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Neuntes Kapitel.

Tommy und die Flinte. – Die Landung der Mutter. – »Ich alter Dummkopf!«

 

Als Rüstig an Bord angelangt war, suchte er zuerst die Kajüte auf, um Frau Sebald und Wilhelm von dem Geschehenen in Kenntnis zu setzen. Die erstere empfand eine gewisse Unruhe bei dem Gedanken, daß ihr Mann jetzt allein auf der Insel sei, Rüstig aber sagte ihr, daß derselbe einen Schuß abgeben würde, wenn er Beistand bedürfe. Darauf stieg er hinab in die Segelkoje, um noch ein Bramsegel, einiges Segeltuch und dazu Nadeln und Nähgarn heraufzuschaffen.

Kaum war er mit diesen Gegenständen bis an den Fuß der Treppe gelangt, da erdröhnte ein Flintenschuß vom Lande herüber, und Frau Sebald stürzte bleich vor Entsetzen aus der Kajüte. Rüstig ergriff schnell eine zweite Flinte, sprang damit ins Boot und ruderte in größter Eile dem Ufer zu.

Ganz außer Atem hier angelangt, fand er Herrn Sebald und Juno fleißig bei dem Zelte beschäftigt, Tommy aber saß in einiger Entfernung auf der Erde und schrie aus Leibeskräften.

Es stellte sich heraus, daß der Junge, als er sich von seinem Vater und der Negerin unbeobachtet sah, sich an die Flinte herangemacht hatte, die an einem Stamme lehnte. Bei seinen Spielereien kam er an den Abzug, der Schuß ging los, und die Schrotladung brachte ein paar große Kokosnüsse aus dem Baumwipfel herunter, die dicht neben Tommy zur Erde krachten und den Jungen schwer verletzt, wenn nicht gar getötet haben würden, wenn sie ihn getroffen hätten. Sebald, der genau wußte, welchen Schrecken dieser Alarm auf dem Schiffe hervorrufen mußte, hatte ihm eine scharfe Zurechtweisung gegeben, und nun saß Tommy ganz zerknirscht am Boden und schrie, als ob er am Spieße stäke, um dadurch seine tiefe Reue kundzuthun.

Beinahe so schnell, wie er gekommen war, kehrte der alte Rüstig wieder an Bord zurück; hier beruhigte er die ihn angstvoll erwartende Frau und machte sich von neuem an seine Arbeit.

Seine Bootsladung bestand diesmal aus des Segelmachers Arbeitsbeutel, ferner aus zwei Matratzen nebst Wolldecken, dem großen Kochtopf mit dem gar gekochten Salzfleisch und schließlich aus einer Spiere, die im Wasser nachschleppte. Bald war er damit in der Bucht angelangt, Sebald und Juno halfen ihm die Gegenstände an Ort und Stelle schaffen, und wieder schickte er sich zur Rückfahrt an. Ehe er ging, gab er dem kleinen Tommy einen Stock in die Hand und befahl ihm, bei dem Fleisch Wache zu stehen und wohl aufzupassen, daß die Hunde dasselbe nicht auffräßen; Tommy, der wiederum in bester Stimmung war, versprach alles und stand dann neben seinem Topfe so ernsthaft und würdevoll, wie ein Kriminalrichter.

Noch zweimal ruderte der alte Steuermann nach dem Schiffe und wieder zurück; ein Sack voll Schiffsbrot, ein Sack voll Kartoffeln, noch einiges Bettzeug, ferner Teller, Messer, Gabeln und Löffel, sowie Bratpfannen und anderes Kochgeschirr, und noch sonst allerlei nützliche Dinge waren das Ergebnis dieser Fahrten. Sodann zeigte er Juno, wie man die offenen Zeltenden mit Segeltuch verschloß; die Negerin war anstellig und wußte die großen Segelnadeln bald so gut zu handhaben, wie ein Matrose.

»Wir haben jetzt nur noch zwei Stunden Tageslicht,« sagte Rüstig zu Sebald, »ich denke, es ist Zeit, daß wir nun Ihre Frau und die Kinder vom Schiffe holen; für eine Unterkunft während der ersten Nacht ist hinreichend gesorgt, und wenn uns der liebe Gott das gute Wetter läßt, dann können wir während der nächsten Tage nicht nur für besseres Quartier sorgen, sondern auch noch einen tüchtigen Teil der Ladung bergen. Ich habe die Stückgüter verstauen helfen und weiß daher genau, wo das zu finden ist, was uns am meisten nützen kann.«

Diesmal fuhr auch Sebald mit an Bord. Er eröffnete seiner Frau den Beschluß, nunmehr auch sie und die ganze Familie an Land zu schaffen. Wenngleich diese Nachricht sie in Aufregung versetzte – sie war von der langen Seekrankheit noch immer sehr angegriffen und geschwächt – so raffte sie sich doch nach Kräften zusammen und ließ sich von ihrem Gatten bereitwillig die Treppe hinauf und an Deck führen; Wilhelm folgte ihr mit dem kleinen Albert und der alte Rüstig trug Karoline. Die Einschiffung geschah nicht ohne Schwierigkeit, endlich aber saßen alle sicher im Boote und Rüstig stieß ab. Frau Sebald fühlte sich so hinfällig, daß ihr Gatte sie in seinen Armen halten mußte, weswegen Wilhelm zum Reemen griff, um Rüstig beizustehen. Die Landung ging ohne Unfall vor sich; man trug die Frau bis zu den Zelten und bald lag sie hier bequem auf eine Matratze gebettet. Sie dankte den Männern mit freundlichen Blicken und dann bat sie um einen Trunk Wasser.

Der alte Rüstig stand ganz erschrocken.

»Da habe ich nun den ganzen Tag lang alles mögliche Zeug hierher geschleppt und doch die Hauptsache, das unentbehrlichste Lebensmittel, vergessen! Ich alter Dummkopf!« so schalt er auf sich selber. »Aber nur ein klein wenig Geduld, beste Madam, ich rudere schnell an Bord und bin gleich wieder hier. Ich hatte nämlich die Absicht, hier auf der Insel nach Wasser zu suchen, bin aber vor lauter Arbeit nicht dazu gekommen.«

Damit lief er zum Strande hinab und landete nach kurzer Zeit wieder mit zwei Fäßchen frischen Wassers, die Wilhelm ihm bis an die Zelte rollen half.

Juno hatte inzwischen ihre Aufgabe vollendet. Frau Sebald trank von dem Wasser und erklärte, nunmehr bedeutend kräftiger und wohler zu sein.

Der alte Rüstig stand gegen einen Stamm gelehnt und nickte ihr freundlich zu; dann nahm er seine Kappe ab und trocknete sich die heiße Stirn.

»Heute fahre ich nicht mehr an Bord,« sagte er, »ich schaffe es nicht mehr; ich bin so müde und erschöpft, wie ich seit langer Zeit nicht gewesen bin.«

»Das ist aber auch kein Wunder, lieber Freund,« versetzte Sebald teilnahmsvoll; »Sie haben so viele Nächte kein Auge zugethan und tags über unablässig gearbeitet; jetzt müssen Sie sich Ruhe gönnen.«

»Da fällt mir auch ein, daß ich heute noch keinen Bissen genossen, nicht einmal einen Trunk Wasser zu mir genommen habe,« erwiderte Rüstig, indem er sich niedersetzte.

»Sie sind doch nicht krank?« fragte Wilhelm ängstlich.

»Nur ein wenig schwach, mein guter Junge; ich bin nicht mehr so jung, wie früher. Willst du mir ein wenig Wasser reichen?«

»Hier, lieber Freund – laß sein, Wilhelm,« sagte Sebald, mit einem Blechgefäß herzueilend, das er soeben für seine Frau gefüllt hatte; »hier, Rüstig, trinken Sie.«

Der alte Seemann trank und reichte das Gefäß dankend zurück.

»Jetzt wird mir bald wieder besser sein,« sagte er; »ich werde mich ein wenig niederlegen und hernach ein Stück Brot und ein wenig Fleisch essen.«

Der brave Alte war in der That durch die unaufhörlichen Anstrengungen beinahe aufgerieben; seine gute Natur aber ließ ihn nicht im Stich und so erholte er sich nach und nach wieder.

Auch Juno war unermüdlich thätig gewesen; sie hatte den Kindern zum Abendessen Brot und Fleisch gegeben und dann den kleinen Albert sowie Tommy und Karoline in aller Ruhe zu Bett gebracht, nachdem sie zuvor auch das zweite Zelt wohnlich hergerichtet hatte.

Sebald lobte ihren Fleiß und ihre Anstelligkeit. »Für heute aber ist genug Arbeit geschehen,« fügte er hinzu.

»Das ist es,« nahm der alte Rüstig das Wort, »und ich bin der Meinung, daß wir wohl Veranlassung haben, Gott für seine Güte zu danken, ehe wir einschlafen. Hat er nicht freundlich für uns gesorgt? Wenn das Wetter schlecht, die See unruhig gewesen wäre, dann hätten wir nicht so bequem hier landen und uns ein so behagliches Nest bauen können.«

Sebald nickte, und bewegt das Haupt entblößend brachte er im Namen aller dem Allmächtigen ein kurzes, aber inniges Dankgebet dar.

Die Finsternis brach herein und bald lagen unsere Schiffbrüchigen in tiefem Schlaf.


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