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Fünfundvierzigstes Kapitel.

Sie finden die Durchfahrt. – Tommy und der Seekrebs.

 

Als Frau Sebald erkannte, daß die Rüstigschen Vorschläge ihr und den Kindern eine vermehrte Sicherheit gewährten, da gab sie gern ihre Zustimmung.

Eine Stunde später befanden sich der Steuermann und Wilhelm bereits im Boote, draußen zwischen den Klippen und Untiefen; das Glück war ihnen günstig, denn die gewünschte Durchfahrt fand sich bald.

»Das ging besser, als ich gedacht hatte,« bemerkte der Steuermann, als sie außerhalb des Riffs auf der offenen See schaukelten; »jetzt müssen wir uns aber auch die Stelle merken, damit wir den Weg wiederfinden. Sieh, mein Junge, dieser große schwarze Felsblock befindet sich in einer Linie mit der Landspitze unseres Gartens; behalten wir beide Teile in dieser Linie, dann laufen wir gerade in den Kanal hinein; jetzt müssen wir noch ein Zeichen haben, aus dem wir erkennen, daß wir am Eingang desselben sind.«

»Die Ecke des Schildkrötenteiches stößt von hier aus gerade auf die rechte Wand des Hauses,« sagte Wilhelm.

»Richtig, mein Junge; so haben wir auch die zweite Linie gefunden; jetzt aber müssen wir uns in die Riemen legen, damit wir zu rechter Zeit zurück sind.«

Die Südseite der Insel war bald erreicht und langsamer ruderten sie jetzt längs des Gestades dahin.

»Wie groß ist wohl die Entfernung vom Kanal bis zum Bootshafen?« fragte der Knabe, während sie aufmerksam alle Einzelheiten der felsigen Küste musterten.

»Ich schätze sie auf vier oder fünf Seemeilen; eine tüchtige Strecke zu rudern, zurück aber können wir segeln, der Wind ist schwach, aber günstig.«

»Das Wasser scheint hier sehr tief zu sein,« bemerkte Wilhelm nach längerem Schweigen.

»Das ist auf dieser Seite nicht anders zu erwarten, die Korallen wachsen, wie du weißt, nur leewärts. Mich dünkt, daß wir dem Hafen schon nahe sein müssen; ich sehe das Weideland mit den zerstreuten Baumgruppen.«

»Die beiden Felsen dort dicht unter Land kommen mir bekannt vor,« meinte Wilhelm; »wenn ich nicht irre, befanden sich einige ganz ähnliche außerhalb der Hafeneinfahrt.«

»Du könntest wohl recht haben, mein Junge, laß uns die Sache untersuchen.«

Sie hielten auf das Land ab, und nach einigem Hin- und Herfahren fanden sie zu ihrer Freude die Einfahrt in das Hafenbecken, dessen Wasserspiegel ihnen so glatt und still wie ein Teich entgegen winkte.

»Das wäre nun also auch in Ordnung,« sagte der Alte zufrieden; »jetzt wollen wir den Mast aufrichten und in aller Bequemlichkeit nach Hause segeln.«

»Warten Sie noch einen Augenblick, Papa Rüstig.« entgegnete Wilhelm, der neugierig in die klare Tiefe hinabgeschaut hatte; »reichen Sie mir, bitte, den Bootshaken her, ich sehe da etwas zwischen den Steinen.«

Der Alte reichte dem Knaben den Haken; der fuhr damit vorsichtig ins Wasser hinunter und holte einen großen Seekrebs herauf, der ahnungslos in einer Felsspalte gesessen hatte. Geschickt warf er das Tier in das Boot.

»Oho!« lachte Rüstig, »der soll uns heute zu Mittag schmecken; wir kommen nun wenigstens nicht mit leeren Händen zurück; jetzt aber vorwärts, mein Junge; wir müssen am Nachmittag die Reise noch einmal machen, und zwar mit voller Ladung.«

Sie ruderten aus dem Hafenbecken hinaus, setzten das Segel, und es währte nicht eine Stunde, da waren sie wieder daheim angelangt.

Wilhelm zeigte triumphierend seinen erbeuteten Seekrebs, der nur eine Schere hatte; Juno setzte eilfertig noch einen Topf Wasser zum Feuer, um diese willkommene Ergänzung des Mittagsmahles darin zu kochen.

Tommy kam mit Karoline herbei, das fremdartige Geschöpf anzustaunen; es dauerte aber gar nicht lange, da begann er das Wassertier zu necken, gerade wie er mit dem Löwen im zoologischen Garten zu Kapstadt gethan; zuerst stocherte er dem Krebs mit einem Stöckchen an den Augen herum und dann versuchte er den eingebogenen Schwanz desselben zu erfassen, als das Tier jedoch damit zu klappen und zu klatschen begann, rannte er erschreckt eine Strecke davon; schließlich bemühte er sich, sein Stöckchen dem Krebs in die Mundöffnung zu schieben, der aber erhob seine große Schere, packte ihn beim Handgelenk und zwickte ihn so derb, daß der Junge heulend und schreiend herumsprang, jedoch ohne das Tier abschütteln zu können.

Auf das Gejammer kam der alte Steuermann herbei und löste den Krebs ab, Tommy aber ergriff voll Entsetzen die Flucht und blieb erst stehen, als er einige hundert Schritte vom Hause entfernt war, während Juno und Rüstig lachten, bis ihnen die Thränen in die Augen kamen.

Als Tommy sich so ausgelacht sah, machte er ein böses Gesicht und setzte sich nieder ins Gras; kaum aber trug man das Mittagsessen ins Haus, da stellte auch er sich ein, den Finger im Munde und mit halb trotzigen, halb beschämten Blicken. Er schien seine Furcht vor dem großen Krebs noch nicht ganz überwunden zu haben, obgleich derselbe jetzt tot vor ihm auf dem Tische lag.

»Unser Tommy wird von dem Krebs gewiß nicht mitessen wollen,« bemerkte der Vater scherzend.

»Doch!« erwiderte der Junge schnell; »erst wollte er mich aufessen, jetzt esse ich ihn dafür.«

»Welches Stück möchtest du haben? Die Schere?« fragte der Vater.

»Ja, Papa, die Schere; die esse ich aus Rache.«

»Warum hast du das Tier nicht in Ruhe gelassen, Tommy?« nahm die Mutter das Wort. »Hättest du es nicht gequält, dann würde es dich auch nicht gekniffen haben; ich weiß nicht, ob wir dir überhaupt etwas von dem Krebs geben dürfen, da du ihn, anstatt aus Freude an seinem wohlschmeckenden Fleisch, nur aus Rache essen willst. Was sagst du täglich in deinem Tischgebet? Wiederhole mir doch das, mein Sohn.«

»Für deine guten Gaben mache uns dankbar, lieber Gott,« antwortete Tommy kleinlaut.

»Nun siehst du, dankbar sollst du sein und nicht rachsüchtig; ich glaube, du verdienst nichts von dem schönen Krebsfleisch.«

»Ich mag auch kein Krebsfleisch, ich esse es nicht gern,« entgegnete Tommy mürrisch; »Schweinepökelfleisch schmeckt mir besser.«

»Wenn du es nicht magst, so wollen wir dich nicht dazu zwingen,« sagte der Vater, »wir teilen den Krebs daher zwischen uns allein.«

Tommy war mit dieser Entscheidung sehr unzufrieden, da er gern von dem Krebsfleisch gekostet hätte; er saß daher während der ganzen Tischzeit mit bitterbösem Gesicht da, und seine Laune wurde keineswegs besser, als Rüstig lächelnd bemerkte, daß er seinen Anteil von dem Krebs ja schon vorher erhalten habe.


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