Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel.

Wozu die Bresche im Bollwerk noch nützte. – »Ein herrliches Fleckchen Erde!« – Wie die Schiffbrüchigen Zelte bauen.

 

Eine halbe Stunde später waren Rüstig, Sebald und Wilhelm schon in voller Arbeit. Sie richteten das Hebezeug auf und schafften nicht ohne große Anstrengung die Jolle aus den Davits auf das Achterdeck. Da ihre Kräfte hierzu nicht ganz ausreichten, so mußte auch Juno mit angreifen; das gute schwarze Mädchen, das eine erstaunliche Kraft besaß, that dies mit kindlicher Freude.

Das Boot wurde umgekehrt und Rüstig begann seine Zimmerei, während Sebald den Pechtopf in der Kombüse vor dem Überkochen bewahrte. Um die Mittagszeit war das Boot ausgebessert, kalfatert, an den schwachen Stellen mit Segeltuch benagelt und mit Pech bestrichen.

»Das wird vorläufig genügen,« sagte Rüstig. »Jetzt wollen wir die Jolle nach der Stelle ziehen, wo unsere Leute die Bresche ins Bollwerk gehauen haben. Nun haben auch wir unsern Vorteil davon.«

Vorsichtig wurde die Jolle ins Wasser geschoben; sie schwamm prächtig und leckte nur sehr wenig.

»Jetzt möchte ich Ihnen einen Vorschlag machen, Herr Sebald,« nahm der Steuermann das Wort, nachdem er das kleine Fahrzeug eine Weile beobachtet hatte. »Das Wasser ist so glatt wie ein Spiegel, die Küste ist überall zugängig und kaum zweihundert Schritte von hier entfernt – ich denke, Sie und ich, wir begeben uns an Land und rekognoszieren ein wenig.«

»Einverstanden, lieber Rüstig; lassen Sie mich nur hinunterspringen und meiner Frau Bescheid sagen.«

Rüstig schaffte das Segel ins Boot, dazu eine Axt, eine Flinte und eine Leine. Inzwischen war auch Sebald wieder an Deck; beide stiegen nun ins Boot und ruderten der Küste zu.

Dieselbe war bald erreicht.

Als sie gelandet waren, stellte es sich heraus, daß sie von dem Innern der Insel gar nichts sehen konnten, da die Kokospalmenwaldung zu dicht war; dagegen gewahrten sie zu ihrer Rechten und nur eine kleine Strecke entfernt eine sandige Bucht, die nur von niederem Buschwerk umstanden war.

»Wenn mich nicht alles täuscht, dann wird das der Ort unserer ersten Niederlassung sein,« sagte Rüstig, auf den Strand bei der Bucht deutend. »Lassen Sie uns wieder ins Boot gehen und hinrudern.«

In wenigen Minuten waren sie am Ziel. Das Wasser war klar wie Krystall; sie konnten die bunten Muscheln und Korallen auf dem Grunde liegen und die Fische darüber hin und her schießen sehen.

Der Sand des Ufers reichte ungefähr vierzig Schritte landeinwärts, dann begann das Buschwerk, welches sich wiederum vierzig Schritte weit erstrecken mochte und nur vereinzelt mit Kokospalmen durchsetzt war; dann erst fing der eigentliche Wald an.

Sie sprangen ans Ufer.

»Ein herrliches Fleckchen Erde!« rief Sebald erfreut, »und wahrscheinlich noch niemals von eines Menschen Fuß betreten. Diese Kokosbäume haben Jahr für Jahr ihre Früchte getragen, sind abgestorben, um wieder neuen Bäumen Platz zu machen; so liegt dieser Ort nun vielleicht schon seit Jahrhunderten in unveränderter Gestalt, bereit, Menschenwohnungen aufzunehmen und Menschenherzen zu erfreuen.«

»Die Vorsehung ist freigebig, Herr Sebald,« sagte Rüstig, »und befriedigt unsere Bedürfnisse, wenn wir es am wenigsten erwarten. Lassen Sie uns ein wenig durch das Gehölz wandern, nehmen Sie aber aus Vorsicht die Flinte mit; wir werden zwar keine Verwendung für sie haben, da auf diesen kleinen Inseln nur selten größere Tiere zu finden sind, höchstens vielleicht einige Schweine, die von menschenfreundlichen Seefahrern hier ausgesetzt wurden. Ich befuhr einst diese Meeresteile mit einem wohlmeinenden Kapitän, der niemals an einem dieser Eilande anlegte, ohne ein paar Schweine oder ähnliches Vieh an Land zu setzen, damit sie sich dort vermehren sollten; er dachte dabei an arme Schiffbrüchige, die hier ihre Zuflucht suchen würden. Er war ein braver Mann, wie es nicht allzuviele giebt.«

Sie strichen ein wenig durch das Unterholz und machten dann Halt.

»Nun, Rüstig, was meinen Sie?« fragte Sebald.

»Ich sehe mich nach einem Platze um, wo wir unser Zelt errichten können, und ich denke, diese kleine Bodenerhebung eignet sich trefflich dazu. Wir wollen das Segel und die andern Dinge ans Ufer schaffen und dann an Bord zurückkehren; wir haben heute noch viel Fahrten zwischen dem Schiffe und der Insel zurückzulegen.«

Als sie wieder auf dem Schiffe angelangt waren, erzählte Sebald seiner Frau, was sie am Lande gesehen hatten und was nun ferner geschehen sollte. Er war mit Rüstig übereingekommen, daß zunächst Juno, Tommy und die Hunde an Land geschafft, Wilhelm und seine Mutter aber noch an Bord bleiben sollten. Während er seiner Frau dies mitteilte, hatte Rüstig das Hebezeug auseinander genommen und die beiden Spieren über Bord geworfen, nachdem er sie zuvor mit Leinen versehen hatte, um sie daran bugsieren zu können. Wenige Minuten darauf erschienen Juno und Tommy an Deck; Rüstig schaffte noch einige Gerätschaften ins Boot, darunter ein paar Spaten, und bald darauf landeten sie wieder in der sandigen Bucht.

Tommy starrte höchst verwundert um sich, äußerte aber keinen Laut, bis er die bunten Muscheln am Ufer erblickte; unter großem Freudengeschrei begann er dieselben aufzulesen. Die Hunde bellten und sprangen ausgelassen umher, überglücklich, wieder einmal festes Erdreich unter den Füßen zu haben; Juno aber zeigte lächelnd ihre weißen Zähne und sagte: »O, Massa, schönes Ort hier!«

Man schaffte das Segel, die Spieren, die Leine und die andern Dinge nach der kleinen Anhöhe, die Rüstig für die Zelte ausersehen hatte. Tommy mußte einen der Spaten tragen, um sich auch nützlich zu machen.

»Und nun wollen wir die Flinte laden.« sagte der alte Rüstig, »das wird für alle Fälle gut sein. Achten Sie aber darauf, Herr Sebald, daß sie der Tommy nicht in die Finger kriegt; der junge Herr kann nichts stehen oder liegen sehen, ohne es anzufassen. Hier sind zwei Bäume, die für unsern Zweck geeignet sind,« fuhr er fort; »wir binden eine Spiere von einem zum andern, werfen das Segel darüber, breiten es unten auseinander und der Anfang ist gemacht. Ich bringe hernach noch mehr Segeltuch vom Schiffe zu einem zweiten Zelt zwischen jenen Bäumen dort und auch zum Verschluß der offenen Seiten beider Zelte; dann haben wir eine Wohnung für Madam, Juno und die jüngeren Kinder und eine zweite für Wilhelm, Tommy, Sie und mich. Jetzt will ich Ihnen noch schnell helfen, die Spieren aufzubringen, dann arbeiten Sie allein weiter und ich mache, daß ich wieder an Bord komme.«

»Wie reichen wir aber so hoch hinauf?« fragte Sebald, an den Stämmen emporblickend.

»Das ist leicht,« antwortete Rüstig; »wir binden zunächst die eine Spiere in bequemer Höhe an, dann stellen wir uns darauf und können nun die zweite so hoch befestigen, als uns dies nötig scheint. Ich werde noch eine Spiere vom Schiffe herbeischaffen, damit wir dasselbe Manöver auch bei dem andern Zelt ausführen können.«

Man verfuhr nach diesem Plan, und als das Segel über der Spiere hing, zogen Rüstig und Sebald die herabhängenden Enden desselben auseinander und siehe da, man hatte ein sehr geräumiges Zelt.

»Jetzt muß ich wieder ins Boot,« sagte der Alte, »inzwischen können Sie aus dem Buschholz Pflöcke schneiden und damit die Zeltenden am Boden feststecken; wenn dann noch eine genügende Menge Erde rings auf den Saum geschaufelt wird, dann ist von unten jeder Luftzug, sowie auch jeder Zugang für Gewürm ausgeschlossen.«

»Das soll alles bestens ausgeführt werden,« versetzte Sebald; »Juno kann mir helfen die Leinwand straff ziehen, wenn ich soweit bin.«

»Gut,« sagte Rüstig; »inzwischen nimmt Juno einen Spaten, macht damit den Zeltboden recht glatt und eben, wirft alle die alten Kokosblätter hinaus und sieht zu, ob kein Wurmzeug darunter verborgen ist. Du aber, Tommy, verläufst dich nicht, und rührst auch nicht die Äxte an, sonst schneidest du dich und das thut weh. Noch eins, Herr Sebald: sollte etwas passieren, so daß meine Anwesenheit nötig wird, so feuern Sie die Flinte ab; ich komme dann, so schnell ich kann.«

Er warf noch einen Blick in die Runde, dann schritt er zum Ufer hinab, stieg ins Boot und ruderte nach dem Schiffe.


 << zurück weiter >>