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Neunundzwanzigstes Kapitel.

»Das habe ich mir gedacht!« – Wie Rüstig den Haien kein gutes Frühstück gönnt. – Die schwarze Grete und ihre Kinder. – Ordnung und Disziplin.

 

Am nächsten Morgen war die Natur wieder ruhig, das Gewölk hatte sich verzogen und hell und warm schien die Sonne hernieder.

Der alte Steuermann und die Negerin traten zuerst aus dem Hause; Rüstig hatte das Teleskop unter dem Arm, das er stets mitnahm, wenn er in der Morgenfrühe seine Runde machte.

»Schönes Wetter heute, nicht wahr, Juno?« lächelte er.

»Ja, Massa Rüstig, mächtig schönes Wetter; aber kein Feuer, kein Frühstück, Holz naß, Blätter naß, alles naß.«

»Ja, siehst du, Juno, wenn ich gestern abend nicht noch dafür gesorgt hätte, dann solltest du dir jetzt wohl deinen Wollkopf zerbrechen und doch den Kessel nicht heiß kriegen. Ich habe aber gestern die Glut mit Asche zugedeckt und dann Steine und Blätter darauf gelegt; schau nur einmal nach, dann wirst du noch Feuer finden. Jeder muß eben thun, was er kann und weiß, wenig genug ist's ja. Im nächsten Jahr aber, wenn wir noch leben und gesund sind, dann werden wir für die Regenzeit einen ausreichenden und gut eingedeckten Vorrat von trockener Feuerung haben.«

Er blieb noch eine kleine Weile stehen und wartete, ob Juno vielleicht seine Hilfe brauchte. Diese aber fand noch Glut genug auf dem Herde, und hatte bald das Feuer im vollen Gange.

Jetzt pfiff er den Hunden und machte sich mit den fröhlich umherspringenden Tieren auf den Weg. Zuerst suchte er die Quelle auf; allein anstatt das Faß mit dem klaren Wasser vorzufinden, gewahrte er jetzt nichts als einen trüben, braunen Strom, der mit reißender Schnelligkeit durch die Thalsenkung rauschte und dann, sich ausbreitend, dem Meere zurieselte. Von dem Brunnen war nichts zu sehen.

»Das habe ich mir gedacht,« murmelte Rüstig, den Wildbach beobachtend; »na, besser zu viel Wasser als zu wenig.«

Er watete durch die Flut, da er einen Blick nach dem Schildkrötenteich thun wollte, der jenseits derselben lag. Hier war alles in Ordnung; er durchkreuzte daher den Strom, der den Strand herabflutete, noch einmal und schritt der Landzunge zu, innerhalb welcher er sein Boot an zwei Steinen vor Anker gelegt hatte.

Es stellte sich heraus, daß die Verankerung nicht genügend gewesen war, denn der Wind hatte das Boot mitsamt den Ankersteinen eine ganze Strecke vom Lande abgetrieben.

»Was bin ich doch für ein Narr gewesen!« brummte der Alte, indem er sich den Kopf kraute. »Konnte ich das Boot nicht mit einer Leine am Lande festlegen? Ich mußte ja wissen, daß der Sturm seewärts wehen würde. Hinschwimmen mag ich nicht, da ich den Haien kein so gutes Frühstück gönne.«

Während er noch überlegte, fiel sein Blick auf das Bootssegel, das mit den dazu gehörigen Leinen im Schutze eines Felsens auf dem Sande lag. Sogleich kam ihm ein Gedanke. Er knüpfte die Leinen zusammen, bis sie die genügende Länge hatten, dann suchte er sich ein Stück Holz von etwa zwei Fuß Länge und band ein Ende der Leine um dessen Mitte fest. Hierauf versuchte er das Holz in das Boot zu werfen, was ihm endlich auch gelang. Das Stück Holz setzte sich unter den Bootsduchten fest und so konnte er mit einiger Vorsicht das Fahrzeug wieder ans Land ziehen, wo er dasselbe so festlegte, daß kein Wind es wieder davonführen konnte.

Nunmehr fand er Muße, durch das Teleskop einen langen Blick rings über den Horizont zu werfen; zwar erwartete er nicht, daß ein Schiff sich bis zu dieser abseits von jeder Fahrstraße gelegenen Inselgruppe verirren könnte, immerhin aber war diese Möglichkeit doch nicht ausgeschlossen, und deshalb versäumte er nie, täglich diesen Rundblick zu thun, wobei er jedoch Sorge trug, daß niemand etwas davon gewahrte, da diese Thatsache allein schon hinreichend gewesen wäre, Frau Sebald in fortwährender Unruhe zu erhalten. Wie gewöhnlich setzte er das Teleskop kopfschüttelnd wieder ab und lenkte, einen leisen Seufzer ausstoßend, seine Schritte rückwärts.

»Ich muß sehen, wo die Ziegen und die Schafe geblieben sind,« sagte er zu sich selber. »Such', Romulus, such', Remus! Tummelt euch, ihr Kerle, ihr habt jüngere Beine als ich.«

Die Hunde sprangen davon, als ob sie seine Worte verstanden hätten, und es währte nicht lange, da hatten sie die Schafe und zwei von den Ziegen aus dem Unterholz herausgejagt. Die dritte Ziege war nicht zu sehen.

»Ei, ei,« murmelte Rüstig, »wo mag denn die schwarze Grete stecken?«

Er durchstreifte das Gehölz nach verschiedenen Richtungen, ab und zu stehen bleibend und lauschend; da drang aus einem fernen Gebüsch ein Meckern an sein Ohr. Er ging darauf zu, bog das Gezweig auseinander und sah nun die schwarze Grete am Boden liegend und neben ihr zwei neugeborene Zicklein.

»Aha,« lächelte der Alte, »das war zu erwarten. Kommt, ihr kleines Gesindel,« fuhr er fort, indem er die Zicklein vorsichtig in die Arme nahm, »wir müssen eine bessere Wohnung für euch finden. Du kannst auch mitkommen, Grete. Zurück, Remus! Willst du wohl, Romulus!« wehrte er den sich schnuppernd herandrängenden und nach den Zicklein emporspringenden Hunden. »Fort mit euch! Siehst du, du hast deinen Denkzettel weg!«

Letzterer Ruf galt Remus, der für seine Zudringlichkeit von der schwarzen Grete einen solchen Stoß erhalten hatte, daß er sich dreimal überschlug und dann mit eingekniffenem Schwanz, und von dem erschrockenen Romulus begleitet, davonlief.

Als Rüstig mit seinen Findlingen anlangte, stießen Karoline und Tommy ein Freudengeschrei aus, und sogar der kleine Albert klatschte fröhlich in die Händchen. Kaum hatte er die Tierchen auf die Erde gesetzt, als auch schon Tommy und Karoline dieselben umarmten und zärtlich an sich drückten.

»Ein Familienzuwachs, Madam,« sagte der Alte. »Sie müssen dem Völkchen schon erlauben, sich so lange hier im Hause aufzuhalten, bis ich einen Stall gebaut habe. Dies ist erst der Anfang, ich denke, daß wir bald mehr von der Sorte kriegen werden.«

Grete wurde in einer Ecke angebunden und überließ sich dort ganz behaglich der Pflege ihrer Sprößlinge.

Nachdem man beim Frühstück lang und breit über das frohe Ereignis geredet hatte, schlug Vater Sebald vor, nunmehr zu beraten, in welcher Weise die Tage während der Regenzeit am nützlichsten hinzubringen wären. »Denn wir haben noch immer viel zu thun und dürfen nicht müßig sein,« schloß er.

Der Steuermann pflichtete ihm bei.

»Wir müssen eine Tagesordnung aufstellen und System in unsere Beschäftigungen bringen,« sagte er. »Ich bin alt genug geworden, um zu wissen, wieviel man durch Regelmäßigkeit und Disziplin erreichen kann. Beispiele dafür giebt uns die Marine; auf einem Kriegsschiff wird in einer Stunde mehr Arbeit verrichtet, als auf einem Kauffahrer in drei Stunden. Und woher kommt das? Weil dort jedes Ding seinen Ort und seine Zeit hat. Sucht man etwas, so weiß man genau, wohin man greifen muß, und jeder Mann weiß, was er zu thun hat.«

»So ist es, Freund Rüstig,« bemerkte Frau Sebald. »System ist überall die Hauptsache. Während eine unordentliche Frau nach dem Fingerhut sucht, hat eine andere bereits ihre ganze Arbeit fertig, und das verspreche ich Ihnen, auch in diesem Hause soll jedes Ding seinen Ort und seine Zeit haben, sobald wir vollständig eingerichtet und die Wände mit den nötigen Wandbrettern, Haken und Nägeln versehen sind.«

»Ich bitte um Verzeihung, Madam, wenn ich ein bißchen viel rede, aber ich wollte nur noch sagen, daß ich niemals erfahren hätte, was Ordnung und Disziplin bedeuten, wenn ich nicht eine Zeitlang auf Kriegsschiffen gedient hätte. Auf den Kauffahrern geht es manchmal bunt genug her, da wird viel durcheinander geschrien, auf einem Kriegsschiff aber geschieht alles schweigend, außer dem diensthabenden Offizier hat niemand zu reden. Jeder einzelne hat seinen bestimmten Posten, sein bestimmtes Tau; die Pfeife ertönt und in wenigen Sekunden sind alle Segel gesetzt oder weggenommen, je nach Erfordernis. Im Anfang glaubte ich fast an Zauberei. Und sehen Sie, Madam, wo Ordnung und Disziplin herrschen, da bekommt jede Person eine große Wichtigkeit, denn wenn einer seine Pflicht versäumt, dann ist die Thätigkeit auch aller andern dadurch beeinflußt und das ganze Getriebe gerät in Unordnung, und außerdem weiß man sogleich, wer der Sünder gewesen ist. Wenn ich nichts anderes von meiner Marinedienstzeit profitiert habe, so habe ich doch gelernt, meine Zeit und meine Körperkräfte nach Möglichkeit auszunutzen.«

Vater Sebald hatte beifällig zugehört.

»Wenn auch wir dies jetzt von Ihnen lernen, Freund Rüstig, dann wollen wir uns glücklich schätzen.«

»Für den Anfang ist alles ganz prächtig gegangen,« versetzte der Alte, »die Arbeit war aber auch so drängend, daß wir uns ihrer nicht erwehren konnten. Und eine Zeitlang wird es wohl noch so fortgehen.«

»Was wird unsere nächste Aufgabe sein?«

»Wir müssen das Boot auf den Strand ziehen, es zur Hälfte in den Sand eingraben, und den Rest gut zudecken; die See ist jetzt so unruhig, daß es eine Weile dauern wird, ehe wir wieder nach der andern Seite fahren können.«

»Und was soll dann geschehen?«

»Die Zelte müssen abgebrochen und, sobald sie gut getrocknet sind, weggestaut werden, damit sie immer zur Hand sind. Sodann haben wir ein Gebäude für unsere Vorräte zu errichten, und zwar muß es auf Pfählen und etwa vier Fuß über dem Erdboden stehen; unterhalb desselben werden dann auch die Schafe und Ziegen Schutz gegen die Witterung finden, Das Ding wird leicht hergestellt sein, da die Wände nur aus Blattwerk zu bestehen brauchen. Dann ist noch der Fischteich anzulegen und eine Salzpfanne aus dem Felsen zu hauen; das aber kann geschehen, wenn nichts anderes zu thun ist. Wichtig ist ferner, daß wir eines Tages nach der anderen Seite gehen und die Vorräte untersuchen, die dort zurückgeblieben sind; bei der Gelegenheit muß auch die Insel einmal gründlich durchstreift werden, damit wir erfahren, was sie eigentlich alles hervorbringt, denn bis jetzt wissen wir darüber eigentlich gar nichts; hoffentlich finden wir noch viele Bäume und Pflanzen, die uns nützlich sein können, und besonders auch Weideland für unser Vieh, denn wenn die Tiere sich vermehren, dann wird das Futter hier sehr knapp werden, um so mehr, als nach und nach noch weiteres Land urbar gemacht werden muß.«

»Ich bin, wie immer, in allen Stücken mit Ihnen einverstanden, mein Freund,« antwortete Sebald, »bestimmen Sie nur noch, wie unsere Kräfte zu verteilen sind.«

»Die sollen vorläufig ungeteilt bleiben, wenn es Ihnen recht ist,« versetzte der Steuermann. »Madam und Juno finden im Hause Arbeit im Überfluß; Sie, Willy und ich wollen zuerst das Boot und dann die Zelte in Sicherheit bringen; hernach gehen wir an den Bau des Vorratshauses, je nachdem das Wetter es erlaubt. Wenn Juno Zeit übrig hat, dann mag sie Kokosblätter sammeln und als Brennmaterial aufstapeln. Tommy kann dabei helfen und ihr zeigen, wie man solch ein großmächtiges Blatt am besten hinter sich herzieht.«

»Ja, das will ich ihr zeigen,« rief Tommy, indem er eifrig aufsprang, »komm, Juno!«

»Jetzt gleich ist das nicht nötig, Tommy, mein Sohn,« lächelte der Alte, »aber sobald deine Mama die Juno entbehren kann, soll sie mit dir gehen.« Und sich an Vater Sebald wendend, fuhr er fort: »Wir haben heute noch mehr Regen zu erwarten, lassen Sie uns die paar schönen Stunden nicht verlieren. Ich will schnell die Schaufeln aus dem Zelte holen und dann mit dem Boot an eine passende Stelle des Strandes kommen; dort treffen wir uns. Sie und Wilhelm schnüren ein tüchtiges Bündel Kokosblätter zusammen, packen es auf unser Fuhrwerk und bringen es hinunter; vergessen Sie auch die Leinen nicht.«

»Soll geschehen,« antwortete Sebald. »Komm, Willy.«


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