Julius Mosen
Georg Venlot
Julius Mosen

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Viertes Kapitel.

Wie die Freunde über den Bergabhang herunterkamen, hörten sie die Töne einer Guitarre, vom vielstimmigen Mädchengesange begleitet.

Siehe da! rief Heinrich, unsere Freundinnen haben sich eingefunden! Siehst du dadrüben am Hügel die fröhliche Gesellschaft hingelagert? Jetzt bemerkte auch Georg die munteren Gruppen.

Lina, Karoline und noch einige Mädchen saßen im Grase und banden Sträußer von Waldblumen; vor ihnen auf einem bankartigen Steine ruhte Mathilde, die Saiten der Guitarre rührend; Heinrichs Mutter und die junge rüstige Jägersfrau nebst einigen anderen Mädchen befanden sich unfern davon an einem kleinen Tische unter einer breitastigen Linde im Schatten, Milch und Kuchen vor sich.

Kaum hatte die Gesellschaft die Beiden erblickt, so flogen ihnen vereinte Stimmen entgegen, woraus sich nur die Worte: »o, ihr Verräther!« und: »Willkommen!« zu wiederholten Malen hervorhoben.

Es ist dennoch zu loben, redete Mathilde die Herbeikommenden an, daß ihr uns diese Aufmerksamkeit schenkt; – darum heiße ich euch im Namen der Uebrigen willkommen! denn ich muß schon wieder für die Gesinnung der Uebrigen der Mund sein. Ueber euch! wilde Waldmenschen, versetzte Frau Meier; heute am Sonntage in Alltagskleidern im Walde herumzuschweifen, das ist unverzeihlich!

Von Neuem hatte sich die Gesellschaft im Grase umhergelagert. Die schöne, freie Natur hatte Aller Augen zu dem mildesten Feuer verklärt, und die Wangen der Mädchen zu lieblichen Rosen aufgeblüht.

Georg hatte sich zu Lina's Füßen hingesetzt; seine Augen schauten empor in ihr holdseeliges Antlitz, sein Haupt, streifte an ihren schneeigen, fein gerundeten Arm. Die Blumen an ihrem Busentuche zitterten von der bewegten Brust.

Die sinnige Karoline nahm jetzt die Guitarre auf und sprach heimlich lächelnd: unser Dichter wird uns endlich zerschmelzen, wie es scheint. Mathilde rief dazwischen: daß wir endlich von ihm nur noch als letzten Ueberrest einen Seufzer heimbringen! Georg verfärbte sich bei diesen Worten, und griff schnell zur dargebotenen Guitarre. Lina entwich zu ihrer Pflegemutter.

Singen Sie, rief die fröhliche Mathilde, um den besten Lohn, der dem Sänger nur anstehen möchte!

Das ist, rief Heinrich, ein wackrer Frauenkuß; und hier in diesem Falle die Reihe herum! Deine alte Heimtücke, du scheinheiliger Schalk! versetzte Mathilde, kannst du nie vergessen; – und dir zum Trotze soll der Vorschlag angenommen werden, wenn der gute Georg ein Lied, ein eigenes und neues, singt, das uns allen gefällt; – aber allen muß es gefallen!

Georg! rief Heinrich, das gehe nicht ein, das ist eine bekannte Geschichte, und nicht einmal eine neue Weiberlist! dein wohlverdienter Lohn wird dir mit aller Ausflucht vorenthalten werden. Georg aber versetzte: ich nehme den Vorschlag an; und was ich von unserem Waldgange heute mit hinwegnehme, sollen sie hören; so wie ich mich ihrem Willen völlig unterwerfe. Bravo! riefen die Mädchen, und triumphirten mit Winken und Blicken über den ruhig im Grase gelagerten Widersacher. Georg aber begann zu einfachen Accorden vorzusagen:

Mit den Bäumen spielt der Wind,
Küßt die Blume still im Moose;
Ruhig in des Waldes Schoose
Lieg', ich hier, ein träumend Kind.
Ach! herab von allen Zweigen
Will sich seel'ger Himmel neigen.

Aus dem fernen Thal empor
Dringt des Waldhorns tröstend Hallen,
Und des Tones Geister wallen
Durch die Waldesnacht hervor;
Gleich als wollten sie mir sagen
Von der Kindheit bessern Tagen.

Und ein Vöglein guckt mich an
Mit den Aeuglein schwarz und niedlich,
Hüpft um mich so zahm und friedlich,
Pickt an meine Brust heran.
Vöglein! laß das ruh'n im Herzen,
Drinnen schlafen schlimme Schmerzen.

Kaum hatte Georg das Lied geendigt, so trat Mathilde in gebeugter, bittender Stellung mit flach zusammengelegten, gehobenen Händen vor ihm hin und sprach: »o wackerer Minnesänger, laß deinen Liedermund nicht so bald schweigen! Sind wir auch keine Fürstentöchter, so bleiben wir doch noch immer Mädchen, welche den Sang und Klang lieben! – Ich bitte dich ja so sehr.«

Dabei sah sie ihn an mit unwiderstehlichen Blicken, und wie Er freundlich nickte, hockte sie sich kinderhaft zu seinen Füßen hin und schaute mit zutraulichen, unschuldigen Gluthaugen zu ihm empor.

Georg hatte sich wieder in das, an ihm bekannte, Hinträumen verloren. Sein Gesicht wurde heller, seine Augen weiter, ein eigenthümliches Glänzen schien sich um sie zu weben. Man merkte es ihm an, daß sich die Außenwelt vor ihm mit Dämmerungen verschleierte und sich seine Sehkraft nach Innen richtete.

Endlich begann er die Saiten in Molltönen anzuschlagen, und aushallen zu lassen, bis er endlich mit etwas zitternder Stimme in die Worte ausbrach:

Wenn sonst die Knospen zersprangen,
Die Blättlein brachen hervor,
So kam der Hirte gegangen
Am Alpenhang empor.
Das Blättlein kennet den Sonnenschein;
Wo sollte der fröhliche Hirte sein?

Es grauet hell auf dem Berge
Für seine Lämmer das Gras;
Es ruft ihn, oben die Lerche,
Singt ohne Unterlaß;
Es rauscht im finsteren Tannenhain:
Wo sollte mein fröhlicher Knabe sein?

Und alle Blumen ersprießen,
Es drängt sich jede herbei,
Den schönen Hirten zu grüßen
Im sehnsuchtswarmen Mai.
Es möchte sich Alles mit ihm freu'n;
Wo sollte der muntere Hirte sein?

Während der letzten Strophe des Liedes war Lina mit dem Wiesenblumenkranze, welchen die Mädchen geflochten hatten, zu Georg hinangeschlichen, und drückte ihm nun denselben, als dieser Gesang zu Ende war, auf die Stirne.

Im leisen Schrecken fuhr Er, wie er eben noch traumsinnig dagestanden hatte, empor, und hing mit einem langen Blicke an Lina's Antlitze, welche scheu zurückwich.

Sein leicht geröthetes, von Begeisterung umwobenes, von den in hellem Farbenfeuer leuchtenden Blumen leicht beschattetes Gesicht gab einen eigenen rührenden Anblick.

Um ihn herum hatte sich die Gesellschaft zur freundlichsten Gruppe vereinigt. Heinrich stand vor ihm, die Hände auf dem Rücken zusammengelegt, die Augen zu Boden gesenkt, als wollte er sich von Nichts in der Welt den Genuß dieser Minuten rauben lassen. Lina, ihren Arm auf Karolinens Schulter gelegt, zugleich an Sie hingeschmiegt, mit vorwärts leicht emporgehobenem Frühlingsgesichte, über welches ein süßes Räthsel einer ganzen Mährchenwelt schwebte, hatte sich ihm gegenübergestellt; Mathilde aber saß noch immer neben ihm zu seinen Füßen. Auch die beiden älteren Frauen hatten sich herbeigemacht und dem Kreise sich angeschlossen.

Als nun der Sänger auf der Laute von Neuem anschlug, indem er die vorige Tonart wieder aufzunehmen schien, aber bald in eine neue überging, nickte Heinrich wie für sich mit dem Kopfe, und sprach halblaut: nun schließt er den Kreis mit einem neuen Bilde! –

Georgs Seele schwamm auf den Tönen, welche leise und geheimnißvoll wie wogende Wasserfluth oder auch wieder wie lieblich lockender Feenreigen anklingen mochten, gleich einem reinen glänzenden Schwane einher.

Endlich drang seine kräftige Stimme im Liede vor:

Mein Kamerad war ein Knabe,
Der Schönste vom ganzen Reich,
Stark mit dem geschälten Stabe,
Kein Anderer kam ihm gleich.

Wir trieben auf grüne Matten
Des Vaters Heerden zumal;
Dort grasten sie gern im Schatten
Am Bach' im düsteren Thal.

Im Erlenbusche verborgen
Von Blättern und staubigem Gras,
Dem Wellengemurmel zu horchen,
Ich stundenlang mit ihm saß.

Das war ein heimliches Wehen
Tief unten im silbernen Bach;
Wir glaubten das zu verstehen,
Was flüsternd es zu uns sprach.

Er war ein wackerer Knabe,
So stille, herzlich und gut;
Er ruht nun im feuchten Grabe,
Verschlungen von dieser Fluth.

Ein allgemeines: Ah! flüsterte jetzt durch den Kreis. Man sah sich gegenseitig eine Zeit lang an, als erwache ein Jedes aus einem Traume und wundere sich, in Gesellschaft Mehrerer sich nun wieder zu finden.

Nur wahrhaft gefühlvolle Menschen, welche sich dem Zauber der Töne und der Dichtung ganz hinzugeben vermögen, können durch seine Macht zur Zeit wie im magnetischen Hellsehen in den wunderbaren Himmel, welcher ja in jeglicher Menschenseele verborgen und gebannt liegt, gläubig und seelig versetzt werden, um dort den Antheil an der Geisterglückseligkeit, welche der Menschheit so gern entgegenfluthet, hinzunehmen, und mit den zarten, leise wachsenden Flügeln der Psyche sich zu erhebnen in das Unendliche.

Nur solche Gemüther können das Gefühl, in welchem sich diese Gesellschaft so traumwohl befand, recht mit Herz und Sinn begreifen.

Georg hatte die Laute in das Gras gelegt. Heinrich schüttelte seinem Freunde, die Hand, und sprach zu den umstehenden Mädchen gewendet: aber, wie ich glaube, sollte der Sänger nicht nur mit kalten, feuchten Wiesenblumen abgelohnt werden, sondern vielmehr mit dem Vergänglichsten und Schönsten zugleich. Mathilde, du hast gewissermaßen den lieblichsten Preis ausgesetzt, löse darum dein Wort zuerst, und will dich nach Gebühr loben. –

Ein wenig verlegen stand eine Weile das fröhliche Mädchen kämpfend mit sich selbst. Als aber Georg nahte, sprach es: ich ergebe mich dem Willen des Schicksals! Hier! – und lache nicht, Schelm! – Mit diesen Worten gab sie dem Sänger einen schnellen, herzhaften Kuß, und wie er aufgeregt nach einem zweiten haschte, einen gelinden Schlag auf den Mund.

Heinrich war munterer, als je, geworden. Die spröderen Freundinnen hielt er neckisch dem Freunde entgegen, so daß dieser fast allenthalben unter dem ergötzlichsten Lachen der ganzen Gesellschaft ein glücklicher Dichter war.

Nur Lina stand noch zögernd in der Ferne. Georg näherte sich ihr. Tiefe Röthe im jungfräulichen Bangen übergoß ihr Gesicht. Er faßte mit flehenden, innigen Blicken, welche in ihr gesenktes Auge zu dringen begehrten, ihre zitternde Hand. So standen sie ein Weilchen! Darf ich bitten? flüsterte Georg. Wie in wundersamer Angst rief sie: nein! nein! Lassen Sie mich!

Eine große Thräne stürzte aus ihrem scheuen Auge. Bestürzt ließ Georg ihre Hand fahren. Die übrigen Mädchen machten ihr ein böses Gesicht. Die Heiterkeit der Gesellschaft war gestört.

Frau Meier mahnte zum Aufbruch. Stillschweigend schlugen die Mädchen ihre Tücher um, und zogen in gleichgültigen Gesprächen, Lina mit ihrer Pflegemutter, Arm in Arm, das Thal hinunter der untergehenden Sonne zu. Georg und Heinrich gingen langsam hinterdrein.

Weibergrillen! sprach Heinrich verstimmt vor sich hin; Georg aber schwieg und fühlte sich beengt.

Die Abendglocke rief die Sonne und die Menschen heim. So zog die Gesellschaft auf dem Wiesenfußsteige am Ufer des murmelnden Flusses dahin und gelangte bei werdender Dämmerung schweigsam im munteren Städtchen an.


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