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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Wie Wilhelm auf den Fischfang ging. – Auf dem Bauplatz.

 

An diesem Abend saß der alte Rüstig noch einige Stunden auf und verfertigte beim Schein einer Kerze und in Wilhelms Gesellschaft Fischleinen. Endlich waren zwei fertig gestellt, mit Haken versehen und mit Bleistückchen beschwert.

»Was wollen wir als Köder nehmen?« fragte der Knabe.

»Am besten eignet sich dazu das Fleisch der Muscheln, die überall am Strande liegen; ein Stück Schweinefett ist aber, denke ich, ebenso gut.«

»Und wo sollen wir angeln?«

»Der beste Platz ist die äußerste Spitze der Landzunge in der Nähe der Durchfahrt; das Wasser ist dort tief bis dicht an den Strand heran.«

»Ich weiß schon, Papa Rüstig,« entgegnete der Knabe, »wo immer die vielen Vögel sitzen. Ob diese Möwen wohl gut zu essen wären?«

»Nein, mein Junge, das Gesindel ist sehr zähe und schmeckt fischig; im Fall der Not müßte man jedoch damit vorlieb nehmen.«

Der alte Mann warf das Angelgerät zur Seite und gähnte und streckte sich.

»Ich bin sehr müde,« sagte er. »Unser Acker ist bestellt, morgen früh können wir alle ins Holz gehen. Dein Vater und ich arbeiten mit der Axt; ihr beide, du und Juno, fahrt die Stämme an den Platz, wo das Haus gebaut werden soll. Ich werde dir noch zeigen, wie dieselben unter der Achse aufgehängt werden. Jetzt aber wollen wir schlafen gehen.«

Bald war Rüstig eingeschlummert, Wilhelms Sinn aber war noch auf etwas anderes gerichtet; er wußte, daß ein Fischgericht seiner Mutter eine große Freude sein würde, und so beschloß er, sein Glück mit den neuen Angelschnüren zu versuchen.

Der Mond schien hell; er wartete noch eine kleine Weile, um sicher zu sein, daß alles fest schlief, dann schlich er sich mit einer der Leinen zum Zelt hinaus und eilte hinunter an den Strand.

Hier suchte er einige Muscheln, zerbrach dieselben zwischen zwei Steinen, nahm das Muscheltier heraus und befestigte es als Köder an seinem Haken. So ausgerüstet lief er hinaus bis an die Spitze der Landzunge.

Die Nacht war wunderschön; der Ocean breitete sich vor ihm aus wie eine Fläche von dunklem Glase, in das die Mondstrahlen tief hinein leuchteten.

Er warf seine Leine aus; sobald die Bleibeschwerung an derselben den Grund berührte, zog er die Schnur etwa einen Fuß weit wieder aufwärts, wie Rüstig ihn belehrt hatte. Es verging kaum eine Minute, da wurde so heftig an der Leine gerissen, daß er bei einem Haar ins Wasser gestürzt wäre; der Fisch, der am Haken saß, war so stark, daß die Schnur dem Knaben durch die Hand glitt und ihm die Haut zerriß; dennoch gelang es ihm endlich, sich der Beute zu versichern, und seine Freude war groß, als er einen prächtigen, silberglänzenden Fisch von etwa zehn Pfund Gewicht vor sich auf dem Trockenen sah.

Er schleppte denselben landeinwärts, damit er sich nicht wieder ins Wasser schnellen konnte, dann versah er den Haken mit frischem Köder und warf die Leine noch einmal aus.

In noch kürzerer Zeit als zuvor saß wieder ein Fisch am Haken; jetzt war Wilhelm vorsichtiger; er gab dem Fisch soviel Leine, als derselbe haben wollte und wartete ruhig, bis er sich müde gearbeitet hatte, dann zog er ihn heraus. Derselbe war noch größer als der erste.

Zufrieden mit seinem Erfolge wickelte er seine Leine auf, zog ein Stück Schnur durch die Kiemen der Fische, schleppte sie nach den Zelten und hing sie so hoch an einem Pfosten auf, daß die Hunde sie nicht erreichen konnten; dann ging er leise hinein und streckte sich auf sein Lager.

Am nächsten Morgen war er der erste auf den Beinen und zeigte das Ergebnis seiner nächtlichen Fischerei nicht ohne Stolz.

Der alte Rüstig aber schüttelte unzufrieden den Kopf.

»Du hast unrecht und voreilig gehandelt,« sagte er, »das hätte ich von dir nicht erwartet. Warum sagtest du mir nicht, daß du mit aller Gewalt angeln wolltest, dann wäre ich mit dir gegangen. Du erzähltest soeben, der Fisch hätte dich beinahe ins Wasser gezogen; wenn dies nun wirklich geschehen wäre, was dann? Die Felsen sind dort so steil, daß du schwerlich wieder heraus gekonnt hättest, auch wimmelt das Wasser von Haien, wie du sehr wohl weißt. Denk' nur an den Jammer, in den du deinen Vater und mich durch deinen Tod versetzt hättest; von der Verzweiflung deiner guten Mutter will ich gar nicht reden.«

Wilhelm blickte sehr ernst und beschämt drein.

»Sie haben recht, Papa Rüstig,« sagte er dann, »ich hatte mir die Sache nicht überlegt; ich wollte aber so gern der Mutter eine angenehme Überraschung bereiten.«

»Der Grund ist allerdings beinahe hinreichend, dir volle Verzeihung zu sichern, mein lieber Junge,« entgegnete der Alte, »dennoch darfst du so etwas nie wieder thun. Vergiß nicht, daß ich jederzeit bereit bin, mit dir zu gehen, wohin du willst. Jetzt aber genug davon; niemand soll erfahren, daß du in Gefahr geschwebt hast, du aber darfst einem alten Mann nicht übel nehmen, daß er dich ein wenig ausgescholten hat.«

Willy ergriff des Steuermanns Hand und drückte sie herzlich.

»Ich bin Ihnen dankbar, Papa Rüstig,« sagte er, »denn Sie schalten nur, weil Sie mich lieb haben. Ich hatte keine Ahnung davon, daß das Angeln so gefährlich sei.«

»Still,« sagte der Alte, »dort kommt deine Mutter aus dem Zelt. Guten Morgen, Madam, da, schauen Sie her, was Wilhelm gestern abend noch für Sie gethan hat. Schöne Fische, und von herrlichem Wohlgeschmack, das kann ich Ihnen versichern.«

»Das ist ja prächtig!« rief Frau Sebald erfreut. »Tommy, komm her, du wolltest ja wohl Bratfisch haben?«

»Ja!« rief Tommy, eilfertig herbeieilend.

»Dann sieh einmal, was hier am Pfosten hängt.«

Tommy staunte die Fische an, dann klatschte er in die Hände und sprang fröhlich umher.

Nach dem Frühstück begab sich die Schar der Arbeiter ins Gehölz; man nahm die Wagenräder mit und auch einige starke Tauenden. Sebald und Rüstig schlugen die Bäume nieder und hingen sie mit dem stärksten Ende unter der Achse auf und Juno und Wilhelm zogen sie bis zum Bauplatz.

Es war eine harte Arbeit und alle waren froh, als die Mittagszeit da war. Die Fische schmeckten herrlich und Tommy aß so unersättlich, daß man sich endlich gezwungen sah, ihn von der Tafel auszuschließen.

Trotz aller Müdigkeit machten sich Rüstig und Wilhelm am Abend wieder auf den Weg zum Strande und es gelang ihnen, noch acht Schildkröten umzukehren.

Die Woche verging unter den Arbeiten im Walde, und am Sonnabend erklärte Rüstig, daß man nun Bauholz genug habe.

Der Sonntag war der beschaulichen Ruhe und Erholung gewidmet. Am Montag Abend fing man wiederum neun Schildkröten und angelte drei große Fische und am Dienstag Morgen nahm man den Bau des Hauses in Angriff.


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