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Siebzehntes Kapitel.

Eine schlimme Nacht. – Das Ende des Pacific.

 

Draußen tobte der Sturm in entfesselter Wut. Ununterbrochen zuckten die Blitze hernieder, und die krachenden Donnerschläge, unter denen die Erde erbebte, schienen kein Ende nehmen zu wollen; hin und wieder erwachten die Kinder und weinten vor Furcht, bis sie auf das Zureden der anderen wieder auf eine kurze Zeit einschliefen. Der Wind sauste und pfiff und drückte mit äußerster Heftigkeit gegen die Zeltwände, während zugleich ganz unglaubliche Wassermassen vom Himmel stürzten. Die straffen Zeltseile spannten sich zum Zerreißen; bald stand die Zeltleinwand tief eingebuchtet, bald blähte sie sich zum Zerplatzen auf, bald knatterte und peitschte sie, daß es erklang wie Flintenschüsse und an vielen Stellen fand der Regen ungehinderten Eingang. Die pechschwarze Finsternis vermehrte noch die Schrecken des Sturmes.

Das Zelt, in welchem Frau Sebald mit den Kindern untergebracht war, stand an der Windseite des anderen und war daher dem Unwetter in erhöhtem Maße ausgesetzt. Um die Mitternachtstunde schien der Sturm den höchsten Grad zu erreichen. Rüstig und Sebald hörten plötzlich einen lauten Krach, gefolgt von dem Jammergeschrei der Frauen; die Zeltpflöcke waren aus der Erde gerissen, das Zelt hatte sich geöffnet und seine Insassen dem Zorn der Elemente preisgegeben.

Rüstig stürzte herzu, Sebald und Wilhelm folgten ihm auf dem Fuße; es währte jedoch eine geraume Zeit, ehe es ihnen gelang, in der Finsternis und dem blendenden Regen die Verunglückten aus den nassen Falten des Segeltuchs herauszuwickeln, da sie sich in dem Orkan selber kaum auf den Füßen halten konnten.

Tommy war der erste, den der alte Steuermann rettete; von seinem Mut war kein Fünkchen übrig geblieben und er schrie, so laut er nur konnte. Wilhelm sammelte den kleinen Albert auf und trug ihn in das andere Zelt, wo auch Tommy untergebracht wurde. Juno, Frau Sebald und die kleine Karoline langten endlich ebenfalls in diesem Unterschlupf an; zum Glück war niemand verletzt, aber die erschreckten Kinder ließen sich nicht mehr beruhigen und stimmten mit vereinten Kräften in Tommys Gebrüll ein, was aber nicht viel zu bedeuten hatte, da bei dem Tosen des Sturmes ohnehin keiner des anderen Wort verstehen konnte. Die Kinder wurden in die Betten gepackt, die übrige Gesellschaft aber saß wachend bei einander und lauschte dem Winde, dem Rauschen des Waldes, dem Donnergebrause der See und dem Geknatter des Regens auf den Zeltwänden. Lang und trübselig war die Nacht, aber endlich mußte sie doch wieder dem Lichte des Morgens weichen.

Kaum dämmerte es im Osten, da verließ Rüstig das Zelt, und siehe da, der Sturm war gebrochen, die Elemente hatten begonnen, sich wieder zu beruhigen. Allein ein so heiterer Morgen, wie sie seit ihrer Ankunft auf der Insel gewohnt gewesen, war es nicht; noch immer jagten die wild zerrissenen Wolken unter dem umdüsterten Himmel dahin; noch immer regnete es, wenn auch nur noch mäßig und mit Unterbrechungen. Kein Himmelsblau war zu sehen, auch kein Morgenrot; das Erdreich war aufgeweicht und schwammig; die kleine Bucht, gestern noch so friedlich, war eine Masse schäumender Wogen und die Brandung rollte viele Schritte weit den Strand herauf. Am Horizont vermochte das Auge die Linie zwischen Firmament und Ocean nicht zu unterscheiden, alles war grau und verschwommen, nur die Küste des Eilands wurde durch einen weißen Schaumkranz bezeichnet.

Rüstig lenkte seine Blicke nach der Stelle, wo das Wrack auf dem Felsen gesessen hatte – er gewahrte keine Spur mehr davon; aber die Bruchstücke, die Planken und die Balken und auch die Kisten, die Fässer und all die anderen Ladungsstücke aus dem Raum trieben allenthalben auf dem Wasser umher oder rollten mit der Brandung am Strande auf und nieder.

»Das habe ich mir gedacht,« sagte der Alte, als er gewahrte, daß Sebald ihm gefolgt war und nun in seiner Nähe stand, »der Sturm hat ein Ende mit dem Pacific gemacht. Das soll uns eine Warnung sein; wir dürfen hier nicht länger bleiben und müssen jeden Augenblick des schönen Wetters benutzen, das uns vor Eintritt der Regenzeit noch vergönnt wird, und knapp genug wird die Zeit sein, das können Sie mir glauben.«

»Ich bin ganz Ihrer Meinung,« antwortete Sebald; »überdies haben wir schon eine andere Warnung erhalten,« – damit wies er auf das zerstörte Zelt – »es ist ein Glück, daß niemand verletzt wurde.«

Rüstig nickte.

»Der Sturm ist vorüber und morgen haben wir wieder feines Wetter,« sagte er. »Jetzt wollen wir sehen, was mit dem Zelte anzufangen ist, und inzwischen können Wilhelm und Juno einmal zeigen, ob sie ein vernünftiges Frühstück zurechtkriegen.«

Das Zelt war bald wieder aufgerichtet; man schaffte das durchnäßte Bettzeug ins Freie, damit es hier trockene, wenn der Regen aufgehört haben würde.

»Mehr können wir vorläufig nicht thun,« meinte der Alte. »Dort drüben sehe ich ein Windauge am Himmel, das Wetter bessert sich schneller, als ich's gedacht, und das ist gut, denn wir haben heute tüchtig zu thun; wir müssen das angetriebene Strandgut bergen, ehe die Brandung die zerbrechlichen Stücke an den Klippen zerschellt. Ich denke, wir können Tommy bei dieser Arbeit entbehren, der muß daheim bleiben und seine Mama und Geschwister beschützen.«

Tommy ließ sich auf keine Antwort ein; die Erlebnisse der Nacht hatten ihn tief verstimmt und nun saß er still auf seinem Fleck und maulte.


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