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Achtundvierzigstes Kapitel.

Eine gute Beute. – »Das Gewehr wollte mich totschießen!« – Warum Tommy keinen Schweinebraten erhielt.

 

Die Männer machten sich jetzt ein Lager aus trockenen Kokosblättern, aßen ihr Abendbrot, empfahlen sich dem Schutze des Höchsten und überließen sich dem Schlafe. Am nächsten Morgen begannen sie ihre Arbeit wieder da, wo sie aufgehört hatten; sie öffneten jedes einzelne Stück der geborgenen Kisten und Ballen; da gab es noch Bücher in Menge, einen großen Vorrat von Lichten, drei Fässer mit Reis, der allerdings zum Teil verdorben war, und viele andere brauchbare Dinge, freilich auch Sachen genug, die für sie gar keinen Wert hatten.

Eine Kiste Thee und zwei Säcke Kaffee, die Rüstig eigenhändig an Land geschafft hatte, befanden sich zu ihrer Freude in bestem Zustande, Zucker aber fehlte gänzlich, denn die Kleinigkeit, die man davon gerettet hatte, war weggeschmolzen.

»Das ist dumm,« meinte Rüstig; »Massa Tommy wird sich nur schwer dazu verstehen, ohne Zucker zu existieren; allerdings ist Zucker kein dringendes Lebensbedürfnis.«

»Massa Tommy muß sich an Entbehrungen gewöhnen,« entgegnete Vater Sebald; »wir wohnen hier nicht nur hundert Schritte von dem nächsten Krämer entfernt, müssen daher wohl oder übel auf manches verzichten. Jetzt aber wollen wir uns die Gegenstände ansehen, die im Sande vergraben liegen.«

Der Sand war bald zur Seite geschaufelt; die Fässer mit gesalzenem Rind- und Schweinefleisch zeigten sich unversehrt, ebenso die fichtenen Planken, viele andere Dinge aber waren verdorben. Gegen Mittag hatten sie ihre Nachforschungen beendigt, und da ihnen noch viel Zeit blieb, so stellte Sebald mit Hilfe der Kompasse verschiedene Punkte des Landes ihrer Richtung nach fest. Dann nahmen sie ihre Gewehre auf die Schulter und machten sich auf den Heimweg, nachdem sich Rüstig noch ein Quantum von dem verdorbenen Reis für die Hühner aufgepackt hatte.

In dem Hause auf der andern Seite machten sie eine kurze Rast, dann setzten sie ihren Weg nach den Zelten auf den Weidegründen fort. Sie mochten ungefähr noch eine halbe Seemeile zu gehen haben, als Rüstig im Dickicht ein Geräusch vernahm; er winkte seinem Gefährten, stehen zu bleiben. Vorsichtig lud er die Büchse, indem er zugleich Herrn Sebald zuflüsterte, daß sich die Schweine in unmittelbarster Nähe befänden; jetzt lud auch der sein Gewehr und beide schlichen der Richtung zu, in der sich das Grunzen der Tiere vernehmen ließ. Das Unterholz war so dicht, daß sie bis auf zwanzig Schritte an die Tiere herankamen, ehe sie dieselben sehen konnten; plötzlich erhob das ganze Rudel die Köpfe, die alten Schweine stießen ein lautes Grunzen aus und dann stürzten alle davon, gerade als Rüstig Feuer gab. Sebald fand keine Gelegenheit, sein Gewehr abzuschießen, des Steuermanns Kugel aber hatte ihr Ziel getroffen, denn nicht weit von ihnen lag ein Schwein schreiend und zappelnd am Boden.

»Ein guter Schweinebraten wird ein Hochgenuß für uns sein,« schmunzelte der Alte, während sie auf das erlegte Wild zuschritten, das sein Schreien und Zappeln sehr bald einstellte.

»Das will ich meinen, Freund Rüstig,« pflichtete Sebald bei; »zunächst aber müssen wir sehen, wie wir das Tier nach Hause schaffen.«

»Das soll uns nicht schwer werden; ich haue einen Pfahl zurecht, wir hängen es in der Mitte desselben auf und tragen die Beute selbander heim. Es ist eins von den auf der Insel geborenen Schweinen, ein Prachtkerl für sein Alter.«

Die Last wurde geschultert und erwies sich als keine geringe, trotzdem schritten die glücklichen Jäger rüstig vorwärts, und als sie die Grenze des Waldes erreichten, da kamen ihnen auch schon Frau Sebald und Wilhelm entgegen, die den Büchsenknall gehört hatten. Die Mutter schaute ängstlich drein, kaum aber gewahrte sie das Schwein, da wurde ihr die Ursache des Schusses klar.

»Ich machte mir allerlei Gedanken,« sagte sie, indem sie ihren Gatten umarmte, »ich wußte ja nicht, daß ihr heute zurückkommen würdet.«

Wilhelm nahm dem Vater die Last ab, der sich nun mit der Mutter entfernte.

»Na, Wilhelm, mein Junge, was giebt's Neues bei euch?« fragte der alte Rüstig.

»Ich bin mit dem Boot bis hinaus ins tiefe Wasser gefahren und habe Fische geangelt, drei mächtig große Kerle, ganz verschieden von denen in der Bucht beim Riff. Einen davon hatten wir heute zum Frühstück und zu Mittag, er schmeckte prächtig.«

»Warst du allein im Boot?«

»Nein, ich hatte Juno mitgenommen, da Mama sie auf einige Zeit entbehren konnte; sie rudert so gut wie ich.«

»Ja, die Juno ist ein anstelliges Mädchen,« entgegnete Rüstig. »Wir haben die geretteten Güter besichtigt und wir werden noch ein tüchtig Stück Arbeit damit haben, nämlich du und ich, mein Junge, das kann ich dir sagen; ich glaube nicht, daß eine Woche hinreichen wird, alle die Sachen ins Vorratshaus zu schaffen; wenn es nach mir geht, dann fangen wir gleich morgen damit an. Wir müssen aber noch hören, was dein Vater dazu sagt.«

»Mir soll alles recht sein,« meinte der Knabe; »ich mache lieber Bootsfahrten, als hier die langweiligen Erdarbeiten; die will ich gern dem Vater überlassen.«

»Anders wird's auch nicht werden,« entgegnete der Alte, »da dein Vater wohl vorziehen wird, bei der Mutter und den Kindern zu bleiben.«

An Ort und Stelle angelangt, hing Rüstig das Schwein an dem Pfahl desjenigen Zeltes auf, in welchem er mit Wilhelm und Vater Sebald schlief; er lehnte die Büchsen – Sebald hatte ihm die seine eingehändigt, als er sich mit seiner Frau entfernte – an die Zeltwand, dann ging er mit Wilhelm ab, um ein großes Messer und einige Sperrhölzer zu holen, da er sogleich das Schwein zu öffnen und auszuweiden gedachte.

Während die beiden abwesend waren, kamen Karoline und Tommy herbei, um sich das Schwein zu betrachten; der Junge erklärte seiner Schwester, daß er sich ungemein darauf freue, endlich wieder einmal ein Stück Schweinebraten in Aussicht zu haben, und dann griff er nach einer der Büchsen.

»Jetzt, Karoline,« sagte er, »will ich das Schwein erst noch richtig totschießen.«

»O nein, Tommy, laß das sein,« rief das Mädchen ihm ängstlich zu; »du darfst das Gewehr nicht anfassen, der Vater hat es streng verboten, du weißt doch noch, damals, auf der andern Seite, als das Gewehr so schrecklich losging.«

»O, ich fürchte mich nicht!« antwortete Tommy, »ich will dir nur zeigen, wie man ein Schwein schießen muß.«

»Thu es nicht, Tommy!« bat Karoline; »wenn du nicht hörst, dann laufe ich und sage es der Mama.«

»Oho!« rief der Junge trotzig, »dann schieße ich dich tot!« Und zugleich versuchte er, das Gewehr auf die Schwester anzulegen.

Karoline rannte von Angst ergriffen eilig davon, Tommy aber wendete seine ganze Kraft auf, das Gewehr an die Schulter zu heben, und während er sich noch damit abmühte, ging der Schuß los.

Der Zufall hatte es gewollt, daß ihm seines Vaters Büchse in die Hand geraten war, in der die Ladung noch steckte, da Sebald bei den Schweinen nicht zum Schusse kam; der Junge mußte an dem Hahn gerissen haben, genug, das Gewehr entlud sich und stieß bei seinem Rückschläge den Knaben so heftig gegen das Gesicht, daß ihm zwei Zähne abbrachen und das Blut in Strömen aus der Nase rann.

Tommy war so erstaunt und erschrocken über den unerwarteten Knall und den Schlag, den er empfangen hatte, daß er mit gellendem Aufschrei das Gewehr fallen ließ und dem Zelte zurannte, wo er den Vater und die Mutter wußte; beide kamen ihm bereits voll Schrecken entgegen.

Als Frau Sebald ihren mit Blut überströmten und schreienden Jungen gewahrte, fuhr ihr das Entsetzen so in die Glieder, daß sie ohnmächtig in ihres Mannes Arme sank. Da kamen aber auch schon Rüstig und Wilhelm in Bestürzung eiligst herbei; auch sie fürchteten, daß ein Unglück geschehen sei, und während Sebald sich mit seiner Frau beschäftigte, wischte der alte Steuermann dem Knaben mit der Hand das Blut aus dem Gesicht und betrachtete ihn genau von allen Seiten; dann rief er dem Vater zu: »Es ist nichts, Herr Sebald, dem Bengel blutet bloß die Nase! Höre auf zu heulen, du nichtsnutziger Schlingel! Wie durftest du dich unterstehen, das Gewehr anzufassen?«

»Das Gewehr hat mir weh gethan!« weinte Tommy mit blutendem Munde.

»Ist dir recht geschehen! Du wirst künftig keins mehr anfassen.«

»Nein, nie wieder!« blubberte Tommy; »das Gewehr wollte mich totschießen!«

Jetzt kam Juno mit Waschbecken und Schwamm herbei, um den Knaben zu reinigen; die Mutter hatte sich inzwischen wieder erholt und war auf die Mitteilung ihres Mannes, daß der Junge nur eins auf die Nase gekriegt habe, ins Zelt zurückgekehrt.

Nach Verlauf einer halben Stunde hatte Tommys Nase zu bluten und er selber zu weinen aufgehört; sein Gesicht wurde noch einmal gründlich gewaschen und nun stellte es sich heraus, daß er zwei Vorderzähne verloren hatte und daß Wange und Lippen blutrünstig waren; man brachte ihn zu Bett, wo er bald fest einschlief.

»Ich hätte die Gewehre nicht da stehen lassen sollen,« sagte Rüstig zu Wilhelm, »die Schuld an der ganzen Sache trage ich; zwar hatte ich geglaubt, daß Tommy kein Feuergewehr mehr berühren würde, da ihm das so oft verboten worden war; ist aber irgendwo ein Unfug zu verüben, dann findet der Junge das sicherlich heraus.«

»Er zielte auf mich und wollte mich totschießen,« erzählte Karoline, »ich aber lief schnell fort.«

»Ach du lieber Gott!« rief Frau Sebald aus der Zeltthür, die Hände zusammenschlagend. »Wenn er das arme Kind getroffen hätte! O, dieser Taugenichts!«

»Diesmal ist er tüchtig gestraft worden, Madam,« sagte Rüstig, »er wird jetzt wohl eine Zeitlang den Schußwaffen aus dem Wege gehen.«

»Die Strafe genügt aber nicht,« bemerkte der Vater; »er muß sich derselben noch lange erinnern.«

»Wenn Sie ihm noch einen Denkzettel geben wollen, so kann ihm, glaube ich, nichts Schlimmeres geschehen, als daß er von dem Schwein keinen Bissen abkriegt,« schlug Rüstig vor. »Der Junge ist solch ein Leckermaul, daß dies die allergrößte Strafe für ihn sein wird.«

»Derselben Meinung bin ich auch,« nickte der Vater; »es ist also abgemacht, Tommy kriegt nichts von dem Schweinefleisch.«


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