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Neunundvierzigstes Kapitel.

Neue Bootsfahrten. – Der Brief.

 

Als Tommy am folgenden Morgen im Freien erschien, gewährte sein Gesicht einen kläglichen Anblick. Seine Wange und die Lippen waren geschwollen und blau und der Verlust der beiden Vorderzähne machte ihn auch nicht hübscher; zum Glück waren es noch die ersten Zähne, sonst wäre der Schaden ernster gewesen.

Beim Frühstück schaute er sehr melancholisch drein. Kurz zuvor aber hatte er der schwarzen Juno gegenüber bereits wieder seine ganze Keckheit entfaltet, indem er ihr erzählte, daß er das Schwein erlegt habe und daß er, sobald es aufgegessen wäre, sofort hingehen und ein anderes schießen würde.

Es wurden allerlei delikate Stückchen von dem frischen Fleisch aufgetragen, deren Duft unsern Tommy sehr lüstern machte; als aber der Vater ihm noch einmal mit strengen Worten sein Unrecht vorhielt und ihm ankündigte, daß er von dem ganzen Schwein nicht einen Mund voll erhalten werde, da fing er an so laut zu brüllen, daß man ihn eine Strecke weit fortschicken mußte, bis er wieder ruhig geworden war.

Nach dem Frühstück erklärte Rüstig, daß er mit Wilhelm ins Boot gehen und mit dem Transport der Güter nach dem Vorratshause beginnen werde, da man keinen Tag verlieren dürfe. Juno hatte auf seine Bitte ein großes Stück Schweinefleisch als Proviant gebraten und auch ein Stück Pökelfleisch abgekocht, so daß kein Grund zu weiterem Aufenthalt vorlag. Während ihrer Abwesenheit wollte Vater Sebald den Graben um die Jamplantage nach Kräften weiterführen.

»Wie lange wollen Sie mit meinem Wilhelm fortbleiben, Freund Rüstig?« fragte Frau Sebald.

»Heute ist Mittwoch, Madam, am Sonnabend Abend sind wir wieder hier.«

»So lange!« sagte die Mutter betrübt. »Und wenn ich denken muß, daß du einen so großen Teil dieser Zeit auf dem Wasser zubringen wirst, Wilhelm, dann werde ich nicht eher wieder Ruhe haben, als bis ich dich wiedersehe.«

»Dann werde ich dir jeden Tag einen Brief schreiben, damit du weißt, wie ich mich befinde,« scherzte der Knabe.

»O, Wilhelm, du darfst dich nicht über mich lustig machen! Ich wollte wirklich, es gäbe hier eine Post und ich könnte dir schreiben, wann ich wollte.«

Rüstig und Wilhelm beendeten eilig ihre Vorbereitungen; sie nahmen diesmal ihre Schlafdecken mit, auch einen Kochtopf, und als alles beisammen war, verabschiedeten sie sich von dem Vater und der Mutter. Juno half ihnen ihr Gepäck ins Boot tragen. Sie wollten zunächst nach der Bucht am Wohnhause rudern, dort das Gepäck ausladen und sich von dort nach der Strandungsbucht auf den Weg machen. Als sie einstiegen, nahm Wilhelm den Hund Remus mit ins Boot.

»Was soll der Hund, Wilhelm?« fragte der Steuermann. »Der hilft hier die Schweine von den Yams abhalten, uns aber kann er nichts nützen.«

»Vielleicht doch, Papa Rüstig; ich habe eine Idee, und ich bitte Sie, mir nicht entgegen zu sein.«

»Das wird niemals geschehen mein lieber Junge; wenn du den Hund mitzunehmen wünschest, so ist mir das auch recht. Ade, Juno.«

»Ade, Massa Rüstig! Ade, Massa Willy!« rief die Negerin freundlich. »Kommen zurück Sonnabend, bringen mit viel Fisch!«

»Eine Schildkröte werden wir dir mitbringen, Juno, die kommen nun bald wieder aufs Land, dann können wir aufs neue einige Dutzend umkehren.«

Sie setzten das Segel, und da der Wind gut war, hatten sie in kurzer Zeit die Wohnhausbucht erreicht. Sie trugen ihr Gepäck und ihren Proviant in das Haus und schlossen dann die Thür desselben; hierauf riefen sie die Hühner, streuten ihnen von dem verdorbenen Reis hin, den Rüstig mitgebracht hatte, und gewahrten zu ihrer großen Freude, daß das Völkchen sich um vierzig Kücken vermehrt hatte, von denen einige bereits so groß waren, daß man sie schlachten konnte. Gegenwärtig fehlte es jedoch nicht an frischer Kost, und so hatte man im Familienrate beschlossen, die Hühner vorläufig sämtlich leben zu lassen, da die Eier derselben auch noch wertvoller waren, als ihr Fleisch.

Auf der Fahrt nach der Strandungsbucht mußten sie rudern, weil sie den Wind gegen sich hatten; Rüstig war damit sehr zufrieden; hatte man doch nun die Gewißheit, später mit dem schwer beladenen Boote zurück segeln zu können.

In der kleinen sandigen Bucht angelangt, gingen sie sogleich ans Werk; die Nägel, das übrige Eisenzeug und die Gerätstücke, die Rüstig von dem Wrack ans Land geschafft hatte, bildeten den Hauptteil der ersten Ladung, die durch ein Faß Mehl, eine Kiste Lichte und einige Stücke Segeltuch vervollständigt wurde; dann rief man Remus, der sich im Sande gewälzt hatte, stieß vom Strande ab, hißte das Segel und hatte schon nach einer Stunde die Durchfahrt am Riff und die Wohnhausbucht erreicht.

»Ich bin froh, daß wir diese Ladung glücklich hergebracht haben,« sagte der Alte, der auf den Strand gesprungen war und das Boot näher heranzog. »Sie enthält so ziemlich das Wertvollste von unserm ganzen Besitz. Jetzt wollen wir sie ins Haus schaffen und dann ist's Feierabend. Morgen machen wir zwei Fahrten; meinst du, daß wir die schaffen?«

»Warum nicht, Papa Rüstig, wenn wir nur früh genug anfangen.«

Sie schleppten eine Weile fleißig und unermüdlich, dann schlug Wilhelm vor, ein wenig auszuruhen und etwas zu essen.

Als Wilhelm während der Mahlzeit dem Hunde die Knochen gab, fragte der Steuermann: »Was war das für eine Idee, die dich veranlaßte, den Remus mitzunehmen?«

»Das will ich Ihnen sagen, Papa Rüstig; ich habe die Absicht, an Mama einen Brief zu schreiben, den der Hund bestellen soll; ein Stück Papier und einen Bleistift habe ich mitgebracht, jetzt kommt es darauf an, ob der Hund nach Hause geht, wenn ihm dies befohlen wird.«

Er holte sein Papier hervor und schrieb darauf folgende Worte:

Liebe Mama!

Wir sind soeben mit der ersten Ladung angekommen und befinden uns wohl.

Dein treuer Sohn Wilhelm.

Er band das Papier mit einem Endchen Segelgarn am Halse des Hundes fest, ging mit ihm zum Hause hinaus und sagte: »Paß auf, Remus! Geh nach Hause – nach Hause, hörst du? Marsch fort, nach Hause!« Das Tier schaute seinen jungen Herrn fragend an; es hatte augenscheinlich noch nicht verstanden, was man von ihm verlangte; als Wilhelm aber einen Stein aufhob und that, als wolle er den Hund damit werfen, da rannte dieser eine Strecke weit fort, blieb aber bald wieder stehen und sah sich um.

»Nach Hause! Marsch nach Hause!« rief Wilhelm und erhob abermals den Stein. Da eilte der Hund schnurstracks davon und war bald verschwunden.

»Fort ist er jetzt,« sagte Wilhelm; »ich will nur hoffen, daß er nach Hause läuft.«

»Das werden wir ja sehen,« antwortete Rüstig; »jetzt wollen wir die übrigen Sachen ins Vorratshaus schaffen. Die schlimmste Arbeit liegt noch vor uns, denn die Fässer und Säcke mit den Nägeln sind sehr schwer.«

»Was wir nicht schleppen können, das rollen wir, und was wir nicht rollen können, das schleppen oder schleifen wir, Papa Rüstig,« lachte Wilhelm; »geschafft wird's jedenfalls.«

»Bravo, mein Junge,« sagte der Alte, den lockigen Kopf des Knaben streichelnd, »mit dir zu arbeiten ist eine Lust. Wir haben noch drei bis vier Stunden Tageslicht, also noch hinreichend Zeit, alles zu bewältigen.«


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