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9

Am Abend, als Nikolka müde in seinem Zimmer saß und an die bevorstehende Zusammenkunft mit Frau Kostizina dachte, wurde leise an die Tür gepocht, und der flachsblonde Dienstbruder trat ein, auf Zehenspitzen, um den Bischof nicht zu wecken. Er beugte sich zum Abt hinab und sagte in erregtem Flüsterton:

»Vater Abt, Michail ist aus der Herberge gekommen und bittet Sie, ihn zu empfangen. Er sagt, es sei etwas Schlimmes vorgefallen …«

»Schon wieder etwas vorgefallen? Herrgott, Allmächtiger, wann wird denn endlich Frieden und Stille eintreten! Könnt Ihr denn nicht Ruhe geben, wenigstens solange die Gäste hier sind? … Laß ihn kommen.«

Nach der Klosterregel verneigte sich Michail dreimal bis zum Boden.

»Vater Abt, Unheil …«

»Ssst … Sprich leise! Also was ist schon wieder geschehen?«

»Dieser Boris, der Student … Ich weiß gar nicht, wie ich es sagen soll, man schämt sich ja!«

»Sage nur alles, ohne Umstände … Also?«

»Also er brachte den Samowar auf Zimmer 33, und da er lange nicht zurückkehrte, ging ich mal nachsehen …«

»Nun, und?«

»Die Gnädige war allein im Zimmer, diese Frau Kostizina. Das Fräulein war mit der Prinzessin ausgegangen.«

»Kürzer.«

»Also ich sah hinein, sie ging im Zimmer auf und ab und machte ihm Vorstellungen: ›Aber, Borja‹, sagte sie, ›was fällt Ihnen ein! Sie sind doch Mönch, Sie müssen sich bezwingen, statt dessen dringen Sie in mich, ich möchte mit Ihnen sündigen …‹ Er flehte sie an, mit ihm zu buhlen, stürzte sich plötzlich auf sie und schleppte sie auf das Bett. Sie weinte, ich hörte, wie sie schluchzend sagte: ›Aber, Borja, was wollen Sie, was tun Sie – Sie sind doch Mönch!‹ Sie stieß ihn zurück, wehrte sich, er aber umwand sie wie eine Schlange, zerriß ihr das Hemd über der Brust … Sie konnte gar nichts gegen ihn ausrichten, weinte nur, sperrte sich.«

»Hast du das alles selbst gesehen?«

»Alles, alles habe ich gesehen. Aber im letzten Augenblick wurde er gestört. Herr Barmanskij und die jungen Damen kamen vom Bahnhof zurück und traten unerwartet in das Zimmer. Ich war mit dem Eimer auf den Hof geeilt, und als ich zurückkam, hörte ich, wie der Herr Boris links und rechts eins hinter die Ohren gab und ihn aus dem Zimmer jagte.«

»Er soll sofort zu mir kommen; du führst ihn her; sofort!«

Der Abt erinnerte sich, wie ihn Boris bei seiner Ankunft Nikolai genannt hatte; der Novize mußte alles über die kleine Fenja wissen, auch, daß der Ingenieur ihn, Nikolka, hinausgeworfen und unter der Bewachung von zwei Arbeitern ins Kloster zurückgeschickt hatte. Er biß sich zornig auf die Lippen, schritt von einer Ecke in die andere. Demütigen, strafen wollte er den ausgerissenen Studenten, in die unterirdische Sakristei einsperren, aber er fürchtete, daß Boris es Frau Kostizina mitteilen und ihr zugleich all das andere erzählen könnte. Dann wäre es nicht nur aus mit seiner Hoffnung auf die Heiligsprechung des Klostergründers, sondern ihm selbst, dem Abt, würde Verbannung drohen. Er mußte erst auf die Abreise der Gäste warten, nachher konnte er sich dann den Novizen vornehmen …

Heute müßte er nur sehen herauszubekommen, was zwischen Boris und der kleinen Fenja vor sich gegangen war, um es morgen Frau Kostizina erzählen zu können und den Novizen bei ihr anzuschwärzen; sie würde bestimmt Näheres über ihn wissen wollen. Wenn ihm Boris da nur nicht zuvorgekommen war? Nikolkas Erregung wurde immer größer, seine Gedanken überstürzten sich; die Sache mit der Reliquie, Arischa und sein Kind, Zorn über Boris, dem er gern sofort eine schwere Kirchenbuße auferlegt hätte, die heimliche Zusammenkunft mit Frau Kostizina am nächsten Morgen – das alles wogte wirr durcheinander, erregte ihn; wie benommen starrte er vor sich hin. Als an die Tür geklopft wurde, setzte er sich wieder auf den Diwan.

Stumm sank Boris vor dem Abt auf die Knie.

»Du tobst dich hier aus?«

Boris senkte den Kopf noch tiefer, schlug die Hände vor das Gesicht.

»Jetzt schweigst du?«

Boris' Schultern zuckten.

Von jäher Wut übermannt, beugte sich Vater Gerwaßij zu dem Novizen hinab und sagte, kurz und stürmisch atmend, in zornigem Flüsterton:

»Die Maske deiner engelgleichen Demut hast du fallen lassen, du junger Hund?«

Nikolka erinnerte sich, wie der greise Abt Sawwa, vor Erregung und Empörung am ganzen Leibe zitternd, ihm Vorstellungen wegen seines lasterhaften Lebens gemacht hatte, und begann im Tone Sawwas zu predigen:

»Im Kloster des Starez Simeon, an heiliger Stätte, hast du dich auf eine Frau gestürzt, hast ihr die Kleider vom Leibe gerissen, um sie in lasterhafter Verruchtheit zu vergewaltigen? … Dein Leben lang sollst du dafür büßen, in einer Zelle eingeschlossen beten und fasten; weißt du das? Du meinst wohl, ich würde dich einfach aus dem Kloster jagen, damit du in der Welt ungehemmt dem Laster frönen kannst? … Nein, in den Keller unter dem Speisesaal kommst du! … Sprich: dein Augen hast du lüstern zu einem schönen Weibe erhoben?«

Vor Schreck und Entsetzen über die Beschuldigungen und verwirrt und benommen durch die Wut des Abtes, stammelte Boris:

»Sie haben mich gepeinigt, sie … die Frauen …«

»Also, sie haben dich gepeinigt, und nicht du hast sie am helllichten Tage vergewaltigen wollen! … Die Erde duldet alles, wie aber wirst du beim Jüngsten Gericht deine Taten verantworten können – daran hast du nicht gedacht, als du zum Verbrecher wurdest? Nun? … Sprich, beichte …«

»Der Herr hat mich gestraft … für meine früheren Sünden, für alles …«

Der bläuliche Schein des heiligen Lämpchens warf ein breites, leise schwankendes Lichtkreuz auf den Fußboden; ein Streifen sank schimmernd auf Boris' Kopf. Immer noch zuckend, stammelte er mühsam:

»Ein Wunder wollte ich vollbringen … Durch meine Liebe eine Todgeweihte retten, auferwecken …«

Nikolka hörte gespannt zu, seine gierigen Augen bohrend auf den Novizen gerichtet. Er spürte, daß Boris von etwas Seltsamem, Ungewöhnlichem sprach, und steigerte durch seine Fragen und Zwischenrufe die ungeheuere Erregung, in der sich beide befanden, bis zum Delirium.

»Vom Tode auferwecken? Wen? Die kleine Fenja?«

»Ein Mädchen … das reinste Mädchen der Welt … Auch durch Fenitschka hat mich der Herr geschlagen …«

»Wo hast du sie getroffen? Hast du mir ihr gelebt?«

»Ja, in einem Hause mit ihr … Von ihrem Wein berauscht …«

Nikolka unterbrach ihn vor Ungeduld:

»Du hast mit ihr gelebt? Liebt sie jetzt jeden, geht von Hand zu Hand? Und vor ihr bist du hierher geflohen, um im Kloster wieder dem Laster zu frönen?«

Mit brechender Stimme flüsterte Boris:

»In der Nacht bin ich vor ihr geflohen, ins Kloster … Aber sie verfolgt mich auch hier … Nach jenem ersten Male, da ich gesündigt habe, läßt sie mich nicht, sie ist mir hierher gefolgt und peinigt mich … als die Versuchung durch das Weib …«

»Sie ist hergekommen? Fenitschka? Wo, wo ist sie? Was will sie hier?«

Keuchend, in hastigem Flüsterton, stießen beide die Worte hervor, wie fiebernd, delirierend.

»Um mich zu versuchen, durch Tränen, durch Beschwörungen … In die Welt zurück ruft sie mich …«

»Darum ist sie hergekommen, deinetwegen, um dich zu holen? … Also an einer hast du nicht genug? Du stürzt dich noch auf eine zweite?«

»Sie wurde ohnmächtig … Wasser … Ein nasses Handtuch auf die Brust …«

»So hattest du sie zugerichtet? Die kleine Fenja, wie die andere?«

»Sie würgte mich, weinte …«

»Du würgtest sie! Fenitschka auch? …«

Boris konnte nicht mehr, er schluchzte leise. Gerwaßij, über ihn gebeugt, meinte zu ersticken. Beide atmeten heftig. Schwiegen. Begannen wieder zu sprechen, wieder aneinander vorbei. Nikolka zitterte vor Wut, er wollte Boris ausfragen, Einzelheiten wissen, konnte aber aus dessen wirrem Gestammel nichts herausbringen. Boris bebte unter der zischenden Wut des Abtes wie in einem Fieberanfall und verstand in seiner Verstörtheit nicht die Flüsterworte des Zürnenden, dessen Erregtheit ihn immer mehr verwirrte.

Sie verstummten wieder. In der Stille war das stürmische Hallen ihrer Herzen deutlich hörbar, das lauter klang als das leise, eintönige Ticken der alten Standuhr.

Als die Glocke zur Mitternachtsmesse rief, erwachten beide jäh wie aus einer Betäubung.

»Geh und tu Buße … Ich werde dich rufen lassen. Wenn die Gäste fort sind, wirst du deine Sünden sühnen. Geh, weck' die Wallfahrer!«

 

Die Sonne war erst im Aufgehen, als Nikolka nach einer schlaflosen Nacht aufstand, sich anzog, das Haar mit einem breiten Kamm kämmte, auf den er, wie in seinen jungen Jahren, einige Tropfen Rosenöl geträufelt hatte …

Rosenöl brachten Pilger als Liebesgabe und als Geschenk von Mönchen aus dem Orient, aus Palästina, Konstantinopel, aus dem Kloster Athos. Von Kloster zu Kloster zogen solche Pilger durch das rechtgläubige Land, namenlos, obdachlos, ohne einen Unterschlupf für ihre alten Tage, verurteilt, sich durchzuschlagen durch Betteln in Christi Namen, durch Erzählungen von ihren Wallfahrten in Kaufmanns- und Bürgerhäusern, auf der Wanderschaft, in Klöstern. Sie beförderten für die Mönche Briefe von einer heiligen Stätte zu einer anderen, brachten Kaufleuten Kreuzchen aus Zypressenholz als Amulett gegen frühzeitigen Tod, Olivenholzsplitter aus dem Garten Gethsemane, Reben aus Nazareth in Galiläa. Vor den Stufen der Kathedrale der Hagia Sophia in Konstantinopel erwarben sie bei Türken, Bulgaren, Griechen Rosenöl aus dem Tal der Rosen …

Nebel zog über die Wiesen, die langen Grashalme waren naß, im Walde umfing den Abt auf dem Wege zur Mühle feuchte Kühle. Stille herrschte, der Wald schlummerte noch, Nebelballen schwammen wie unverwehte Träume über die Erde … Nikolka ging nicht in die Mühle, bog in den Wald ab, wußte nicht recht, wohin er sollte, als nicht fern, vom Vorwerk her, ein Hirtenhorn erschallte. Es weckte das Echo im Walde, das von Baum zu Baum rollte; warm erglommen die Stämme, die Sonne war aufgegangen.

Er ging auf das Vorwerk. Arischa war glücklich; lange Wochen war er nicht da gewesen!

»Kolenka, du hast ja unseren Jungen noch gar nicht gesehen! Komm, sieh ihn dir an – er hat Ähnlichkeit mit dir und soll auch Nikolai heißen.«

Nikolka blickte verlegen in die Wiege, zuckte die Achseln, warf den Kopf zurück und trat beiseite.

»Halt ihn ein bißchen.«

Das Kind schrie, weinte. Nikolka zuckte zusammen und sah sich erschrocken nach allen Seiten um; ihm war, als blickte jemand durch das Fenster herein.

»Gott, was hast du denn, Kolenka? Du siehst ja ganz verstört aus! Es ist doch niemand hier …«

Sie nahm ihm das Kind ab, setzte sich aufs Bett, um es zu stillen. Er hörte, wie der Kleine saugte und mit den Lippen schmatzte, wenn er die stumpfe spritzende Warze fahren ließ und dann wieder gierig umfing. Nikolka rührte sich nicht, starrte mit blinden Augen auf den Fußboden. Plötzlich warf er den Kopf zurück, schüttelte seine Locken, wandte sich kurz um und schritt der Tür zu, wobei er etwas Unverständliches vor sich hinbrummte.

Arischa eilte ihm nach, vertrat ihm den Weg, flüsterte, während ihr Tränen aus den Augen rollten.

»Kolenka, was ist denn, was hast du? So lange bist du nicht dagewesen, so sehnsüchtig habe ich auf dich gewartet! … Ich habe dir doch einen Sohn geboren … Du aber hast ihn nicht einmal geküßt, auch mich nicht … Als wären wir dir ganz fremd …«

Er schob sie mit dem Arm beiseite.

»Laß, ich bin nur auf einen Augenblick hergekommen, ich eile …«

Er schritt die Stufen hinab, wandte sich kein einziges Mal um, obwohl er ihre jammernde Stimme hörte:

»Kolenka, geh noch nicht, kehre zurück … Kolenka …«

Finster, in sich versunken, schritt er durch den Wald. Nicht geküßt hatte er sie? Auch sie hatte ihn ja nicht geküßt, obwohl sie ihn so lange nicht gesehen hatte …

 

Statt der süßlichen Milch tropften Arischas Tränen auf die Lippen des Kindes, das nach dem salzigen Naß haschte, schmatzte und noch heftiger zu weinen anfing.

Verletzt und gekränkt fühlte sich die junge Mutter, und die Angst, Nikolka ganz zu verlieren, preßte ihr die Kehle zusammen. Voll Jammer und Verzweiflung rief sie nach ihm, gab ihm zärtliche Namen, versprach, ihn noch heißer, noch selbstvergessener zu lieben, wenn er nur bleiben, nicht von ihr gehen, sie nicht allein lassen wollte; das wäre jetzt noch schrecklicher als je zuvor! Wenn sie sich vorstellte, daß sie nun nicht mehr allein, sondern mit ihrem Kinde bettelnd von Dorf zu Dorf ziehen müßte – und das nicht als Bußtat, im Namen des Klosters, sondern um ihr und ihres Kindes Leben zu fristen – meinte sie, ihr Herz würde brechen. Sie hatte ihn angefleht, zurückzukehren, er aber hatte nicht einmal geantwortet … Immer ungestümer flossen ihre Tränen. Verzweifelt drückte sie ihr Kind an die Brust, das weinte und mit den Lippen suchte. Da öffnete sie ihm das Kleid, und als der Kleine befriedigt schmatzte, wurde auch sie allmählich stiller.

 

Als der Abt sich der Mühle näherte, fühlte er sich scheu wie vor Jahren bei der ersten Zusammenkunft mit der kleinen Fenja. Er sprach beim Müller vor, trank zur Beruhigung ein Glas Kwas, stellte ein paar Fragen über den Wirtschaftsbetrieb, nahm ein Stück Brot, auf das er Salz gestreut hatte, mit und ging an den See. Hier setzte er sich auf den Rand des Bootes und kaute langsam, von Zeit zu Zeit Blicke nach dem Waldpfad werfend.

Zwischen den Stämmen herrschte lila Halbdunkel. Er sah Frau Kostizina, die ein fliederfarbenes Kleid trug, nicht herankommen. Als sie ihn ansprach, zuckte er zusammen.

»Haben Sie lange auf mich gewartet, Vater Gerwaßij?«

»Ich hatte hier Wirtschaftsangelegenheiten zu erledigen …«

Er stieß das schwankende Boot vom Ufer ab, sprang mit einem Satz hinein und suchte möglichst schnell in die schimmernde Mitte des breiten Sees zu gelangen. Ihm war, als blickte ihnen jemand aus dem Walddickicht nach. Unter seinem Käppchen hervor perlte Schweiß. Wie einst für die kleine Fenja, zog er mit den Rudern Wasserrosen heran, band sie zu Sträußchen zusammen, die er zu Füßen der jungen Frau niederlegte, gierig auf ihre Beine in den durchsichtigen Strümpfen starrend.

Eine Rohrdommel schrie, aus dem Schilf stiegen schnatternd Wildenten auf, auf einer kleinen Insel inmitten des Sees stand auf einem Baumstumpf neben einer niedrigen Tanne wichtig ein Kranich. Um den Bug des Bootes plätscherten leise Wellen.

Nikolka traute sich anfangs nicht zu sprechen, ruderte oder pflückte Wasserrosen. Wie alle wollte auch Frau Kostizina wissen, weshalb er ins Kloster gegangen sei, und ob es ihn nicht zurück in die Welt ziehe. Er antwortete einsilbig, taute aber allmählich auf. Wenn er sie verstohlen betrachtete, mußte er an den Vorfall mit Boris denken; Michails Darstellung entsprach wohl der Wahrheit …

Wieder ruderte er den Waldbach hinauf, befestigte das Boot an derselben umgestürzten Fichte und stützte, wie einst der kleinen Fenja, Wera Alexejewnas Hand, während sie den bemoosten Stamm entlang schritt; er hielt ihre Hand fest in der seinen und drückte sie zärtlich.

Sie setzten sich auf das Moos. Er atmete schwer; sein ganzer Körper strebte dem Weibe zu … Sie spürte es, verstand seine Blicke und wollte den Abt necken …

»Wie hübsch Sie sind, Vater Gerwaßij … Man könnte sich geradezu in Sie verlieben …«

»Wirklich?«

»Und gefalle ich Ihnen? …«

»Sehr …«

»Nur Ihren Boris zu erobern, will mir nicht gelingen. Entlassen Sie ihn aus dem Kloster, geben Sie ihn frei!«

Von Wut und Eifersucht übermannt, rief Nikolka dumpf:

»In den Keller kommt er … Eine Kirchenbuße will ich ihm auferlegen …«

»Wofür? Warum wollen Sie den armen Jungen quälen?«

»Ich weiß, ich weiß alles … Gewürgt hat er Sie …«

»Das ist eine Lüge; wer hat Ihnen das gesagt? Wer behauptet, das gesehen zu haben?«

»Ein Novize!«

»Also durchs Schlüsselloch hat er gespäht? Ja .? … Gott, wie häßlich! Und Sie schenken den Angaben solcher Leute Glauben? … Es ist nicht wahr. Ich, ich wollte ihn verlocken, um ihn zu retten … Unterstehen Sie sich nur, ihm ein Haar zu krümmen! Ich würde nicht davor zurückschrecken, dem Bischof meine Schuld zu beichten …«

Es hing zu viel von ihr ab, und er wollte sie ja bitten, sich bei dem Bischof für die Heiligsprechung des Klostergründers einzusetzen … So schwieg er finster.

»Geben Sie mir Ihr Wort, daß Sie den Jungen nicht anrühren werden.«

»Verzeihung, Wera Alexejewna; mein Ungestüm hat mich fortgerissen. Ich will ihm nichts tun, ich verspreche es Ihnen.«

»Nun, sehen Sie, ich wußte ja, daß Sie ein gutes Herz haben … Aber wie kommen Sie dazu, auf ihn eifersüchtig zu sein? Gestehen Sie, daß Sie auf ihn eifersüchtig sind? … Einer Frau wegen darf man nicht eifersüchtig sein, einer Frau ist alles erlaubt; wissen Sie das denn nicht?«

Er rückte näher an sie heran und begann über sich zu sprechen, über das sinnliche Verlangen, das ihm das Leben im Kloster schwer mache, ergriff ihre Hände und suchte die junge Frau an sich zu ziehen. Sie entriß sie ihm lachend.

»Warum diese Aufregung? … Halten Sie still, dann gebe ich Ihnen meine Hände von selbst.«

Sie legte ihm die Hände auf die Schultern, näherte ihr Gesicht dem seinen, sagte:

»Sie haben versprochen, mir Boris' Geschichte zu erzählen, erinnern Sie sich noch? Nun erzählen Sie.«

Er zuckte wieder zusammen und blitzte sie mit den Augen zornig an.

»Zuerst erzählen Sie, Vater Gerwaßij … Aber die lautere Wahrheit. Und nachher …«

Ohne zu blinzeln, blickte sie ihm heiß in die Augen, so daß ihm das Blut jäh zu Kopfe schoß.

»Er hatte eine Braut, die starb … Nachher hatte er etwas mit einem anderen Mädchen … Floh aber von ihr …«

Er stieß die Worte mühsam hervor, atmete schwer durch den halb geöffneten Mund, vor Begierde kaum noch seiner Sinne mächtig. Jäh packte er sie an den Schultern und warf sich über sie.

Wera Alexejewna suchte ihn abzuwehren, biß ihn in den Arm, rief halblaut:

»Was erlauben Sie sich! Lassen Sie … Hören Sie, was ich sage … Ich habe ja bloß gescherzt!«

Stumm suchte er ihren Widerstand zu brechen …

Im Buschwerk ertönte Geräusch, Reisig knackte, jemand schrie:

»Nikoluschka, du machst dich wieder an die kleine Fenja heran?«

In tierischer Wut sprang der Abt auf, starrte wie irr in den Wald und rief, nach Luft ringend, mit sich überschlagender Stimme:

»Waßka! … Waßka … Waßka …«

Trockene Äste knackten unter eilig dahinstürmenden Schritten. Noch einmal rief dieselbe Stimme:

»Fenja, die Tochter des Bösen, verjag' mit dem Besen …«

Erschrocken fragte Wera Alexejewna:

»Wer war das, wer?«

»Der Blöde … Waßka … Waßenka …«

»Wie denn, hat er … hat er gesehen? …«

»Er treibt sich überall herum. Ich hatte angeordnet, daß man ihn einsperrt.«

Betreten flehte er sie an, ihm zu verzeihen, ihn nicht anzugeben, sein Leben nicht zu zerstören. Für den Mönch sei das Weib die Versuchung, führte er aus, und um ihr zu widerstehen, reiche eines Menschen Kraft nicht aus, der Satan sei stärker …

Wera Alexejewna lachte belustigt. Boris fiel ihr ein, sie sagte:

»Glauben Sie jetzt, daß ich auch gestern die Schuldige war und nicht Boris? Und eben wollte ich auch Sie auf die Probe stellen.«

»Ja, ich glaube Ihnen, Wera Alexejewna …«

»Und nun hat der Blöde mich vor Ihnen und Sie vor dem Sündenfall bewahrt. Also freuen wir uns; Ende gut, alles gut. Und jetzt bringen Sie mich nach Hause …«

Auf dem Rückwege sprach er die ganze Zeit davon, wie er durchaus Abt im Kloster Belobereshsk hatte werden wollen, um die Heiligsprechung des Klostergründers durchzusetzen; das sei der Traum seines Lebens. Doch der Satan wirke dem entgegen, indem er ihn, Gerwaßij, immer wieder in Versuchung führe; Gerwaßijs Sünden wegen habe es auch der Starez Simeon bisher nicht zur Heiligsprechung kommen lassen, trotzdem aber ununterbrochen Wunder gewirkt. In Frau Kostizinas Gestalt habe der Starez ihn noch einmal durch eine große Versuchung prüfen wollen, doch als er in seiner sündigen Schwäche daran gewesen sei, zu unterliegen, habe der Starez ihn durch ein Wunder im letzten Augenblick vor der Sünde bewahrt.

»Nun will ich sehen, durch inbrünstiges Gebet Vergebung zu erlangen …«

Als sie gelandet waren, bat er Wera Alexejewna, persönlich und durch die Prinzessin dahin zu wirken, daß der Bischof sich für die Heiligsprechung des Starez einsetze.

»Wenn Seine Eminenz sich der Sache annimmt, ist der Erfolg sicher.«

»Und Boris werden Sie nicht anrühren?«

»Ich schwöre es Ihnen beim Namen des Herrn.«

Auf der Wiese trafen sie Barmanskij und Sina. Barmanskij, in Panamahut, blauem Rock, weißen Flanellhosen, lang und dürr, schwang sein Stöckchen, kniff die Augen hinter dem Klemmer halb zusammen und sagte mit harter, spöttischer Stimme zu Frau Kostizina:

»Sinotschka und ich sind auf der Suche nach Ihnen …« Er trat auf Gerwaßij zu. »Ich bitte um Ihren Segen, Vater Abt.«

Verlegen, hastig, schlug Nikolka das Kreuz über ihm.

Barmanskij bat, der Abt möge doch auch mit ihm und Sina Boot fahren und ihnen die Schönheiten des Sees zeigen. Wera Alexejewna sprang Nikolka bei.

»Vater Gerwaßij hat es eilig, aber er wird uns den Schlüssel zum Boot lassen.«

Nikolka gab ihr den Schlüssel und ging quer über die Wiese nach der Einsiedelei. Er bat den Starez Akakij nachdrücklich, Waßenka einzusperren, damit er die Gäste, vor allem die Damen, mit seinen wüsten Schreien im Walde nicht erschrecke, was bereits einmal geschehen sei: der Blöde sei mit erhobenen Händen auf eine Dame zugestürzt und habe ihr unanständige Worte über teuflische Versuchungen zugerufen.

Der Starez antwortete:

»Aus dem Munde der Geringen spricht der Herr zu uns.« Er fügte hinzu: »Ich will auf ihn acht geben und ihn belehren … Seine Seele ist wie brennendes Wachs …«

 

Seit des Fürsten und Barmanskijs Ankunft war Leben in die sich langweilende Gesellschaft gekommen. Täglich wurde etwas Neues veranstaltet: Ausflüge, ein Mittagessen bei der Prinzessin, Tee mit Schnaps und Imbiß beim Abt. Die Köche suchten einander zu überbieten. Bloß die Bruderschaft ächzte – die Hunderter in der Klosterkasse schmolzen nur so dahin. Nikolka zählte nicht mehr; er wollte es den Gästen recht machen und tröstete die Bruderschaft mit dem Hinweis, daß die größten Ausgaben belanglos seien: wurde der Starez heiliggesprochen, so würden alle Unkosten in einem Jahr gedeckt sein. Auch die Geistlichkeit der Stadtkathedrale lebte einen frohen Tag und bat um Geldspenden – die Archidiakone waren die Überbringer. Nikolka wies niemand ab. Als die laufenden Mittel des Klosters aber nicht mehr ausreichen wollten, wandte er sich an den Bewahrer der Kirchengeräte um Rat.

Auch Bischof Ioßaf hatte dem Bewahrer der Kirchengeräte gegenüber geäußert, daß das Kloster seine Gäste zwar herzlich und gastfreundlich aufnehme, aber vergesse, den bischöflichen Haushalt tatkräftig zu unterstützen, sich mit unbedeutenden Spenden begnüge, die im Winter dazu noch völlig aufhörten; dabei sei es das reichste Kloster im ganzen Gouvernement.

Am Abend, als Gerwaßij zum Bewahrer der Kirchengeräte kam, sprachen sie darüber.

»Wir haben jetzt nur wenig Geld, Vater Wassilij, die Einkünfte reichen nicht aus. Sie wissen ja selbst, wieviel die Aufnahme der hohen Gäste kostet.«

»Ich spreche vom Winter, Vater Abt; im Winter unterstützen Sie den Bischof nicht. Dabei wirkt Ihr Starez Wunder, zahllose Wallfahrer strömen in Ihr Kloster …«

»Ich weiß nicht, was ich machen soll, Vater Wassilij; das Geld langt nicht, und da wollte ich mich mit Ihnen beraten … Das Kloster hat fünftausend Dessjatinen Wald, hundertjährigen Hochwald; könnte man nicht einen kleinen Teil davon verkaufen? Dann wäre das Kloster auch in der Lage, den Bischof wirksamer zu unterstützen …«

Die heikle Frage war angeschnitten; beide waren zufrieden darüber. Nikolka versprach, sich auch dem Bewahrer der Kirchengeräte für seine Mithilfe erkenntlich zu erweisen, und die Geistlichkeit und die verwaisten Seminaristen gleichfalls nicht zu vergessen (heimlich beschloß er, auch an sich selbst zu denken).

»Meine ganze Hoffnung beruht auf der Heiligsprechung des Starez. Die Bruderschaft ist erregt und murrt. Die Mönche sagen, der Starez wirke Wunder, aber trotzdem kanonisiere man ihn nicht. Sie wollen sich alle zusammentun und gemeinsam den Bischof bitten … Wenn die Reliquien entdeckt werden, so wird das Kloster ungeheure Ausgaben haben: die Aufnahme des Zaren, der Silbersarkophag, die edelsteingeschmückten heiligen Lämpchen und alles Drum und Dran … Wir werden für Geld sorgen, wenn sich der Bischof nur für die Heiligsprechung einsetzen wollte …«

»Ich werde vor Seiner Eminenz Ihren Standpunkt nachdrücklich betonen.«

»Für die Bruderschaft wäre es eine große Freude, wenn Sie es täten.«

 

Voll Verehrung und freudiger Hoffnung blickten die Mönche zu ihrem Abt auf, sanken ihm zu Füßen, wenn sie ihn trafen, um seinen Segen zu empfangen, und wenn sie ihn im Wagen zusammen mit dem Fürsten, der Prinzessin, Frau Kostizina, Sina und Barmanskij Ausflüge machen sahen, folgte ihm ein begeistertes Geflüster:

»Ganz wie der heilige Tichon …«

»Verkehrt mit Laien …«

»Und der Fürst sitzt neben ihm …«

Vom Morgen bis zum Abend wurden am Grabe des Starez Messen zelebriert, und die Ungeduld wuchs. Die Mönche tuschelten:

»Wir müssen den Bischof bitten …«

»Er kann alles …«

»Die Reliquie muß entdeckt werden …«

»Wir müssen ihn alle zusammen bitten …«

»Gemeinsam …«

»Er hat Verbindungen … Verwandte …«

»Es kostet ihn nur ein Wort …«

»Er ist der Onkel …«

 

Am nächsten Morgen berichtete der Bewahrer der Kirchengeräte dem Bischof in halb verschleierter Weise von dem Gespräch mit dem Abt; die Beisteuer des Klosters zu dem bischöflichen Haushalt wäre gesichert, wenn das Kloster einen Teil des Waldes verkaufen dürfte, was sich bei der bevorstehenden Entdeckung der Reliquie des Starez ja sowieso nicht umgehen ließe.

Über die »bevorstehende Entdeckung der Reliquie« sprach Vater Wassilij leise und unsicher, um zurückweichen zu können, falls sich aus dem Ton des Bischofs ergeben sollte, daß dies ratsam wäre. In diesem Augenblick pochte der Dienstbruder des Bischofs an die

»Eure Eminenz, die Bruderschaft bittet Sie demütig, sich in den Speisesaal zu begeben; das ganze Kloster hat sich dort versammelt und wartet auf Ihr Erscheinen.«

Der Bischof, von Vater Wassilij begleitet, ging hin. Er wurde mit Psalmengesang empfangen. Auf den Knien baten ihn die Mönche, auch die ehrwürdigen Starezen, sich der Heiligsprechung des Klostergründers anzunehmen. Ioßaf hörte sie schweigend an.

Nur der greise Vater Akakij fehlte, er hatte es abgelehnt, zum Bischof zu gehen:

»Es ist alles eitel … Was geschehen soll, wird auch so geschehen …«

Den alten Mönchen rannen Tränen aus den Augen. Einer der Greise faßte sich ein Herz, stammelte:

»Eminenz, du kannst es …«

»Du kannst alles …«

Wie ein Echo strich es durch die Reihen der Knienden:

»Du kannst es …«

Bischof Ioßaf beschloß, sich für die Sache einzusetzen. Er segnete die Bruderschaft, wandte sich dem Heiligenbilde des Erlösers zu, kniete nieder und betete um Gottes Segen und Beistand.

Erleichtert atmeten die Mönche auf, wechselten freudige Flüsterworte:

»Die Reliquie wird entdeckt werden …«

»Der Starez heiliggesprochen werden …«

»Jetzt wird es gelingen …«

»Er selbst wird hinreisen und bitten …«

»Er kann alles, alles …«

 

Am Abend ließ der Bischof den Abt und den Bewahrer der Kirchengeräte zu einer Unterredung zu sich kommen. Ganz unbefangen erklärte Seine Eminenz:

»Aber dazu gehört vor allem Geld, Vater Abt. Man wird sich hier und da erkenntlich zeigen müssen, und auch im Kloster muß allerlei vorbereitet werden, wie Sie ja wissen …«

»Geld wird sich finden, Eminenz, wenn nur die Verherrlichung unseres Starez gelingt … Hoffentlich dauert es nicht zu lange …«

Am nächsten Tage berief der Abt die Starezen zu einer Beratung. Sie gaben ihren Segen zum Verkauf eines Teiles des Waldes, und mit Hilfe des Bewahrers der Kirchengeräte und des Gouverneurs gelang es, alle Formalitäten in kürzester Zeit zu erledigen. Dem Fürsten war es ja auch angenehm, daß in seinem Gouvernement die Reliquie eines Heiligen entdeckt werden sollte.

Bald klangen im dunklen Klosterwalde die Äxte der Bauern aus Polpenki, die sich als Holzfäller verdingt hatten, und der Abt tat Fünfhundertrubelscheine – deren Zahl vom Range des Beschenkten abhing – in Briefumschläge. Er vergaß auch nicht, dem Bischof für seine Bemühungen eine angemessene Summe zukommen zu lassen, wie er auch sich selbst gut bedachte. Als er sein Teil in die eisenbeschlagene Truhe steckte, meinte er, daß er nun genug habe, um Arischas und ihres Sohnes Leben sicherzustellen. Nach seinem mißlungenen Annäherungsversuch an Frau Kostizina hatte er begriffen, daß sie und ihresgleichen nur ihr Spiel mit ihm trieben und allein Arischa ihn wirklich liebte. Eitel Freude und Sonnenschein herrschte im Kloster, alle Mönche und Gäste hatten strahlende Gesichter, am glücklichsten von allen aber war Nikolka. In seiner freudigen Erregung litt es ihn nicht allein in seinem Zimmer, und eines Abends stahl er sich auf das Vorwerk.

Er blieb bis zum Morgen und küßte zum Abschied, beruhigt und besänftigt, sowohl Arischa als auch das Kind.

Arischa fühlte sich getröstet, glaubte wieder an seine Liebe und an das Leben.

Nikolka trug den Kopf hoch, fürchtete niemand und nichts; er wußte, jetzt konnte ihm keiner mehr etwas anhaben.

 


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