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Tagein, tagaus betete Nikolka ohne Unterlaß in der Kammer der Abtei. Vater Sawwa schaute hinein; ein Kerzchen brannte vor dem Bilde des Erlösers, vor dem Nikolka kniete, in Gebet vertieft. Er aß fast nichts; Vater Sawwa sprach belehrend auf ihn ein:

»Demut vor dem Herrn ist mehr denn Fasten und Beten … Du kommst wieder zu dir; gelobt sei der Ewige! Doch sollst du die Aufnahme von Nahrung nicht verweigern, das ist eine schwere Versündigung. Eremiten nehmen nur ein Stückchen Brot, geweiht vor dem Altar des Herrn, und Wasser zu sich, du aber bist noch zu jung dazu. Fürchte Stolz und Überheblichkeit, die größte der Sünden. Sei nicht stolz auf deine Bußtat vor unserem himmlischen Vater, sonst bist du dem Satan verfallen …«

Der Sommer kam; Nikolka setzte keinen Fuß vor die Abtei. Die Bruderschaft erging sich im Walde mit Wallfahrerinnen und den Sommerfrischlern aus den Landhäuschen; Nikolka aber betete. Er hatte sich durch seinen frommen Eifer in das Herz des alten Sawwa geschlichen, seinen lieben Sohn nannte ihn der Greis und beriet sich oft mit ihm über die Klosterangelegenheiten.

»Mein Flachsblonder ist ein stilles Mönchlein, friedlich und ohne Arg, doch sein Hirn ist so klein wie ein Mohnkorn; dich aber hat der Herr mit Verstand gesegnet, der ist eine Gottesgabe, und du hast das demütige und würdige Äußere eines gottgefälligen Mönches. Die Heiligen Boris und Gleb könnte ein Ikonenmaler nach dir malen …«

Die Bruderschaft, der Nikolka nicht mehr unter die Augen kam, vergaß ihn allmählich.

Nikolka aber spann an einem Gedanken. Da es ihm nicht gelungen war, sich in der Welt sorglos einzurichten, wollte er sehen, Herr in der Abtei zu werden. Wie er das erreichen könnte, war ihm noch nicht klar. Es gefiel ihm bei Vater Sawwa, und er wollte nicht mehr fort. Aufmerksam verfolgte er alles, was in der Abtei vorging, wurde allmählich mit den Verwaltungs- und Wirtschaftsangelegenheiten bekannt, merkte sich alles und schwieg. Seine Freunde waren fort: Afonka in der Stadt, Mischa ausgewiesen, und Waßja hatte der Pförtner Awraamij zu sich in die Zelle genommen. Damit ihn der Satan nicht plage, fesselte Vater Awraamij dem Blöden des Nachts die Hände mit einem Strick, und Waßenka mußte neben dem Bett des Pförtners auf dem Fußboden schlafen. Auch tagsüber ließ ihn dieser nicht aus dem Auge; saß er ausruhend auf der Bank vor seiner Zelle, so mußte Waßenka neben ihm sitzen, stand er vor der heiligen Pforte, so nahm er auch den Blöden mit. Waßenka wähnte immerfort das nackte Weib vor sich zu sehen, die betrunkene Malaschka. Erblickte er eine Wallfahrerin oder eine hübsche Sommerfrischlerin, so wandte er sich erregt an Vater Awraamij:

»Pförtner! … Laß den Satan nicht in unser Kloster herein. Scheuche ihn von hinnen durch den Namen des Herrn … Pförtner, scheuche ihn von hinnen!«

»Wen, Waßenka? Wo hast du den Satan erblickt? Gott steh uns bei!«

»Da kommt er, Vater Awraamij, da kommt er … Sieh hin – jene da …«

»Das sind Wallfahrerinnen, die zur Messe gehen, um zu beten, Frauen …«

»Der Satan in Gestalt eines Weibes ist's – da ist er hineingeschlüpft! Eile ihm nach, Pförtner! Scheuche ihn von hinnen!«

 

Nikolka sann und grübelte; schließlich kam ihm die Erleuchtung.

Abt Sawwa machte sich bereit, zur Mitternachtsmesse zu gehen, als Nikolka bei ihm eintrat.

»Was ist Nikolai? Was hast du?«

»Vater Sawwa! Ein wunderbarer Traum ist mir zuteil geworden … Ein Starez, im Gewande eines Skimniks, erschien mir und reichte mir ein brennendes Weihrauchfäßchen. Ich hielt mich aber für unwürdig, es aus der Hand des Gerechten entgegenzunehmen, um dessen greises Antlitz ein Heiligenschein schimmerte. Er sprach: ›Nimm hin, Mönch, dir vertraue ich es an … Nimm hin, auf daß die wohlriechende Räucherflamme nicht erlösche vor dem Herrn, bis du den Weg der klösterlichen Demut beendet hast‹. Die ganze Nacht träumte mir von dem gerechten Skimnik, Vater Sawwa.«

»Die Hand des Herrn weist dir den rechten Pfad! In einem Traumbild hat er sich deiner erbarmt. Laß dich einkleiden … Der Starez Simeon, der Gründer unseres Klosters, hat dir befohlen, die Weihen zu nehmen … Das ist der Sinn deines göttlichen Traumes …«

»Ich fühle mich dessen nicht würdig, Vater Sawwa … Ich habe gesündigt vor dem Herrn!«

»Demütige dich, Nikolai, demütige dich … Stolz spricht aus dir. Der Herr selber weist dir den Pfad, du aber willst seine Hand zurückstoßen in stolzer Überheblichkeit. Auch im Traume hättest du das Weihrauchfäßchen, das das Symbol ist der engelgleichen Würde des Mönches, aus der Hand des Gerechten entgegennehmen sollen …«

Demütig sank Nikolka dem Abt zu Füßen.

»So sei es denn, ich will die Weihen nehmen, o Vater! Segne mich, du Gerechter …«

»Nun geh und bete zu unserem Starez, dem Gründer unseres Klosters Belobereshsk; an seiner Grabstätte verneige dich … Empfange von ihm das Weihrauchfäßchen …«

Nach der Mittagsmesse bat der Abt den Vater Wissarion, den Beichtiger der Bruderschaft, in den Altarraum.

»Nimm die Beichte unseres Novizen Nikolai entgegen, der die Weihen empfangen will, und erteile ihm deinen Segen, Vater.«

Nach der Einkleidung schritt Nikolka stolz wie ein Truthahn mit gespreiztem Schweif im Kloster einher, ja er entschloß sich sogar dazu, den Hundertrubelschein aus seinem Käppchen hervorzuholen, und bewirtete die Bruderschaft zur Feier des großen Tages; auch kaufte er sich einen Rosenkranz mit vierzig geschliffenen Steinen.

Mit gesenkten Augen schritt er einher, ein Bild der Demut. Bloß Vater Pamwla konnte nicht an sich halten, sagte giftig: »Du machst dich aber auch gar zu wichtig, Nikolai – Verzeihung, Vater Gerwaßij wollte ich sagen! … Bist noch ein rechter Grünschnabel …«

Vater Pamwla wäre gern zu seinen Freunden gegangen, um ihnen von Nikolai zu erzählen, doch beide waren gestorben. Vater Ipatij hatte es nicht lange in der unterirdischen Sakristei ausgehalten; man hatte ihn eines Tages leblos in dem Verlies aufgefunden. Und der dicke Vater Jewdokij, Awdotja genannt, war im Klosterkrankenhaus der Wassersucht erlegen.

Vater Gerwaßij lehnte es ab, eine eigene Zelle zu beziehen und sich einen lockenköpfigen Novizen zum Dienstbruder zu nehmen; er bat den Abt, bei ihm in der Abtei bleiben zu dürfen.

 

Der Winter hatte eingesetzt. Ins Kloster drang das Gerücht – durch Broschüren wurde es verbreitet –, daß die alljüdische Gemeindeverwaltung, der sogenannte Judenkahal, beschlossen habe, dem Zaren den Garaus zu machen, und daß die Gebildeten und die Studenten es mit den Juden hielten und auch auf dies Ziel hinsteuerten – mit jüdischem Gelde.

Bisher hatte die Bruderschaft von den nationalistischen Verbänden »Erzengel Michail« und »Der heilige Georg« patriotische Zeitungen zugeschickt erhalten; das hörte plötzlich auf: die Eisenbahner streikten, weder Güter- noch Personenzüge ratterten mehr durch den Wald; bloß die Wölfe heulten rings um das Kloster, und Glockengeläut, das die Bruderschaft zu den Messen rief, hallte durch die Waldesstille …

Tiefer Friede herrschte im Kloster.

Eines Abends – es war eben zur Abendmesse geläutet worden – drang ein Dröhnen durch den Wald; unter Volldampf rollte ein Zug heran. Die Bruderschaft lauschte gespannt …

»Der Herr sei gelobt! Die Bahn geht wieder …«

Die Wölfe klemmten die Schwänze ein und flohen.

Von dem kleinen Bahnhof aber strömten sonderbare Wallfahrer – in städtischen Anzügen, in Sportmützen – dem Kloster zu; streikende Arbeiter!

Die Fabriken standen; die Arbeiter feierten …

Sie hatten eine neue Lokomotive unter Dampf gesetzt, einen Zug zusammengestellt und beschlossen, eine Wallfahrt ins stille Kloster zu machen. Der Klosterwagen, der zum Empfang des Zuges auf den Bahnhof gefahren war, kehrte in toller Hast leer zu den Herbergen zurück. Die Pferde waren schaumbedeckt. Der Rosselenker, ein kleiner Mönch, schwitzte vor Angst.

»Herbergsvater! In einem Sonderzug sind sie eingetroffen … Tausende … Sie kommen zu uns … Zahllose Heerscharen …«

Im Galopp jagte er weiter zu den Pferdeställen, ließ den Wagen im Stich und lief in die Abtei. Der flachsblonde Kostja öffnete.

»Was willst du?«

Der Mönch konnte kaum sprechen, schnappte nach Luft.

»Den Abt … Schnell … Ein Unglück …«

»Der Vater Abt ist in der Kathedrale.«

Der Mönch stürzte in den Altarraum. Schweißbedeckt, schwer atmend, mit blassem Gesicht und weitaufgerissenen Augen, stand er vor dem Abt.

»Was hast du?«

»Sie sind da … Zahllose Heerscharen … Sie kommen … mit Weibern … Treiben Unfug im Walde …«

»Ja, wer denn, wer?«

»Die Streikenden … Aus Radiza.«

Wie ein Windstoß strich es durch die Kathedrale: »Sie kommen … Aus Radiza … Zahllose Heerscharen … Streikende!«

Die Mönche flüchteten aus der Kirche in ihre Zellen, einer nach dem andern. Dem Chor wurde zugewinkt: In die Zellen. Nur ein Mönch blieb zurück, um die Messe zu Ende zu lesen.

Der greise Vater Sawwa trippelte hinaus, blieb auf den Kirchenstufen stehen, rief – seine Stimme bebte, schlug um, er fuchtelte mit den kleinen Händchen –:

»Die heilige Pforte zumachen, abschließen … Rasch!«

Vater Awraamij humpelte davon, seine Hände zitterten, die Schlüssel klirrten … Als er an das Tor kam, blickte er in den Wald und setzte sich vor Schreck auf die Erde.

»Waßenka, schnell, hilf mir … Sie kommen … Sie sind da!«

Die Mönche zischelten:

»Sie kommen … Sie kommen …«

Der Abt eilte in die Abtei, unterwegs flüsterte er:

»Die hintere Pforte abschließen … Die Mönche in der Einsiedelei benachrichtigen … Den Eremiten, Vater Akakij, herholen, sonst belästigen sie noch den Greis in seinem Gehäuse … Die soutanentragenden Mönche zur Beratung in die Abtei rufen …«

Die Starezen erschienen, versammelten sich zur Beratung im Empfangszimmer des Abtes.

»Das Bild der Gottesmutter soll man in feierlicher Prozession mit Chorgesang um das Kloster tragen; sie wird uns beschützen, die Fürbitterin.«

»Das geht nicht, die Gotteslästerer würden sie schmähen. Wir dürfen die heilige Gottesmutter, das Kloster, die Bruderschaft nicht der Schändung preisgeben.«

»Die Juden stecken dahinter, sie haben uns die Abtrünnigen auf den Hals gesandt … Wir schließen uns ein im Kloster und lassen die Belagerung über uns ergehen, gleich wie bei einem Einfalle fremdländischer Horden …«

»Sie haben Pistolen, werden schießen …«

»Auch Bomben …«

»Mit Bomben werden sie das heilige Kloster in die Luft sprengen …«

Nikolka stand demütig im Hintergrund an der Tür und hörte mit gesenkten Augen zu.

Die Starezen fanden keinen Ausweg.

Nikolka trat vor und sank dem Abt zu Füßen.

»Gestatte deinem unwürdigen Knecht Gerwaßij vor den Starezen ein Wort zu sagen. Eine Glaubenstat will ich auf mich nehmen, um unser Kloster zu retten. Segne mich, Vater Sawwa! …«

Die Starezen waren gerührt, der Abt erteilte ihm seinen Segen …

Nikolka zog schnell eine alte Kutte an, setzte ein altes Käppchen auf und eilte zu den Pferdeställen. Er ließ ein flinkes Pferd vor den Wasserwagen spannen und fuhr gemächlich zum Fluß hinunter. Hier verbarg er den Wagen im Gebüsch, schwang sich auf den Gaul und jagte über Groß-Polpenki durch den Wald zur Stadt.

 

Die Arbeiter drangen in die Herbergen ein und belegten eine Anzahl Zimmer. Die jüngeren Leute hatten ihre Frauen mit, die Burschen ihre Bräute und Freundinnen.

»Na, Väter, so viele Gäste hattet ihr wohl nicht erwartet?!«

»Wir wollen euch Dickwänste ein bißchen aufrütteln.«

»Seht mal, wie der hier sich fett gefressen hat!«

Ein Spaßmacher trat auf den Herbergsvater zu.

»Eure Mönche hier halten's wohl mit unserem Selbstherrscher?!«

»Sollten wir vielleicht mit den Juden streiken?!«

»Warum nicht? Das wär 'ne Sache!«

»Wir stehen zu unserm Selbstherrscher, heißt es doch in der Heiligen Schrift: Jedermann sei Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott. Und unser Selbstherrscher ist der Gesalbte des Herrn.«

»Womit salbt ihr ihn denn?«

Die Arbeiter grinsten. Der Herbergsvater senkte unwillig die Stirn.

»Salbt ihr ihn mit Vaselin oder mit Öl aus dem Lämpchen vor dem wundertätigen Muttergottesbilde?«

»Mit Chrisam wird der Zar gesalbt.«

»Also ihr haltet's mit dem Zaren? Da tut ihr recht, Väter! Ha-ha-ha …«!

Der Herbergsvater sagte gekränkt zu den bedienenden Novizen:

»Seid vorsichtig mit ihnen. Kein Wort über Politik! Mit mir haben sie ihren Spott getrieben, weil ich, wie es einem frommen Mönch geziemt, Vaterland und Thron nicht verleugnete und mich zu unserem Zaren bekannte.«

Die bedienenden Novizen hatten alle Hände voll zu tun; hier wurde ein Samowar, dort Brot oder Kwas gefordert. Gießer und Walzer versammelten sich im Gang.

»Senden wir eine Abordnung an den Abt; er soll uns ein Abendbrot vorsetzen. Die Bruderschaft kann es sich leisten.«

Die Abordnung machte sich auf den Weg; das Tor war geschlossen. Sie donnerten gegen die heilige Pforte. Vater Awraamij stand zitternd im Torweg, fragte:

»Was wollt ihr bei nachtschlafender Zeit von der Bruderschaft? …«

»Eine Abordnung von den Arbeitern. Wir wollen zum Abt.«

»Der Vater Abt schläft. Stört nicht die Ruhe des heiligen Klosters, lästert nicht Gott.«

»Wir gehen nicht fort, bevor du nicht öffnest. Geh und weck' den Abt. Sag' ihm, es handele sich um eine wichtige Angelegenheit. Euren Faulenzern soll nichts geschehen.«

Vater Awraamij eilte in die Abtei. Der Abt und die Starezen beteten und sangen in Erwartung der rettenden Hilfe, die Vater Gerwaßij ihnen versprochen hatte, fromme Lieder zu Ehren der Gottesmutter.

»Eine Abordnung der Arbeiter wünscht Sie zu sprechen, Vater Sawwa … Sie drohen, die heilige Pforte zu sprengen …«

Die Starezen baten den Abt:

»Nimm den Dornenkranz des Märtyrers auf dich, Vater Sawwa, und geh hinaus zu ihnen … Wir wollen für dich beten.«

Der kleine Greis trippelte zur Pforte. Ihm nach klang der Betgesang der Starezen: »Heilige Mutter Gottes, rette uns …«

Vater Awraamij öffnete die heilige Pforte.

»Was wünscht ihr zu mitternächtiger Stunde von der Bruderschaft?«

»Laß uns ein Abendessen kochen, Vater … Die Genossen sind hungrig!«

Vater Sawwa schickte ihnen das Abendessen, das für die Bruderschaft zubereitet worden war, und erklärte den Starezen, das Kloster könne zum Ruhme des Herrn einen Tag fasten.

 

Nikolka sprengte über Groß-Polpenki eilig in die Stadt. Sein Pferd war ungesattelt, er klammerte sich an die Mähne, rutschte auf dem Rücken des Hengstes hin und her, prallte ein paarmal mit der Seite gegen eine Fichte, zerkratzte sich die Hände, verlor sein Käppchen. Ohne sich auch nur einmal zu verschnaufen, legte er die zwanzig Werst zurück. Den ersten Schutzmann fragte er:

»Wo wohnt hier ein Offizier?«

»Was für ein Offizier?«

»Gleichviel, was für einer es sein mag, irgendeinen Offizier brauche ich! … Sozialisten haben unser Kloster überfallen und wollen es ausrauben.«

Man wies ihn nach der Gendarmerieverwaltung.

Nikolka befand sich in großer Aufregung; jeden Augenblick konnten die Aufrührer ins Kloster eindringen und alles kurz und klein schlagen. Wenn er nicht rechtzeitig Hilfe brächte, würde er das Kloster vor Schändung und Plünderung nicht bewahren, seinen Namen nicht mit Ruhm bedecken können, nicht unvergeßlich als Retter in der Not dastehen, und Abt Sawwa würde dem Bischof nicht von seiner Heldentat Bericht erstatten …

Von Pontius zu Pilatus wurde er gesandt, eilte von einem Ende der Stadt zum anderen, sein ungesatteltes Pferd am Zaum nach sich ziehend. Als man ihm endlich alle nötigen Papiere ausgefertigt und unterzeichnet hatte, war es Abend geworden, und er mußte den Kosakenrittmeister, auf dessen Namen die Ordre lautete, in seiner Wohnung aufsuchen.

Der Offizier hatte Besuch, es wurde gespielt, Schnaps stand auf dem Tisch, Mädel waren da.

»Was willst du, Vater?«

Nikolka erzählte noch einmal alles der Reihe nach und überreichte dem Offizier den Befehl.

»Gerade wollte ich die Bank halten, und da kommt mir dies Gesindel dazwischen! …«

Er rief seinen Burschen herbei und befahl hundert Mann in den Sattel.

 

Im Trab ging es durch die Nacht. An der Spitze des Zuges, der aus Inguschen und Kosaken bestand, ritt Nikolka an der Seite des Rittmeisters. Sein Herz pochte unruhig: Würden sie auch nicht zu spät kommen?

Es war Mitternacht, als sie bei der neuen Herberge ankamen; die Pferde dampften.

Die Inguschen schmunzelten, strichen liebkosend über ihre Dolche.

»Abschlachten werden wir sie …«

Der Rittmeister wandte sich an Nikolka:

»Na, Vater, wohin sollen wir nun?«

»Zum Abt, zu Vater Sawwa.«

Sie sprengten durch die heilige Pforte. Vater Awraamij, der Pförtner, seufzte erleichtert auf.

Die Starezen in der Abtei blieben mitten in einem Psalm Davids stecken.

»Unsere Retter sind da! Die heilige Jungfrau segne euch …«

Vater Sawwa segnete die Schar mit seinem breiten Kreuze, Tränen der Freude in den Augen.

»Vater Abt, vielleicht lassen Sie meinen Leuten einen erwärmenden Trank reichen …«

»Ich will gleich heißen Tee bestellen.«

Der kleine Abt trippelte geschäftig von einem Starezen zum andern.

»Vater Feognost, sorge für Tee, für Tee für unsere Retter. Und daß man ihnen auch etwas zu essen gibt – Fischsuppe oder Fischpastete, was schneller geht, hörst du? Bei dem Wetter! … Diese Kälte!«

Der Rittmeister stand da und drehte an seinem Schnauzbart, unter dem er ein belustigtes Lächeln verbarg.

»Sagen Sie, Vater Abt, haben Sie denn für unsere Kriegsleute nicht etwas da, wovon man es ordentlich warm bekommt? …«

»Sofort, Wohltäter, sofort bekommen sie alle ganz heißen Tee.«

»Schnaps hat die Bruderschaft wohl nicht? …«

Die Starezen senkten die Blicke und seufzten bekümmert.

»Die Klosterregel gestattet doch auch Mönchen an Festtagen den Genuß von Schnaps und Wein; da findet sich vielleicht ein kleiner Vorrat? …«

Sawwa, der Gerechte, hatte endlich begriffen und flüsterte Nikolka zu:

»Steig' mit dem Vater Haushälter in den Keller hinab; seht mal nach, ob sich etwas findet …«

Fünf Eimer Schnaps wurden aufgetischt, was das Reiterblut warm machte.

Vor den Herbergen stellte man Posten auf.

»Niemand wird herausgelassen!«

»Zu Befehl …«

»Sobald der Morgen dämmert, wird die Mannschaft geweckt.«

»Zu Befehl!«

»Das Gesindel soll einen Denkzettel erhalten, den es nicht so bald vergißt …«

»Jawohl, Euer Wohlgeboren …«

Die Pferde wurden bei den Ställen untergebracht und erhielten Gerste vorgeschüttet. Bald wurden sie wieder munter. Die Hengste beschnupperten zärtlich die Stuten – eine Verlockung für die Bruderschaft …

Die Inguschen und Kosaken hatten in den Zellen bei den Mönchen Unterkunft gefunden und leerten die Schnapsvorräte ihrer Gastgeber bis auf den letzten Tropfen.

Als es hell wurde und Glockengeläut zur Frühmesse rief, eilten die Reiter zu ihren Pferden. In der alten Kathedrale flüsterten die Mönche:

»Sie haben feurige Augen wie die Erzengel: der Zorn des Herrn funkelt in ihnen.«

»Wie der Heerführer der himmlischen Heerscharen am Tor des Paradieses, der Erzengel Michail, sehen sie aus …«

»Der Herr hat sich unser erbarmt, uns wunderbar geholfen …«

»Dem Vater Gerwaßij verdanken wir das … Da hat man allerlei über Nikolka geredet, und nun hat er unser Kloster gerettet, die Bruderschaft vor dem Hohn der Abtrünnigen bewahrt!«

Nur Vater Pamwla zerrte an seinem spärlichen Schnurrbärtchen und brummte gehässig:

»Ruhm und Ehre will er sich erwerben, Hieromonach will er werden … Paßt auf, der erschleicht sich noch die Stelle des Abts …«

»Warum auch nicht, er ist der Retter in der Not! … Da kommt der alte Sawwa nicht mit …«

»Stirbt Sawwa, so wählen wir Gerwaßij zum Abt …«

Der Gedanke fiel in diesem Augenblick auf fruchtbaren Boden und blieb in den Gemütern haften.

Vater Sawwa machte sich bereit, zur Frühmesse zu gehen; auch Nikolka setzte sich die hohe Mütze auf.

»Bleibe nur hier, ruhe dich aus nach der Anstrengung; du bist ja ganz erschöpft! Morgen kannst du beten.«

»Ich muß der Mutter Gottes mein Dankgebet sagen … Sie hat mich in meiner Einfalt erleuchtet …«

Der Reiterzug stellte sich vor der heiligen Pforte in Reihen zu drei Mann auf und sprengte zu den Herbergen. Der Rittmeister befahl, die ungebetenen Wallfahrer zur Frühmesse zu wecken. Gewehrkolben donnerten gegen die Türen der Zimmer.

»He, raus mit euch, Schlafmützen! …«

Dumpfe Angst verbreitete sich in den Zimmern. Die aufgeschreckten Genossen zogen hastig ihre Röcke, Stiefel, Galoschen, abgetragenen Mäntel an und traten finster in den Gang hinaus; die Röcke der Mädel saßen schief, Bänder guckten hier und da hervor, baumelten hin und her. Schläfrige Wärme nistete nach dem Taumel der Erbsünde noch in den dunklen Augen; die Nacht hatte in die Frauenaugen geblickt und schwarze Ringe um sie gezogen.

Aus dem Schlafe aufgestört, drängten sich die Schönen wie eine Herde Schafe im Gang und lehnten sich erschrocken an die Arbeiter, deren Haare unter den in die Stirn gezogenen Sportmützen struppig nach allen Seiten ragten. Die Arbeiter schwiegen; unter den gefurchten Brauen glomm schwarze Wut.

»Genossen, die Langmähnigen haben uns verraten …«

Stumm, sich aneinander drängend, traten sie in den Frost hinaus. Langsam näherten sie sich dem Walde, als die Inguschen und Kosaken, in Reihen aufgelöst, ihre Gewehre in die Luft abfeuerten. Zweige knisterten in den Kronen der Kiefern, Kienäpfel schlugen zu Boden, aufgeschreckte Eichhörnchen sprangen durch die Zweige.

Die Arbeiter waren zusammengezuckt, die Schar löste sich auf, jeder suchte möglichst schnell im Walde zu verschwinden. Sie versanken bis an die Knie im Schnee, fielen, sprangen auf, stürzten wieder, über Reisig und Wurzeln unter der Schneedecke stolpernd, zogen ihre Frauen und Mädchen nach.

Pfeifend und johlend jagten die Reiter hinter ihnen her, stürzten sich mit Peitschenhieben über sie; der verschlafene Wald heulte und kreischte auf. Die Verfolger sprangen im Reiten aus den Sätteln, packten Mädchen und Frauen an Röcken und Zöpfen, warfen sich mit ihnen in den Schnee, trunken von Schnaps und Weibergekreisch.

Die Arbeiter wurden tief in den Wald hineingejagt, Peitschenhiebe rissen ihnen Rücken und Köpfe blutig, Blutspuren bildeten im weißen Schnee rote Klumpen. Immer wieder stürzten sich die Reiter über die Frauen. Das ging so fort, bis es dunkel wurde und die Klosterglocken zum Abendessen riefen. Da erst kehrten die Reiter ins Kloster zurück, um sich die Kehle anzufeuchten.

Hinter Stämmen traten die Genossen hervor und eilten zu ihren Bräuten und Frauen, je zwei und drei Mann trugen sie auf den Armen nach dem Bahnhof. Wimmern und Stöhnen drang durch den Wald.

 

Gellend schrillte der Pfiff der Lokomotive, Zurückgebliebene herbeirufend. Die Bruderschaft bekreuzte sich ängstlich, denn überall im Walde antwortete das Geheul von Wölfen, die, angelockt durch den Blutgeruch, im Gänsemarsch zum Kloster zogen, um den roten Schnee aufzulecken.

 

Abt Sawwa sandte dem Bischof ein ergriffenes Schreiben über den gerechten Mönch Gerwaßij, der das stille Kloster vor den Horden der Abtrünnigen gerettet habe, und bat Seine Eminenz demütig, den Retter zum Hieromonachen zu erheben.

Die Kosaken tranken zur Ernüchterung Kwas und ritten paarweise über Polpenki singend durch den Wald, der Stadt zu. Zehn Berittene blieben zum Schutz der Bruderschaft in der Herberge zurück.

Nikolka ließ sich jetzt wieder blicken, schritt mit demütig gesenkten Augen über den Klosterhof, sah mit dem prüfenden Blick des sorgenden Hausvaters hierhin und dorthin.

Nach einiger Zeit wurde er in die Stadt zum Bischof gerufen und zum Hieromonachen erhoben; hell glänzte das silberne Kreuz an seiner Brust.

Ins Kloster zurückgekehrt, begab er sich sogleich zum Abt; sie küßten sich auf die Schulter und verneigten sich ehrerbietig voreinander.

»Der Herr hat dir die engelgleiche Würde des Hieromonachen verliehen, dich mit Geistesgaben gesegnet, dir den rechten Pfad gewiesen. Nun wähle dir eine Zelle aus …«

»Rabbi, Lehrer! Womit habe ich deinen Zorn erregt, daß du deinen demütigen Knecht von dir stößt? … Gestatte, daß ich bei dir bleibe.«

Vater Sawwa willigte gern ein, und so blieb Gerwaßij in der Abtei und stand dem Abt mit Rat und Tat zur Seite. Allmählich gewöhnte sich Vater Sawwa daran, ihn immer um sich zu haben, tat keinen Schritt, den er nicht vorher mit Nikolka beriet, und befolgte alle seine Anregungen.

Gerwaßij vertiefte sich in die Wirtschaftsbücher und rechnete die Einkünfte des Klosters zusammen, wobei seine Augen vor Habgier glänzten.

 

Das Frühjahr kam, das Moos im Walde schwoll an, Nebel zogen aus den Sümpfen herauf, und die Bauern von Polpenki machten sich wieder daran, Holz aus dem Klosterwalde zu stehlen. Jede Nacht knirschten Sägen und ächzten Äxte; Stämme knarrten und sanken zu Boden. Von der Mühle, vom Vorwerk eilten erregt die Mönche zum Abt.

»Vater Sawwa, die ganze Schönheit unseres Klosters vernichten die Bauern, fällen die herrlichsten Bäume. Wir haben ihnen Vorstellungen gemacht, sie aber drohen uns mit den Äxten.«

»Unmittelbar am See suchen sie sich die gewaltigsten Stämme aus; was sollen wir machen? Belehre uns, dir hat der Herr Weisheit verliehen.«

Vater Sawwa blinzelte mit den kleinen Äuglein; ohne Gerwaßij fühlte er sich wie verraten und verkauft. Er rief ihn herbei, fragte um seinen Rat.

»Rufe die Starezen zusammen, Vater, das muß man gemeinsam erwägen. Der Wald gehört der Bruderschaft; der Herr wird uns erleuchten und uns wissen lassen, was wir tun sollen.«

Die Starezen versammelten sich, rieten dieses und jenes.

»Man muß den Wald von unseren Novizen bewachen lassen …«

»Die Bauern haben ja Äxte, während die Heilige Schrift den Mönchen verbietet, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Die Gottesmutter würde es nicht zulassen, daß ein Mönch Blut vergießt.«

Nikolka stand wieder an der Tür, demütig die Augen gesenkt, nur zuweilen warf er einen höhnischen Blick auf die Starezen; den Hohn aber sah man nicht unter seiner gesenkten Stirn.

Die Starezen stritten hin und her, ohne zu einem Entschluß zu kommen, und fragten schließlich Vater Gerwaßij um seine Meinung. Dieser verneigte sich demütig vor den greisen Vätern.

»Meiner Ansicht nach müßte man die kaukasischen Reiter, die zur Sicherheit des Klosters hier geblieben sind, gegen eine kleine Entschädigung mit dem Schutz des Waldes betrauen. Wenn wir drei Reiter in das Vorwerk, drei in die Mühle legen, und vier Mann von hier aus von Zeit zu Zeit den Wald durchstreifen, so wird sich kein Bauer mehr blicken lassen; niemand in Polpenki und Mylinka wird es wagen, die Grenzscheide zu überschreiten, ja jedermann einen meilenweiten Bogen um den Klosterwald machen, um den Inguschen nicht in die Hände zu fallen.«

Wieder war Gerwaßij der Retter in der Not. Zufrieden verließen die Starezen die Abtei.

»Vater Sawwa hat tatsächlich recht: der Herr weist Vater Gerwaßij immer den rechten Weg … Ein weiser Mönch …«

 

Die Eichhörnchen trieben in den Baumkronen ihr munteres Spiel, kümmerten sich nicht um die großen Fasten, jagten, die buschigen Fächer gespreizt, den Weibchen nach. Auch Kaufmannsfrauen waren wieder eingetroffen, um zu fasten und sich zum heiligen Abendmahl vorzubereiten. Im Kloster aber herrschte Kummer: Abt Sawwa, der Gerechte, war erkrankt. Vater Gerwaßij wich kaum von dem Krankenbett, gönnte sich nur des Nachts ein paar Stunden Ruhe. Derweilen mußte der flachsblonde Kostja bei dem Kranken wachen und auf die Atemzüge des greisen Abtes lauschen.

Eines Nachts saß der Flachsblonde am Krankenlager und nickte ein. Als er wieder erwachte, schien Vater Sawwa friedlich zu schlummern, doch Kostja konnte keine Atemzüge wahrnehmen. Er erschrak und eilte zu Vater Gerwaßij …

Nun lag Sawwa, der Gerechte, in der Erde, und die Bruderschaft stritt und tuschelte in den Zellen darüber, wen man zum Abt wählen sollte. Die Sünden jedes einzelnen Mönches wurden durchgehechelt, der eine erinnerte sich an dieses, der andere an jenes Vergehen; vielleicht war es auch nicht wahr, aber man hatte einmal davon gesprochen, jemand hatte davon gehört. So erwiesen sich alle in Frage kommenden Mönche mit dem einen oder dem anderen Makel behaftet.

Vater Pamwla sagte höhnend:

»Na, dann wählt doch den Nikolka, den Vater Gerwaßij! … Er hat das Kloster vor den Genossen gerettet, einen guten Rat in der Waldangelegenheit erteilt … Was wollt ihr mehr!«

Die Starezen, die Hieromonachen, die Soutanenträger erwogen den Gedanken. Wenn sie über jemand aus ihrem Kreise berieten, so trat immer Neid und Mißgunst dazwischen. Jeder der Wählenden hätte gern selbst in den Gemächern der Abtei sitzen mögen, niemand aber wollte seinem Nachbar dazu verhelfen. Nikolka hingegen gehörte wohl zu ihnen, aber bei seiner Jugend auch wieder nicht …

Bange Tage verbrachte Gerwaßij. Wählte man ihn jetzt, nach allem, was er für das Kloster getan hatte, nicht zum Abt, so würde er wohl sein Leben lang einfacher Mönch bleiben; wurde er aber Abt, so begann für ihn ein neues Leben. War es ihm auch nicht gelungen, in der Welt eine erste Stellung einzunehmen, so würde er doch im Kloster der Erste sein und für seine alten Tage etwas zurücklegen können.

Nachdem eine Messe zu Ehren der Gottesmutter zelebriert worden war, begaben sich die wahlberechtigten Mönche zur Grabstätte des Klostergründers, um seinen Segen herabzuflehen, wonach die Wahl im Speisesaal stattfand.

Nikolka strahlte, als verkündet wurde: Gerwaßij, Gerwaßij soll unser Abt sein!

 

Als Hausherr schritt Nikolka nun in den Gemächern der Abtei auf und ab, als Abt.

Stumm beugte der flachsblonde Novize den Rücken vor Nikolka.

 


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