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Zehntes Kapitel.

Der erste Morgen auf der Insel. – Die Frühstücksfrage. – Wieder an Bord. – »Viel Fisch hier, Massa.«

 

Am nächsten Morgen war Vater Sebald zuerst auf den Beinen. Er trat aus dem Zelt und schaute sich um. Der Himmel war klar und heiter. Eine leichte Brise kräuselte den Wasserspiegel und die kleinen Wellchen rollten plätschernd auf den weißen Sand der Bucht. Zur Linken erhob sich das Land zu kleinen Hügeln, hinter denen der Wald sich hinzog. Zur Rechten ragte eine niedere Wand von Korallenfelsen fast senkrecht aus der See und schloß sich etwa hundert Schritte weiter an das üppige Buschwerk an, das den ferneren Strand umkränzte. Vor ihm, draußen im Wasser, lag das Wrack des Pacific, wie ein großes gestrandetes Seeungeheuer, und bildete den hervorragendsten Punkt der Landschaft. Wo die Sonnenstrahlen ungehindert wirken konnten, da war es bereits sehr heiß; Sebald aber stand im Schatten der Palmenkronen, die ihre gefiederten Blätter im Winde rascheln ließen, und freute sich der Morgenkühle. Die große Schönheit des Bildes erfüllte ihn mit wonnigen Empfindungen, die jedoch durch den Anblick des verunglückten Schiffes wiederum gedämpft wurden.

»Wenn ich der Welt und ihrer Unruhe überdrüssig wäre und einen lieblichen und friedevollen Schlupfwinkel suchte, so würde ich mir einen Fleck wie diesen auswählen,« sagte er zu sich selber. »Wie schön ist hier die Natur, wie ruhig und wie voll von wehmütigem Trost! Wie wunderbar und gegen alle Hoffnung sind wir gerettet worden und wie überreich hat die Vorsehung für uns gesorgt! Und dennoch wagte ich an Gottes Güte zu zweifeln; möge er mir verzeihen! Weib und Kinder sind alle bei mir, mir fehlt nichts, als einige wenige irdische Güter und die Gesellschaft der Welt – wie lange werde ich sie zu entbehren haben? Nun, auch das wird Gott am besten wissen und gern füge ich mich in seinen Willen.«

Er wendete sich zum Zelt zurück. Wilhelm, Tommy und der alte Rüstig lagen noch im festen Schlaf.

»Du lieber, du guter, du braver alter Mann!« setzte er sein Selbstgespräch fort; »wenn es mir vergönnt ist, jemals wieder in die Welt zurückzukehren, dann soll es meine erste und heiligste Pflicht sein, dir deine Liebe und Treue, deine Aufopferung und menschenfreundliche Gesinnung nach besten Kräften zu vergelten. Welch ein goldenes Herz birgt sich unter dieser rauhen, verwitterten Hülle! Hätte er uns nicht diese Ergebenheit, diese große Opferfreudigkeit entgegengebracht, wo wäre ich jetzt und alle meine hilflosen Lieben mit mir? Schlaf, guter Alter, und möge der Himmel dich segnen!«

Die Hunde, die sich ins Zelt geschlichen und neben Wilhelm und Tommy auf die Matratzen gelegt hatten, winselten und wedelten ihm freundlich entgegen. Wilhelm erwachte davon, sein Vater winkte ihm jedoch, den Steuermann nicht im Schlafe zu stören, und so zog er sich leise an und schlüpfte heraus.

Beinahe mit ihm zugleich trat auch Juno aus dem andern Zelte.

»Höre, Wilhelm,« sagte der Vater, »wir müssen nun vor allen Dingen sehen, wie wir ein Frühstück für die ganze Gesellschaft zurecht kriegen. Die trockenen Kokosblätter werden sich trefflich als Brennmaterial verwenden lassen.«

»Das schon,« versetzte der Knabe, »aber wie sollen wir Feuer anzünden? Wir haben weder Zunder noch Zündhölzer.«

»Man kann auch noch auf andere Weise Feuer machen; allerdings ist Zunder kaum entbehrlich. Die Wilden zünden sich ihre Feuer an, indem sie ein hartes und ein weiches Stück Holz so lange aneinander reiben, bis Glut entsteht. Dieses Kunststück werden wir kaum fertig bringen, fürchte ich; aber wir haben Schießpulver; wenn wir das anfeuchten und einen Lappen oder ein Stück Papier damit einreiben, dann erlangen wir einen ganz brauchbaren Zunder. Das Pulver können wir auf zwei Arten in Brand setzen, einmal mit Stahl und Stein und zweitens mit Hilfe eines Brennglases.«

»Ja, Vater, wir haben aber kein Brennglas.«

»Augenblicklich nicht; wir können eine der Linsen aus dem Teleskop als solches verwenden, das aber ist leider noch an Bord.«

»Gesetzt den Fall, Vater, wir kriegen das Feuer zum Brennen; was sollen wir aber dann darauf kochen? Wir haben weder Thee noch Kaffee.«

Der Vater kratzte sich mit einer Miene komischer Verlegenheit den Kopf.

»Aber Kartoffeln haben wir,« meinte Wilhelm beruhigend.

»Die haben wir zwar, aber hältst du es nicht auch für richtiger, Wilhelm, wenn wir mit Brot und Salzfleisch vorlieb nehmen und die Kartoffeln noch sparen? Wir könnten uns eines Tages genötigt sehen, sie auszupflanzen. Nein, einen anderen Vorschlag; laß uns an Bord rudern; du verstehst schon ganz gut mit dem Reemen umzugehen, und wir müssen uns daran gewöhnen, nach Kräften selber zuzugreifen und nicht alle Arbeit dem guten alten Rüstig zu überlassen. Freilich wird eine Zeit vergehen, ehe wir so geschickt sind, wie dieser brave Mann und auch, wie er, imstande, alle Schwierigkeiten zu überwinden. Komm, Willy.«

Sie gingen zur Bucht hinab, wo das kleine Boot sich sanft auf dem Wasser schaukelte; sie stiegen ein und schoben ab.

»Ich weiß, wo der Steward seinen Thee und Kaffee aufbewahrte,« sagte Wilhelm, während sie über die sonnige Flut hinruderten. »Mama würde sich gewiß freuen, wenn wir ihr davon vorsetzen könnten; außerdem muß ich die Ziegen melken, damit unser Kleiner seine Milch erhält.«

Obwohl keiner von beiden sonderlich taktfest im Rudern war, so hatten sie dennoch das Schiff bald erreicht; sie machten das Boot fest und kletterten an Deck.

Wilhelm begab sich zuerst in die Kajüte, um den Thee und den Kaffee zu suchen, dann überließ er seinem Vater das Aufstöbern der anderen Sachen und ging, mit einem Blechgefäß versehen, an das Melken der Ziegen. Die gewonnene Milch aber goß er in eine Flasche, um sie sicherer transportieren zu, können. Inzwischen war der Vater nicht müßig gewesen.

»Ich habe hier zwei Körbe mit allerlei Kram angefüllt,« sagte er, »der deiner Mutter willkommen sein wird. Da, schau her; was könnten wir außerdem noch mitnehmen?«

»Vor allen Dingen das Teleskop, Vater; sodann ein tüchtiges Paket Kleider, auch darüber würde Mama sich freuen; das reine Zeug liegt dort in den Schubladen, wir können alles sauber in ein Laken binden; und dann, lieber Vater, wollen wir auch einige Bücher für Mama nicht vergessen; nach ihrer Bibel sehnt sie sich gewiß auch.«

»Du bist ein guter Junge, Willy,« versetzte der Vater, dem Knaben die Wange streichelnd. »Wähle du selber alles nach deinem Ermessen aus. Ich schaffe diese Sachen ins Boot und bin dann gleich wieder hier.«

Nach kurzer Zeit hatte das Boot seine Ladung; sie machten sich auf den Rückweg. Juno wartete auf sie am Strande und half ihnen die Sachen nach den Zelten tragen.

»Nun, Juno, wie befindest du dich?« fragte ihr Herr freundlich.

Die Negerin hatte sich im Meere gewaschen und sonst auch nach Kräften schmuck gemacht.

»O, gut, Massa,« antwortete sie, ihr Elfenbeingebiß zeigend, »Juno vergnügt und glücklich.« Dann deutete sie auf das Wasser. »Viel Fisch hier, Massa.«

»Ja, wenn wir nur Fischleinen hätten,« erwiderte Sebald. »Ich denke aber, der Steuermann Rüstig wird auch hier Rat wissen. Da, Juno, trage dies Bündel Kleider und Wäsche in euer Zelt, das übrige bringen wir nach.«

»Nimm auch gleich die Milch mit, Juno, die ich für Albert mitgebracht habe.«

»Danke, Massa Willy,« nickte die Negerin erfreut, und dann eilte sie mit ihrer Last davon, dem Zelte zu, vor dem Tommy bereits in seinem Hemdchen herumhüpfte.

Sie fanden alles wach und auf den Beinen, den alten Rüstig ausgenommen, der noch immer ungestört schlief. Frau Sebald fühlte sich nach ihrem ruhigen Schlummer erfrischt und gekräftigt. Bald hatte Wilhelm nach des Vaters Anweisung ein Stück Zunder hergestellt und mit einer der Linsen aus dem Teleskop in Brand gesteckt. Der Vater ging zum Strande, um drei große Steine zu holen, die als Untersatz für den Kochtopf dienen sollten; als er zurückkam, flackerte Willys Feuer lustig empor und in einer halben Stunde war der Thee bereit.


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