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1. Buch.
Eitles Streben


1

Durch den Wald zieht ein Geruch von feuchtem, noch schneebenetztem Moos, von nassem Reisig, von grünen Nadeln würziger Kiefern und Fichten; ein köstlicher Duft!

Der Wald aber – kaum daß man durchkommt, die Hände kratzt man sich blutig dabei.

Nur in der Nähe des Klosters ist der Wald vom Unterholz gesäubert, soll doch der Pilger von geistiger Nahrung leben, sich der Schönheit des entlegenen Klosters hingeben; darum ist ja auch der Wald gesäubert, wird jede Fichte behütet, jede Tanne sorgsam gepflegt.

Das Gotteshaus allein genügt dem Pilger nicht, um sein Sinnen und Trachten emporzuheben in die höheren Gefilde; nach der Frühmesse, wenn die Zwischenmesse gelesen wird, tritt er wohl, in Erwartung des allgemeinen Gottesdienstes zu Ehren der Himmelskönigin in der neuen Kathedrale, hinaus ins Freie, schreitet zum Brunnen des Klostergründers auf der Waldlichtung; hat er den aber bereits besucht, so mag er sich im Walde ausstrecken, um über die Eitelkeit unseres Erdenlebens nachzusinnen. Dazu wurde also der Forst vom Unterholz gesäubert.

Im Herbst und Winter wurde diese Bußtat vom Abt auferlegt: die ganze Bruderschaft hatte den Wald zu säubern, nur die Klostergeistlichen und die Starezen waren von diesem Dienst befreit.

Aber kaum eine halbe Werst vom Kloster entfernt konnte wohl nicht einmal ein wildes Tier durch den Wald dringen, so dicht und dunkel war das Dickicht.

Zwar Nikolai und Waßja der Blöde, die finden überall ihren Weg.

Den ganzen Wald pflegen sie zu durchstreifen, wohl fünf Werst im Umkreis oder noch weiter; unbekümmert um die Entfernung schreiten sie über Reisig, sumpfige Stellen, federndes Moos.

Nach dem Mittagsmahl mit der Bruderschaft sind sie ja frei, haben bis zum Abendessen nichts mehr zu tun.

Da streifen sie denn durch den Wald, dringen ins tiefste Dickicht ein.

Der Wald steht da in seiner Herrlichkeit; wie Weihrauch strömen die Fichten im Sonnenschein würzige Düfte gen Himmel.

Waßja der Blöde liegt lang ausgestreckt auf dem Rücken und schnauft.

»Waßja, was schnaufst du?«

»Sie hauchen ja Weihrauch zum Himmel, rieche doch bloß, es ist so ergreifend …«

»Ach, Mann Gottes, du frommer Schafskopf!«

»Glaube nicht daran, Bruder, das ist bloß so ein Gerede von den Leuten …«

»Du hast wohl gedacht, ich gehöre auch zu den Dummen?!«

»Was beschimpfst du mich? Auch so schon beschimpfen mich ja alle, und der Abt schlägt mit seinem Krückstock auf mich ein!«

»Nichts geht dir recht ein, Waßja …«

»Oho, mir? Ich fühle alles, ich bin so empfindsam …«

»Meiner Treu, das sieht man dir an, daß du empfindsam bist! Wie gedörrt siehst du aus vom Überschwang der Gefühle, auf den Hund kommst du dabei.«

»Das kommt daher, weil ich den Satan aus mir vertreibe …«

»Zugrunde gehst du an deinem zähen Satan, Waßja, das sag' ich dir.«

»Versuch's doch auch du einmal, nur ein einziges Mal, dann wagt er sich nicht mehr an dich heran.«

»Ein Weib brauch' ich, ein sauberes Mädel, um meinen Satan zu bändigen.«

»Herrgott im Himmel, vergib uns und steh uns bei! Was redest du bloß! Teuflische Versuchung, das ist das Weib; der Teufel der Sinneslust steckt in jedem Weibe.«

Ächzend und stöhnend wirft sich der Blöde auf dem Gras- und Moosboden hin und her und fuchtelt abwehrend mit den ungelenken Händen.

Nikolka aber lacht röhrend, daß es durch den ganzen Wald schallt.

Von Fichte zu Fichte hüpft schallend das Echo, rollt durch den ganzen Wald.

Nikolka bricht ab, um Atem zu schöpfen, dann ertönt sein Gelächter von neuem.

Er hat einen saftigen samtenen Bariton; wenn er sich im Kirchenchor beim Kyrieeleison auf den hohen Noten wiegt, lauscht er selber verzückt seiner Stimme; nicht umsonst ist er Vorsänger beim Bischof gewesen.

 

Als er in der zweiten Klasse der geistlichen Schule war, hatte man ihn in den Chor des Bischofs aufgenommen und zum Vorsänger gemacht; so wurde er bald zum gehätschelten Liebling in Kaufmannshäusern.

Lud man die Solisten aus dem Bischofschor zu einem Hochzeits- oder Totengedenkmahl, so wurden auch die Vorsänger mitgenommen; ohne sie machte sich der Chor nicht recht, und so kam Nikolka überall hin.

Nikolai Wassiljewitsch Moissejew, Chordirigent und stimmlicher Beherrscher der hohen Oktave, nahm den kleinen Nikolka stets mit.

»Komm mit, Nikolka,« pflegte er zu sagen, »ohne Soprane dringt die Oktave nicht durch.«

»Ach, Nikolai Wassiljewitsch, ich habe Angst, mit Ihnen zu gehen …«

»Wovor denn, Hansnarr?«

»Sie trinken gewiß wieder zu viel.«

»Mein Namensvetter bist du und hast Angst, Dummkopf! Ich sage, komm mit, also hast du zu gehorchen, sonst gibt's eins hinter die Ohren.«

Zuerst war dem kleinen Nikolka bange, später fand er Gefallen an der Sache: süßen Beerenschnaps setzte man ihm vor, die Kaufmannsfrauen tätschelten ihm den Kopf und steckten ihm einen neuen blanken Zwanziger zu.

»Hier, Kleiner, nimm; kauf dir was zum Naschen, Liebling.«

Moissejew, die Oktave, erhielt für den schönen Gesang zum Seelenheil eines Entschlafenen oder zur Verherrlichung eines jungen Paares einen Rubel.

Die Oktave selber war ein Hüne von einem Kerl und seine Stimme so gewaltig, daß die Fensterscheiben klirrten, wenn er loslegte; selbst mit dem Oberdiakon pflegte er sich zu messen; nachher mußte dann der Glaser kommen, um den Schaden wieder heil zu machen.

Den Oberdiakon konnte sich nicht jedermann leisten; unter zehn Rubeln, bloß auf allerlei süße Schnäpse hin, machte er es nicht, während die Oktave auch für einen Rubel kam, um mit seiner Gegenwart eine Kaufmannshochzeit zu zieren, damit das junge Paar sich später voll Stolz des feierlichen Tages erinnere.

Die Oktave vertrank mit Freunden ihren Rubel an üblen Orten; zu guter Letzt machte er sich dann an Nikolka heran.

»Hast du Geld?«

»I wo, Nikolai Wassiljewitsch – all mein Geld ist futsch.«

»Wo hast du's denn gelassen?«

»Beim Murmelspielen verspielt.«

»Du lügst, Hundsfott! Her mit einem Zwanziger für einen Schnaps gegen meinen Kater, sonst nehme ich dich niemals mehr mit.«

Wie hätte er da der Oktave den Zwanziger verweigern können? Der konnte ja seine Drohung wahr machen und ihn wirklich nicht mehr mitnehmen! So holte denn Nikolka zitternd und bebend – so leid war's ihm um das schöne Geld – aus seiner kleinen Truhe einen Zwanziger heraus und reichte ihn dem Moissejew.

»Aber geben Sie ihn mir auch wieder zurück, Nikolai Wassiljewitsch.«

»Ha, die Geldgier! Ich hab's doch gesagt, du bekommst ihn wieder …«

»Ich geb' ihn nur her, damit Sie dran denken und mich nicht vergessen.«

So gewöhnte sich denn Nikolka Predtetschin daran, mit Moissejew Kaufmannshäuser zu besuchen und Geld beiseite zu legen, Zwanziger auf Zwanziger; die Gier nach Geld erwachte frühzeitig in ihm.

Hatten sie an einer Bestattungsfeierlichkeit teilgenommen, so kamen sie am neunten und vierzigsten Tage wieder ins Trauerhaus, aus Anhänglichkeit, um ein bißchen zu trinken und zu essen; nun und dann pflegten sie die Witwe auch späterhin zu besuchen.

Am vierzigsten Tage nach dem Hinscheiden ihres Gatten ist die Witwe schon ein wenig ruhiger geworden; ein Sehnen erwacht in ihr nach den Zärtlichkeiten des Mannes; da stellten sich denn die Oktave und Nikolka bei ihr ein, wenn der Bischofschor nicht gerade übte, um die arme Witwe in ihrer Vereinsamung zu trösten.

Man saß beisammen, trank Tee und Beerenschnaps, auch Nikolka machte mit – der süße Aufguß schmeckte so gut –, und dann verbrachte man die Zeit bis zum Abendessen mit Kartenspielen; »66« wurde gespielt.

Nach zwei, dreien solcher Besuche nahm die Oktave beim vierten Male das Gebetbuch mit; Nikolka spielte dann mit einer unverheirateten Schwester oder einer verarmten, im Hause lebenden Tante der Witwe Schwarzen Peter, während die Oktave sich mit der Witwe ins Bet- und Schlafzimmer zurückzog, um ihr die Gebete beizubringen, die eine trauernde Witwe nach der Vorschrift der Kirche vor dem Schlafengehen zu verrichten hat; dann kamen sie wohl aus dem Schlafzimmer erst zum Abendessen wieder zum Vorschein, still geworden, mit blassen Wangen – da merkte man, was es heißt, im warm geheizten Kämmerlein um das Heil einer gerechten Christenseele zu beten! …

Nikolka hatte sich bald daran gewöhnt, mit der Oktave herumzubummeln; nach der Schulweisheit stand ihm der Sinn nicht mehr; in jeder Klasse saß er zwei Jahre, und als er in die dritte Klasse kam »als er in die dritte Klasse kam«: In Rußland wird umgekehrt gezählt, die unterste Klasse, mit der der Unterricht beginnt, ist die erste, unsere Prima die achte., blieb er hier ganze drei Jahre lang stecken, so daß der Schulvorsteher ihn an die Luft setzen wollte, der Bischof aber raunte dem Chordirigenten zu:

»Sag' mal dem Schulvorsteher, er möge den Jungen in die vierte Klasse versetzen – bei der Engelsstimme!«

»Solch eine Stimme finden wir so leicht nicht wieder, Eure Eminenz …«

»Das meine ich ja auch! Sag' dem Schulvorsteher, Meine Eminenz erteile ihren Segen dazu.«

Nikolkas Vater, ein Dorfdiakon, hatte ihn als Achtjährigen in die geistliche Schule gebracht; als Vierzehnjähriger kam der Junge erst in die vierte Klasse.

Als er dann glücklich so weit gekommen war, begann Nikolka auch allein den Kaufmannshäusern Besuche zu machen, nach Leckerbissen lüstern.

Nach einer gemeinsam mit der Oktave abgehaltenen Gedächtnisfeier stellte er sich am vierzigsten Tage ganz von alleine ein, um die Nacht durch Psalmen zu singen.

Hell klang seine Stimme durch das ganze Haus; die Witwe erwachte wohl aus dem Schlaf, lauschte seinem tönenden Eifer … »Herrgott im Himmel, erhöre mich …« – vergoß gerührt eine dicke Träne und schlief beruhigt wieder ein.

Am Morgen setzte sie ihm dann Tee und Frühstück vor …

»Komm nur wieder, Kolenka, mein Kleiner, auch ein Geschenk soll für dich bereit stehen.«

Aus dem langen Rock aus englischem Stoff ihres Seligen wurden ihm Kittel und Höschen genäht …

Neu eingekleidet stolzierte nun Nikolka einher – das Zeug, das die Kaufleute tragen, ist von allerbester Güte, ganze sieben Rubel fünfzig hatte seinerzeit die Elle gekostet.

Einst hatte er am vierzigsten Tage im Hause einer jungen Witwe psalmodiert; das war aber eine, die schon während der Bestattung ihres Mannes sich die Augen mit Zwiebeln eingerieben hatte, damit die Leute ihren Kummer sähen und nicht dächten, sie freue sich gar darüber, daß der Alte zu Grabe getragen wurde.

Sie hatte schon am neunten Tage nach dem Ableben ihres Gatten ein Auge auf Nikolka geworfen und ihn selber aufgefordert, er möge doch am Abend vor dem vierzigsten Tage kommen und Psalmen lesen.

Nach der üblichen Chorübung war er denn auch gekommen und hatte sich an die Psalmen gemacht. Sie aber hockt auf einem weichen Diwan, gerührt hingekuschelt, während sinnliches Verlangen sie stürmisch durchwogt und bedrängt.

»Kolenka, komm doch und trink Tee, erfrisch' deine Engelsstimme.«

Und wie sie ihn ruft, fährt es ihr durch den Sinn: Ein Dummchen ist er ja noch, ein kaum flügges Vögelchen, hat Frauenlust noch nicht kennengelernt.

»Schönen Dank, Olympiada Gawrilowna.«

»Komm, Liebling, trink Tee und iß Brezelchen dazu und Gedächtniskuchen.«

Ganz in den Anblick des Jungen versunken, schenkt sie ihm Tee ein; der mitternächtliche Versucher umstrickt sie lüstern.

Sie trinken zusammen Tee, dann liest er wieder Psalmen bis zum Abendbrot.

»Komm essen, Kolenka, stärke dich.«

»Ich will bloß den Psalm zu Ende singen …«

»Dazu hast du noch Zeit genug, Liebling; die Nacht ist lang; komm nur essen.«

Sie setzt ihn ganz nahe neben sich.

»Iß, Liebling, nimm dir Kaviar, er ist schön frisch …«

Sie streicht ihm über den Kopf, gerührt, und ganz heiß wird ihr dabei.

»Eine Gottesgabe ist deine Stimme, Kolenka, die himmlisch süße.«

Und immer wieder tätschelt sie ihn; sie hat ihm süßen Beerenschnaps eingeschenkt, und auch ihre Augen blicken honigsüß und schimmern ölig wie Fladen in Butter.

»Gott hab seine Seele selig! Darauf will ich eins trinken, Olympiada Gawrilowna.«

»Darauf will auch ich ein Gläschen leeren – das Himmelreich sei sein!«

Sie sitzt da, umarmt ihn, drückt ihn bewegt an ihre Brüste.

»Fünf Jahre habe ich mit meinem Seligen zusammen gelebt; Kinder hat Gott mir nicht geschenkt, und da habe ich dich nun in mein Herz geschlossen, als wärest du mein eigenes Söhnchen, Kolenka.«

Nach dem Abendbrot geht Nikolka wieder in den Salon an den Ikonenschrein, sie aber …

»Lies jetzt bei mir im Schlafzimmer, Kolenka – mein Seliger hat ja immer im Schlafzimmer gebetet, da wird es ihm angenehm sein, Gottes Wort bei sich zu vernehmen, kommt doch seine Seele heute dahin, um zum letzten Male bei mir zu verweilen.«

Heiß und schwül ist es im stark geheizten Schlafzimmer; ob es nun vom Weihrauch – von der Seelenmesse her – kommt, oder von Parfümdüften, oder von Frauengeruch, Nikolka wird ganz schwindelig.

Er beginnt zu lesen, sie aber entkleidet sich, macht sich zur Nachtruhe zurecht, und da drängt es ihn so, sie anzublicken, hat er die weibliche Wesenheit doch noch niemals gesehen. Muß er eine Seite umwenden, so gerät seine Hand ins Zittern, seine Stimme stockt, einzig, weil es doch so heiß im Zimmer ist; mit der Hand wischt er sich den Schweiß von der Stirn.

»Kolenka, du hast es heiß, zieh dein Kittelchen aus …«

Sie tritt selber heran, barfuß, im bloßen Hemdchen, hilft ihm beim Ausziehen, streicht ihm über den Kopf, über die schmalen Schultern, und plötzlich küßt sie ihn, ohne jeglichen Anlaß.

»Ach du mein herziges kleines Söhnchen! …«

Es gefiel ihm wohl, er hatte das noch nicht erlebt, hatte noch nie eine Frau geküßt, bloß gehört hatte er davon, die Solisten hatten einander darüber erzählt beim Schlafengehen – die Vorsänger schliefen zusammen mit den Solisten und hörten alles –, und auch Nikolka hatte alles gehört, wußte über alles Bescheid, und der Wunsch kam ihm, es einmal selbst auszukosten.

Es drängte ihn, sie zu küssen; er überschüttete sie mit Küssen, und sie war so froh darüber, drückte ihn an sich, sog sich fest an ihn, tätschelte ihn, preßte seinen Kopf an ihre weiche Brust – er konnte gar nicht mehr atmen –, führte ihn ans Bett, setzte sich auf den Bettrand, und zog ihn zu sich auf den Schoß.

»Kolenka, du mein zärtlicher Junge …«

»Olympiada Gawrilowna, ich muß doch lesen …«

»Erhol' dich ein Weilchen, bleib bei mir – und zieh deine Stiefel aus, deine Beine müssen ja ganz müde sein von dem langen Stehen.«

Sie entkleidete ihn, zog ihm auch selber die Stiefel aus, dann nahm sie ihn lächelnd auf die Arme, warf ihn auf das Daunenpfühl und stürzte sich lachend über ihn. Nikolka versank ganz in den Daunen, und vor seinen Augen drehten sich rote Kreise. Der süße Schnaps war ihm berauschend zu Kopf gestiegen. Bis zum Morgen ließ sie ihn nicht einschlafen, gab ihm keine Ruhe, reizte ihn immer wieder, bis er ganz schlaff, ganz erschöpft war.

Am Morgen begleitete sie ihn bis an die Haustür …

»Kolenka, komm immer wieder, hörst du?!«

»Wenn ich kann, will ich kommen … Ja, ich komme, Olympiada Gawrilowna!«

»Komm nur, Liebling, komm, wann du immer willst, besuche mich – ich warte auf dich.«

Einen ganzen Monat lang war Nikolka immer wieder gekommen, und er hätte es auch noch weiter getan, aber unerwartet war Unheil über ihn hereingebrochen: als er an einem Feiertag vor dem Altar das »Gelobt sei Jesus Christus«! hinausschmetterte, überschlug sich plötzlich seine Stimme, und er gab solch ein Ziegengemecker von sich, daß sich der Chordirigent verzweifelt an den Kopf griff.

Seit jenem ersten Male, da er das Weib erkannt hatte, war seine Stimme tiefer geworden; wenn er mit der Witwe redete, war ihm hier und da ein Baßton entfahren.

Der Chordirigent aber sagte zu ihm:

»Nun, Nikolai Predtetschin, jetzt mußt du warten, bis es Bariton oder Baß wird.«

Als die Messe zu Ende war, ließ ihn der Bischof in den Altarraum kommen.

»Na, Knecht Gottes, jetzt mach' dich ans Lernen und hüte deine Stimme; sitzt sie erst wieder ruhig und fest, so nehme ich dich aufs neue in meinen Chor.«

Nikolka aber war das Lernen ja nicht gewohnt, auch ließ ihm die Witwe keine Ruhe.

Der Schulvorsteher sah sich die Sache eine Weile an, dann ließ er Nikolkas Vater kommen.

»Nimm deinen Sohn aus der Schule raus, er taugt zu nichts; ein Tunichtgut von einem Jungen ist's.«

Der Diakon, Nikolkas Vater, ging geradeswegs zum Bischof.

»Richtet mir den Jungen nicht zugrunde, er ist doch mein Einziger! Und wieviel Mühe hat er sich gegeben, um Ihnen gefällig zu sein! Lassen Sie ihm ein Zeugnis ausstellen, daß er die vier Grundklassen beendet hat, dann kann er später meine Stelle bekommen.«

Nikolka erhielt das Abgangszeugnis für die vier Grundklassen.

Im Dorfe bei seinem Vater hatte Nikolka kaum einen Monat verbracht, als der Vater starb. Nikolka aber kannte den Gottesdienst nicht, so trieb er sich denn im Dorf umher, setzte den Weibern nach, deren Männer ihrer Wehrpflicht nachkamen, pfiff sich was unter die Nase, und als der Pfarrer schließlich doch nicht einwilligte, ihn zum Diakon zu machen, wandte er sich an den Bischof.

Er fuhr in die Gouvernementsstadt und bat den Bischof, ihn an die Stelle seines Vaters zu berufen.

»Geh mal zuerst ins Kloster«, sagte der Bischof. »Lern' den Gottesdienst gründlich kennen, nachher sollst du dann deines Vaters Stelle haben, sie soll dir sicher sein; vorher aber mache dich im Kloster mit der Sache vertraut; na, und bekommst du einmal eine gute Stimme, so nehme ich dich, wie gesagt, wieder in meinen Chor.«

Seit damals befindet sich Nikolka schon jahrelang im Kloster als Novize; er singt hier im Chor, hat einen samtenen Bariton.

Seit damals kommen ihm auch die Kaufmannsfrauen nicht aus dem Sinn. Immer, wenn welche aus der Stadt eintreffen, um im Kloster zu beten, zu fasten und das Abendmahl zu nehmen, schaut er sich vom Chor die Augen aus an ihrer molligen Leiblichkeit. Stiert Nikolka die Weiber an, so sagt Ippolit, der Chordirigent, ein gestrenger Mönch:

»Ärgert dich dein Auge, so reiß' es aus …«

»Ach was, bin ich denn ein Mönch? Nicht einmal gucken soll man?«

»Es ist deine Prüfzeit im Dienst des Herrn.«

»Ach, hat sich was! Noch ein Weilchen, und dann mache ich mich auf und bitte um das Amt eines Diakons und nehme mir eine Frau aus Kaufmannskreisen, und da soll ich nicht einmal gucken dürfen?«

Ippolit gab es schließlich auf, spuckte bloß aus vor dem Ärgernis.

Nikolka hatte sich herausgemacht, schlank und hoch war er geworden, sein Haar lockte sich und sank in lauter Ringeln auf die Schultern hinab, sein Gesicht blickte weihevoll, bloß aus den Augen sprach Gier.

Die Wallfahrer warfen ihm bewundernde Blicke zu.

 

Auch eben träumt Nikolka von einer Kaufmannsfrau.

Seine mächtige Stimme hallt durch den Wald, hüpft als tönendes Echo von Fichte zu Fichte.

»Du, Waßja, laß nur deine Redensarten. Bald beginnt's wieder mit den Wallfahrten nach unserm Kloster, dann geht der Spaß los!«

»Herr, erbarme dich meiner, deines unwürdigen Knechtes!«

»Ein Kaufmannsfrauchen such' ich mir aus … Na, ich sag' dir! Und auch du sollst eine haben zum Hochzeitmachen …«

»Dem Satan deiner Lust dienst du. Herr, führe mich nicht in höllische Versuchung, sondern erlöse mich von teuflischem Blendwerk!«

»Ein Schafskopf bist du, Waßka, das ist's. Ich aber suche mir ein sauberes Mädel aus, eine Kaufmannstochter, und heirate sie, und dann werde ich Pfarrer an der Kathedrale in der Stadt – du kannst dann kommen und Tee bei mir trinken …«

»Wie gar mächtig doch der Satan ist, was er nicht alles mit den Menschen anstellt! Scheuche ihn von dir, Knecht Nikolai, scheuche ihn von dir, auf daß der Höllenfürst dich nicht unterkriegt!«

 


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