Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel.

Kapstadt. – Tommy und der Löwe. – Ein unpassendes Wort. – Der Cyklon. – Sankt Elmsfeuer. – Vier Mann verloren.

 

Der Aufenthalt des »Pacific« im Hafen von Kapstadt dauerte nur wenige Tage; man nahm Wasser und frischen Proviant an Bord und Herr Sebald folgte einer Einladung des Kapitäns an Land, um die Sehenswürdigkeiten des Ortes kennen zu lernen. Seine beiden Söhne Wilhelm und Tommy begleiteten ihn.

Tommy hatte der Mutter versprochen, recht artig zu sein; dies Versprechen wurde ihm jedesmal abgenommen und jedesmal vergaß er dasselbe, sobald er sich ohne Aufsicht wußte.

Man besuchte zuerst einen Herrn, mit dem Kapitän Osborn bekannt war; hier gab es Limonade zu trinken, denn der Tag war sehr warm. Darauf wurde der Vorschlag gemacht, den Garten der Kompanie zu besuchen und die daselbst befindlichen wilden Tiere zu besichtigen; das hörten die Knaben gern, besonders Tommy, der vor Freude in die Hände klatschte.

»Der Garten der Kompanie, ist das nicht ein seltsamer Name?« sagte Wilhelm zum Vater.

»Dieser Name stammt noch aus der Zeit, wo die Kapkolonie in den Händen der Holländer war,« antwortete dieser. »Der Garten wurde von der holländisch-ostindischen Kompagnie angelegt und diente anfänglich nur botanischen Zwecken; die Engländer aber haben gleichzeitig einen zoologischen Garten aus ihm gemacht.«

»Was für Tiere giebt es dort zu sehen?« fragte Tommy.

»Löwen, mein Junge,« antwortete der Schiffer. »Eine Menge Löwen, beisammen in einem Käfig.«

»Ei! Löwen sehe ich gerne!« rief der Kleine.

»Du darfst aber nicht zu nahe heran gehen, hörst du?«

»Nein, das thu' ich nicht,« versicherte Tommy.

Man befand sich noch gar nicht lange im Garten, da rannte er davon, um möglichst schnell zu den Löwen zu kommen; Kapitän Osborn aber erwischte ihn wieder und nahm ihn fest an die Hand.

Nachdem man allerlei seltsame Tiere betrachtet hatte, kam man endlich in die Nähe des Löwenzwingers. Derselbe war ein höhlenartiges, steinernes Bauwerk, das nur eine große, stark vergitterte Fensteröffnung hatte, die bis fast auf den Erdboden reichte. Die Eisenstangen des Gitters standen so weit voneinander, daß die Löwen mit den Tatzen hindurch langen konnten, weshalb es geraten war, in gehöriger Entfernung zu bleiben. Es gewährte einen eigenartig schönen Anblick, die königlichen Tiere, deren acht oder zehn vorhanden waren, in verschiedenen Stellungen in dem Zwinger liegen zu sehen, wie sie sich von der Sonne bescheinen ließen und, der Zuschauer nicht achtend, nur ab und zu lässig die Schweife bewegten.

Wilhelm betrachtete sie von weitem, dasselbe that Tommy, der sich anfänglich fürchtete und Mund und Augen vor Erstaunen aufsperrte; nach und nach aber wurde er mutiger. Der kapstädtische Herr wußte allerlei Anekdoten von den Löwen zu erzählen, denen der Kapitän, Vater Sebald und Wilhelm mit Interesse lauschten.

Als Tommy sich unbeobachtet sah, ging er näher an das Gitter heran; er hätte gar zu gern gesehen, daß die Löwen aufständen. Ganz nahe am Gitter lag ein prächtiger junger Löwe von etwa drei Jahren; Tommy nahm einen Stein auf und warf ihn damit. Der Löwe richtete sein funkelndes Auge auf den Jungen, regte sich aber nicht. Tommys Mut wuchs, er warf den zweiten Stein nach dem Tiere, auch den dritten, und jedesmal ging er näher heran.

Plötzlich stieß der Löwe ein furchtbares Gebrüll aus und sprang mit so gewaltiger Kraft gegen die eisernen Stangen, daß dieselben hätten brechen müssen, wenn sie nicht so sehr stark gewesen wären; die Erschütterung war eine so große, daß Mörtelstücke aus dem oberen Mauerwerk herabfielen.

Tommy schrie gellend auf und stolperte rücklings zur Erde. Das war seine Rettung, denn sonst hätten die Pranken des wütenden Löwen ihn erreicht. Kapitän Osborn und Herr Sebald eilten erschrocken herbei und rissen den Jungen fort, der nun aus vollem Halse zu heulen anfing; der Löwe aber stand am Gitter, peitschte die Eisenstangen mit dem Schweif und zeigte sein fürchterliches Gebiß.

»Ich will fort!« schrie Tommy. »Ich will nach Hause! Ich will auf das Schiff!«

»Was hattest du dem Löwen gethan, Tommy?« fragte der Kapitän.

»Ich will ganz gewiß nicht mehr werfen, Herr Löwe!« rief der Junge in Todesangst, »ganz gewiß und wahrhaftig nicht!«

Dabei warf er einen Blick des Entsetzens auf das grimmige Tier.

Der Vater schalt ihn tüchtig aus und die Gesellschaft ging weiter; es währte eine ganze Zeit, ehe Tommy sich wieder beruhigte, fortan aber blieb er vor jedem Tier in respektvollster Entfernung stehen, sogar an das harmlose Kapschaf mit dem breiten Fettschwanz wäre er nicht heran gegangen, und hätte man ihm die Welt geboten. –

Am folgenden Morgen lichtete der »Pacific« wieder den Anker und rauschte unter allen Segeln nach Osten, in den Indischen Ocean hinein. –

Eine lange Zeit hielt der günstige Wind an, dann aber versagte er gänzlich und eine Windstille folgte, während welcher der ganze weite Ocean in tiefem Schlummer zu liegen schien. Es war, als sei alles Leben erstorben, ab und zu nur zeigten sich große, weiße Vögel, langsam in der stillen Luft daherschwebend und sich in einiger Entfernung vom Heck auf das Wasser niederlassend; hier schwammen sie dann hin und her und pickten begierig die Brocken auf, welche die Schiffsgesellschaft ihnen über die Reeling zuwarf.

»Was ist das für ein großer Vogel, Papa Rüstig?« fragte Wilhelm, als er zum erstenmal einen dieser stolzen Segler der Lüfte zu Gesicht bekam.

»Das ist ein Albatroß,« belehrte ihn der Alte, »der größte Seevogel, den wir haben. Seine Flügel sind sehr lang, sie haben oft eine Spannweite von vierzehn Fuß und darüber. Viele Leute glauben, daß sie mit ausgebreiteten Flügeln in der Luft schlafen können; das aber ist meiner Ansicht nach ein Unsinn; wenn sie schlafen wollen, werden sie sich wohl auf das Wasser herablassen.«

»Vater,« wendete Wilhelm sich jetzt an Herrn Sebald, »wie kommt es wohl, daß einige Vögel schwimmen können und andere nicht? Erinnerst du dich noch, wie Tommy daheim des Nachbars Hühner in den Teich trieb, wie sie darin herumflatterten und ganz naß wurden, und wie endlich gar einige ertranken? Wie geht es nur zu, daß ein Schwimmvogel so lange auf dem Wasser bleiben kann, ohne daß er naß wird?«

»Die Schwimmvögel sind mit einem flüssigen Fett oder Öl ausgestattet, mit welchem sie ihre Federn salben, so daß dieselben kein Wasser annehmen können. Hast du noch nicht bemerkt, wie die Enten sich zu putzen pflegen? Nun, wenn sie dies thun, dann sind sie eifrig beschäftigt, ihr Federkleid wasserdicht zu machen.«

»Wie komisch!« rief der Knabe aus.

»Dieses Wort ist ganz und gar nicht am Platze, Wilhelm, wenn von der weisen Fürsorge des Schöpfers die Rede ist, der für das Wohl auch der geringsten seiner Geschöpfe väterlich bedacht ist. Wie wunderbar – das ist hier der rechte Ausdruck.«

»Wahr geredet, Herr Sebald,« bemerkte der alte Rüstig; »Sie dürfen dem Knaben aber das unpassende Wort nicht gar zu übel nehmen, denn ich habe oft genug gehört, wie auch Erwachsene dasselbe bei jeder Gelegenheit anwendeten.«

»Die wußten es vielleicht nicht besser, Rüstig.«

»Mag sein, und Wilhelm muß dankbar sein dafür, daß er einen Vater hat, von dem er so gute Lehren erhält. Da aber kommt Juno, um zu melden, daß das Abendbrot bereit ist.«

Am dritten Tage der Windstille sank das Barometer so erheblich, daß der Kapitän die Überzeugung gewann, es sei ein neues Unwetter im Anzuge; er ließ daher alle Vorkehrungen treffen, um für dasselbe bereit zu sein. Gegen Mitternacht zogen ungeheure, schwarze Wolkenmassen herauf, auch begannen hier und da Blitze zu zucken; immer unheimlicher ballten sich die Wolken zusammen, dann kam der Wind, aber vorerst nur in einzelnen Stößen, um darauf anscheinend wieder einzuschlafen.

Der Kapitän, der das Anwachsen der Wolkenmassen und die immer häufiger werdenden Blitze besorgt beobachtet hatte, ging jetzt an Rüstig heran, der am Kompaßhäuschen stand.

»Was meinen Sie, alter Freund,« sagte er, »von wo haben wir die Brise zu erwarten?«

»Der Wind wird nicht lange eine Richtung behalten, fürchte ich; wenn ich nicht sehr irre, dann kriegen wir einen Cyklon, der zuerst wohl aus Norden, dann aber aus einem andern Loche wehen wird.«

»Einen Cyklon!« wiederholte der Schiffer erschrocken, von neuem seine Blicke auf die drohenden Wolkenberge richtend; und da auch der erste Steuermann Rüstigs Ansicht teilte, so befahl er, die bereits festgemachten Segel noch mit besonderen Leinen zu umwickeln, die Lukendeckel sorgfältig zu untersuchen und alle an Deck befindlichen Gegenstände, wie Wasserfässer, Spieren und Anker, auch die Hühner- und Schweineställe, doppelt zu befestigen.

Die Mannschaft arbeitete mit Schnelligkeit und Eifer; man hatte auch keine Zeit zu verlieren. Kaum waren diese Arbeiten beendet, da brach auch schon ein heulender Nordoststurm über das Schiff herein. Die bisher so ruhige See erhob sich in wenigen Augenblicken in wildem Tumult; die dicht gerefften Marssegel wurden eins nach dem andern weggenommen und mit Extraleinen festgemacht, und als der Morgen über der tosenden Wasserwüste zu grauen begann, da jagte der Pacific nur unter Sturmstagsegel und gereffter Fock, trotzdem aber mit rasender Schnelligkeit durch die Fluten dahin.

Der Schiffer hatte drei Mann ans Ruder geschickt, aber kaum gelang es deren vereinter Kraft, das Rad festzuhalten, so gewaltig schlugen die Seen gegen des Schiffes Hinterteil und damit auch gegen das am Achtersteven befindliche Ruder. Der Sturm raste so wild, daß keiner von den Mannschaften, welche gegenwärtig wachfrei waren, daran dachte, in die Koje zu gehen. Gegen drei Uhr morgens hörte wie auf einen Zauberschlag der Wind urplötzlich auf; desto unbändiger aber erhob sich jetzt die von seinem Druck befreite See. Das Schiff wurde so heftig hin und her geworfen, daß alle Mann sich um Leib und Leben festklammern mußten, um nicht zu stürzen und sich die Gliedmaßen zu brechen. Diese unnatürliche Windstille aber dauerte nur wenige Minuten, dann brach mit einem überirdischen Gekreisch der Sturm von neuem über das Schiff her, diesmal aber aus entgegengesetzter Richtung und mit solcher Heftigkeit, daß die Fock in Fetzen riß, die noch eine kurze Zeit im Winde knatterten und peitschten, dann aber leewärts davonflogen. Dazu war es wieder rabenschwarze Nacht geworden; die einzige Helligkeit, die das Auge gewahrte, ging von dem kochenden Wogenschaum aus, der das Schiff rings umzischte.

Es wehte jetzt aus Westen, da die Wogen aber noch ihre anfängliche Richtung behielten, so entstand durch des Windes Gegendruck eine sogenannte Kreuzsee, die das Schiff dermaßen zusammenrüttelte und mit Wasserfluten überschüttete, daß es jeden Augenblick schien, als wäre es nun mit ihm vorbei.

Ein Matrose wurde über Bord gerissen und verschwand in der Tiefe; jeder Versuch, ihm zu Hilfe zu kommen, wäre vergeblich gewesen.

Der Schiffer stand an der Luvreeling und hielt sich an einer Pardune fest. Nicht weit von ihm stand der Obersteuermann.

»Wie lange meinen Sie, daß dies dauern wird?« schrie er letzterem ins Ohr, um sich verständlich zu machen.

»Länger als das Schiff es aushalten kann!« schrie Rickmers zurück.

»Das wolle Gott verhüten! Es sieht allerdings bös genug aus. Wie denken Sie, Rüstig?«

»Ich denke, daß wir gegenwärtig mehr von oben als von unten zu fürchten haben,« antwortete der zweite Steuermann, ebenfalls mit aller Kraft seiner Lungen schreiend.

Damit deutete er empor nach der Großraa, auf deren Nock sich ein kleines helles Lichtlein zeigte, das geisterhaft durch die Finsternis leuchtete.

Es war ein Sankt-Elmsfeuer, eine jener elektrischen Lufterscheinungen, die man bei solchen Gewitterstürmen zuweilen auf See beobachten kann.

Noch ehe jedoch der Kapitän Zeit hatte, dem Winke Rüstigs zu folgen, brach ein Feuerstrom so jäh und grell aus den Wolkenmassen hervor, daß die Seeleute geblendet die Augen schließen mußten; zugleich ließ ein fürchterlich rollender Donnerschlag das Schiff in allen Fugen erbeben. Dann geschah ein Krach, es erhob sich ein kurzes, wildes Geschrei, und als die drei Männer wieder zu sehen vermochten, da lag der Fockmast zersplittert und brennend über der Seite. Die Männer am Ruder, vom Blitze geblendet und von Schrecken erstarrt, ließen das Rad fahren, das Schiff warf sich steuerlos quer in die See, und im nächsten Moment stürzte auch der Großmast über Bord.

Eine wilde Verwirrung herrschte an Deck. Zum Glück hatten die Sprühwellen den Brand des Fockmastes bald gelöscht, sonst wäre alles verloren gewesen; allein das Schiff war jetzt hilflos den tobenden Wogen überlassen, welche die im Wasser treibenden und noch mit dem Takelwerk festhängenden Masten so heftig gegen seine Seiten stießen, daß jeden Augenblick ein Brechen der Planken zu befürchten war. Sobald daher Rüstig und der Obersteuermann wieder einigermaßen um sich blicken konnten, holten sie Äxte herbei und begannen das Takelwerk zu kappen, um das Schiff von seinen gefährlichen Anhängseln zu befreien. Während dieser Arbeit stürzte auch der Kreuzmast, so daß nur noch der Stumpf des Fockmastes stehen blieb. Da derselbe genügte, um das Schiff vor dem Winde zu halten, so wurden aufs neue zwei Männer ans Ruder geschickt, während alle übrigen die Aufräumungsarbeiten so schnell betrieben, als dies bei dem Orkan und den über das Deck herstürzenden Wassermassen möglich war.

Als der Schiffer und die beiden Steuerleute endlich Zeit gewannen, Erkundigungen einzuziehen, da stellte es sich heraus, daß vier Leute fehlten. Dieselben waren teils vom Blitz erschlagen, teils durch die fallenden Masten getötet und dann über Bord gespült worden, so daß außer dem Schiffer und den Steuerleuten nur noch acht Mann von der Besatzung übrig waren.


 << zurück weiter >>