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Achtundfünfzigstes Kapitel.

Vorbereitungen zum Kampfe. – Rüstig und Wilhelm beobachten die Wilden. – Hinter der Verschanzung.

 

Von dem Platze vor dem alten Hause hatte man einen weiten Ausblick über die See und konnte die herankommenden Kanus gut beobachten; Rüstig that dies jedesmal, wenn er ein neues Faß zu holen kam. Alle arbeiteten in schweigendem Eifer, sogar Frau Sebald half beim Fortrollen der Fässer oder bepackte sich mit Gegenständen, die sie tragen konnte. Nach Ablauf einer Stunde befand sich alles Wünschenswerte in Sicherheit hinter den Pallisaden und noch immer waren die Kanus der Wilden sechs bis sieben Seemeilen von der Insel entfernt.

»Es bleibt uns noch eine gute Stunde Zeit übrig,« sagte der alte Rüstig, »und wenn ihnen das Riff zu schaffen macht, dann werden sogar, ehe alle gelandet sind, zwei Stunden vergehen. Wir können also noch manches besorgen. Juno lauf und bringe den Wagen, und du, Wilhelm, hole die Harpune, wir wollen zu den Schildkröten gehen. Ihren Beistand brauche ich nicht, Herr Sebald. Sie untersuchen vielleicht inzwischen die Flintensteine und setzen die Munition zurecht.«

»Später, wenn es nötig wird, wollen Juno und ich für euch die Flinten laden, ihr könnt dann um so schneller feuern,« sagte Frau Sebald.

»Das ist eine prächtige Idee, Madam,« sagte Rüstig; »ich sehe schon, Sie werden uns von großem Nutzen sein.«

In einer halben Stunde hatten Juno und Wilhelm sechs Schildkröten in die Festung gebracht; gleich nach ihnen erschien auch Rüstig wieder.

»Ich vermisse die Ziege, Wilhelm,« sagte er, »da wir aber doch kein Futter für sie haben, so mag sie draußen bleiben. Wenn sie die Wilden kommen sieht, dann wird sie schon davonlaufen und sich in Sicherheit bringen.«

Jetzt stellten sie einige Fässer an der Innenseite des Zaunes aufrecht, legten Planken darüber und schufen so ein Gerüst, von welchem aus sie über die Pallisaden schauen und auf die Feinde feuern konnten. Frau Sebald hatte inzwischen gelernt, ein Gewehr zu laden und nun lehrte sie Juno diese Kunst.

»So,« meinte der alte Rüstig, einen prüfenden Blick in die Runde werfend, »jetzt sind wir bereit. Madam wird froh sein, nach den Kindern sehen zu können und Juno mag uns Frühstück besorgen.«

»Frühstück fertig, Massa Rüstig,« entgegnete die Negerin. »Kessel kochen lange Zeit.«

Während die Kinder angekleidet wurden, eilte Rüstig noch einmal hinaus, um die Kanus zu beobachten; Sebald aber rief ihn bald zurück und nun hielten sie ihre Morgenandacht und beteten inbrünstig um Hilfe in dieser Zeit der Not. Mit dem Frühstück hielt man sich nicht lange auf, denn keiner verspürte den rechten Hunger. Frau Sebald hielt ihre Kinder an sich gedrückt, bewahrte aber eine beinahe wunderbare Fassung.

»Diese Ungewißheit, dieses Warten und Fürchten ist schlimmer als alles,« sagte sie endlich. »Ich wollte, die Wilden wären schon da.«

Rüstig war wieder hinausgeeilt.

»Soll ich gehen und hören, was unser Freund zu berichten hat?« fragte Vater Sebald. »In drei Minuten bin ich wieder hier.«

Die Mutter nickte zustimmend; Sebald ging und kehrte bald mit der Kunde zurück, daß die Wilden allem Anschein nach Kenntnis von der Durchfahrt zwischen der Landspitze und dem Riff gehabt hatten, da sie ohne weiteres in die Bucht hereingesteuert waren. Jetzt lagen ihre Kanus mit heruntergelassenen Segeln bereits am Strande. Rüstig und Wilhelm kauerten am Waldrande im Dickicht verborgen und ließen sie nicht aus den Augen.

»Wenn die Wilden sie dort nur nicht erspähen und ihnen den Rückweg abschneiden,« sagte die Mutter mit bebender Stimme.

»Das ist nicht zu fürchten, liebe Selina; dagegen ist es unumgänglich nötig, daß die Wilden bis zum letzten Moment beobachtet werden, denn nur so können wir die Absichten derselben erfahren.«

Wilhelm und sein alter Freund verharrten unbeweglich in ihrem Versteck; schon befanden sich die Insassen von zehn der Kanus am Lande, der Rest der Flottille war teils ebenfalls schon in der Bucht, teils kamen die letzten der Kanus durch die Durchfahrt herein. Die Wilden prangten in ihrem Kriegsschmuck von Federn und kurzen Mänteln, sie hatten ihre Körper und Gesichter gräulich bemalt und aus ihrer Bewaffnung war zu schließen, daß sie sich keineswegs in friedlicher Absicht hier eingefunden hatten.

Wilhelm betrachtete die unheimliche Schar, die sich zunächst damit beschäftigte, die Kanus auf den Strand zu ziehen, durch das Fernrohr.

»Die Kerle sehen erschreckend grausam und blutdürstig aus,« sagte er zu Rüstig; »wenn die uns überwältigen, dann kommen wir nicht mit dem Leben davon.«

»Da hast du recht, mein Junge; wir müssen uns aber nicht überwältigen lassen. Unterliegen wir, so bringen sie uns um, es kann auch sein, daß sie uns hernach auffressen, was uns dann aber keinen Kummer mehr machen wird.«

Der Knabe konnte einen Schauder nicht unterdrücken.

»Ich werde mich wehren, so lange ich noch einen Arm rühren kann,« erwiderte er in entschlossenem Tone. »Aber sehen Sie doch, Papa Rüstig, da kommen sie schon herauf!«

»Ja, und zwar laufen sie schnurstracks nach dem alten Hause; jetzt ist unseres Bleibens hier nicht länger; komm schnell zurück, mein Junge.«

Sie sprangen auf und schlüpften eilig durch das dichte Unterholz der Festung zu.

»Soeben war es mir, als sähe ich noch ein Schiff draußen, in der Richtung über den Garten hinaus,« sagte der Knabe.

»Schon möglich,« entgegnete der Alte, »es wird ein Kanu sein, das während der Nacht hinter den andern zurückblieb. Komm schnell, Wilhelm; höre nur, sie fangen schon an zu heulen.«

Eine halbe Minute später schlüpften sie halb außer Atem in die Festung; sie schlossen die schwere Thür und verrammelten sie sorgfältig, während von draußen das wilde Geheul der Feinde immer lauter herübertönte.

»Die Thür ist fest,« sagte der alte Steuermann, »jetzt müssen wir uns auf Gott und auf unsere eigene Kraft verlassen.«


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