Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

5

Nikolai wurde häufiger Teegast bei den Grakins.

Des Nachmittags bis zur Abendmesse und von der Abendmesse bis zum Anbruch der Nacht, wenn das Tor geschlossen wurde – zuweilen mußte er auch über die Umzäunung klettern.

Man trank Tee, streifte auf unerforschten Pfaden durch den Wald und genoß die Naturschönheiten des Klostergeländes, oder glitt im Nachen über den See; der zweite Schlüssel erwies sich als sehr nützlich; nicht umsonst hatte Nikolka dem Krämer ganze fünfundzwanzig Kopeken für das Schloß bezahlt.

Er fand auch gleisnerische Worte über seine von der eitlen Welt mißverstandene Seele, die in Einsamkeit und Sehnsucht dahinsieche; zuweilen glaubte er selbst an diese wehmütigen Ausführungen.

Tag um Tag spann er Fenjas Herz immer fester in ein Spinngewebe ein; ein zärtliches Mitgefühl hatte er in ihr wachgerufen. Zuerst kamen ihm die Worte dumpf und unbestimmt, unbeholfen brachte er sie hervor, bald aber strömten sie ihm sanft wie Weihöl von den Lippen und hüllten alles in warme Innigkeit.

Kehrte er am Abend in seine Zelle zurück und legte sich auf die harte Bank, die Augen voll Begierde ins Dunkel gebohrt, so stand die kleine Fenja Grakina wie greifbar vor ihm, mit ihren Tausenden, mit sattem Überfluß, Ansehen und unabhängigem Dasein.

Mit diesen Tausenden konnte man die Welt auf den Kopf stellen, sie fest in die Faust nehmen und zudrücken, daß langsam der Saft daraus tropfte wie Honig aus vollen Waben; – am Nektar des Lebens wollte er seinen Durst stillen.

Noch war es zu früh zum Handeln, fürchtete er; im richtigen Augenblick mußte er ihre jungmädchenhafte Harmlosigkeit umstricken, so daß es aus dem erregten Wogenwirbel keinen Ausweg mehr gab.

Es ging alles so schön und glatt, bloß die Mama war immer hinter der Tochter her, ließ sie nirgends allein hin.

Auf den Spaziergängen hielt sich die Mama mit Frau Klimowa hinter den beiden; immerhin konnte er dann wenigstens halblaut mit Fenja sprechen; aber allein mit dem Mädel zusammenzukommen, war ihm bisher noch nie gelungen.

An ihren Augen sah er wohl, daß es bloß noch an einem ungestörten Beisammensein zu zweit fehlte, damit er sein Ziel erreiche; glaubte sie ihm doch ohne Vorbehalt, hielt jedes seiner Worte für lautere Wahrheit; könnte er ihr jetzt von seiner Liebe sprechen, unter heißen Küssen, die ihr die Sinne benehmen, so würde unheimliches Sehnen sie ermattet zu Boden werfen …

Hatte er eine Weile auf sie eingeredet, so schloß er mit den Worten, daß er ihr so gern noch etwas sagen würde, etwas, was zu sagen ihm eine große Erleichterung wäre, wenn Fenja nur ihre Erlaubnis dazu gäbe.

Gar zu gern wollte auch Fenja sein Geheimnis wissen.

Einmal bat sie ihn selbst darum:

»Sprechen Sie, Vater, ich will es niemand sagen, und Ihnen wird dann leichter sein.«

»Ich müßte Sie ja in meine Seele hineinschauen lassen, und das kann man doch nicht, wenn andere dabei sind!«

Und seine begehrlichen Augen sprachen, sprachen so eindringlich, daß Fenja, da sich ihre Blicke getroffen hatten, die Lider senkte, und ihr Herz, in die Tiefe stürzend, eilig pochte; und über und über rot wurde die kleine Fenja.

 

Die Beeren reiften bereits, der ganze See war von Wasserrosen umsponnen, die Wildenten hatten Junge und schnatterten hell im Schilfe, und noch immer war es mit ihr zu keiner Zusammenkunft unter vier Augen gekommen.

Da stürzte einst Vater Michail in seine Zelle.

»Weißt du, was ich dir sagen will?«

»Wohl etwas über die Klimowa?«

»Keine Spur – die Grakina ist heute fortgefahren, Bruder.«

Nikolais Herz stand still, ganz kalt wurde ihm vor Schreck, während ihm der Gedanke durch den Sinn fuhr: Mein Glück habe ich mir entschlüpfen lassen!

»Was bist du denn so erschrocken? Sie ist doch allein fortgefahren, das Töchterchen und Maschenka schauen zum Fenster hinaus; also kommt sie bald zurück, Bruder.«

»Warum hast du das nicht gleich gesagt?«

»Was hast du denn? Läßt die kleine Fenja dir keine Ruhe?«

Nikolka antwortete nicht, aufgeregt lief er in seiner engen Zelle hin und her. Sich nur jetzt die Gelegenheit nicht entwischen lassen!

»Michail, du mußt mit der Klimowa in den Wald, mußt fort mit ihr …«

»Na, warum nicht? Das läßt sich schon machen.«

»Acht Tage bewirte ich dich dafür mit Schnaps …«

»Heute nach dem Mittagsmahl ziehe ich mit ihr los – aber reinen Mund gehalten!«

»Und bleib' möglichst lange weg …«

»Auch gut! Ich erkläre, ich wisse nicht zurück, wir hätten uns verirrt; erst am Abend sind wir wieder da.«

Wie benommen war Nikolka, während er zur Messe sang; seine Stimme setzte mehrmals aus; er konnte es nicht erwarten, ging nicht erst zum Mittagsmahl, sondern lief in den Wald zu den Landhäuschen und spähte aus einem Versteck nach Frau Klimowa und Vater Michail. Erregt schritt er auf und ab, in Erwägungen darüber versunken, ob es Michail wohl gelingen würde, die Klimowa zum Mitkommen zu bewegen, oder ob das durchtriebene Frauenzimmer nicht am Ende von der Sache Wind bekommen hätte? Dann würde sie ohne Fenja nirgendwohin gehen. Mochte sie sich noch so gerne vergnügen wollen, das Mädel würde sie nicht aus den Augen lassen, wenn sie die Wahrheit ahnen sollte – das war nun einmal so in Kaufmannskreisen: die verheiratete Frau konnte sich's einmal erlauben, über die Stränge zu schlagen, ein Mädel aber wurde scharf bewacht, damit ihr kein Schaden geschähe.

Eine ganze Stunde lang streifte Nikolka wartend umher, und als er schließlich Frau Klimowa mit Vater Michail kommen sah, verbarg er sich eilig hinter Bäumen, damit sie ihn nicht unversehens entdecke.

Als die beiden außer Sicht waren, lief er zu der kleinen Fenja.

»Welch herrlicher Tag! … Wo sind denn die Damen?«

»Marja Karpowna ist mit Vater Michail in den Domänenwald gegangen, und Mutter ist in die Stadt gefahren.«

»Ich wollte Sie zu einer Bootfahrt abholen; gestern war ich draußen auf dem See und habe im Wald eine neue Beerenstelle gefunden. Fahren wir hin, Fenja.«

»Wie denn, ohne Mama?«

»Ach, wir sind ja bald wieder zurück.«

Die kleine Fenja willigte ein. Aber bald wurde ihr bange, daß sie eingewilligt hatte, doch wollte sie ja Vater Nikolai ausfragen: vielleicht würde sie etwas über das Besondere erfahren!

Während sie über die Wiesen schritten, erzählte er ihr von einem heilkundigen Mönche, der die Leute mit allerlei Kräutern kuriere, von dem Walde, in dessen Tiefen einst Räuber hausten, die des Winters auf der Landstraße Kaufleute überfielen. Er bemühte sich, Fenja durch Gespräche abzulenken, damit ihr nicht bange werde, sie sich keine Gedanken mache, kein Vorgefühl sie erschrecke. Gedanken würde sie sich wohl kaum machen, aber ein ahnungsvolles Empfinden konnte ihr kommen und sie erschrecken, dann würde sie ängstlich aufpassen und auf der Hut sein, und dann würde es schwer sein, etwas zu erreichen; jäh und unerwartet mußte sie überrumpelt und bezwungen werden, so daß sie gar nicht erst zur Besinnung kam.

Als sie sich der Mühle näherten, erzählte er ihr langsam etwas über den See.

Bloß einmal huschte es der kleinen Fenja durch den Kopf, daß er ihr heute vielleicht sagen würde, was er bisher immer verschwiegen hatte …

Weit holten die Ruder aus, in schnellen Stößen schoß das Boot durchs Schilf, überquerte den See, bog in einen Waldbach ein; langsamer glitten die moosbewachsenen Uferhänge vorüber. Eine grünüberwucherte Fichte war ins Wasser gestürzt, er band das Boot an ihr fest, führte Fenja den Stamm entlang zum Ufer, wobei er ihre warme Hand sorgsam und fest mit der seinen stützte.

»Schön ist's hier, aber unheimlich: so düster; es gibt hier wohl Bären?«

»Im Sommer jedenfalls nicht, Fenja; Sie können ganz ruhig sein.«

»Es ist sogar kalt hier.«

»Dafür gibt's aber Erdbeeren im Überfluß, große süße Beeren.«

Sie schritten ins dunkle Schweigen über schütteres Moos; er hielt sie an der Hand, begann zu reden …

»Fenja, ich möchte Sie nie verlassen, möchte immer um Sie sein …«

Die kleine Fenja bekam einen Schreck, aber weniger vor diesen Worten als darum, weil ihr Herz plötzlich so unheimlich laut pochte; ihr kam nicht der Gedanke, daß ihr bange sei, aber in ihrem ganzen Sein, in all ihren Gliedern saß jäh ein beklemmender Schreck …

Sie sammelten Erdbeeren; an dünnen Stengeln schaukelten die großen Früchte, reif und duftig.

Die kleine Fenja hatte sich beim Pflücken auf die Knie niedergelassen; ihre Lippen waren von dem dunkelroten Saft wärmer, durch den feuchten Glanz scheinbar voller geworden; Nikolai starrte sie an, und seine Mundwinkel zuckten vor Begierde.

Gemeinsam sammelten sie Beeren, und wenn Fenja die schönsten und reifsten aus seiner Hand nahm, berührten seine Finger die ihren.

Er sprach erregt und im Flüsterton, und durch dieses Flüstern wurde auch Fenja erregt; gespannt hoffte sie, nun jenes Besondere zu vernehmen, und geriet immer mehr in Aufruhr.

»Fenja, Einsamkeit ist so schwer zu tragen; ich sehne mich doch auch nach Glück.«

»Sagen Sie es mir jetzt; Sie wollten mir doch etwas sagen …«

»Setzen wir uns; ich sag's Ihnen, ich will Ihnen alles erzählen, Fenja …«

Er setzte sich, setzte sich ganz dicht neben sie, legte den Arm um sie, leicht und leise, als fürchtete er, sie zu erschrecken, und zog sie an sich. Ein wenig beklemmend war es, dabei aber schön. Fenja stieß ihn darum nicht von sich, nur einmal machte sie einen schwachen Versuch zurückzuweichen, dann aber schmiegte sie sich ganz still an ihn. Da stürzte er jäh ihren Kopf zurück, grub seine Lippen in ihren nach Walderdbeeren duftenden Mund und küßte sie lange und ungestüm, so daß sie kein Wort hervorbringen konnte, hielt einen Augenblick inne, flüsterte immer wieder nur das eine: »Ich liebe dich!« um sie von neuem mit gierigen Küssen zu überschütten.

Es war nicht die kleine Fenja, ihre Lippen selber waren es, die sich unter seinen Küssen wie Blüten öffneten; ihr schwindelte, es war ihr, als schaukelte sie auf wogenden Wellen; pochend sank ihr Herz in die Tiefe, immer tiefer und tiefer.

Er kippte sie rücklings auf das knisternde Moos, nur instinktiv widerstrebten noch ihre Beine, wurden schwer, reglos. Mit knorrigem Knie drückte er zu, da öffneten sie sich.

Sie hörte, wie Wäsche riß, und als sein Körper auf ihr lastete, verschlug's ihr den Atem, ihr Herz setzte aus, und es blieb unklar, ob sie ihn anflehte, ihr nichts anzutun, sie zu verschonen, oder sie nicht länger in dieser fürchterlichen Bedrängnis vergehen zu lassen, sie schnell von diesem unheimlichen Ersterben zu befreien, damit sie, erlöst, wieder frei aufatmen könne. Sie stammelte bloß schwach: »Kolenka, Kolenka!!!«

Plötzlich schrie sie auf, wand sich zuckend, und ein scharfer, durchdringender Schmerz, dabei aber seltsam süß, da mit ihm zugleich ungeahnte Seligkeit ihren Körper durchströmte, erfüllte ihr ganzes Wesen und weckte ein wundersames Sehnen nach haschender, demütig ergebender Hingabe.

Dann wurde es dunkel vor ihren Augen und ganz still in ihr, und sie fühlte, wie ihr Blut warm und erlöst durch die Adern rann, und so erfrischend und beglückend war die Luft, und der beklemmende Druck im Nacken hatte sich gelöst.

Erst als ihr Körper zur Ruhe gekommen war und ihre Gedanken sich wieder geklärt hatten, begriff sie, daß etwas Schreckliches geschehen war, etwas, das alle Wege verschüttet hatte.

»Was hast du mit mir gemacht, Kolenka?!«

»Ich will, daß du meine Frau wirst.«

»Aber du bist doch Mönch, Kolenka!«

»Nicht Mönch, bloß Novize …«

»Wie soll ich das meiner Mutter sagen!«

»Brauchst ihr ja gar nichts zu sagen.«

»Kolenka, aber davon bekommt man doch … Kinder? …«

Bei diesen Worten durchfuhr es ihn – und der Gedanke setzte sich hartnäckig und bohrend in ihm fest –: Kommt ein Kind, verheiratet man sie bestimmt mit ihm, dann kann man sie ihm nicht mehr nehmen, dann kann ihm sein Glück nicht mehr entschlüpfen! Und da wollte er es so, ein Kind sollte, mußte kommen, dafür würde er sorgen, jetzt, gleich …

»Sei nicht bange, Fenja; gar nichts kommt; ich weiß doch Bescheid.«

»Und wenn Mutter es erfährt?«

»Wie sollte sie es denn erfahren? Niemand erfährt etwas davon.«

»Du wolltest mir doch etwas Wichtiges von dir erzählen? Tu es jetzt, Kolenka, jetzt kannst du mir doch alles sagen! Ich liebe dich ja auch, bisher habe ich noch nie jemand geliebt, jetzt aber liebe ich.«

»Ich habe eigentlich nichts zu erzählen, Fenja, bloß daß ich dich schon seit dem vorigen Jahr liebe, seitdem wir zusammen durch den Wald gestreift sind. Seit jener Zeit konnte ich dich nicht vergessen, den ganzen Winter über habe ich auf den Sommer gewartet und mich nach dir gesehnt und mich immerfort gefragt, ob du wohl im Sommer wieder herkommst.«

»Gesehnt hast du dich nach mir, wirklich?«

»Und wie gesehnt, Fenja! Wenn du wüßtest!«

»Und du wirst mich immer, immer lieben?«

»Bis ans Grab, Fenja; und auch unsere Kinder werde ich lieben, wenn wir welche bekommen.«

Der Wunsch, es möchte zur Empfängnis kommen, heute noch, unverzüglich, steigerte sich zu peinigendem Verlangen. Wieder begann er, Fenja zu liebkosen, bis ihr Herz aufs neue mühsam schlug und ihr Atem stockte, bis selige Glut und Erlösung sie wieder umfing, und ihre Glieder, schlaff und matt, erstarben; und wieder, und wieder, bis zur völligen Erschöpfung und Auflösung. Kaum vermochte sie sich noch von dem warm gewordenen Moose zu erheben, als die Dämmerung anbrach, von würzigen Hauchen durchströmt, und es im Walde ganz dunkel geworden war.

Kräftig und gleichmäßig hob und senkte Nikolka die breiten Ruder und sah der kleinen Fenja immerfort in die Augen, als wollte er ergründen: Kommt ein Kind? Kommt es bestimmt? …

Er ließ das Boot am Ufer auflaufen, der Kiel schnitt tief in den schlammigen Boden.

Die kleine Fenja konnte sich kaum bewegen. Es war so wunderbar, seiner samtenen, süß betörenden Stimme zu lauschen, und so unheimlich, nach Hause zu gehen: wie, wenn jemand etwas merkte?! Dann wäre es aus mit ihrem Glück, und ohne Nikolais Liebe würde sie vor Schmerz und Sehnsucht vergehen … Nein, das konnte nicht sein, wie in all den hastig verschlungenen Romanen würde alles ein glückliches Ende nehmen! … Zu Kolenka konnte sie gar nicht grausam sein, das war sie nur Nikodim Petrowskij gegenüber. Bloß flüchtig dachte sie an Nikodim; als der Geliebte den Arm um ihre Schultern schlang, verblaßte, erlosch, entschwand die Erinnerung an Nikodim, als wäre er nie gewesen. Plötzlich wurde ihr ganz, bange bei der Vorstellung, Nikolai könnte einmal aufhören, sie zu lieben …

Er brachte sie bis in ihr Zimmer – Marja Karpowna war noch nicht zu Hause –, küßte sie zum Abschied und bat leise:

»Komme morgen nach dem Mittagessen zur alten Einsiedelei, Fenitschka … Komme bestimmt, ich werde auf dich warten.«

Auf dem Rückwege trat er in den Klosterladen, kaufte zwei Flaschen Monopolschnaps, verbarg sie in den Taschen der Kutte und schlüpfte in seine kleine Zelle, wo er auf Vater Michail wartete.

Zufrieden, daß er endlich ein Kaufmannstöchterchen erworben hatte, malte er sich aus, wie er nun bald Oberpriester an der Kathedrale in der Stadt sein werde …

 

Die kleine Fenja lag schon im Bett, als Marja Karpowna spät am Abend heimkehrte. Sie fragte das junge Mädchen:

»Warum bist du denn so früh zu Bett gegangen?«

»Ich hatte Langeweile allein und wollte schlafen.«

Ganz leicht kam der kleinen Fenja die Lüge von den Lippen, galt es doch ihr erstes süßes Geheimnis zu hüten.

 

Bis Mitternacht saß Vater Michail bei Nikolai und trank Schnaps, wozu er Schwarzbrot mit Salz aß. Beim Aufbrechen brummte er mit trunkener Stimme:

»Hast es entsiegelt, das Mädel?«

»Was schert es dich?«

»Paß auf, sei kein Geizkragen, wenn du reich bist.«

 

Am nächsten Morgen suchte die kleine Fenja Marja Karpowna auszuweichen und kam auf den Gedanken, zur Morgenmesse zu gehen; dann kehrte sie zurück, aß Frühstück und wartete auf den Glockenruf zum Mittagsmahl.

Der Gang nach der kleinen Einsiedelei im Walde war ihr unheimlich, ein Bangen war in ihr, zugleich aber zog es sie hin. Angst kam sie an: vielleicht würde er gar nicht kommen, vielleicht liebte er sie nicht mehr – er war schön wie ein strahlender Ritter – keine Frau, kein Mädchen könnte ihm widerstehen!

Und wieder kehrte sie, ermattet, erschöpft, erst mit Anbruch der Dunkelheit nach Hause zurück.

Marja Karpowna fragte sie:

»Wo bist du denn gewesen, Mädel? Man sieht dich ja gar nicht.«

»Ich bin spazierengegangen, Marja Karpowna.«

»Mit wem?«

»Mit Vater Nikolai.«

»Nimm dich in acht, Mädel!«

»Ich bin müde, wir sind so weit gewandert … Gute Nacht!«

Und wieder ging die kleine Fenja zu Bett, noch ehe Licht gemacht wurde.

»Nimm dich in acht, Fenja! Ein Mädchen kann leicht zu Schaden kommen, und dann ist's um sie geschehen.«

Fenja stellte sich schlafend.

»Hörst du, Fenja?«

Die kleine Fenja blieb stumm.

»Sie sind alle über einen Kamm geschoren, diese Scheinheiligen hier! Sieh nicht auf mich – wenn ich mich mit ihnen einlasse, so ist das etwas anderes, ich bin eine Frau, du aber mußt auf dich acht geben: du wirst einmal heiraten wollen, und ein Mädel, das nicht mehr heil ist, nimmt niemand …«

Auch am dritten Tage eilte die kleine Fenja in den Wald, um mit Vater Nikolai zusammenzutreffen; aus freien Stücken lief sie zu ihm, es zog sie hin, unwiderstehlich, jäh erwachte Unersättlichkeit zog sie hin. Und zum dritten Male ließ sie Nikolai bis zum Abend nicht aus seinen Armen in dem heißen Bemühen, sicher zu gehen wenn kein Kind kam, würde er nie die Hand der kleinen Grakina erringen, würde er nie ihre reiche Mitgift erhalten.

Noch später als am Tage vorher kehrte das junge Mädchen heim. Marja Karpowna hatte bereits die Lampe angezündet und wartete mit dem Abendbrot auf sie. Das Licht erschreckte Fenja, sie schritt über die Schwelle, senkte die Augen und blieb unschlüssig stehen.

»Ich habe mit dem Abendbrot auf dich gewartet – wo treibst du dich herum?«

»Wir waren im Domänenwald; das ist so weit.«

»Sobald deine Mutter zurück ist, erzähle ich ihr alles – sie wird dich schon klein kriegen. Paß du mir auf, Fenka!«

Zögernd ließ das junge Mädchen sich auf einen Stuhl nieder, senkte die Stirn über der gefüllten Tasse, um Marja Karpowna nicht ansehen zu müssen. Sie fürchtete deren Blick, fürchtete, daß sie zu müde und abgespannt sei, um lügen zu können, und die Wahrheit durfte sie ja nicht gestehen – er hatte es untersagt, und auch sie hätte ihr süßes und unheimliches Geheimnis nicht gerne preisgegeben.

Marja Karpowna hatte ihre Tasse geleert, schenkte sich eine zweite ein und blickte zu Fenja hinüber.

»Himmel, Fenka, was ist mit dir?! Du bist ja aschfahl im Gesicht! Was hast du, Mädel?«

»Wir sind so weit gegangen, Marja Karpowna, dabei habe ich mich wohl ein bißchen überanstrengt …«

Die kleine Fenja saß reglos da, sie wagte nicht einmal richtig zu atmen.

»Gott, und diese Schatten unter den Augen!«

Marja Karpowna drang in das Mädchen, setzte ihr zu, wollte hinter die Wahrheit kommen.

»Also gestehe: hast du dich ihm freiwillig hingegeben oder hat er Gewalt gebraucht? So sprich doch, Mädel! Sitzt da stumm und starr, als hätte sie Wasser im Munde … Mir machst du doch nichts weis – ich bin eine Frau, ich kenne das, ich brauche nur hinzusehen, und ich weiß, woran ich bin. Solche schwarzen Ringe um die Augen, die tief in den Schädel gesunken sind – das kommt von nichts anderem her. Sieh mal in den Spiegel, damit du weißt, wie du aussiehst – ich bringe dir gleich einen!«

Marja Karpowna brachte einen Spiegel und stellte ihn vor dem jungen Mädchen auf den Tisch. Die kleine Fenja warf einen Blick hinein und senkte erschrocken die Stirn.

»Verloren bist du, Mädel, verloren … Wie sollen wir das der Mutter sagen – und es ihr verschweigen, geht nicht … du mußt die Frucht abtreiben …«

»Marja Karpowna! …«

»Was denn Marja Karpowna? Erst machst du dumme Streiche und nachher heißt's: Marja Karpowna! Jetzt aber rede, erzähle mir alles, die Frucht werden wir schon los, bevor du rundlich geworden bist – trinkst halt ein bißchen Wacholderaufguß – und auch einen Mann für dich finden wir schon. Mußt dich aber nicht wundern, wenn der junge Gatte dich des Nachts prügeln wird – bist selbst schuld, meine Liebe –, und daß er dich prügelt, da kannst du Gift darauf nehmen, denn das verzeihen sie uns nicht … Nimmst du dir aber einen Alten, so ist das Unglück zwar nur halb so groß, bloß du hast dann nicht viel davon … Ich bin ja auch an einen Alten geraten – prügeln tut er mich nicht, aber er quält mich weidlich …«

Die kleine Fenja weinte, weinte ganz still und leise, und immer ungestümer flössen ihre Tränen; sie schmiegte sich wie ein Kind an die junge Frau, das Köpfchen hilflos an ihre Brust gebettet.

»Ich liebe ihn, Marja Karpowna.«

»Auch ich habe geliebt, mein Mädelchen, lieben ist kein Kunststück – dazu sind wir ja da, um die Herren der Welt zu lieben. Aber was nun weiter geschehen soll, daran hast du wohl nicht gedacht, als du es so weit kommen ließest? …«

»Er wird mich doch heiraten.«

»Was? Dich heiraten? Er wird dich heiraten?! Wer wird dich ihm denn geben, Kind? Da hört aber doch alles auf, o Gott, o Gott! Was denkst du dir denn eigentlich? Wer wird denn das zulassen? Deine Mutter? Deine Mutter hat ihre festen und bestimmten Ansichten, ihre sehr festen, sehr bestimmten Ansichten, von denen bringt sie niemand und nichts ab, darin ist sie wie ein Stein. Sie braucht als Schwiegersohn einen Mann, der was kann und was hat, einen tüchtigen Geschäftsmann, der den Aufgaben eures Betriebes gewachsen ist, und du weißt ja selbst, daß eure Fabrik ein ganz großes Unternehmen ist, sogar mit dem Ausland steht ihr in Geschäftsverbindung. Oder meinst du, daß dein Onkel Kirill Kirillowitsch einen hergelaufenen Mönch als Schwiegersohn in seine Arme schließen wird? Kirill Kirillowitsch, der studierte Mann, der Diplom-Ingenieur, der Leiter eures großen Werkes? Nein, meine Liebe, mag er auch noch so gelehrt sein und allerlei Bücher lesen, die Ehre der Familie Drakin-Grakin vergißt er darum noch lange nicht! Nicht über die Schwelle eures Hauses setzt dieser Mönch seinen Fuß, solange deine Mutter und dein Onkel noch etwas zu sagen haben … Jetzt aber erkläre mir, wie denkst du dir denn die Sache?«

»Er liebt mich …«

»Er liebt dich! Das ist mir auch was Rechtes! Was willst du denn mit seiner Liebe anfangen? Keinen Pfifferling ist seine Liebe wert! Ach, Mädel, du tust mir wahrhaftig leid, das ist alles, was ich sagen kann. Der Mutter aber müssen wir beichten, da hilft alles nichts. Wie hast du dich nur so weit vergessen können? Und wo habe ich meine Augen gehabt?! Wann ist denn das Unglück geschehen? Hm?«

»Dienstag …«

»Also als ich mit Vater Michail im Domänenwald war? Da trifft mich die Schuld, niemand anders, ich muß deiner Mutter Antwort stehen, habe nicht acht auf dich gegeben, der Teufel der Sinneslust hat mich lüsternes Weibsbild umstrickt … Übrigens, geschickt haben die Mönche das eingefädelt – der eine zieht mit mir Leichtfuß in den Wald ab, und inzwischen stürmt der andere hier das Haus! Dazu nun hat sich der gefällige Helfer dann auch natürlich verirrt und mich bis zum Abend kreuz und quer im Walde herumlaufen lassen! … Nun aber hör' auf zu heulen, Tränen helfen hier nichts, trink lieber deinen Tee aus und iß was, und dann laß uns schlafen gehen – der Morgen ist weiser als der Abend. Vielleicht fällt uns über Nacht was ein!«

Die kleine Fenja trank folgsam ihren kalt gewordenen Tee, aß aber nur ein Stückchen Brot dazu, trotzdem sie eigentlich recht hungrig war; vom Morgen an hatte sie nichts gegessen. Sie ließen dann alles auf dem Tisch so stehen, wie es stand, und gingen zu Bett.

Marja Karpowna zog sich in zorniger Hast aus und schleuderte ihre Sachen auf einen Stuhl, daß es seine Art hatte; die kleine Fenja hingegen streifte alles langsam und leise ab, kaum hörte man ihr Kleidchen knistern. Die Kerze wurde ausgelöscht, aber keines konnte schlafen: sie lauschten auf das Summen der Mücken und beide dachten an das Vorgefallene, jede auf ihre Art.

Die kleine Fenja dachte, daß nun alles verloren, ihr Leben auf immer zerstört sei. Man würde sie von Nikolai trennen, ihr Vorwürfe machen, sie schließlich mit einem fremden, ungeliebten Manne verheiraten, und niemals würde sie den Geliebten wiedersehen! Sie liebte ihn, sie hatte sich ihm mit Herz und Seele hingegeben, an nichts als an ihre Liebe gedacht, versunken in Liebkosungen, in die Süße der ersten Hingabe, in diese unheimliche Seligkeit des begehrenden, beglückten und beglückenden Blutes. Alle Bücherträume waren verschwunden, wie fortgeweht, waren ihr gar nicht in den Sinn gekommen, auch an Nikodim hatte sie gar nicht gedacht; das alles war plötzlich in ein Halbdunkel entglitten, jenseits, in ihrer Jungmädchenzeit geblieben … Sie sehnte sich nach Kolenka, morgen sollten sie sich wiedersehen, er würde nach der Mittagsmesse auf sie warten, zur Einsiedelei sollte sie kommen. Und nun würde Marja Karpowna es nicht erlauben, würde sie nicht aus den Augen lassen, nie würde sie Kolenka wiedersehen! Einen fremden, ungeliebten Mann sollte sie heiraten! Bei diesem Gedanken kam sie ein solches Grauen an, daß sie erschauerte. Sie mußte einen Ausweg finden, aber nichts, gar nichts wollte ihr einfallen …

Marja Karpowna ihrerseits dachte daran, wie sie jetzt Antonina Kirillowna unter die Augen treten sollte; Tonja hatte ihr ihr Kind anvertraut, das junge Mädchen in ihrer Obhut zurückgelassen, und wie hatte sie das Vertrauen der Freundin gerechtfertigt?! Und die kleine Fenja tat ihr leid, sie dachte an ihr eigenes Schicksal, an ihre erste, heimliche Liebe, und wie man sie dann fast mit Gewalt an den Altar geschleppt und mit einem alten Manne verheiratet hatte, an dessen Seite ihr Leben zu einer endlosen Qual geworden war. Sollte nun wirklich auch der kleinen Fenja ein solches Los zuteil werden – immer einem alten Lüstling gefügig sein müssen, der einen nur gewaltsam aufreizt, mit seinen speichelnassen Liebkosungen einen besudelt und einschläft, während die Frau, durch sein greisenhaftes Unvermögen zerquält, sich ruhelos hin und her wirft? Und sich ihm verweigern, ihn davonjagen, darf man nicht wagen, er könnte in blinder Wut auf einen losschlagen, sich in Vorwürfen ergehen: er habe mit seinem unbescholtenen Namen fremde Schande bedeckt, und nicht einmal dankbar erweise man sich ihm dafür!

Sie lagen still da, in ihre Gedanken versunken, nur die Heimchen zirpten in den Ecken, und durch die geöffneten Fenster klang die Klapper des Nachtwächters.

»Schläfst du oder bist du noch wach?«

»Nein, ich schlafe nicht, Marja Karpowna. Liebe Marja Karpowna, was soll denn nun werden? Sie haben ein gutes Herz … Und Sie wissen ja selbst, was es heißt, an der Seite eines ungeliebten Mannes zu leben – helfen Sie mir! Liebste Marja Karpowna, helfen Sie mir …«

»Schlafe lieber … Ich will mir's überlegen. Du tust mir leid, Kind, von mir brauchst du keine Vorwürfe zu fürchten, auch mein Leben ist ja verfehlt um derselben Sache willen. Du bist jetzt eine Frau, vielleicht verstehst du mich da. Darum komme ich ja her, um mein Verlangen zu stillen; in dem dichten Walde sieht dich niemand, niemand kann nachher etwas erzählen, ob was war, ob nicht; hier kümmert sich niemand darum, die Leute kommen her, um zu beten, sind heute hier und morgen dort … Und die Frauen in den Landhäuschen machen es ebenso … So entgeh ich dem Klatsch in der Stadt, die Gevatterinnen haben keinen Anlaß ihre Zungen zu wetzen, und mein Alter weiß nichts davon. Der Wald ist dunkel und stumm und still … Aber du schlafe jetzt, ich will mal nachdenken.«

Hoffnung im Herzen, schlief die kleine Fenja ein. Es war spät geworden, und so erwachte sie auch am nächsten Morgen erst spät, als bereits zur dritten Messe geläutet wurde … Nach dem Mittagessen wurde sie erwartet, eilig stand sie vom Tisch auf.

Marja Karpowna bemerkte es, fragte:

»Wohin denn?«

»Marja Karpowna …«

»Damit ist's jetzt aber aus! Ich lasse dich nicht hin, was du auch anstellen magst …«

»Marja Karpowna, nur auf einen Augenblick, vielleicht ist's zum letzten Male, ich möchte ihn doch noch einmal sehen.«

»Deine Mutter kommt heute abend zurück, du aber siehst jetzt schon so aus, daß man einen Schreck kriegt.«

»Ehrenwort, ich bin gleich wieder da, Marja Karpowna.«

»Na, schön, sei es denn. Aber es ist das letzte Mal, das merke dir.«

Die kleine Fenja machte sich auf den Weg, als Marja Karpowna sie noch einmal zurückrief.

»Was ich sagen wollte, Mädel – bring ihn mal her, deinen Herzallerliebsten. Ich möchte mit ihm sprechen.«

Die kleine Fenja ging durch das Kloster, über die Flußbrücke und lief dann eilig der Einsiedelei zu; – es war spät geworden, die Mönche hatten ihre Mahlzeit schon längst beendet, lange wartete er wohl schon.

Vater Nikolai stand unter einer Fichte und war wütend; vor Ärger hatte er sich die Nägel blutig gebissen.

Als sie auf ihn zutrat, herrschte er sie an:

»Schon jetzt läßt du auf dich warten! Nächstens komme ich nicht mehr … Warum hast du dich so verspätet?«

»Marja Karpowna ließ mich nicht fort.«

»Komm tiefer in den Wald. Wieso kommt sie darauf?«

»Sie weiß …«

»Also hast du's ihr gesagt! Warum? Ich habe dich doch gebeten, nichts zu sagen!«

Als sie tiefer im Walde waren, umarmte sie ihn, wollte ihn küssen.

»Kolenka, Liebster, vielleicht sehen wir uns heute zum letzten Mal.«

Wut und Schreck überkam ihn – vielleicht war jetzt alles verloren, nie würde er etwas von dem Grakinschen Gelde sehen! Böse stieß er die kleine Fenja zurück.

»Küssen können wir uns nachher; erkläre mir zuerst, warum du es ihr gesagt hast?«

»Sie ist selbst dahinter gekommen – meine Augen sollen davon dunkler geworden sein, daran hat sie es gemerkt. Ich wußte nicht, daß man davon Schatten unter den Augen bekommt.«

»Und was sollen wir jetzt tun? Soll denn schon alles zu Ende sein?«

»Kolenka, Liebster, gib mir einen Kuß – vielleicht ist es noch nicht zu Ende, aber küsse mich, küsse mich nur ein einziges Mal! Marja Karpowna hat ein gutes Herz, sie wird uns helfen. Ich kann es nicht glauben, daß wir uns zum letzten Male sehen, aber dann kommt mich wieder die Furcht an, daß es vielleicht doch das letzte Mal ist?«

»Warum mußtest du auch gleich alles ausplaudern?! Habe ich dich nicht gebeten zu schweigen?«

Er küßte sie hart, rücksichtslos, drückte sie vor Wut so fest an sich, daß es ihr weh tat.

»Nie werde ich dich vergessen, Kolenka, nie …«

Sie schmiegte sich zärtlich an ihn, sehnte sich nach seiner Leidenschaft, weinte vor Liebe; er aber blickte sie böse an und küßte sie unwillig, nur um ihre Tränen zu stillen. Dann kam ihm der Gedanke, daß sie sich vielleicht wirklich zum letzten Male allein sähen, und daß es nicht so leicht sein würde, ein anderes Mädel, eine gleich günstige Gelegenheit zu erwischen. Böse, gierig küßte er sie, so daß ihr die Lippen schmerzten, und das Verlangen so verzehrend in ihr aufstieg, daß ihr schwindelte und sie um seine Zärtlichkeit warb. Er aber wich ihr aus, ließ sie lange warten, wollte ihr weh tun, sie quälen, um sich dann schließlich mit ungestümen Liebkosungen über sie zu stürzen, bis sie vollkommen erschöpft war. Seine Leidenschaft, durch seinen Ingrimm noch gesteigert, kannte keine Grenzen; sie sollte ein Kind von ihm empfangen – nachher mochten die Grakins sehen, ob sie ihn einfach abschütteln könnten …

Er stand von der zarten Moosdecke auf, fragte:

»Ich soll also nicht mehr kommen – wir sehen uns zum letzten Mal?«

»Vielleicht auch nicht, Kolenka, vielleicht bleiben wir zusammen, unser Leben lang!«

»Wie meinst du das?«

»Marja Karpowna hat gesagt, du sollst mitkommen zu ihr.«

»Wozu das?«

»Ich weiß nicht, Liebster. Komm, Kolenka. Marja Karpowna ist gütig, sie wird uns beistehen.«

Er schritt neben ihr durch den Wald und überlegte unterwegs, ob er wohl hingehen sollte oder nicht. Vielleicht konnte Marja Karpowna ihnen wirklich behilflich sein. Da wurde er wieder zärtlich zu der kleinen Fenja, umarmte sie sogar und flüsterte:

»Sei mir nicht böse, daß ich vorhin so schroff war! Es bringt einen so auf, daß man selbst das Recht zu lieben mir verweigern will, weil man mich für einen Mönch hält, ich bin ja aber noch gar nicht Mönch, nur Novize …«

Wieder kehrte die kleine Fenja matt und erschöpft nach Hause zurück. Marja Karpowna warf einen Blick auf sie und fiel dann über Nikolai her – den wollte sie sich einmal vornehmen!

»Du niederträchtiger Kerl, was hast du mit dem Mädel gemacht? Wie konntest du es wagen, dich an einer Unschuldigen zu vergehen? Du denkst wohl, als Mönch hättest du nichts zu fürchten? Du irrst – für deinesgleichen gibt es Verbannung nach Solowki.« »für deinesgleichen gibt es Verbannung nach Solowkij«: Solowkij, weltverlorenes Kloster auf der gleichnamigen Insel im Weißen Meer, dient seit altersher als Verbannungsort für Geistliche und Mönche, die sich etwas haben zuschulden kommen lassen.

»Darum haben Sie mich kommen lassen?«

»Du wagst es noch, mir frech zu antworten?«

»So sprechen Sie doch vernünftig – wozu sollte ich herkommen? Ich habe doch nicht Gewalt angewendet. Fragen Sie sie! Ich liebe sie doch und will sie heiraten.«

»Heiraten willst du sie? Ich aber sage dir, dein Fuß kommt nicht über die Schwelle des Drakinschen Hauses – weißt du das?«

»Ich bin ja nicht irgendwer – bin geistlichen Standes. Wenn ich heirate, ernennt mich der Bischof zum Diakonus.«

»Also höre, was ich dir sagen will. Laß dich nicht mehr hier blicken, und daß du es mir nicht wagst, das Mädel noch einmal anzurühren! Du siehst sie überhaupt nicht oder nur als deine Braut wieder. Brauchst dir dabei nichts einzubilden, nur das Mädel tut mir leid, um ihretwillen will ich mein möglichstes tun; vielleicht läßt sich was machen. Ihre Mutter ist in solchen Dingen zwar hart wie ein Stein, aber immerhin – sie ist ihre Mutter. Bis dahin aber bleibst du unsichtbar, verstanden? Wenn ich während der Mittagsmesse ganz nahe neben dem Chor stehe, so heißt das, du sollst herkommen. Und nun – troll' dich!«

Ohnmächtige Wut und freudige Hoffnung kämpften in Nikolai. Vor Ärger kaufte er auf dem Heimwege wieder Schnaps und lud Vater Michail zum Abend zu sich. Bis zum Anbruch des Morgens tranken sie. Nikolai wurde nur langsam betrunken, die Ungewißheit seiner Lage quälte ihn.

Vater Michail hatte sich auf der Bank ausgestreckt und schnarchte glucksend. Nikolai stürzte noch die Überreste hinunter, aß Brot mit Salz dazu, und als zur Frühmesse geläutet wurde, legte er den Kopf auf den Tisch, glitt vom Schemel herab und rollte auf den Fußboden, wobei er unbewußt mit dem Kopf gegen die Bank schlug.

 


 << zurück weiter >>