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5. Buch.
Stille Zuflucht


1

Zuverlässigen Schwingern hatte der Ingenieur Drakin Nikolka anvertraut, die ihn in ihrem Eifer nicht aus dem Auge ließen. Als der Zug sich der Haltestelle Belobereshsk näherte, wurde Nikolka unruhig. Die ganze Zeit über hatte er ein unabhängiges Wesen zur Schau getragen, als sie aber Mylinka hinter sich gelassen hatten, meinte er bereits den Geruch der klösterlichen Kohlsuppe und des Schimmels in der feuchten unterirdischen Sakristei der Einsiedelei zu spüren, und ließ den Kopf hängen; wie ein gehetzter Wolf warf er seinen beiden Begleitern finstere Blicke zu.

»Da sind wir in Belobereshsk; jetzt komme ich schon alleine hin.«

»Nein, Vater, wir haben den Befehl erhalten, dich im Kloster abzuliefern.«

Nestjorka, der eine Schwinger, war ein lustiger Mann; er hatte sechs Kinder, und wenn er nach Hause kam, pflegte er jedem von ihnen einen Witz zu erzählen; so scherzte er denn auch hier.

»Den Brief hast du wohl vergessen, Vater; da liegt der Hund begraben, der Klosterhund, wollte ich sagen.«

»Den Brief werde ich schon selbst dem Abt übergeben.«

»Mach' keine Späße, Vater. Um den Brief aus der Welt zu schaffen, wärst du bereit, ihn mit Haut und Haar zu verschlingen, und das wäre ja keine Fastenspeise: du würdest dich vor Gott versündigen. Das Wetter ist freilich wenig angenehm, der Weg erscheint nicht verlockend, und auch der Weggenosse ist wenig erbaulich, aber hin müssen wir trotzdem. Ich habe dir ja gesagt: mit unserem Ingenieur ist nicht zu spaßen!«

»Ich gebe euch die hundert Rubel … Ein ganz neuer Schein …«

Um ihn zu necken, sagte Ignat:

»Ob wir ihn wirklich laufen lassen?«

»Aber gewiß doch! Hier ist das Geld.«

»Für einen solchen Freundschaftsdienst ist das ein bißchen wenig, wir sind zweie …«

»Ich würde euch gern mehr geben, aber das ist alles, was ich habe.«

»Wenn das alles ist, so stecke dein Geld nur wieder ein; machst dir dafür in der Fastnachtswoche einen frohen Tag.«

»Ich will mal nachsehen, vielleicht finde ich noch ein paar Rubel …«

»Laß nur, Vater, es würde doch nicht reichen, wieviel es auch sei. Sage mir lieber, welchen Weg wir einschlagen müssen?«

Nikolka wählte einen Waldpfad; auf der Landstraße fürchtete er unliebsame Begegnungen.

Nestjorka und Ignat wechselten einen Blick.

»Gibt's denn hier keinen anständigen Weg?«

»Durch den Wald ist es näher.«

»Mag es auch weiter sein, wenn der Weg nur sicher ist. Sonst führst du uns noch in einen Sumpf, damit wir elendig umkommen: dir kann man das schon zutrauen.«

Die beiden ließen nicht mit sich reden. So mußte Nikolka auf die Landstraße einbiegen. Er schritt mit gesenktem Kopf fürbaß, ohne nach rechts oder links zu blicken; in einer halben Stunde kamen sie zu den Sommerhäuschen. Die Sommerfrischler waren noch nicht in die Stadt gezogen; aus den Fenstern blickten Mütter und Töchter.

»Sieh mal einer an, was ihr hier für Frauchen habt … Da hattest du wohl auch Appetit auf unser Fräulein bekommen?! Sie hat gewiß im Sommer hier gewohnt?«

Ausgerechnet Waßenka lungerte vor den Fenstern der Landhäuschen umher; er beschwor den Teufel der Mittagsstunde, von hinnen zu weichen. Als er Nikolka erblickte, rief er:

»Nikoluschka, du kehrst zurück?! Willst nicht mehr Diakonus werden? Was ist denn mit dir geschehen? …«

»Wir bringen ihn zurück.«

»Ihr bringt ihn zurück? … Ja, ja, sein Fleisch ist schwach, ganz schwach, der Teufel der Mittagsstunde hat Gewalt über ihn … Wie könnte er sich da auch allein ins heilige Kloster zurück finden …«

Waßenka lief eilig ins Kloster, um der Bruderschaft die Neuigkeit mitzuteilen: der Vater Diakonus kehre zurück, und zwar nicht allein, sondern in der Obhut zweier handfester Begleiter.

Vor der Herberge traf er Vater Michail, lief auf ihn zu, flüsterte geheimnisvoll:

»Weißt du, Mischa, Nikolka ist wieder da! Zwei Männer haben ihn hergebracht … Das reine Gotteswunder … Geh, sieh mal hin; sie müssen gleich vorüberkommen.«

Die Mönche traten eilig auf den Treppenabsatz vor ihren Zellen hinaus, um sich den Vater Diakonus anzusehen. Als Nikolka durch die heilige Pforte schritt, empfing ihn die Bruderschaft mit höhnischen Ausrufen:

»Na, die Sache ist wohl ins Wasser gefallen, Vater Diakonus? … Oder waren die Trauben vielleicht zu sauer?!«

»Vor Anstrengung ist ihm wohl die Blase geplatzt …«

Sie schritten auf die Abtei zu. Der Abt, Vater Sawwa, stand auf der Treppe vor der Tür der Abtei. Er war ein kleiner, rundlicher Greis mit huschenden, bettelnden Augen. Er furchte die dünnen weißen Brauen und musterte Nikolka mit bohrendem Blick.

»Schande und Schmach wolltest du über unser heiliges Kloster bringen, zur Freude des Satans? Was hast du angerichtet, daß du auf solche Weise zurückgeschafft wirst?« Er fuchtelte erregt mit den kleinen Händen. »Komm nur herein, komm herein zu mir, du Satan in Mönchsgestalt … Komm nur, komm …«

Der Greis trippelte ins Haus, Nikolka und die beiden Arbeiter folgten.

»Und was wollt ihr hier?«

»Wir haben Befehl, Hochwürden, diesen Mönch in Ihre Hände abzuliefern. Unser Chef, der Herr Ingenieur Drakin, hat es so angeordnet, und hier ist ein Brief von ihm an Sie, zu eigenen Händen.«

»Von unserem Wohltäter, dem Knechte Gottes Drakin? …«

»Von ihm persönlich.«

Ignat zog aus dem Busen den Brief mit dem Firmenaufdruck »Hanfverarbeitungs- und Taufabrik Ingenieur Drakin« und reichte ihn dem Abt.

Ehrfürchtig blickte das alte Männlein auf den fettgedruckten Firmennamen. Während seine kleinen Äuglein sich in die Zeilen bohrten, zitterten seine dürren Händchen. In dem Briefe stand:

»Euer Hochwürden! In der Begleitung von zwei zuverlässigen Arbeitern schicke ich Ihnen Ihren Novizen Nikolai, der meine Nichte entehrt und sich mir als ihr Bräutigam vorgestellt hat, ins Kloster zurück. Um Ihrem Kloster Unannehmlichkeiten zu ersparen, wende ich mich an Sie persönlich. Ich weiß, wie peinlich es Ihnen gewesen wäre, wenn ich Ihren Mönch Seiner Eminenz dem Bischof mit der Bitte ausgeliefert hätte, ihn nach Solowki zu verbannen, um meine Nichte vor weiteren Belästigungen zu schützen und dem Schuldigen die ihm gebührende Strafe zukommen zu lassen. Ich hoffe, daß auch Sie das Nötige veranlassen und Ihrem Novizen beibringen werden, jungen Damen mit gebührender Achtung zu begegnen und die Rücksicht, die er seinem Stande schuldet, in Zukunft nicht wieder zu vergessen, wodurch Sie meine Nichte und andere vor ähnlichen traurigen Übergriffen schützen würden. Ich bitte Sie, die einliegende kleine Gabe von Ihrem Knechte zur Verschönerung Ihres Klosters entgegennehmen zu wollen. Ingenieur Drakin.«

Ein neuer Fünfhundertrubelschein lag dem Briefe bei.

Dem gebrechlichen Greis spritzte der Speichel aus dem Munde, als er Nikolka anfuhr:

»Ich laß dich nach Solowki verbannen, nach Solowki … Bis ans Ende deiner Tage … Im Kellerverlies sollst du verfaulen, Buße tun vor dem Allmächtigen … Dein Leben lang sollst du Buße tun! … Hörst du, Verruchter? … Hörst du?! Unsere Gönner überhäufen uns mit Wohltaten, und du?! … Der Herr Ingenieur rettet unser Kloster, die Bruderschaft und mich Unwürdigen vor Schmach und Schande, beschwert sich nicht bei Seiner Eminenz, du aber sollst büßen, büßen sollst du! …«

Nikolka wand sich auf den Knien zu Füßen des zürnenden Abts, die Hände auf den Boden gestützt. Um den Hundertrubelschein nicht zu verlieren, hatte er ihn in die Faust gepreßt, und als Vater Sawwa sich an die Schwinger wandte, steckte Nikolka mit einer Hand das Geld unter das Futter seines Käppchens, das er mit der anderen, auf den Boden gestützten Hand festhielt.

»Ihr habt wohl noch nichts gegessen, ihr Armen? … Geht zum Vater Haushalter in den Speisesaal … Mein Dienstbruder wird euch hinführen … Afon …« Der Name seines früheren Dienstbruders Afonka war ihm auf die Lippen gekommen. »Ach, ach …« Mit dünner, kreischender Stimme rief er den neuen Dienstbruder, den flachsblonden Kostja herbei.

»Sage dem Vater Haushalter, er möge diesen beiden etwas Gutes vorsetzen, es sind Leute unseres Wohltäters. Verstehst du? Sie sind hungrig nach der Fahrt und sollen ordentlich zu essen bekommen. Nach dem Essen führst du sie in die Herberge, nicht in die Baracken. Der Herbergsvater soll ihnen in der neuen Herberge ein schönes Zimmer anweisen …«

»Bekommen wir eine Antwort für den Chef mit?«

»Bis morgen sind Sie unsere Gäste, ruhen Sie aus. Gewiß werde ich unserem Wohltäter antworten, morgen erhalten Sie meinen Brief …«

Die Schwinger begaben sich zum Vater Haushalter. Der Abt beugte sich zu Nikolka hinab.

»Wo hast du meinen Afanaßij gelassen? Sprich! Hörst du? … Wird er auch unter Bewachung hergebracht werden? …«

Nikolka warf dem Abt einen hämischen Blick zu.

»Der ist als Liebhaber bei einer Kaufmannsfrau in Dienst getreten  … Sitzt warm. Um den brauchen Sie sich keine Sorge zu machen … Er hat ja eine besondere Begabung … hier …«

Mit der Hand zeigte Nikolka auf die Stelle, wo diese besondere Begabung Afonkas saß.

Vater Sawwa geriet wieder in Wut.

»Was erlaubst du dir, geiler Hund?! In der Einsiedelei sollst du verfaulen bei lebendigem Leibe! In den Keller mit dir! … O Herr, warum triffst du mich, deinen Knecht, so hart? …«

Noch tiefer beugte sich Vater Sawwa über Nikolka hinab und schlug ihn mit seinen knochigen Händen aus aller Kraft auf die Wangen, auf die die dürren Finger wie Stockschläge niederprasselten, daß sein Gesicht rot und blau wurde; immer wieder schlug der Alte auf ihn ein, bis endlich der flachsblonde Dienstbruder zurückkam.

»Hol' Vater Ipatij aus der Einsiedelei her.«

Vater Ipatij war lang, dürr, sehnig und knochig; er hatte blaue Ringe um die schielenden und finster blickenden Augen; einige Vorderzähne fehlten, waren ihm ausgeschlagen worden; eine Hakennase wölbte sich über seinem grauen Bart, auf dem ein gelbgrüner Schein wie von Schimmel lag. Er trat ein, die hohe runde Mütze auf dem Kopf, stützte diese gegen die Schulter und schlug, vor dem Abt niederkniend, mit der Stirn gegen den Boden.

»Dieser hier kommt zur Besserung zu dir und ist deiner Gewalt unterstellt. Ich habe ihm eine Kirchenbuße auferlegt: er darf die Einsiedelei nicht verlassen, wird in der Sakristei der unterirdischen Kapelle beten, von der Mitternachtsmesse an bis zur Abendmesse; den Schlüssel trägst du bei dir. Zu Mittag erhält er Wasser und Brot, nichts weiter. Zünde ihm das heilige Lämpchen vor dem Bilde des Allmächtigen an. Während der Nacht schläft er in deiner kalten Kammer auf den nackten Bohlen.« Zu Nikolka gewandt, fuhr der Abt fort: »Vierzig Tage lang tust du Buße …«

Da erst kam das Grauen über Nikolka. Und als er daran dachte, was über Vater Ipatijs lasterhafte Leidenschaft geredet wurde, schrie er auf:

»Zu Vater Ipatij?!«

»Vater Ipatij ist ein Glaubenseiferer. Schweige, Hund! Geh!«

Der kleine Greis seufzte bekümmert und zog sich zurück, um an den Wohltäter Drakin zu schreiben.

Unter den höhnischen Zurufen der Mönche schritt Nikolka an Vater Ipatijs Seite durch den Klosterhof nach der großen Einsiedelei. Sein einziger Trost waren die hundertfünfzig Rubel, die in einem Säckchen eingenäht neben dem Kreuzchen auf seiner Brust hingen, und die hundert Rubel, die in seinem Käppchen steckten.

Die Sakristei hatte ein einziges kleines vergittertes Fensterchen in Erdhöhe, dessen Scheiben zur Hälfte schwarz angelaufen waren und nur wenig Licht durchließen; von der Decke fielen in kurzen Abständen, bald hier, bald dort, Wassertropfen klatschend auf die Steinfliesen.

»Bete und büße! …« Vater Ipatij zündete das kleine Lämpchen an. »Bete …«

 

Seit vielen Jahren sang Vater Ipatij nach jeder Messe endlos Psalmen und Gebete; er sang in heiserem Baß durch die Nase, da in seinem Mund mit den fehlenden Zähnen sonst ein pfeifender Ton entstand. Stundenlang wiederholte er: »Heilige Mutter Gottes, erlöse uns …«

Es waren immer drei, die gemeinsam sangen: Ipatij im Baß, der Hierodiakonus Pamwla in syphilitischem Tenor, ebenfalls durch die Nase, von Vater Jewdokij unterstützt. Vater Jewdokij hatte den Umfang einer Tonne, die drei Mann kaum umspannen konnten, feuerrotes Haar und ein durch übermäßigen Schnapsgenuß ebenso rotes gedunsenes Gesicht; er wußte nicht mehr, vor wievielen Jahren er seine Beine zum letzten Male gesehen hatte.

Die drei sangen zusammen und hielten Freundschaft miteinander.

Jeder von ihnen hatte seine Schwäche, jeden versuchte der Satan auf seine Weise: Vater Ipatij wurde durch Jewdokijs Hinterpartie zur Sünde verlockt, er trat ihm sogar sein Mittagessen ab, damit Jewdokij ihm gestattete, des Abends seinen Satan an ihm zu bändigen; Jewdokij selbst aber folgte dem Beispiel des Altvaters Onan, in seliger Einsamkeit, bis zu gänzlicher Auflösung.

Vater Pamwla war ein Mädchenjäger, machte sich an die Wallfahrerinnen aus den Dörfern heran, die der Gottesmutter Kupfermünzen brachten. In jungen Jahren war er an ein Mädchen geraten, das man aus seinem Dorf fortgejagt hatte und das nun von Kloster zu Kloster wanderte und seine üble Krankheit überallhin verschleppte. Vater Pamwla war ein großer Faster vor dem Herrn, trotzdem war seine Nase eingesunken und sein Tenor zu einem heiseren Falsett geworden.

Er sprach des Abends oft bei den beiden Freunden Ipatij und Jewdokij vor und erzählte allerlei anstößige Geschichtchen, die nichts mit Fasten zu tun hatten. Daneben aber redete er an den Herbst- und Winterabenden salbungsvoll über die Heiligen und das fromme Leben des Mönches.

Als Nikolka in Ipatijs Obhut kam, hatten sich Ipatij und Jewdokij gerade gezankt; der Hakennasige gab dem Dicken, dem die Mönche unter sich den Mädchennamen Awdotja gegeben hatten, nichts mehr von seiner Grütze und seiner Kohlsuppe ab, und Awdotja hatte beschlossen, den alten Ipatij zur Strafe ordentlich fasten zu lassen, und kam nicht mehr des Abends zu ihm. Nun wollte Vater Ipatij seinerseits ihm ein Schnippchen schlagen, indem er sich an Nikolka heranmachte.

Fünf Tage hatte Nikolka bereits in dem unterirdischen Verlies gesessen, da holte Vater Ipatij ihn am Abend zu sich in die Zelle. Die Feuchtigkeit unten hatte Nikolka arg mitgenommen, er hüstelte und stöhnte.

»Ihr wollt mich ums Leben bringen!«

»Ich würde dir einige Erleichterungen gewähren, wenn du Rücksicht auf meine Schwäche nehmen wolltest. Überlege es dir …«

Er ließ ihn sich ausschlafen, weckte ihn erst zur Frühmesse. Niemand hatte bemerkt, daß er Nikolka nicht zur Mitternachtsmesse, sondern erst zur Frühmesse in den Keller gebracht und ihm seine wattierte Winterkutte mitgegeben hatte.

Kaum war es am nächsten Abend dunkel geworden, da holte er Nikolka wieder zu sich.

»Komm, wärme dich, trink ein Glas Tee …«

Nach dem Tee setzte sich Vater Ipatij wieder zu ihm, suchte ihn durch Freundlichkeit zu gewinnen:

»Ich habe da noch Grütze stehen, die Köche haben mir reichlich gegeben … Nimm, iß dich satt.«

Nikolka sagte kurz entschlossen:

»Wirst du mir erlauben, zu den Weibern nach Polpenki zu gehen?«

Die Abende und Nächte waren herbstlich dunkel, die Waldpfade einsam und menschenleer.

»Gut, ich will es erlauben, aber unter einer Bedingung: wenn du abgefangen wirst, nimmst du die Schuld auf dich.«

»Zur Einweihungsfeier rück' mit einer Flasche Schnaps heraus.«

»Wo soll ich die denn jetzt hernehmen?!«

»Mach' mir nichts vor! Sieh hinter dem Heiligenbilde der Gottesmutter nach – es ist ja ein wundertätiges Heiligenbild.«

In der Ecke standen die Heiligenbilder in zwei Reihen, und hinter dem Muttergottesbilde war in der Wand ein Geheimschränkchen eingelassen; schlug man die Türen auf, so erblickte man eine kleine Schnapsniederlage.

Vater Ipatij räusperte sich; aber es war nichts zu machen: sein Fleisch war schwach, sein Geist willig, so holte er denn hinter dem Muttergottesbilde ein Fläschchen hervor.

Sie tranken, aßen, Ipatij mehr aus Entgegenkommen, Nikolka aber trank die ganze Flasche leer; selbst durch Drücken war kein Tropfen mehr herauszubekommen.

Vater Ipatij schickte Nikolka zum Schlafen nicht in die kalte Kammer, sondern behielt ihn in seiner Zelle, löschte das Licht, legte sich aufs Bett und hielt ihm eine Erbauungsrede über den Gehorsam, zu dem ein demütiger Mönch verpflichtet sei.

Nachdem er seinen Satan gebändigt, sein schwaches Fleisch gestärkt hatte, kniete er um Mitternacht zum Gebet nieder, Nikolka aber rekelte sich auf Vater Ipatijs Bett und träumte lüstern von den Weibern in Polpenki, die er früher oft mit Mischa und Afonka besucht hatte.

Da stand ein Blockhaus etwas abseits vom Dorf gleich einer Einsiedelei, in dem eine Bäuerin wohnte, deren Mann eingezogen war. Kamen des Abends Mönche zu ihr, um Trost bei ihr zu suchen, so lief sie ins Dorf und holte noch ein paar Freundinnen herbei. Gurken, Hering, Wurst, Schnaps – alles, was man nur wünschte, gab es in ihrer Speisekammer und trostspendende Liebe dazu. Zum Frühling hin wurden die Taschen der Mönche leer, aber dann kamen ja wieder Wallfahrerinnen ins Kloster und die Liebe im Walde begann.

Nikolka schob die Hand unters Hemd und vergewisserte sich, daß das Säckchen mit dem Gelde an Ort und Stelle war, tastete sein Käppchen ab und bat Vater Ipatij, in den nächsten Tagen Mischa zu ihm zu schicken.

In den folgenden Nächten hatten sie die Rollen gewechselt: Nikolka schlief in Vater Ipatijs Bett, während dieser nach seinen nächtlichen Gebetübungen sich in der Kammer auf den Fußboden zur Ruhe niederlegte. Am Morgen weckte er Nikolka nicht; wenn jemand Fragen stellen sollte, so würde er sagen, Nikolka sei im Keller durch die Feuchtigkeit erkrankt. Er teilte sein Mittagsmahl mit ihm, das er sich aus dem Speisesaal holte; auf seine Bitten hin gaben ihm die Köche reichlich, so daß Vater Ipatij dabei nicht zu kurz kam.

Der Abt fragte Vater Ipatij:

»Tut Nikolai Buße?«

»Er hustet heftig, muß sich wohl in der Feuchtigkeit erkältet haben; mehrere Tage lang konnte er gar nicht aufstehen. Ich schließe ihn jetzt in meiner Zelle ein … Er betet eifrig …«

»Du hast ein weiches Herz, Vater Ipatij … Er ist dir anvertraut, du bist vor Gott für ihn verantwortlich …«

 

Eines Abends kam Vater Michail zu Nikolka.

»Was willst du von mir, Freundchen?«

»Hole mich morgen abend ab, Mischa, wir gehen zusammen nach Polpenki.«

»Fein! Ich nehme noch einen kleinen Popen mit; er ist kein Spaßverderber. Ist zur Besserung ins Kloster verbannt worden.«

»Dann nimm auch schon Waßenka mit, das gibt einen Hauptspaß.«

Nach langer Zeit brach Nikolka wieder in ein röhrendes Lachen aus; das alte lustige Leben war ihm in den Sinn gekommen.

 


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