der Vorleser am Ende.


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