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Viertes Kapitel.

Zunehmende Gefahr. – »Wie sollen wir ohne Masten nach Australien kommen?« – Etwas vom Seemannsberuf.

 

Seeleute sind durch keine Gefahr zu entmutigen, so lange sie Gelegenheit haben, ihre Kräfte zu bethätigen und ihre vielfachen Hilfsmittel zu versuchen. Weder der Verlust ihrer Schiffsgenossen, so jäh aus ihrer Mitte gerissen, noch der traurige Zustand des Schiffes, weder der wilde Orkan, noch die verderbendrohenden Wogen konnten die Matrosen des »Pacific« abhalten, ihre Schuldigkeit zu thun. Und so währte es gar nicht lange, da hatten sie an dem Stumpf des Fockmastes eine Bramraa nebst Segel aufgebracht, und dadurch dem Schiff wieder Stetigkeit und Fahrt verliehen.

Diese Arbeiten hatten den ganzen Tag beansprucht; wieder war es Nacht geworden und die Leute waren ermüdet und erschöpft. Trotz alledem hatten der Schiffer und Rüstig die Passagiere in der Kajüte nicht vergessen und oft waren sie hinuntergestiegen, um denselben Beistand und Trost zu bringen. Frau Sebald, die während des Tobens der Elemente und des Lärmens an Deck vor Furcht fast von Sinnen gekommen war, befand sich in einem beklagenswerten Zustande, sorglich bewacht von ihrem Gatten; die Kinder waren nicht aus ihren Kojen gekommen, den kleinen Albert ausgenommen, den die geduldige und unermüdliche Juno keinen Augenblick aus den Armen ließ.

Der dritte Tag des Sturmes brach an und die Aussichten waren so schlimm wie zuvor. Die Wogen hatten das Kompaßhäuschen fortgerissen, wodurch es unmöglich wurde, ferner noch den Kurs des Schiffes zu bestimmen; zudem leckte das Fahrzeug vorn und hinten, so daß jeder einsah, daß es mit ihm zu Ende gehen mußte, wenn der Sturm sich nicht bald legte.

Der Schiffer schaute sorgenvoll drein, lastete doch eine schwere Verantwortlichkeit auf seinen Schultern. Er hatte nicht nur den Verlust eines wertvollen Schiffes, sondern auch den einer noch wertvolleren Ladung zu fürchten, vor allem aber den Verlust so vieler Menschenleben. Und dabei wuchs die Gefahr von Stunde zu Stunde, denn der Pacific befand sich jetzt in einer Meeresgegend, die von Klippen und niedrigen Koralleninseln wimmelte, auf die das Schiff zugetrieben werden konnte, ohne daß er imstande gewesen wäre, dasselbe in seinem verkrüppelten Zustande vor einer Strandung zu bewahren.

»Die Sache gefällt mir gar nicht, Rüstig,« sagte der Kapitän zu dem alten Steuermann, »wir rennen wissentlich in eine Gefahr hinein und können uns nicht davor schützen.«

»Das ist schon wahr,« antwortete Rüstig, »wir können uns nicht schützen, aber der Herrgott kann das, und sein Wille geschehe.«

»Amen!« antwortete der Kapitän ernst und fuhr dann nach einer kleinen Pause fort: »Als ich das Kommando dieses Schiffes erhielt, da wurde ich von vielen Schiffern beneidet; ob dieselben wohl heute mit mir tauschen möchten?«

»Das glaube ich nicht, Kapitän, aber man kann nie wissen, wie der Tag enden wird. Voll Hoffnung gingen Sie an Bord, gegenwärtig aber mögen Sie wohl so etwas wie Verzweiflung empfinden; indes nur Mut; wer weiß, wie bald der Allmächtige diesem Unwetter Schweigen gebietet, und vielleicht morgen schon können wir wieder das Beste hoffen; unter allen Umständen haben Sie Ihre Schuldigkeit gethan und mehr als das kann niemand thun. Ich wünschte nur, daß Rickmers nicht so viel fluchte und lästerte; mir ist immer, als ob der Wind dann stärker würde, als zürne er darüber, daß so elende Würmer wie wir sich gegen seinen göttlichen Meister auflehnen.«

Der Kapitän wollte etwas entgegnen, da aber sah er eine riesige Woge auf das Schiff zueilen.

»Festhalten, Rüstig!« schrie er, »festhalten!«

Rüstig hatte gerade noch Zeit, mit beiden Händen die Nagelbank zu packen, da stürzte die Woge auch schon über das Schiff her; die Wassermasse war so gewaltig, daß sie ihnen die Füße unter dem Leibe wegriß, sie hielten sich jedoch mit Aufbietung aller Kraft fest und so konnten sie sich endlich wieder aufraffen.

»Diesmal sind sicherlich ein paar Spanten locker geworden,« sagte Rüstig, indem er das triefende Wasser von sich schüttelte.

»Wenn's nur dabei geblieben ist,« antwortete der Schiffer, »solche Schläge kann selbst das festeste Fahrzeug nicht lange aushalten.«

Die ganze Nacht trieb das Schiff vom Sturm gepeitscht durch die Finsternis. Bei Tagesanbruch ließ der Wind nach und auch die See beruhigte sich etwas. Der Schiffer benutzte die Gelegenheit und befahl der Mannschaft, Hilfsmasten aufzurichten, und während die von den Strapazen fast aufgeriebenen Leute sich willig an die Arbeit machten, erschienen Herr Sebald und sein Sohn Wilhelm auf dem Deck.

Der Knabe starrte mit großen Augen um sich; er gewahrte zu seinem ungemessenen Erstaunen, daß die hohen Masten mit all ihren Raaen und dem gesamten Takelwerk verschwunden waren und daß das Deck sich in einem Zustand der ärgsten Unordnung und Verwüstung befand.

Nachdem er lange keine Worte gefunden hatte, sagte er endlich:

»Wie sollen wir aber ohne Masten und Segel nach Australien kommen?«

»Wir müssen's eben versuchen, mein Junge,« antwortete der alte Rüstig; »ein tüchtiger Seemann weiß sich auch da noch zu helfen, wo alle anderen Menschen keine Hilfe mehr für möglich halten; du sollst sehen, daß wir noch vor Anbruch der Nacht wieder ganz flott unter Segel sein werden. Wie geht es der Madam?« wendete er sich an Herrn Sebald, »ich will hoffen, daß sie sich besser fühlt.«

»Das muß ich leider verneinen,« antwortete der Gefragte, »sie ist recht schwach und elend und so wird sie wohl auch bleiben, bis das Wetter sich ändert. Glauben Sie, daß wir bald wieder schöne Tage haben werden?«

Der alte Rüstig schüttelte den Kopf.

»Ich fürchte,« sagte er, »daß die schlimme Zeit für uns noch nicht vorüber ist. Wenn einer fünfzig Jahre lang zur See fährt, dann lernt er dies und das. Die dunkle Wolkenbank dort drüben gefällt mir nicht und es soll mich gar nicht wundern, wenn es aus jener Richtung wieder zu wehen anfängt, und zwar noch ehe es Abend wird.«

»Gottes Wille geschehe!« seufzte Herr Sebald. »Mir bangt um mein armes Weib, das so schrecklich von der Seekrankheit leidet.«

»Machen Sie sich deswegen keine unnötigen Sorgen,« erwiderte Rüstig, »die Seekrankheit ist ein schlimmes Ding, ich habe aber noch keinen Menschen daran sterben sehen. Weißt du schon, Wilhelm, daß wir einige von unseren Leuten verloren haben, während du unter Deck stecktest?«

»Nein; ich hörte den Steward wohl etwas von dem Fockmast erzählen, allein ich mochte nicht fragen, um die Mutter nicht noch mehr in Angst zu setzen.«

»Du bist ein verständiger Knabe, aber höre – fünf unserer besten Matrosen sind hinüber; einer wurde über Bord gewaschen, zwei erschlug der Blitz und zwei kamen unter dem stürzenden Großmast zu Tode.«

Wilhelm schwieg ergriffen, auch sein Vater schaute mit tiefem Ernst in die Ferne. Endlich nahm der letztere das Wort.

»Wenn man's recht überlegt, Rüstig,« begann er, »dann hat ein Seemann eigentlich nicht das Recht, sich zu verheiraten.«

»Der Meinung bin auch ich stets gewesen,« antwortete der Alte, »und manches arme Seemannsweib mag schon denselben Gedanken gehabt haben, wenn es in stürmischer Mitternacht wachend, wartend und betend im einsamen Stübchen saß und dem Toben des Sturmwinds draußen lauschte.«

Sebald nickte. »Mit meiner Bewilligung,« fuhr er fort, »soll keiner meiner Knaben zur See gehen, so lange noch andere Berufsarten für sie offen stehen.«

Rüstig lächelte.

»Gewöhnlich heißt es, daß ein Junge, der sich in den Kopf gesetzt hat, Seemann zu werden, nicht durch zehn Pferde davon abzubringen sei,« sagte er, sein graues Haupt wiegend, »aber das ist dummer Schnack. Wenn der Vater nein sagt, und es ernstlich meint, dann will ich den Jungen sehen, der sich dagegen auflehnte. Denn sehen Sie, Herr Sebald, solch ein halbes Kind weiß noch gar nicht was es will. Daß ein Junge, der Mut und Unternehmungsgeist hat, am liebsten zur See gehen möchte, das ist ganz natürlich, wenn man aber diesem Drange auf den Grund geht, so stellt sich in den meisten Fällen heraus, daß dem Jungen weniger an dem Seeleben liegt, als daran, der Aufsicht seiner Eltern und Lehrer zu entwischen.«

»Sehr richtig, Steuermann; sie wollen unabhängig sein und glauben diesen Wunsch auf der See verwirklichen zu können.«

»Was sich dann aber bald als ein dicker Irrtum herausstellt,« schmunzelte Rüstig. »Glauben Sie mir, kein Sklave hat es so schlecht, wie ein Schiffsjunge während der ersten Jahre seiner Laufbahn; für jedes Scheltwort, das er am Lande erhielt, kriegt er auf See zehnmal Prügel. Es ist ein hartes Leben, und die sind wahrlich zu zählen, denen es nicht gleich von Anfang an bitter leid geworden ist und die nicht gern zum Vater zurückgekehrt wären, wie jener verlorene Sohn in der Bibel, wenn sie sich nur nicht so geschämt hätten.«

»So ist es, Rüstig, und darum meine ich auch, daß ein Vater das Recht hat, seinem Sohne die Erlaubnis, zur See zu gehen, zu verweigern, so lange der Junge noch etwas anderes werden kann. Es wird deshalb ein Mangel an Matrosen nicht eintreten, denn es giebt Leute genug, deren Söhne nicht in der Lage sind, einen besseren Beruf zu wählen, und die thun dann auch gut, zur See zu gehen, da sie dazu kein anderes Kapital gebrauchen, als Körperkraft und Gewandtheit.«

Rüstig nickte Beifall. »Darf ich nun fragen, wie Tommy und die andern Kinder sich befinden, auch die Mamsell Juno?«

»Denen geht's gut, einige Beulen und Schrammen abgerechnet, die sie durch das Umherwerfen davontrugen,« antwortete Herr Sebald. »Es ist aber Zeit, daß ich wieder hinuntergehe, meine Frau wird auf mich warten. Bleibst du noch an Deck, Willy?«

»Es ist besser, wenn er mit Ihnen geht,« meinte Rüstig. »Wir haben hier alle Hände voll zu thun, und da kann ich nicht genügend auf ihn achten; heute kommt keiner von uns zur Koje, da wir auch die Arbeit der armen Verunglückten zu leisten haben. Also gute Nacht, Herr Sebald, gute Nacht, Willy, mein lieber Junge.«


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