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Zwölftes Kapitel.

Wer soll mit? – Tommy am Schleifstein.

 

»Wir müssen einen Kriegsrat halten, Herr Sebald,« nahm der Steuermann Rüstig am nächsten Morgen gleich nach dem Frühstück das Wort, »und eine Entscheidung wegen der Expedition treffen, die morgen anzutreten ist. Wer soll mit von der Partie sein? Das ist die erste Frage, über die ich Ihre Ansicht hören möchte.«

»Sehr einfach, lieber Rüstig,« antwortete Sebald, »wir beide gehen, Sie und ich.«

»Ach nein, lieber Mann, nicht ihr beide,« fiel Frau Sebald bittend ein; »nicht wahr, lieber Rüstig, mein Mann ist gar nicht so nötig, wenn Sie dabei sind!«

»Herrn Sebalds Begleitung wäre mir allerdings sehr wichtig gewesen,« antwortete der Steuermann; »ich habe die Sache aber auch von der andern Seite erwogen und muß zugeben, daß Wilhelm Ihnen im Notfall keinen genügenden Schutz und Beistand gewähren kann; Sie würden sich mit ihm allein unsicher und ängstlich fühlen, was auf dasselbe herauskommt. Wenn daher Herr Sebald sonst keine Einwände hat, dann ist mein Rat, er bleibt bei Ihnen.«

»Und Sie wollten sich allein aufmachen?« fragte Sebald.

»Nein, das wäre nicht richtig, denn wer weiß, was sich ereignen kann. Die Insel sieht ja friedlich genug aus, aber wir stehen in Gottes Hand, der nach seiner Weisheit mit uns verfährt. Gern hätte ich daher einen Begleiter, es fragt sich nur, wer dies sein soll. Wilhelm oder Juno?«

»Nimm mich mit, Papa Rüstig!« rief Tommy.

»Dich, Tommy?« lachte Rüstig; »dann müßte auch Juno mit, um auf dich acht zu geben. Nein, mein Söhnchen, du kannst hier nicht entbehrt werden. Sieh, Kleiner, deine Mama braucht dich notwendig, wenn wir fort sind. Du verstehst so gut Holz fürs Feuer zu sammeln und kannst so prächtig dein Brüderchen warten, daß deine Mutter gar nicht wüßte, was sie ohne ihren kleinen Tommy anfangen sollte; darum muß ich entweder Juno oder deinen Bruder Wilhelm mitnehmen.«

»Wer von beiden wäre Ihnen lieber?« fragte Frau Sebald.

»Natürlich Wilhelm, wenn Sie mir den anvertrauen wollen, Madam; Juno können Sie auch nicht gut entbehren.«

»Ich lasse den Knaben ungern von mir,« entgegnete die Mutter; »eher möchte ich mich eine Zeitlang ohne Juno behelfen.«

»Meine liebe Frau,« nahm Sebald das Wort, »wir stehen in Gottes Hand, wie Freund Rüstig soeben sagte. Denke daran, was der Allmächtige für uns bisher gethan hat; sollte nach all diesem dein Vertrauen zu ihm wirklich noch so schwach sein, daß du Gefahren für unsern Sohn fürchtest, die außerdem sicherlich nur in deiner Einbildung existieren?«

»Verzeihe mir, lieber Mann, ich hatte unrecht; die Krankheit und die körperlichen Leiden haben mich, wie ich fürchte, nicht nur schwach und nervös, sondern auch selbstisch gemacht; ich will mich aber zusammenraffen. Bis jetzt bin ich dir nur eine Last und ein Hindernis gewesen, bald aber hoffe ich dir nützlich zu werden. Wenn du meinst, es sei besser, wenn du Rüstig begleitest, so bin ich auch damit zufrieden; es war unrecht von mir, Widerspruch zu erheben.«

»Nicht doch, Madam,« entgegnete Rüstig; »Wilhelm genügt mir vollständig. Am liebsten ginge ich ganz allein, das können Sie mir glauben; aber da man nicht weiß, was geschehen kann – ich könnte erkranken oder mich verletzen, denn ich bin ein alter Mann – so meinte ich, daß Sie den Schaden davon haben würden, wenn mir etwas zustieße. Sehen Sie, das war's; an mich selber habe ich dabei gar nicht gedacht.«

»Davon bin ich überzeugt, mein lieber Freund,« antwortete Frau Sebald; »eine Mutter aber ist in ihrer Furcht zuweilen thöricht.«

»Überängstlich vielleicht, Madam, aber nicht thöricht,« antwortete Rüstig.

»Gut also, es ist beschlossen; Wilhelm geht mit Ihnen,« sagte Sebald; »was liegt nun weiter vor?«

»Wir müssen uns zur Reise vorbereiten. Wir nehmen etwas Proviant und Wasser mit, sodann eine Flinte nebst Munition, eine Axt für mich und ein Beil für Wilhelm; auch wäre es gut, wenn Sie uns Romulus und Remus mitgäben, Fix kann hier bleiben. Juno kocht uns ein paar Stücke Fleisch, Wilhelm füllt vier Quartflaschen mit Wasser, und ich nähe für jeden von uns einen Ranzen aus Segeltuch.«

»Und welche Arbeit bleibt mir?« fragte Vater Sebald.

»Sie können die Axt und das Beil auf dem Schleifstein schärfen; Tommy wird denselben drehen, er arbeitet ja so gern und ist auch solch ein starker kleiner Mann.«

Tommy kam sofort diensteifrig herbei; seine Kräfte reichten zu der erwähnten Arbeit wohl aus, und wenn er auch sonst lieber spielte, als sich nützlich bethätigte, so fühlte er sich doch durch Rüstigs Lob so angefeuert, daß er nun auch beweisen wollte, dasselbe verdient zu haben. Er strengte sich daher mächtig an; Rüstig saß mit seiner Näharbeit nicht weit davon, und wenn der Kleine Miene machte, nachzulassen, dann lobte er dessen Eifer und Fleiß und machte die Mutter darauf aufmerksam, was für einen tüchtigen kleinen Sohn sie doch habe, und Tommy, der sich gar zu gern loben hörte, drehte dann darauf los, bis ihm die hellen Schweißtropfen auf dem Gesicht standen.

Als der Abend kam und man sich zur Ruhe anschickte, waren die Äxte haarscharf, die Ranzen fertig und auch alles übrige bereit.

»Wann gedenken Sie sich aufzumachen, Rüstig?« fragte Sebald.

»Bei Tagesanbruch, wenn es noch kühl und frisch ist.«

»Und wann dürfen wir Sie wieder erwarten?« fügte Frau Sebald hinzu.

»Unser Proviant reicht für drei Tage, Madam; morgen ist Mittwoch, ich denke am Freitag abend zurück zu sein; länger als Sonnabend früh aber bleiben wir auf keinen Fall aus.«

»Dann will ich dir zu gleicher Zeit gute Nacht und Lebewohl sagen,« sagte Wilhelm, »da ich dich morgen früh nicht mehr sehe.«

»Lebe wohl, mein liebes Kind,« erwiderte Frau Sebald. »Geben Sie recht acht auf ihn, Steuermann, und auch Ihnen sage ich: Auf fröhliches Wiedersehen!«

Damit eilte sie schnell in ihr Zelt, um die Thränen zu verbergen, die sie nicht mehr unterdrücken konnte.

»Es ist ihr dies alles noch so neu,« bemerkte Rüstig zu Sebald gewendet, »die Zeit kommt aber, wo sie sich nicht mehr so viel dabei denken wird.«

»So ist es,« antwortete Sebald. »Wir müssen bedenken, daß sie bis jetzt noch nicht eine Stunde lang von einem ihrer Kinder getrennt gewesen ist und daß ja auch keiner von uns weiß, welchen Ereignissen Wilhelm entgegen geht; alles in allem betrachtet benimmt sie sich noch sehr gefaßt.«

»Gewiß, Herr Sebald, auch dürfen wir nicht vergessen, daß sie kaum erst die Krankheit überstanden hat,« sagte Rüstig, »und einer Mutter Besorgnis ist ebenso natürlich wie einer Mutter Liebe. Wenn ich innerhalb der verabredeten Zeit nicht alles schaffe, was ich mir vorgenommen, dann komme ich trotzdem zurück und begebe mich lieber später noch einmal auf die Reise.«

»Thun Sie das, lieber Rüstig, das wird ihr Vertrauen geben, und nun leben Sie wohl, Gott gebe Ihnen den besten Erfolg.«


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