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Neunundfünfzigstes Kapitel.

Die Zerstörung des alten Hauses. – Angriff und Verteidigung. – »Kein Wasser!« – Vorbereitungen für den nächsten Angriff

 

Das entsetzliche Geheul der Wilden erfüllte das Herz der armen Mutter mit Schrecken; es war gut, daß sie die bemalten Leiber und die wilden Gebärden der dunkelhäutigen Krieger nicht gesehen hatte, sonst wäre ihre Angst noch größer gewesen. Albert und Karoline hingen an ihrem Halse, Entsetzen auf den kleinen Gesichtern; sie weinten nicht, aber sie schauten sich in bleicher Furcht nach allen Seiten um, zu erspähen, woher dieser fürchterliche Lärm wohl käme, und dann klammerten sie sich noch fester an ihre Mutter. Tommy dagegen saß am Tisch und kaute mit vollen Backen; er hatte sich augenscheinlich vorgenommen, alles aufzuessen, was die andern übrig gelassen hatten, und da jetzt niemand daran dachte, ihm Einhalt zu thun, so fühlte er sich äußerst wohl. Juno hantierte im Hofe herum und verriet weder Unruhe noch Furcht. Vater Sebald hatte an verschiedenen Stellen die Spalten zwischen den Pallisaden ein wenig erweitert, um die Gewehre hindurchstecken zu können; auf diese Weise vermochten die Verteidiger auf die Angreifer zu feuern, ohne sich selber dabei bloßzustellen; Wilhelm und Rüstig standen mit geladenen Büchsen auf dem Ausguck, des Anrückens der Wilden gewärtig.

»Vorläufig machen sie sich noch mit dem alten Hause zu schaffen,« bemerkte der Alte, »lange werden sie sich jedoch damit nicht mehr aufhalten.«

»Da kommen sie schon!« rief Wilhelm. »Ist das Frauenzimmer dort nicht eine von denen, die uns ausrückten und das Eisenzeug mitnahmen? Sehen Sie doch, die da, sie geht neben den beiden vordersten Wilden! Sie ist es, ich erkenne sie ganz genau!«

»Es wird schon so sein, mein Junge. Sie will ihnen das Vorratshaus zeigen. Aha, jetzt bleiben sie stehen; eine solche Befestigung haben sie nicht erwartet. Schau nur, wie sie sich zusammendrängen und schwatzen; sie finden die Sache anders, als man ihnen geschildert hatte und halten nun einen Kriegsrat; der große Kerl dort muß einer ihrer Häuptlinge sein. Obgleich ich entschlossen bin, mich mit Krallen und Zähnen zu wehren, so ist es mir doch von jeher zuwider gewesen, zuerst anzufangen; ich werde mich daher der Sippschaft zeigen; greifen sie mich an, dann kann ich mit ruhigem Gewissen auf sie feuern.«

»Daß Sie nur um Gottes willen nicht von einem Speer getroffen werden, Papa Rüstig!« entgegnete Wilhelm in Angst.

»Einen Speer sieht man fliegen, vor dem kann man sich ducken, sei also unbesorgt, mein lieber Junge. Jetzt setzen sie sich wieder in Bewegung.«

Der alte Steuermann stellte sich aufrecht auf die Planke, so daß er von den Wilden gesehen werden konnte; kaum hatten diese ihn erblickt, als sie ein gellendes Geheul ausstießen und zugleich ein Dutzend Speere gegen ihn entsandten, die so gut gezielt waren, daß es um ihn geschehen gewesen wäre, wenn er sich nicht noch rechtzeitig geduckt hätte. Drei oder vier Speere blieben in den Pallisaden stecken, die übrigen flogen darüber hinweg und fielen am andern Ende des Hofes nieder.

»Jetzt nimm die Burschen gut aufs Korn, Wilhelm!« rief der Alte; aber noch ehe der Knabe sein Gewehr abschießen konnte, hatte sein Vater bereits Feuer gegeben, und der lange Häuptling stürzte getroffen zur Erde.

Sebald hatte sich an eine Ecke postiert, damit die Wilden die Festung nicht unbemerkt umgehen konnten.

Jetzt knallten auch Rüstigs und Wilhelms Büchsen und wieder fielen zwei der Wilden, beklagt von dem Geschrei ihrer Gefährten. Juno reichte ihnen zwei frisch geladene Gewehre hinauf und nahm die abgeschossenen in Empfang; Frau Sebald, die den kleinen Albert der Obhut Karolinens anvertraut und Tommy ermahnt hatte, recht artig zu sein, kam aus dem Hause, verschloß die Thür hinter sich und eilte zu Junos Beistand herbei.

Die Speere rasselten jetzt wie Hagel gegen die Pallisaden, und es war gut, daß die Angegriffenen Feuer geben konnten, ohne sich dabei zu zeigen, sonst wäre sehr bald keiner von ihnen mehr am Leben gewesen.

Das Geheul wurde immer stärker, die Wilden bestürmten nunmehr die Festung von allen Seiten. Die Verwegensten von ihnen kletterten wie Katzen auf die Pallisaden hinauf, sobald sie aber die Köpfe mit den funkelnden Augen und den fletschenden Zähnen über der Verschanzung zeigten, wurde mit so sicherer Hand auf sie geschossen, daß sie tot wieder hinabstürzten. Dieser Kampf dauerte länger als eine Stunde, dann zogen die Wilden, die viele Krieger verloren hatten, sich zurück, und unsere Freunde gewannen Zeit, sich von der Blutarbeit auszuruhen.

»Bis jetzt haben die Schurken nicht viel gewonnen,« brummte der alte Rüstig, still vor sich hinlachend; »du bist ein braver Bursche, Wilhelm, du hast gefochten wie ein alter Soldat; ich glaube nicht, daß auch nur eine deiner Kugeln ihren Mann verfehlte.«

»Meinen Sie, daß sie nun abziehen werden?« fragte Frau Sebald.

»O nein, Madam, noch lange nicht; die ziehen erst ab, wenn sie all ihre teuflischen Mittel und Künste vergeblich versucht haben. Die Kerle müssen schon früher einmal Schießpulver gerochen haben, sonst hätten unsere Schüsse sie mehr in Erstaunen gesetzt.«

»Das habe ich mir auch schon gesagt,« bemerkte Vater Sebald, »wenn solche Wilde zum erstenmal den Knall einer Schießwaffe hören, dann pflegen sie gewöhnlich in eine abergläubische Furcht zu geraten.«

»Ganz recht, aber davon ist bei diesen Kunden keine Rede,« entgegnete Rüstig; »wahrscheinlich haben sie sich schon öfter mit Europäern herumgeschlagen.«

»Sind sie alle fort, Papa Rüstig?« fragte Wilhelm, der von der Planke herabgesprungen war, um seine Mutter in die Arme zu schließen.

»Nein, mein Junge; ich kann sie noch zwischen den Bäumen erkennen; sie hocken im Kreise und halten jedenfalls große Reden, wie das die Gewohnheit solcher Wilden ist.«

»Ich bin recht durstig geworden,« sagte der Knabe. »Gute Juno, bringe mir doch einen Trunk Wasser her.«

Juno lief zur Wassertonne, um Wilhelms Bitte zu erfüllen, im nächsten Augenblick aber kam sie mit allen Zeichen des größten Schreckens zurück.

»O, Massa! O, Missy!« rief sie. »Kein Wasser! Wasser fort! Ganz fort!«

»Kein Wasser da?« riefen Rüstig und alle andern wie aus einem Munde.

»Kleines, kleines Tröpfchen,« antwortete Juno verzweiflungsvoll; »großes Wasser fort, alles fort!«

»Und ich hatte die Tonne bis zum Rande gefüllt,« sagte der alte Rüstig sehr ernst; »sie leckte nicht, das weiß ich gewiß; wie ist dies zugegangen?«

»O, Missy, ich weiß, ich weiß!« rief die Negerin lebhaft. Und nun erinnerte sie ihre Herrin daran, wie man neulich mehrere Tage lang große Wäsche gehabt habe und wie Tommy beauftragt worden, in einem kleinen Eimer das nötige Wasser herbeizuschaffen; wie er immer wieder so schnell dagewesen und auch später für seinen Fleiß in Gegenwart des Vaters von der Mutter gelobt worden sei. »O, Missy,« schloß sie, »Massa Tommy faules Junge, nicht gehen Quelle, gehen Wassertonne, machen alles leer!«

»Ich fürchte, daß du recht hast, Juno,« entgegnete Frau Sebald. »Was fangen wir nun aber an?«

»Ich Massa Tommy reden!« rief Juno und eilte ins Haus.

»Das ist schlimm, sehr schlimm,« bemerkte Rüstig düster.

Sebald schwieg und schüttelte finster den Kopf.

Keiner verschwieg sich die Steigerung der Gefahr, die durch diesen Zwischenfall herbeigeführt wurde; wenn die Wilden das Eiland nicht bald verließen, dann mußten sie entweder durch den Durst umkommen, oder sich ergeben, in letzterem Falle aber hatten sie auf Schonung ihres Lebens nicht zu rechnen.

Jetzt erschien Juno wieder bei den übrigen, ihr Verdacht hatte sich bestätigt. Tommy, gekitzelt durch das Lob seines Fleißes und seiner Schnelligkeit, hatte den Hahn des Fasses aufgedreht und das Wasser teils abgefüllt, teils auslaufen lassen. Jetzt weinte und heulte er und versprach hoch und teuer, nie wieder Wasser zu holen.

»Sein Versprechen kommt zu spät,« sagte der Vater. »Es ist der Wille der Vorsehung, daß alle unsere sorgfältigen Vorbereitungen zur Abwehr der Angriffe der Wilden durch die Gedankenlosigkeit eines Kindes vereitelt werden sollen; es bleibt uns nichts übrig, als uns zu fügen.«

»So ist es,« entgegnete Rüstig, »wir können jetzt nur noch hoffen, daß die Wilden der Sache recht bald überdrüssig werden und wieder an Bord ihrer Kanus gehen.«

»Wenn nur noch ein wenig Wasser für die Kinder da wäre!« sagte die Mutter, »dann würde ich schon zufrieden sein; aber wenn ich zusehen müßte, wie die armen Dinger verschmachten – Juno, ist denn gar nichts mehr da, nirgends, in keinem Gefäß?«

Juno schüttelte den Kopf; »gar nichts, Missy,« sagte sie, »nirgends, in keinem Gefäß.«

Die Mutter aber beruhigte sich bei dieser Antwort nicht, sie ging mit ihrer Dienerin ins Haus, um selber noch einmal nachzusehen.

»Jetzt sind wir übel dran, Rüstig,« bemerkte Sebald mit gedrückter Stimme. »Was gäbe ich jetzt für einen Regenschauer, um die Himmelstropfen auffangen zu können!«

»Nach Regen sieht's nicht aus, Herr Sebald,« antwortete der Alte. »Vertrauen wir nur auf Gott, der wird uns nicht im Stich lassen.«

»Ich wollte, die Wilden rückten wieder heran,« brummte Wilhelm, »denn je eher sie da sind, desto früher ist alles entschieden; wir wissen dann, woran wir sind.«

»Während des Tages werden sie sich heute kaum wieder blicken lassen, mein Junge, ich fürchte aber, daß sie uns im Dunkel der Nacht überfallen werden und dann wird das Ding noch ernster. Wir müssen uns vorsehen.«

»Was können wir denn thun, Papa Rüstig?«

»Vor allen Dingen müssen wir die Planken, die hier noch liegen, oberhalb der Pallisaden von Baum zu Baum nageln, damit die Verschanzung dadurch höher wird und den Wilden das Überklettern verwehrt. Vorhin fehlte gar nicht viel, dann hatten wir die Kerle hier im Hofe. Ist ein Teil des Zaunes auf diese Weise erhöht, dann ist die Strecke, die wir zu überwachen und zu verteidigen haben, eine geringere. Sodann müssen wir einen großen Haufen Brennmaterial bereit halten, um ein Feuer anzünden zu können, damit wir nicht im Finstern zu kämpfen haben. Man wird uns freilich von draußen durch die Ritzen der Pallisaden dann leichter beobachten können, aber das thut nichts, denn mit den Speeren kommen sie nicht durch, und der Vorteil der Beleuchtung ist trotzdem ganz auf unserer Seite.«

Sebald fand diesen Rat vortrefflich und wenn der Wassermangel nicht gewesen wäre, dann würde er zuversichtlich gehofft haben, die Wilden schließlich doch noch endgültig zurückzuschlagen.

»Es wird ohne Zweifel bös hergehen, Herr Sebald,« nickte Rüstig ihm zu; »aber wer weiß, was der nächste Tag uns bringen kann.«

»Das ist wahr, mein alter Freund. Können Sie etwas von den Wilden sehen?«

»Nein; der Ort, wo sie vorhin saßen, ist leer, ich höre auch keinen Laut mehr; es ist möglich, daß sie sich mit ihren Verwundeten und Toten zu schaffen machen.«

Wie Rüstig vorausgesehen hatte, unternahmen die Wilden an diesem Tage keinen Angriff mehr, so daß die Belagerten ungehindert ihre Schutzmaßregeln treffen konnten; sie nagelten die Planken an die Baumstämme, wodurch die Verschanzung auf drei Seiten um fünf Fuß höher wurde, so daß ein Erklettern derselben unmöglich erschien; als Holzstoß mußte Junos Vorrat von trockenen Kokosblättern herhalten, der noch reichlich mit Teer übergossen wurde. Zum erstenmal seit ihrer Anwesenheit auf der Insel aßen sie an diesem Tage weder zu Mittag noch zu Abend, denn da nichts vorhanden war als Salzfleisch und lebendige Schildkröten, so nahmen sie auf Rüstigs Rat lieber gar nichts zu sich, um das brennende Verlangen nach Wasser nicht noch zu steigern.

Die armen Kinder begannen bereits recht sehr zu leiden; der kleine Albert wimmerte leise und bat fortwährend um Wasser; Karoline wußte, daß nichts zu trinken da war, darum verhielt sie sich ganz still, obgleich auch sie heftig vom Durst gequält wurde; Tommy, der Urheber all dieses Elends, war der Ungeduldigste und Ungebärdigste von allen; er schrie und brüllte so lange, bis endlich Wilhelm ganz entrüstet ihm eine tüchtige Ohrfeige verabreichte; das wirkte, er weinte jetzt nur noch ganz unhörbar, aus Furcht vor einer Wiederholung dieser Züchtigung.

Rüstig stand draußen auf dem Plankengerüst und hielt Ausguck; innerhalb des Hauses war so viel Jammer, daß jeder froh war, sich draußen aufhalten zu können; sie konnten ja weder raten, noch helfen; schwer und schmerzlich war die Aufgabe der armen Mutter, die Kinder zu beruhigen und vorübergehend zu zerstreuen.

Das Wetter war sehr warm und schwül, aber das klare Firmament bot keine Aussicht auf Regen.


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