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Sechzigstes Kapitel.

Der zweite Sturm auf die Festung. – Die Belagerten richten einen Ausguck ein. – Durstesqualen.

 

Der Tag verstrich und die Nacht zog herauf. Kaum war es gänzlich finster geworden, als das Klagen und Stöhnen im Hause plötzlich durch das wilde Geheul der Feinde übertönt wurde, die, wie Rüstig vorausgesagt hatte, jetzt zu wütendem Angriff heranstürzten.

Die Pallisaden wurden auf allen Seiten zugleich bestürmt, und zwar beschränkten sich die Wilden zunächst darauf, dieselben zu erklettern; nur ab und zu kam ein Speer herübergesaust und man konnte erkennen, daß sie den Plan verfolgten, den Eingang allein durch ihre Überzahl zu erzwingen. Die Erhöhung des Zaunes bewährte sich jedoch hierbei vortrefflich; der Rat des alten Seemannes war gut gewesen. Auch das Feuer, das Juno auf Rüstigs Befehl angezündet hatte, leistete ihnen die besten Dienste. Die Innenseite der Pallisaden wurde tageshell beleuchtet, und sobald der dunkle Körper eines Feindes oberhalb derselben sichtbar wurde, stürzte er auch schon, von Wilhelms oder seines Vaters Kugel getroffen, wieder in den Haufen seiner Genossen zurück.

Unaufhörlich krachten die Schüsse, unaufhörlich luden Frau Sebald und Juno die abgefeuerten Gewehre, und immer von neuem kletterten die Wilden an den Pallisaden empor, ihrer Gefallenen nicht achtend, die allenthalben tot am Boden lagen, oder sich in ihrem Blute wälzten. Über eine Stunde währte der Kampf; endlich sahen die Wilden ein, daß eine Erstürmung der Festung auch diesmal unmöglich war, und ebenso plötzlich, wie sie gekommen waren, zogen sie sich wieder zurück, ihre Toten und Verwundeten mit sich schleppend.

»Wollte Gott, daß sie jetzt in ihre Kanus gingen und uns in Ruhe ließen!« rief Vater Sebald, indem er sich den Schweiß aus dem erhitzten und vom Pulverdampf geschwärzten Gesicht wischte.

»Das ist auch mein Wunsch,« sagte Rüstig; »vielleicht geschieht es auch; aber diese Wilden sind unberechenbar. Wir müssen uns einen Ausguck einrichten, um die Feinde unausgesetzt beobachten zu können. Sehen Sie sich einmal den Baum da an, Herr Sebald,« fuhr er fort, auf eine der starken Kokospalmen deutend, die zur Befestigung der Pallisaden dienten, »der ist der höchste von allen; wenn wir nun, wie bei den Blitzableitern, aus unsern großen Nägeln Leitersprossen bis in seine Spitze herstellten, dann könnten wir bequem hinaufsteigen und von oben die ganze Bucht und den Strand überschauen; wir wüßten dann immer, was die Wilden vorhaben.«

»Das leuchtet mir ein,« entgegnete Sebald; »aber jeder, der hinaufsteigt, wird den Speeren der Wilden ausgesetzt sein.«

»Keineswegs, Herr Sebald, denn wie Sie wissen, haben wir den Raum außerhalb der Pallisaden so weit abgeholzt, daß kein Wilder heranschleichen kann, ohne von uns rechtzeitig gesehen zu werden; es bleibt dem Ausguckmann immer noch Zeit, herabzuklettern, ehe ein Wilder auf Wurfweite nahe ist.«

»Sie behalten recht, wie immer, mein lieber Freund; ich möchte nur noch befürworten, nicht vor Tagesanbruch ans Werk zu gehen, denn man kann nicht wissen, ob sich nicht noch einige Wilde außerhalb der Pallisaden herumdrücken.«

»Das ist den Kerls zuzutrauen, und darum wollen wir warten, bis es hell geworden ist. Ein Glück, daß wir noch solchen Vorrat von den großen Nägeln haben.«

Sebald zog sich in das Haus zurück; auf Rüstigs Wunsch legte Wilhelm sich nieder, um einige Stunden zu schlafen; der alte Steuermann erbot sich, inzwischen Wache zu halten.

Tiefes Schweigen lagerte jetzt über der Stätte, wo kurz zuvor noch ein so wilder Kampf getost hatte. Ab und zu nur hörte man das leise Knistern des erlöschenden Feuers. Trotzdem konnte Wilhelm keinen Schlaf finden; nach einer Weile richtete er sich wieder auf.

»Ich kann es vor Durst kaum noch aushalten,« klagte er seinem alten Freunde.

»Das glaube ich dir, mein armer Junge,« antwortete dieser, »geht es mir selber doch nicht besser. Was müssen nun erst die armen Kinder leiden, die bedaure ich am meisten.«

»Mir thut vor allem die Mutter leid,« entgegnete der Knabe; »welche Qual muß es für sie sein, das Jammern der Kleinen zu hören und ihnen nicht helfen zu können!«

»Ja, mein Junge, für ein Mutterherz muß das schrecklich sein; aber wer weiß, vielleicht sind die Wilden morgen fort und dann haben wir alle Leiden und Entbehrungen bald vergessen.«

»Ich hoffe zu Gott, daß dies geschehen möge, Papa Rüstig; es scheint mir aber, als wäre es den Wilden bitterer Ernst, uns zu vernichten.«

»Freilich, Willy; Eisen ist Gold für sie, und wovor schreckten selbst civilisierte Menschen zurück, wenn es gilt, Gold zu erlangen? Jetzt aber versuche auszuruhen, mein lieber Junge, strecke dich wenigstens nieder, wenn du auch nicht schlafen kannst.«

Inzwischen hatte der Vater im Hause die Kinder immer noch weinend und nach Wasser verlangend gefunden, trotz aller Beruhigungsversuche der Mutter, die in einer Ecke saß und Thränen über ihren kleinen Albert vergoß. Juno war auf dem Hofe gewesen, wo sie ein Loch gegraben hatte, so tief sie nur immer konnte, in der schwachen Hoffnung, Wasser zu finden; das war jedoch ein vergebliches Bemühen geblieben, traurig und halb verzweifelt war sie wieder zurückgekehrt. Es gab eben nichts anderes, als Geduld, die aber konnte bei so kleinen Kindern nicht erwartet werden. Sebald blieb einige Stunden bei seiner Frau, bemüht, den Kindern und ihr Trost einzusprechen; endlich ging er wieder hinaus und fand den alten Steuermann auf dem Plankengerüst auf der Wache.

»O, Rüstig!« rief er, »hundertmal lieber möchte ich mich mit den Wilden herumschlagen, als auch nur fünf Minuten dort im Hause sein und die Leiden von Frau und Kindern hören und sehen zu müssen!«

»Daran zweifle ich nicht, Herr Sebald,« antwortete Rüstig, »aber nur Mut, wir müssen immer noch das Beste hoffen; es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, daß die Wilden nach diesem zweiten abgeschlagenen Angriff die Insel verlassen.«

»Ich wollte, ich könnte derselben Ansicht sein, Rüstig, das würde mich glücklich machen. Aber ich bin gekommen, um Sie abzulösen. Wollen Sie nicht noch eine Weile schlafen?«

»Das möchte ich wohl,« antwortete der Alte, indem er das Gerüst verließ, das sogleich von Sebald bestiegen wurde. »Wecken Sie mich in zwei Stunden; es ist dann Tageslicht und ich kann an die Arbeit gehen, während Sie selber ein wenig ausruhen.«

»Die Sorgen werden mich nicht schlafen lassen.«

»Wilhelm sagte vorhin, daß der Durst ihn nicht schlafen lassen würde, aber sehen Sie nur, da liegt er und schläft so fest wie daheim im sicheren Bett.«

»Möchte der gnädige Gott mir diesen hoffnungsvollen Knaben erhalten!« sagte der Vater bewegt.

»Das ist auch mein Gebet,« antwortete der Alte; »er hat alle Anlagen zu einem ausgezeichneten Manne in sich; aber er steht, wie wir alle, in Gottes Hand. Gute Wache, Herr Sebald.«

»Gute Nacht, Rüstig.«

Sebald strengte alle Sinne an, um sich nicht von den Wilden überraschen zu lassen; dabei hing er seinen Gedanken nach, die keineswegs heiterer Art waren. Das Unglück hatte ihn jedoch in eine gute Schule genommen und so fiel es ihm nicht schwer, sich jetzt ohne zu murren dem Willen des Himmels zu unterwerfen, was dieser auch über ihn verhängt haben möge. Dieser Gedankengang machte ihn still und ergeben, er war auf das Schlimmste vorbereitet und stellte sich und seine Familie getrost Dem anheim, der zuletzt doch alles zum Besten lenkt.

Als der Tag anbrach, erhob sich Rüstig von seinem Lager und löste Sebald ab, der jetzt nicht in das Haus ging, sondern sich auf die Kokosblätter niederstreckte, wo Rüstig an der Seite Wilhelms gelegen hatte. Der Alte holte die großen Nägel und den Hammer herbei, dann rief er Wilhelm zu seinem Beistande und beide trieben nun die Nägel in den Baumstamm, wobei der eine nach den Wilden auslugte, während der andere hämmerte. Noch war keine Stunde vergangen, da hatten sie den Wipfel des Baumes erreicht, der nicht nur eine weite Aussicht über die Bucht und das Meer, sondern auch über einen großen Teil der Insel gewährte. Wilhelm, der das letzte Dutzend der Nägel eingeschlagen hatte, kam erst wieder zu Rüstig herab, nachdem er einen langen Rundblick gethan hatte.

»Das ist ein guter Beobachtungspunkt da oben,« sagte er, »ich habe alles gesehen. Unser altes Haus ist von den Wilden niedergerissen worden; die meisten derselben liegen auf dem Boden umher und scheinen zu schlafen; einige Weiber machen sich bei den Kanus zu schaffen, die noch immer da liegen, wo sie zuerst landeten.«

»Also unser altes Haus haben sie niedergerissen,« antwortete Rüstig; »ja, ja, sie wollen sich die eisernen Nägel aneignen. Wo haben sie denn ihre Toten gelassen?«

»Davon habe ich nichts gesehen, aber ich will gleich wieder hinauf. Ich kam herunter, weil mir die Hände von der Arbeit schmerzten und weil der Hammer so schwer war. Nur noch eine Minute möchte ich mich ausruhen. Meine Lippen brennen und sind ganz geschwollen, auch schält sich die Haut davon ab. Ich hätte nie geglaubt, daß der Durst so schrecklich ist! Der arme Tommy ist jetzt wahrlich genug bestraft.«

»Ein Kind überlegt nicht, was es thut, und denkt auch nicht an die Folgen seines Thuns,« antwortete der Steuermann; »auch wir hätten gar nicht voraussehen können, daß uns dadurch, daß er die Tonne leerte, solches Elend erwachsen würde. Es war einfach ein unnützer Streich von ihm, weiter nichts, wie die Folgen sich auch gestalten mögen.«

»Ich hatte gehofft, auf dem Baume ein paar Kokosnüsse zu finden,« nahm Wilhelm wieder das Wort, »aber nicht eine einzige ist da.«

»Und wenn du auch eine gefunden hättest, so wäre um diese Jahreszeit doch keine Mich darin gewesen. Wenn übrigens die Wilden heute nicht abziehen, so muß unsererseits etwas geschehen. Steige noch einmal auf den Baum, mein guter Junge, und sieh, ob sie sich nicht regen.«

Der Knabe gehorchte bereitwillig und verweilte einige Minuten auf seinem Beobachtungspunkt, dann kam er wieder herab.

»Jetzt sind sie alle auf den Beinen, sie schwärmen umher wie die Bienen. Ich habe zweihundertundsechzig Krieger gezählt; die Weiber holen unaufhörlich Wasser aus der Quelle und ungefähr ein Dutzend von ihnen sitzt bei den Kanus; sie machen eigentümliche Gebärden, als schlügen sie sich fortwährend gegen ihre Köpfe.«

»Ich weiß, mein Junge,« antwortete Rüstig, »sie verwunden sich selber mit Messern und andern scharfen Gegenständen; das ist die Sitte dieser Völkerschaften. Sie haben die Toten in die Kanus gelegt und die Weiber beklagen dieselben; vielleicht ziehen sie nun ab; aber wie gesagt, solche Wilde sind unberechenbar.«


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