Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

6

Frau Kostizina kämpfte mit sich, wußte nicht, was sie tun, wie sie auf Boris einwirken sollte, um ihn aufzurütteln. Sie hatte Sina gebeten, ihr zu helfen, aber wenn das junge Mädchen, verlegen und unsicher oder überschwenglich und ungestüm, Boris durch ihr Geplauder zu fesseln suchte und ihn zurückschrecken machte, indem sie auf ihn zulief, seine Hand ergriff, ihm in die klaren Augen blickend, die Hände auf seine Schultern legte, sein Haar berührte, wurde Wera Alexejewna eifersüchtig auf Sina, brach in ein lockendes Frauenlachen aus, suchte Boris zu berühren, aber nicht mit der naiven Unbefangenheit des jungen Mädchens, sondern als wissende Frau, die in den Händen ein leises Prickeln bei der Vorstellung verspürte, sein Gesicht, seine erglühenden, zuckenden Hände zu streicheln.

Dann wurde Sina ihrerseits eifersüchtig auf Wera Alexejewna. Frau Kostizinas Worte, Sina solle Boris durch ihre Liebe retten, sich selbst in ihn verlieben und glücklich werden, hatten das junge Mädchen nachdenklich gestimmt. Sie liebte ihn nicht, aber sie hoffte, ihn zu erobern, in sich verliebt zu machen.

 

Boris litt unter dem Werben der Frauen. Er erschauerte, schrak zusammen, zog sich in sich selbst zurück, verstummte. Das Bild der Verstorbenen erstand klarer, zwingender vor ihm, wenn er Sinas forschendem Blick begegnete. In der Nacht, bevor er in die alte Herberge ging, um die Wallfahrer zur Nachtmesse zu wecken, suchte er Linas Bild hervor, um das ihre Zöpfe gewunden waren, betrachtete es lange beim Schein des heiligen Lämpchens, drückte die Haare an seine Lippen, um ihre Wärme, ihren Duft zu spüren. Doch dem Haar entstieg kein warmer Hauch; trocken, verfilzt lag es da, ja, roch nach Staub. Sein Herz, seine Kehle preßten sich zusammen. Er mußte an sich halten, um nicht in Tränen auszubrechen, während er ihr Bild wieder verbarg und aufstand, um seinen Dienst zu beginnen.

Auch andere Frauen in der Herberge warben um ihn, besonders die hübsche Gattin des Bewahrers der Kirchengeräte. Boris bemerkte es mit schmerzlicher Resignation. Nur in das Zimmer 33 fürchtete er sich einzutreten, und wenn Wera Alexejewna von wehleidigen Worten zu lockenden überging, die Verlangen weckten, schrak er zurück und meinte die kleine Fenja vor sich zu sehen. Das Gefühl freundschaftlicher Ergebenheit, das er Fenja entgegengebracht hatte, hatte sich nach seiner Flucht in Entsetzen und Unruhe verwandelt. Er zog die Schultern ein, wenn Frau Kostizina an ihn herantrat. Er hätte aufschreien und fliehen mögen; aber wohin! So ließ er es als eine ihm von Gott gesandte Prüfung über sich ergehen.

 

Nach ihrem Gespräch mit dem Bischof in Gegenwart des Abtes beschloß Frau Kostizina bis zum äußersten zu gehen, um Boris seiner Erstarrung zu entreißen. Jetzt wußte sie ja, daß man ihn nicht aus dem Kloster stoßen würde, was auch geschehen mochte. Sie sah, daß man mit Worten allein in Boris weder Liebe wecken, noch ihn zu Zärtlichkeiten verleiten könne. Sie sah auch, das Sina mit ihrem unausgeglichenen Wesen, ihrem Ungestüm ihn nicht zu nehmen verstand, weil sie noch ein Kind, ein Mädchen war. Auch Wera Alexejewna wußte noch nicht, wie sie es machen sollte, um sich ihm zu nähern. Sie wollte von ihm auch erfahren, weshalb er ins Kloster gegangen war, ob er nach Lina noch einmal geliebt hatte und wen: eine Frau, ein Mädchen? warum seine Liebe ein so unglückliches Ende genommen hatte? Mehrere Tage beobachtete sie ihn aufmerksam, wenn er abends den Samowar brachte, setzte ihm aber nicht mit Fragen zu, lachte nicht, neckte ihn nicht mit koketten Blicken.

Sie suchte auch mit dem Abt, mit dem Bischof zusammenzukommen in der Hoffnung, etwas Näheres über Boris zu erfahren. Zusammen mit Sina und der Prinzessin erwartete sie die beiden auf dem Heimwege aus dem Domänenwald. Der Bischof hatte sich an diese Zusammenkünfte gewöhnt und kehrte oft mit den Damen nochmals in den Wald zurück.

»Kommen Sie, gehen wir alle zusammen noch ein bißchen spazieren.«

Auch Nikolka sah den Zusammenkünften mit Frau Kostizina gern entgegen. Wenn er mit dem Bischof im Walde saß, erzählte er ihm von den Wundertaten des Klostergründers und suchte ihn so lange zurückzuhalten, bis er die Damen in der Ferne erblickte. Er bemühte sich, den Bischof allmählich zu der Ansicht zu bekehren, daß der Starez Simeon ein Heiliger sei; man brauchte bloß seine Reliquie zu entdecken, um ihn zu kanonisieren. Während er sprach, dachte er an Wera Alexejewna; sie, die große Dame, zu lieben, mußte etwas ganz anderes sein, als die Liebe der kleinen Fenja oder gar Arischas. Ob es nicht möglich wäre, durch Frau Kostizina auf den Bischof dahin einzuwirken, daß er sich für die Heiligsprechung des Starez Simeon einsetze? Er mußte sehen, mit ihr unter vier Augen zu sprechen; vielleicht würde auch mehr dabei herauskommen, als nur ein Gespräch, wenn er allein mit ihr durch den Wald streifte … Der Wunsch kam ihm, sie an dieselbe Stelle zu führen, wo er damals mit der kleinen Fenja gewesen war … Er warf der jungen Frau verstohlen schwärmerisch wehmütige Blicke zu, worauf er schnell wieder die Augen demütig senkte.

Eines Tages sagte Wera Alexejewna:

»Vater Gerwaßij, Sie wollten uns einmal den See zeigen. So lange sind wir schon hier und sind noch nicht einmal Boot gefahren. Auch Sie, Eminenz, müssen sich uns anschließen.«

Der Abt sagte:

»Ich werde Ihnen den Schlüssel mit einem Novizen senden.«

»Nein, Sie sollen auch mitkommen.«

Die Prinzessin wandte sich an den Bischof:

»Warum wollen Sie nicht auch mitkommen, Eminenz? Ein ausgezeichneter Gedanke von Wera Alexejewna! Wir machen eine Bootfahrt, verbunden mit einem Picknick. Wir fahren alle zusammen, auch Papa wird sich uns gern anschließen; er langweilt sich hier, ist schon zum zweiten Male in die Stadt geflohen!«

 

Der Bewahrer der Kirchengeräte forderte Vater Gerwaßij zu einem Spaziergang auf.

»Vater Abt, ich sehe Sie kaum! Gehen wir zusammen in den Wald, wenn es Ihnen recht ist. Da könnten wir uns auch einmal aussprechen. Welch ein schöner, stiller Abend!«

»Mit dem größten Vergnügen, Vater Wassilij.«

Sie schritten nebeneinander her und überlegten, wie sie am besten darauf zu sprechen kämen, was jeder von ihnen auf dem Herzen hatte. Nikolka wollte den Vertrauten des Bischofs in der Frage der Kanonisierung des Klostergründers für sich gewinnen, und das mußte geschehen, bevor sich der Bischof Vater Wassilij gegenüber abfällig über die Sache geäußert hatte. Vater Wassilij Obolenskij hatte eine andere Sorge: da lebte nun die hohe Geistlichkeit im Kloster, wurde aufs beste bewirtet, das war gewiß sehr angenehm, aber – es war zu wenig; von den Einkünften des Klosters floß nichts in ihre Tasche. Beide suchten durch gegenseitige Freundlichkeit den Weg zur Inangriffnahme der heiklen Fragen zu ebnen.

»Schön ist's in Ihrem Kloster, Vater Gerwaßij; man möchte gar nicht mehr fort!«

»Bleiben Sie doch noch, Vater Wassilij, wenn es Ihnen bei uns gefällt; die Anwesenheit der hohen Gäste ist der Bruderschaft eine große Freude.«

»Ein Geistlicher, der Familienvater ist, hat es schwer, durchzukommen; es gibt da immer Nebenausgaben …«

»Sagen Sie doch dem Herbergsvater, was Sie brauchen, Vater Wassilij; er wird schon sehen, Sie zufriedenzustellen.«

»Im übrigen ist es wirklich schön hier … Der herrliche Wald!«

»Nicht umsonst hat unser Starez Simeon gerade hier sein Kloster gegründet. Er hat wohl daran getan, der heilige Mann. Wenn es nur gelänge, den Starez heiligzusprechen … seine Reliquie zu entdecken. Er wirkt ja Wunder, unser Starez; wie viele Kranke hat er geheilt … In anderen Klöstern hört man nichts von Wundern, unser Kloster aber ist deswegen im ganzen Gouvernement berühmt … Wir haben Aufzeichnungen von Zeugen …«

»Ja, da müßten Sie sich der Sache energisch annehmen.«

»Belehren Sie mich, Vater Wassilij, wie ich es angreifen könnte. Helfen Sie mir; Sie stehen dem Bischof nah!«

»Das ist ein guter Gedanke, unser Bischof hat großen Einfluß an Allerhöchster Stelle. Sie wissen ja wohl – es bleibt aber unter uns, Vater Gerwaßij –, Seine Eminenz ist bei Hofe zu Hause; verwandtschaftliche Bande, sagt man.«

»Vergessen Sie es nicht, Vater Wassilij. Es ist mein und der ganzen Bruderschaft sehnsüchtiger Wunsch, die Reliquie des heiligen Starez zu entdecken. Bis zur Sünde führt dieser Wunsch unsere Mönche. An der Stelle im Walde, wo seine Klause gestanden hat, hängt eine Lebensbeschreibung des Starez und sein Bild; Sie haben es wohl gesehen: ein Greis mit einem Krückstock, ringsum dunkler Wald und Zellen. Und unsere Mönche kleben ihm immer einen Heiligenschein aus Goldpapier um den Kopf. Ich habe das Bild gewechselt, ja, es unter Glas setzen lassen, es hilft aber alles nichts: am nächsten Tage ist der Heiligenschein wieder da. Die Väter sagen, der Starez sei ein Heiliger, wirke Wunder, da gehöre es sich denn, daß er einen Heiligenschein habe …«

»Bitten Sie Seine Eminenz … Besser noch wäre es, wenn die Prinzessin oder ihre Freundin den Bischof bitten würden.«

»Welche Freundin?«

»Frau Kostizina, die Gattin des Verwalters der Gouverneurskanzlei; die Damen könnten ihn vielleicht beeinflussen. Ich wage es nicht, mich an Seine Eminenz zu wenden.«

»Die Bruderschaft würde keinerlei Unkosten scheuen …«

Sie waren zur Königstanne gekommen und bogen zur »Fürstenkrone« ab; so wurde eine hundertjährige Fichte genannt, deren Stamm, glatt und eben, ohne Zweig, ohne Ast, in den Himmel emporstrebte und nur oben in der Höhe mit einer dichten Nadelmütze gekrönt war. Es war ein einzig schöner Baum; er wurde gehegt und gepflegt, war mit einem Lattenzaun umfriedet und in einiger Entfernung von Bänken umgeben, damit sich die Wallfahrer in Ruhe an dem Naturwunder erfreuen könnten.

Die beiden setzten sich auf eine Bank. Nikolka wußte nicht, wie er noch deutlicher sprechen sollte, traute sich nicht, dem Bewahrer der Kirchengeräte geradeheraus zu sagen, daß er sich ihm für seine Unterstützung gern dankbar bezeigen würde, während Vater Wassilij sich scheute, noch offener zu sprechen. Die Mücken summten, in der Höhe rauschten die Fichten, ein feuchter Lufthauch strömte aus dem Walde; von fern her klang ein Lied herüber, und ein heller Schein huschte hier und da um die Stämme: auf einer Waldwiese hatten Seminaristen und Novizen ein Feuer angezündet. Zuweilen ertönte Frauenlachen. Vater Wassilij meinte sogar, er höre das girrende Lachen seiner Katenka heraus.

Erst auf dem Rückwege, als sie sich den Herbergen näherten, begann Nikolka wieder:

»Vater Wassilij, ich möchte Sie sehr bitten, mit Seiner Eminenz zu sprechen.«

»Schön denn, ich will es tun, falls sich eine Gelegenheit bietet. Es würde übrigens nichts schaden, wenn Sie Seine Eminenz nach dem feierlichen Gottesdienst am Jahrestage des heiligen Ilja mit dem Fürsten zusammen zu einem Mittagessen in der Abtei einlüden. Man könnte auch einige Damen, die dem Bischof und dem Fürsten nahestehen, dazu auffordern. Vielleicht würde sich dabei eine Gelegenheit finden, über die Sache zu sprechen.«

Einschmeichelnd sagte Nikolka:

»Ich hatte es bisher nicht gewagt, den hohen Herrschaften ein Essen anzubieten. Also am Iljatage … Aber sagen Sie, Vater Wassilij, wäre es nicht möglich, an diesem Tage nach dem Gottesdienst in der neuen Kathedrale an der Grabstätte des Starez eine Totenmesse zu zelebrieren? Wir würden nach diesem Anfang ununterbrochen an seinem Grabe Messen lesen und die Starezen Psalmen singen lassen.«

»Ich will mir das überlegen, Vater Gerwaßij, ich will es mir überlegen.«

»Vielen Dank, Vater Wassilij. Die ganze Bruderschaft wird Ihnen dankbar sein. Und wir werden Ihnen unsere Dankbarkeit in angemessener Weise ausdrücken … Nie wird das Kloster Ihr Entgegenkommen vergessen, und Sie und Ihre Familie werden wir in das ewige Register eintragen und bei allen Messen für Sie beten.«

Zufrieden trennten sie sich; jetzt wußte jeder, was er von dem anderen zu erwarten hatte.

In dieser Nacht träumte Nikolka von einem fünfundvierzig Pud schweren Sarkophag aus reinem Silber, von Dutzenden von ewigen Lämpchen an breiten Ketten und von endlosen Pilgerscharen, die unaufhörlich ins Kloster strömten; und über dem ganzen thronte er, Abt Gerwaßij!

 


 << zurück weiter >>