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Einunddreißigstes Kapitel.

Der Hühnerstall. – Rüstigs Geschichte.

 

Durch das Meckern der Ziegen wurden sie am nächsten Morgen zeitiger als sonst geweckt. Da das Wetter wieder schön war, trieb Rüstig die schwarze Grete und ihre Zicklein ins Freie. Zum Frühstück gab es wieder gebratenen Fisch, dann gingen Sebald, Rüstig und Wilhelm an ihre Arbeit; die beiden ersteren brachen die Zelte ab und breiteten die Leinwand zum Trocknen aus, Wilhelm aber machte sich auf die Suche nach den Hühnern, von denen man schon einige Tage lang nichts gesehen hatte.

Nach einigem Umherstreifen im Walde hörte er den Hahn krähen und nun war die gefiederte Gesellschaft bald gefunden. Er hatte die Tasche voll Splitterbsen mitgenommen, denn der kleine Vorrat von Weizen und Gerste durfte nicht angegriffen werden, da er später zur Aussaat dienen sollte. Er warf den hungrigen Hühnern von den Erbsen vor, und zwar so, daß sie ihm Schritt für Schritt zum Hause folgten; hier ließ er sie und suchte Rüstig und den Vater auf.

Der Steuermann machte den Vorschlag, einen Hühnerstall zu bauen.

»Das ist ein Stück Arbeit, das uns nicht länger als einen Tag in Anspruch nimmt, und dann haben die Kreaturen einen trockenen Unterschlupf. Nicht weit vom Hause stehen vier Bäume, die dazu wie geschaffen sind.«

Sebald war einverstanden. Von dem Bauholz waren eine Menge dünner Stangen übrig geblieben, die oberen Enden der gefällten Bäume; diese wurden wagerecht an die vier Stämme genagelt und dann ein schräges Dach darüber errichtet. Die Wände und das Dach machte man mit Kokosblättern dicht, ließ eine Thüröffnung, und nachdem man noch ein paar Sitzstangen im Innern angebracht hatte, war das Hühnerhaus fertig.

Der Hahn und seine Hühner, durch Erbsen geködert, kamen herbei und nahmen das Machwerk in Augenschein; dasselbe mußte wohl ihren Beifall gefunden haben, denn als die Sonne unterging, begaben sie sich ohne weiteres in den Stall und richteten sich häuslich darin ein.

»Ich denke, daß wir der kleinen Karoline das Kommando über den Geflügelhof und die Sorge für die künftigen Eier und Küchlein anvertrauen,« meinte der alte Rüstig.

»Ein guter Gedanke!« rief Wilhelm. »Wie wird sie sich freuen, wenn sie hört, daß sie ganz allein die Herrin des Hühnerstalles sein soll. Jetzt aber wollen wir die Zeltleinwand aufrollen und wegstauen.«

Die Leinwand wurde unter den Bettgestellen geborgen und da es inzwischen Abend geworden war, trieb man auch die Ziege mit ihren Zicklein wieder ins Haus.

Nach dem Abendessen nahm Rüstig die Erzählung seiner Lebensgeschichte wieder auf.

»Ich habe bereits erwähnt,« begann er, »daß ich den Entschluß gefaßt hatte, davonzulaufen und zur See zu gehen. Die Gelegenheit dazu sollte sich bald finden.

An einem schulfreien Nachmittage stand ich wieder einmal unten am Hafen und beobachtete ein Schiff, das mitten im Strome lag und sich zum Aussegeln anschickte. Die Marssegel waren bereits losgemacht und auf der Back waren die Matrosen beschäftigt, unter eintönigem Gesang den Anker aufzuwinden. Es war die Zeit der Ebbe, die der Schiffer benutzen wollte.

Die Jolle des Schiffes schwamm hinter seinem Heck. Ich sah, wie ein Mann hinein sprang und dem Ufer zuruderte, auf welchem ich stand. Unweit von mir hatte sich eine Frau aufgestellt, die einen Korb mit einigen großen Schwarzbroten vor sich niedergesetzt hatte. Sie winkte mit ihrem Tuch nach dem Schiffe hinüber und ich wußte nun, daß der Mann in der Jolle kam, um die Brote abzuholen.

Er legte an, die Frau reichte ihm den Korb hinunter, er packte die Brote aus und als er der Frau den Korb zurückwarf, da war ich bereits hinter ihm in die Jolle gesprungen.

»Was willst du hier, Junge?« fragte mich der Matrose erstaunt.

»Ich will zur See gehen,« antwortete ich, und bat ihn, mich doch um Gottes willen mitzunehmen.

Drüben auf dem Schiffe war der Anker bereits gelichtet, man holte die Schooten der Marssegel aus und setzte die Klüver, während das Fahrzeug mit der Ebbströmung den Fluß hinuntertrieb.

Dem Matrosen blieb keine Zeit zu langen Verhandlungen mit mir; er mußte sich beeilen, um noch an Bord zu kommen.

»Setz dich hin, Junge,« sagte er zu mir. »So viel ich weiß, will der Schiffer einen Kajütsjungen haben, vielleicht kommst du ihm grade recht.«

Wir erreichten das Schiff und ich kletterte die Fallreepsleiter empor.

»Wer bist du,« fuhr der Kapitän mich an.

Ich nannte meinen Namen und teilte ihm mit, daß ich zur See gehen wollte.

»Dazu bist du zu klein und zu jung,« entgegnete der Schiffer.

»Nein, das bin ich nicht,« antwortete ich keck.

»Getraust du dich denn nach oben zu gehen?« fragte der Schiffer, die Wanten hinauf deutend.

Statt aller Antwort kletterte ich auf die Reeling, sprang wie eine Katze die Webeleinen hinauf und machte nicht eher Halt, bis ich auf der Bramraa saß.

»Der Junge wird,« sagte der Schiffer zu den umstehenden Matrosen, als ich wieder an Deck herabgekommen war. »Du kannst an Bord bleiben, da ich aber bereits auf der Fahrt bin und unmöglich noch einmal nach Hamburg zurückkehren kann, so sollst du in London vor dem deutschen Konsul bei mir anmustern. Wo ist deine Kappe?«

»Die habe ich zu Hause gelassen.«

»Na, das schadet nichts, ich habe da noch eine überflüssige rote Nachtmütze, die thut's auch,« sagte der Schiffer; damit ging er in die Kajüte hinunter, brachte die rote Nachtmütze herauf und zog sie mir über die Ohren.

So war ich denn ein Seemann geworden. Das Schiff, eine Bark, die mit Speckseiten nach London ging, hatte bald Kuxhafen hinter sich gelassen, und nun sah ich mich auf dem weiten Ocean, der fortan meine Heimat sein sollte.

Es stellte sich bald heraus, daß der Schiffer ein roher und brutaler Mensch war, und als ich während der Nacht, auf einem alten feuchten Segel liegend, meine Lage überdachte, da wollte es mich fast reuen, diesen unüberlegten Schritt gethan zu haben; bitterlich weinen aber mußte ich, als ich mir vorstellte, wie die Mutter mich suchen und wie sie sich grämen würde, wenn ich nicht wiederkam.

Aber das war nun zu spät. Oft noch in späteren Jahren habe ich mir gesagt, daß alles Unglück und alle Not, die über mich kamen, wohl die Strafen gewesen sind, die Gott über mich verhängte, weil ich meiner Mutter so grausame Schmerzen verursacht hatte. Ich war ja ihr einziges Kind, sie hatte auf der ganzen weiten Welt niemand als mich, und gerade ich mußte ihr das Herz brechen, als Lohn für ihre unendliche Liebe und Güte. Möge der Herrgott im Himmel mir vergeben!«

Der alte Seemann schwieg und blickte in trüben Gedanken vor sich nieder; auch die andern redeten eine lange Zeit kein Wort. Wilhelm, der neben seiner Mutter saß, legte seine Arme um ihren Hals und küßte sie.

Rüstig sah dies und nickte leise.

»So ist's recht, lieber Wilhelm,« sagte er bewegt. »Das ist mir ein Beweis dafür, daß meine Geschichte bei dir nicht verloren ist und daß du deine Mutter niemals verlassen wirst.«

Frau Sebald trocknete eine Thräne und streichelte liebevoll des Sohnes lockiges Haar.

»Für heute wollen wir's genug sein lassen,« nahm Rüstig wieder das Wort, »das Erzählen will mir nicht mehr von der Hand; das Herz wird mir zu voll, wenn ich an jenen gottlosen Jugendstreich denke. Herr Sebald, erlauben Sie, daß ich Ihnen die Bibel reiche. Ich würde Ihnen dankbar sein, wenn Sie die Stelle lesen würden, wo geschrieben steht: »Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.« Ach, Herr, welch ein Trost liegt doch in dem guten alten Buch!«

Vater Sebald las das Kapitel, sprach dann noch ein kurzes Gebet und alle gingen zur Ruhe.


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