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Zwanzigstes Kapitel.

Von der Übersiedelung, dem Hausbau, dem Garten und dem Schildkrötenteich. – »Ein schöner Name!« – Warum die Seeleute so früh alt werden.

 

Am nächsten Morgen lag die Familie noch in tiefem Schlafe, da hatte der alte Steuermann sein Boot bereits beladen, das Segel gesetzt und die Fahrt angetreten; und als man eben ans Aufstehen dachte, da hatte er die Ladung schon gelöscht und sich zu seinem einsamen Frühstück niedergesetzt. Dann machte er sich an die Vorbereitungen zum Zeltbau, um denselben sogleich beginnen zu können, wenn Wilhelm und Juno eintrafen.

Es war gegen zehn Uhr vormittags, als diese beiden erschienen; Wilhelm führte eine der Ziegen am Seil, während die anderen folgten; auf gleiche Weise brachte Juno die Schafe heran.

»Da sind wir endlich,« rief Wilhelm fröhlich. »Wir haben ein schönes Stück Arbeit im Walde gehabt, denn jedesmal, wenn ich links um einen Baum herum ging, dann wollte die Ziege rechts herum, so daß ich immer den Strick loslassen mußte. Auch sind wir den Schweinen wieder begegnet, die Juno so erschreckten, daß sie noch viel schrecklicher brüllte als Bruder Tommy.«

»Juno fürchten wildes Tier, nicht denken, gutes Schwein im Walde,« entschuldigte sich die Negerin. »Ah, schönes Platz hier, Frau Sebald lachen, wenn sehen.«

»Ja, Juno, es ist schön hier,« nickte Rüstig; »hier kannst du auch die Wäsche nach Herzenslust im süßen Wasser waschen und brauchst es nicht so zu sparen, wie drüben.«

»Ich habe mir schon den Kopf darüber zerbrochen,« sagte Wilhelm, »wie wir die Hühner hierher bringen; sie sind zwar nicht sehr wild, aber greifen lassen sie sich doch nicht.«

»Die nehme ich morgen mit hierher,« meinte Rüstig.

»Aber wie wollen Sie sie fangen?«

»Man muß warten, bis sie schlafen, dann kann man sie nach Belieben greifen.«

»Die Tauben aber und die Schweine lassen wir verwildern, nicht wahr?«

»Das wird das beste sein; die Schweine finden hier überall Futter in Menge, auch werden sie sich sehr schnell vermehren.«

»Dann müssen wir später Jagd auf sie machen, nicht wahr?«

»Gewiß, mein Junge, ebenso auf die Tauben, wenn wir lange genug auf dem Eiland bleiben. Wir werden mit der Zeit einen richtigen Wildstand haben. Jetzt aber mußt du mir bei dem Zelt helfen, damit deine Mutter alles in bester Ordnung findet, wenn sie hier anlangt, denn der Gang durch den Wald wird sie ermüdet haben; für sie ist das ein tüchtiger Marsch.«

»Mama ist schon wieder viel wohler,« entgegnete Wilhelm, »und wenn sie erst hier in Ruhe wohnen kann, dann wird sie bald wieder so gesund sein wie früher.«

»Wir haben noch viel Arbeit vor uns,« sagte der Alte, »mehr als wir bis zum Eintritt der Regenzeit bewältigen können; aber nächstes Jahr um diese Zeit werden wir besser dran sein.«

»Was haben wir denn außer dem Zeltbau und dem Umzug noch zu thun?« fragte der Knabe.

»Zunächst müssen wir ein Haus bauen, und das ist keine Kleinigkeit. Dann müssen wir einen Garten anlegen und die Sämereien auspflanzen, die dein Vater mitgebracht hat.«

»O, das wird hübsch; wissen Sie schon einen Ort für den Garten, Papa Rüstig?«

»Gewiß, wir brauchen nur das Gestrüpp auf jener Landzunge auszuroden und den Fleck durch einen Zaun abzuschließen, der Boden ist prächtig, wie ich gesehen habe.«

»Und dann?« fragte Wilhelm weiter.

»Dann brauchen wir einen Lagerschuppen für unsere Vorräte, die sich jetzt noch allenthalben herumtreiben; ehe wir sie alle hier haben, werden wir noch manche Bootsfahrt zu machen haben.«

»Das ist richtig,« nickte Wilhelm. »Dann giebt's aber Ruhe, nicht wahr?«

»Keineswegs; dann giebt's noch einen Schildkrötenteich anzulegen, ferner einen Fischteich und schließlich einen Badeplatz, wo Juno die Kinder waschen kann.«

»Ja, Massa Rüstig,« sagte die Negerin eifrig, »und Juno sich selber auch.«

»Nun, ein wenig waschen kann dir nicht schaden, Juno,« lächelte der Alte, »obgleich du ein ganz sauberes Mädchen bist. Vor allem aber, lieber Wilhelm, muß die Quelle so hergerichtet werden, daß wir immer klares Wasser finden; du siehst, wir haben auf mindestens ein Jahr Arbeit in Fülle und ich zweifle nicht daran, daß sich im Laufe der Zeit noch immer mehr finden wird.«

»Dann wollen wir so schnell als möglich Mama und die Kinder hierher schaffen, damit wir beginnen können,« rief der Knabe.

»Der Meinung bin ich auch,« stimmte Rüstig zu, »mir liegt viel daran, die Arbeit gethan zu sehen und ich hoffe, daß ich noch so lange leben werde, bis alles vollendet ist. Dann wüßte ich euch alle gut aufgehoben und im stande, euch ohne mich weiter zu helfen.«

»Warum reden Sie so, Papa Rüstig? Sie sind zwar schon bei Jahren, aber doch noch gesund und stark!«

»Jetzt bin ich das noch; aber, lieber Wilhelm, wie heißt es in der Bibel? »Mitten im Leben sind wir im Tode.« Auch du bist gesund und dazu so jung, daß man dir wohl noch ein langes Leben voraussagen könnte; aber wer kann wissen, ob du nicht vielleicht morgen schon plötzlich abgerufen wirst, und dein Vater und deine Mutter weinend an deiner entseelten Hülle stehen; wie sollte da ich, ein alter, von Entbehrungen und Drangsalen hart mitgenommener Mann, mich unterfangen noch auf ein langes Leben zu hoffen? Nein, mein Junge, thut das ein junger Mensch, so ist er ein Thor, bei einem alten wäre es nicht nur Unklugheit, sondern Sünde. Immerhin wäre mir's lieb bei euch zu bleiben, so lange ich noch nützen kann, dann aber gebe Gott, daß ich in Frieden dahinfahre. Ich möchte diese Insel nicht mehr verlassen und ich habe auch das Vorgefühl, als ob meine Gebeine hier eine Ruhestätte finden würden. Gottes Wille geschehe!«

Rüstig schwieg und auch Wilhelm verrichtete eine Zeit lang stumm und gedankenvoll seine Arbeit; sie breiteten die Zeltleinwand aus und befestigten sie mit starken Pflöcken am Boden. Endlich begann Wilhelm wieder zu reden.

»Papa Rüstig,« sagte er, »erinnere ich mich recht, ist Ihr Vorname nicht Sigismund?«

»Das ist er.«

»Ein schöner Name!«

»Wenigstens ein guter deutscher Name und ein sehr alter; außerdem trage ich ihn zu Ehren eines sehr reichen Mannes.«

»Wissen Sie, Papa Rüstig, es wäre eine große Freude für mich, wenn Sie mir eines Tages Ihre Lebensgeschichte erzählen wollten, von der Zeit an, wo Sie noch ein Kind waren.«

»Das soll geschehen, lieber Wilhelm; ich habe manches erlebt, was andern eine Lehre sein kann; jetzt aber haben wir nicht die Zeit dazu, erst müssen die Arbeiten hinter uns liegen.«

»Wie alt sind Sie eigentlich, Papa Rüstig?«

»Vierundsechzig Jahre; das ist für einen Seemann sehr alt. Ich hätte auch schon längst keine Stelle mehr an Bord gefunden, wenn ich nicht mit manchem Kapitän so gut bekannt gewesen wäre.«

»Aber warum sind vierundsechzig Jahre gerade für einen Seemann ein so hohes Alter?«

»Weil Seeleute sich eher abnutzen, also gleichsam schneller leben als andere Menschen, nicht nur wegen ihrer härteren und mühseligeren Lebensweise, sondern auch weil sie in ihrem Beruf auf ihre Gesundheit keine Rücksicht nehmen können, und schließlich auch, weil sie zumeist recht unverständig und unmäßig leben, wenn sich ihnen die Gelegenheit bietet.«

»Sie haben doch gewiß nicht unmäßig gelebt, lieber Papa Rüstig?«

»Seit langen Jahren nicht mehr, aber in meiner Jugend war ich ebenso thöricht wie alle andern. – Juno, du kannst jetzt das Bettzeug bringen, wir sind bereit für dich. Noch haben wir gut drei Stunden vor uns, lieber Wilhelm. Was fangen wir zunächst noch an?«

»Wenn es Ihnen recht ist,« antwortete der Knabe, »dann bauen wir den Kochherd auf; Juno und ich wir holen die Steine.«

»Du bist ein verständiger Junge, den Vorschlag hatte ich auch im Sinn. Morgen werde ich schon lange vor euch hier sein und wenn der Herd steht, dann kann ich das Abendbrot für euch bereit halten.«

»Ich habe eine Flasche Wasser mit hergebracht,« redete Wilhelm weiter, »weniger um davon zu trinken, als um Milch für den Kleinen in der Flasche mit zurückzunehmen, wenn ich die Ziegen gemelkt habe.«

»Das war nicht nur verständig, sondern auch liebevoll von dir, mein Sohn. Lauf nun und bringe mit Juno die Steine herbei, ich will indessen den Kram, den ich im Boote habe, im Gebüsch verstauen.«

»Sollen wir die Ziegen und Schafe frei laufen lassen?«

»Jawohl, sie verlieren sich nicht; das Futter ist hier besser und reichlicher, als auf der andern Seite, daher bleiben sie wohl hier in der Nähe.«

Der Knabe melkte die Ziege und dann ging es eifrig an das Herbeitragen der Steine, von denen eine große Anzahl rings am Strande lag. Es dauerte keine Stunde, da war die Feuerstelle fertig, und nunmehr traten Wilhelm und Juno durch den Wald den Rückweg an.

Rüstig schritt zum Strande hinunter; dort gewahrte er eine Schildkröte, die gemächlich über den Sand kroch. Schnell sprang er herzu und schnitt ihr den Weg nach dem Wasser ab, dann packte er sie und warf sie auf den Rücken.

»Das giebt ein Gericht für morgen,« schmunzelte er, indem er ins Boot stieg; darauf stieß er ab, legte die Reemen aus und lenkte den Schnabel des Bootes heimwärts.


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