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Erstes Kapitel.

Der Dreimaster »Pacific« im Sturm. – Der zweite Steuermann. – Kapitän Osborn.

 

Ein schwerer Oktobersturm brauste über den Atlantischen Ocean dahin. Mühsam arbeitete sich das gute Schiff »Pacific« durch die empörten Wogen. Es führte nur wenige Segel, und diese dicht gerefft, denn der Wind war so stark, daß er größere Leinwandflächen in Fetzen zerrissen haben würde. Schwerfällig stampfte es vorwärts; es verfolgte seinen Pfad so langsam, daß es schien, als müßten die hinter ihm herrollenden Wogen es jeden Augenblick erreichen und unter ihren Wassermassen begraben; immer im letzten Moment aber hob es sein Heck hoch empor, um die Wogenungetüme unter sich Hinwegrollen zu lassen, und dabei bohrte es seinen Bug so tief in die Fluten, daß man meinen konnte, es werde nun unaufhaltsam in die Tiefe hinabschießen. Aber der »Pacific« war ein seetüchtiges Fahrzeug und sein Kapitän ein Seemann wie er sein soll, der nicht nur sein Schiff meisterlich zu handhaben wußte, sondern in Sturmesnot auch nie vergaß sein Vertrauen auf jenen Kompaß zu setzen, der noch keinen Menschen im Stiche gelassen hat – die göttliche Vorsehung.

Der Kapitän stand auf dem Achterdeck unweit des Ruders und beobachtete die Leute, die das Schiff zu steuern hatten. Denn wenn ein Schiff vor dem Winde läuft, oder lenzt, wie der Seemannsausdruck hierfür ist, dann erfordert das Steuern eine ganz besondere Aufmerksamkeit und auch einen großen Kraftaufwand, weshalb bei solcher Gelegenheit zumeist auch zwei Matrosen an das Steuerrad treten müssen.

Außer dem Kapitän und den steuernden Matrosen befanden sich noch zwei andere Persönlichkeiten auf dem Achterdeck, die eine ein Knabe von ungefähr vierzehn Jahren, die andere ein alter, wettergebräunter Seemann, dessen graue Locken im Winde flatterten.

Der Knabe blickte mit muntern, furchtlosen Augen um sich; plötzlich aber gewahrte er eine ungeheure See, die wie ein brüllendes Raubtier hinter dem Schiffe hergeeilt kam. Erschreckt von diesem Anblick hing er sich an des Seemanns Arm.

»O, Steuermann Rüstig,« rief er ängstlich, »sehen Sie doch, wird die See dort uns nicht überschwemmen?«

»Nicht doch, Wilhelm, fürchte dich nicht, mein Junge,« antwortete der Alte. »Da, schau nur, wie das Schiff sein Heck emporhebt – da, und nun rollt die See unter uns weg. Wenn's aber mal passieren und solch eine See zu uns an Bord kommen sollte, was würde dann wohl aus dir werden, wenn ich dich nicht festhielte und mich dazu? Dann würdest du weggespült werden, wie des Kochs Sonntagshosen, die der Narr gestern auf der Back liegen ließ, und um die er heute noch den ganzen Tag gejammert hat.«

Dabei schaute er dem Knaben lächelnd ins Gesicht. Der aber hing sich fester an ihn.

»Ich mag das Meer nicht mehr leiden,« sagte er, während seine Augen jetzt ängstlich über die wilde Wasserwüste irrten. »Ich wollte, wir wären erst wieder heil auf dem sicheren Lande. Sehen die Wogen dort nicht aus, als würden sie unser Schiff sogleich in Stücke zerschlagen?«

»Da hast du nicht unrecht, Wilhelm, und dazu brüllen und toben sie, als seien sie ordentlich wütend darüber, daß sie uns nicht unterkriegen können; ich aber bin an so etwas gewöhnt; und wenn ich ein gutes Schiff unter den Füßen habe wie dieses hier, und dabei einen tüchtigen Kapitän und eine zuverlässige Mannschaft an Bord weiß, dann mag der Ocean sich gebärden so toll er will, mir macht er nicht bange.«

»Manchmal gehen doch auch Schiffe zu Grunde, und dann müssen alle, die an Bord sind, ertrinken, nicht wahr, Papa Rüstig?«

»Gewiß, Wilhelm, das kommt wohl vor, und oft verunglücken gerade solche Schiffe, von denen man dies am wenigsten erwartete. Wir können daher nur nach Kräften unsere Schuldigkeit thun und müssen für den Rest den Herrgott im Himmel sorgen lassen.«

Der Knabe dachte ein wenig nach. »Sind Sie jemals schiffbrüchig gewesen,« fragte er dann, »und von den Wellen aus eine wüste Insel geworfen worden, wie Robinson Krusoe?«

»Ja, Wilhelm, schiffbrüchig bin ich wohl gewesen, aber von einem Mann, der Robinson Krusoe heißt, weiß ich nichts. Du lieber Gott, die Zahl der Seeleute, die auf dem Meere verunglücken und großes Elend durchzumachen haben, ist so groß, daß man beim besten Willen die Namen aller nicht behalten könnte, selbst wenn sie einem gesagt würden.«

»Die Geschichte von Robinson Krusoe habe ich in einem Buche gelesen,« antwortete der Knabe; »es giebt keine schönere, das können Sie mir glauben. Wenn das Wetter wieder gut ist, dann will ich sie Ihnen erzählen. Jetzt aber sind Sie wohl so freundlich, Papa Rüstig, und helfen mir hinunter in die Kajüte, denn ich habe der Mutter versprochen, nicht lange hier oben zu bleiben.«

»So ist's recht,« sagte der Alte; »was man verspricht, das muß man auch halten; fasse nur fest meine Hand, dann stehe ich dir dafür, daß du ohne zu stolpern bis zur Luke kommst. Wenn aber das Wetter wieder fein ist, dann erzähle ich dir von meinem Schiffbruch und du berichtest mir alles, was du von Robinson Krusoe weißt.«

Der Knabe nickte und kletterte vorsichtig die Treppe hinunter, der alte Seemann aber wendete sich wieder dem Achterdeck zu, denn er hatte die Wache an Deck.

Sigismund Rüstig, so nannte sich der Alte, fuhr bereits länger als fünfzig Jahre zur See. Sein Gesicht war von Wind, Wetter und Sonnenschein ganz dunkel gebräunt, in die lederartige Haut auf Stirn und Wangen hatte ein Leben voll Anstrengung tiefe Linien und Furchen eingegraben, trotzdem aber war er noch immer ein kräftiger, gewandter und kerngesunder Mann. Es gab kein Meer, wo er nicht umhergekreuzt wäre; wunderbar und mannigfaltig waren die Geschichten, die er von seinen Erlebnissen zu erzählen wußte, allein so seltsam solche Erzählungen zuweilen auch klangen, einen Vorzug hatten sie immer, sie waren buchstäblich wahr, denn Sigismund Rüstig war ein Feind jeder Aufschneiderei und Lüge.

Er wußte genug von der Navigation, um ein Schiff über die See führen zu können, sonst aber war von den Wissenschaften, außer Lesen und Schreiben, nicht viel für ihn abgefallen, worüber man sich nicht wundern wird, wenn man bedenkt, daß er schon als zehnjähriger Knabe seinen Lebensunterhalt auf den Schiffsplanken suchen mußte. Obgleich er nur der zweite Steuermann an Bord des »Pacific« war, so genoß er doch seines Alters, seiner Erfahrungen und seiner Redlichkeit wegen das allgemeinste Vertrauen, und selbst der Kapitän besann sich keinen Augenblick, wenn es galt, vom alten Rüstig Rat zu holen.

Wie schon erwähnt, war der »Pacific« ein durchaus seetüchtiges Fahrzeug und wohl imstande, den heftigsten Sturm zu überstehen. Er war ein Dreimaster von ungefähr vierhundert Tonnen Raumgehalt, mithin in der Zeit, in der unsere Geschichte sich zutrug, ein ziemlich stattliches Schiff. Heute allerdings, wo man den Schiffsinhalt nach Tausenden von Tonnen berechnet, würde der gute »Pacific« sich neben unsern Dampfern gar winzig und unbedeutend ausgenommen haben. Er befand sich auf der Fahrt von Bremerhaven nach Australien und seine Ladung bestand zum größten Teil aus Stahl- und Eisenwaren.

Der Kapitän, der sich Osborn nannte, war in seinem Beruf tüchtig und gewissenhaft und dabei ein Mann von freundlichem und wohlwollendem Gemüt. Der erste Steuermann war ein Ostfriese und hieß Rickmers; im Gegensatz zu dem Kapitän zeigte er sich finster und griesgrämig, da er dabei aber seine Pflicht that, so konnte der Schiffer ihm vertrauen, wenngleich er ihn sonst auch nicht sonderlich leiden mochte.

Außer den hier aufgezählten Personen befanden sich noch dreizehn Seeleute an Bord, eine Anzahl, die für die Größe des Schiffes eigentlich nicht genügte; allein unmittelbar vor dem Absegeln des Schiffes hatten sich fünf Mann wieder an Land begeben, weil die Behandlung, die ihnen der sauertöpfische erste Steuermann zu teil werden ließ, nicht behagte; Kapitän Osborn wollte nicht warten, bis neue Leute angeworben waren, und so mußte das Schiff mit unzureichender Besatzung seine große Reise antreten, ein Übelstand, der, wie wir sehen werden, die unglücklichsten Folgen nach sich zog.


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