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Siebentes Kapitel.

Der Mutter Schreck. – Vorbereitungen zum Landen. – Rüstig mit Tafel und Schieferstift.

 

»Gott sei Dank dafür,« rief der alte Seemann, »daß er uns bis hierher geholfen hat!«

»Ja, Dank sei ihm,« sagte auch sein Gefährte; »er wird uns nun auch weiterhelfen.«

In diesem Augenblick kam Wilhelm aus der Kajütsluke an Deck.

»Die Mutter läßt dich bitten, zu ihr zu kommen, lieber Vater,« sagte er. »Es war ein so schreckliches Geräusch unter dem Schiffsboden, davon erwachte sie, und jetzt ist sie in großer Angst.«

Sebald eilte sogleich hinab.

»Was ist geschehen?« rief seine Frau ihm bleich und verstört entgegen. »Ich schlief so schön, dann aber hörte ich einen Lärm, als ob das Schiff wie eine Eierschale zerdrückt würde, und davon erwachte ich. Ist etwas passiert, oder habe ich vielleicht nur geträumt?«

»Du hast nicht geträumt; fasse und beruhige dich, liebes Weib,« antwortete er. »Wir sind in großer Gefahr gewesen, die aber ist nun vorüber, und wir befinden uns, so Gott will, in Sicherheit; aber sage mir, hat der Schlaf dich gestärkt?«

»Ja, ich fühle mich besser und kräftiger; aber nun laß mich wissen, was sich zugetragen hat.«

»Viel hat sich zugetragen, und zwar schon ehe du eingeschlafen warst; wir haben es dir jedoch verschwiegen, um dich nicht unnütz zu erschrecken. Jetzt aber, wo wir demnächst das Schiff verlassen werden –«

»Was sagst du? Wir werden das Schiff verlassen?«

»Ja, liebes Weib.«

»Nicht möglich! Mitten auf dem Meere?«

»Nein, wir gehen an Land.«

»An Land!« wiederholte Frau Sebald in höchstem Erstaunen.

»Jawohl, liebes Weib. Höre mir ruhig zu, ich will dir erzählen, was geschehen ist, und du sollst dich mit uns über unsere Errettung freuen.«

Jetzt teilte er ihr alle die Ereignisse mit, die sich während der letzten Stunden zugetragen hatten; sie hörte ihm lautlos zu, aber als er geendet hatte, da warf sie sich in seine Arme und weinte bitterlich.

Sebald versuchte nach Kräften sie zu beruhigen und zu trösten, bis Juno mit den Kindern herunterkam, denn es war inzwischen spät geworden. Dann begab er sich wieder an Deck, um mit Rüstig Rat zu halten.

Der alte Seemann kam ihm entgegen.

»Ich habe mich überall umgesehen,« sagte er, »und ich glaube, daß der arme Pacific hier so bequem liegt wie in Abrahams Schoß. Bis zum nächsten großen Sturm hält er nun noch zusammen; bis dahin aber kann viel Zeit vergehen, denn die Brise flaut ab und dann werden wir wieder eine Windstille haben.«

»Das höre ich gern, lieber Rüstig; wie aber sollen wir an Land kommen und, wenn uns dies auch gelingt, wie dort unser Leben fristen?«

»Kommt Zeit, kommt Rat. Herr Sebald. Um an Land kommen zu können, müssen wir die Jolle ausbessern; sie hat ein großes Loch im Boden, aber ich verstehe genug von der Zimmerei, um sie notdürftig flicken zu können. Dabei brauche ich Ihre und Wilhelms Hilfe, und morgen mit dem frühesten gehen wir an die Arbeit.«

»Und wenn wir am Lande sind, was dann? Wovon sollen wir uns ernähren?«

»Lieber Herr Sebald, wo soviel Kokospalmen vorhanden sind, wie dort drüben, da braucht keiner zu fürchten, daß er verhungert; außerdem verfügen wir ja noch über den ganzen Proviant des Schiffes. Wenn mir eins Sorge macht, so ist es das Trinkwasser, denn die Insel ist flach, sehr flach und auch nur klein. Doch wo fänden wir auf dieser Welt alles so, wie wir's wünschen?«

Sebald schüttelte traurig den Kopf.

»Wohl habe ich alle Ursache, Gott für unsere Rettung zu preisen, aber dennoch regen sich in mir allerlei trübe Gedanken, die ich nicht unterdrücken kann. Das Geschick hat uns hierher auf eine öde Insel geworfen, der vielleicht niemals wieder ein Schiff sich nähert, so daß wir nur wenig Aussicht haben, jemals von hier fortzukommen. Hier können wir bleiben bis an unsern Tod, hier können meine Kinder aufwachsen und, nachdem sie uns alle begraben haben, sich selber zum Sterben hinlegen. Alle ihre Aussichten im Leben, alle meine Hoffnungen sind dann vernichtet – o, lieber Rüstig, Sie müssen mir zugestehen, daß ich wohl Grund habe, traurig zu sein!«

»Herr Sebald,« entgegnete der Steuermann ernst, »als ein viel älterer Mann habe ich das Recht, Sie darauf hinzuweisen, daß Sie sich durch solche Verzagtheit an dem gütigen Gott versündigen. Wie heißt es in der Bibel? »Haben wir das Gute empfangen und sollten das Böse nicht auch hinnehmen?« Und woher wissen Sie denn, ob nicht das, was Sie jetzt bejammern, Ihnen vielleicht noch zum größten Segen ausschlägt? Sie reden von Ihren Kindern und von deren Aussichten, – wer weiß aber, wie alles gekommen wäre, wenn Sie Australien erreicht und dort Ihre Pläne verfolgt hätten. Können Sie denn den Ratschluß des Allmächtigen durchschauen? Verzeihen Sie mir, Herr Sebald, ich hoffe, daß ich Sie nicht verletzt habe, ich hielt es aber für meine Schuldigkeit, so zu reden, wie ich eben gethan.«

»Ich habe Ihren Vorwurf verdient, lieber Rüstig, und ich danke Ihnen dafür,« antwortete Sebald. »Ich will fortan der Zukunft mit männlichem Mute entgegensetzen. Noch eins. Ich betrachte mich als unter Ihrem Kommando; in unserer gegenwärtigen Lage sind Sie mein Vorgesetzter, denn Ihre Kenntnisse und Erfahrungen verleihen Ihnen Gewalt über mich. Können wir heute abend noch eine Arbeit vornehmen?«

»Ich gedenke noch ein wenig zu schaffen, Herr Sebald, Ihre Hilfe aber brauche ich nicht vor morgen früh – oder doch, Sie können hier mit anfassen, damit wir diese beiden Spieren nach hinten schaffen; ich will morgen ein Hebezeug davon zurecht machen, um die Jolle, die da hinten am Heck in den Davits hängt, binnenbords zu bringen.«

Sebald griff bereitwillig zu und bald lagen die Spieren auf ihrem Bestimmungsort am Heck.

»Nun danke ich Ihnen, Herr Sebald,« sagte Rüstig. »Gehen Sie zur Ruhe. Wilhelm kann übrigens die beiden Hunde, Romulus und Remus, loslassen und ihnen etwas Futter geben; wir haben die armen Kerle in diesem Trubel ganz vergessen. Ich übernehme die Wache für heute nacht, ich habe, wie gesagt, noch manches zu schaffen und auch viel zu überlegen. Gute Nacht.«

Sebald ging hinunter. Rüstig kramte noch hier und da an Deck herum, machte die Taljen (Flaschenzüge) für das Hebezeug zurecht, dann setzte er sich auf das Hühnerhock und versank in tiefes Nachdenken. Nach und nach wurde der alte Mann müde; die Anstrengungen der letzten Zeit hatten ihn hart mitgenommen, und so überwältigte ihn endlich, trotz seines Widerstandes, der Schlaf.

Als er wieder erwachte war der neue Tag bereits angebrochen und die Hunde schwänzelten freundlich um ihn herum, allen voran Fix, des Kapitäns Terrier.

»Freue mich, euch zu sehen,« nickte der Alte den Tieren zu. »Ihr werdet uns, wie ich hoffe, noch recht nützlich werden. Ja, Fix. mein armer Kerl, du suchst deinen guten Herrn, wirst dich aber trösten müssen. Sollst es auch bei uns gut haben.«

Er erhob sich und schaute sich um.

»Halte mal stille,« sagte er im Selbstgespräch, »was wollte ich doch gleich – aha, ich hab's. Muß mir aber erst die Tafel und den Schieferstift aus meiner Kammer holen, damit ich's aufschreiben kann, denn mein Gedächtnis wird schon ein bißchen schwach.«

Er holte die Tafel, setzte sich wieder nieder und begann mit dem Schieferstift zu schreiben, während er zugleich vor sich hin redete.

»Drei Hunde, zwei Ziegen, ein junger Ziegenbock – Schweine sind, wenn ich nicht irre, fünf da; Hühner – nun, jedenfalls genug; drei Tauben oder vier, ich weiß es nicht genau; die Kuh – die hat sich allerdings niedergelegt und will nicht wieder aufstehen, wir werden sie daher wohl schlachten müssen; und dann sind da noch die beiden Merinoschafe, die Herrn Sebald gehören. Das ist ein ganz stattlicher Viehstand. Und dann müssen wir vor allen Dingen an Land schaffen eine Spiere und ein Bramsegel, um damit ein Zelt aufzurichten, ferner einige Leinen, einige Matratzen für Madam und für die Kinder; zwei Äxte, Hammer und Nägel; etwas zu essen, ja, und einiges Eßgerät. So,« schloß er, sich wieder erhebend, »das wird fürs erste genügen. Jetzt will ich Feuer anmachen und Wasser aufsetzen und, weil ich gerade dran denke, ein paar tüchtige Stücke Fleisch kochen, die auch mit an Land wandern sollen; dann will ich Herrn Sebald wecken, denn der heutige Tag wird für uns alle Arbeit in Hülle und Fülle bringen.«


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