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2. Buch.
Weltliche Wanderschaft


1

Kaum war Nikolai zur Tür hinaus, als Afonka den Riegel vorschob und einen Augenblick horchte, ob nicht jemand komme oder die Wirtin in der Nähe sei. Am Morgen, als Afonka schlief, war Nikolai aufgestanden und hatte seinen Rucksack hervorgeholt. Afonka war erwacht, hatte sich aber schlafend gestellt. Nikolai hatte die Hand in den Sack gesteckt und nachgefühlt, ob alles an Ort und Stelle sei, dabei hatten die Löffel geklappert und etwas Hartes geklirrt, und Afonka hatte gedacht: Sieh mal einer an, wieviel Löffel er in diesen vierzehn Tagen zusammengebracht hat! Und das sind nicht nur Löffel allein, es muß noch was anderes drin sein, etwas Klirrendes …

Nun stellte Afonka Nikolais Rucksack auf den Tisch, schnallte in aller Gemächlichkeit die Riemen los, schüttete die Löffel heraus, griff hinein, ertastete Lappen, Wäsche, Spitzen, und ganz unten am Boden klirrte wieder etwas.

»Das ist's! Bloß, was sind das für Spitzen?«

Er holte die Sachen einzeln hervor, ein Haken verfing sich an seinem Ärmel, ein Bündelchen wickelte sich auf und ein Ring rollte heraus.

»Sieh mal einer an, was der alles hat!«

Er wickelte das Bündelchen auf – es war ein Damenhemdchen aus feinstem Batist mit Valenciennespitzen verziert; das gestickte Monogramm war ausgetrennt.

»Wem hat er das wohl ausgezogen? … Zum Andenken hat er's dann aufbewahrt. Komischer Kauz, dieser Nikolka.«

Noch andere Ringe mit Steinen, Armbänder mit Türkisen und Perlen kamen zum Vorschein.

»Diese Dingerchen können auch mir nützlich sein, wenn's einmal schief geht. Nikolai kriegt eine große Mitgift, ein ganzes Vermögen – für mich ist auch dies von Wert, wenn ich in Not gerate. Man kann nie wissen, plötzlich sitzt man da … Auch jetzt ist ja noch alles unsicher, so aufs Geratewohl gehe ich zu Maschenka … Diese Ringe, Armbänder und Broschen sind aber auch gar zu putzig – müssen ja wohl Geld gekostet haben, 's steckt allerlei Arbeit drin, in diesen Gewinden und Schnörkeln … Putzige Dinger!«

Er betrachtete die Schmucksachen, ließ sie durch die Finger gleiten …

»Die kleine Fenja wird man ihm schließlich doch nicht geben. Ihr Onkel hat sich der Sache angenommen. Das mit meiner Klimowa wird wohl sicherer sein … Muß mich schleunigst drücken. Seinen Rucksack nehme ich mit, er bringt's mit seiner Schönheit schon wieder zusammen. Für ein paar Tage steige ich wo in einer Herberge ab, da findet er mich nicht und zieht wieder ins Kloster, dann spreche ich bei der Klimowa vor, mache mich an ihren Alten heran …«

Er suchte die Schmucksachen zusammen, wickelte sie wieder in das Hemdchen, steckte alles in den Rucksack, kämmte sich die rote Mähne, rief die Wirtin und verabschiedete sich.

Afonka besaß keine Andenken von gottesfürchtigen Kaufmannsfrauen, hatte sie nie darum gebeten, verteilte auch nicht geschnitzte Löffel an alle Angehörigen seiner jeweiligen Liebsten. Diese führte er einfach in das Walddickicht, und das war denn alles. Er wußte, daß die Kaufmannsfrauen untereinander über ihn tuschelten: groß, Hakennase, unerschöpfliche Manneskraft, ungestüme Leidenschaft. So war es immer eine todsichere Sache, wenn er mit jemand im Walde verschwand; denn jede, die mitkam, wußte, weshalb sie ging. Um Geschenke bat er nicht, nahm auch keine an, ließ sich aber gern bewirten, aß und trank mächtig, damit seine rechtgläubige Kraft nicht versiegte. Auch an die Töchterchen der beglückten Mütter hatte er sich zuweilen gemacht, ihnen gab er sich dann ganz hin, war Feuer und Flamme, trug sie auf den Armen durch den Wald, küßte sie halbtot, war wie toll vor Glück und Leidenschaft. Es hatte ja doch immer gleich wieder ein Ende – seine Frau würde so ein Mädel niemals werden. An den Erwerb von Reichtum dachte er nicht, lebte in den Tag hinein, seit seinem fünfzehnten Jahr, als er ins Kloster gekommen war.

Wenn die Sache mit seinem Freund Nikolai nicht dazwischen gekommen wäre, wäre er wohl bis ans Ende seiner Tage als Mönch im Kloster geblieben. Als aber Nikolka sich auf die weltliche Wanderschaft begab, zog es auch ihn hinaus aus den Klostermauern, ins freie Leben. Da war es denn gut, daß er an Maschenka Klimowa einen Rückhalt gefunden hatte. So war er in die große Stadt gekommen, in der Hoffnung, die Wege der weltlichen Wanderschaft zu zwingen und einst seinen schwanken Nachen in den Hafen der Wohlgeborgenheit zu lenken.

Nun hielt er Ausschau nach Klimows Gastwirtschaft.

Am Heumarkt lag sie. Auf diesem Heumarkt war an drei Tagen in der Woche lauter Trubel. Montags wurden auf Ständen und Tischen an jener Seite des Platzes, wo des Kaufmanns Sobakin Getreidespeicher lagen, bis Mittag Gemüse, Federvieh, Ferkel an die Städter und die Bauern aus der Umgegend verkauft; Stimmengewirr, Gegackel und das Quietschen der Schweine gellte durch die Luft. Mittwochs war vor der Gastwirtschaft und dem großen Manufakturwarenladen des Kaufmanns Klimow Vieh- und Pferdemarkt; Rinder brüllten, Pferde wieherten, die Händler schlugen sich mit ihren Bauernfäusten zur Bekräftigung ihrer Anpreisungen dröhnend an die Brust, auf die Lederjoppen und langen Kittel. Und Freitags wurde inmitten des Platzes, rings um die große Stadtwage, Heu und Stroh wagenweis verkauft.

Am Mittwoch entschloß sich Afonka, in Klimows Gastwirtschaft einzukehren. Zum Schein bestellte er sich Tee und etwas zu essen. Vorher war er vor den Fenstern des Wohnhauses auf und ab gegangen, hatte hinaufgelugt, ob er wohl Maschenka zu sehen bekäme, doch von der Straße aus sah man tagsüber nichts als Fenstervorhänge und Blumen hinter den Scheiben; vielleicht hatte sie ihn aber doch bemerkt, ohne daß er davon wußte.

Wie stets an Markttagen war die Wirtsstube voll von den verschiedensten Leuten; niemand achtete auf Afonka, als er in der hintersten Ecke Platz nahm. Er konnte von hier aus die ganze Stube übersehen und befand sich nahe an der hinteren Tür, die auf den Hof, in die Küche oder sonstwohin führen mußte. Diese Tür hatte gleich seine Blicke angezogen, darum hatte er sich auch neben ihr in dem engen Winkel niedergelassen – wenn die Tür knarrte, wandte er halb den Kopf und schaute hin.

Afonka fühlte sich etwas unheimlich, er fürchtete, auf der Suche nach ihm könnte sein Freund Nikolai hereinkommen; auch darum hatte er sich hinten in der Ecke verborgen.

Durch die Tür liefen die Kellner mit warmen Platten hin und her, und hin und her ging Afonkas Kopf jedesmal, wenn die Tür knarrte. Zweimal kam eine Köchin herein und holte sich am Schenktisch vom Geschäftsführer Gewürz; im Vorübergehen blickte sie Afonkas große Zottelmähne an und feixte – gar zu komisch kam ihr der hakennasige Mönch vor.

Dann kam eine – sah fast wie ein herrschaftliches Fräulein aus – blieb in der halbgeöffneten Tür stehen, sah ihn an, machte klapp-klapp mit den Augen und lächelte; darauf winkte sie ihm mit einem Fingerchen und machte eine Bewegung mit dem Kopf, als wollte sie sagen: Komm du mal her! Afonka rückte auf seinem Stuhle hin und her, sah sich nach allen Seiten um, ob es auch niemand bemerkt habe, und nickte ihr darauf zu: Ich komme gleich, warten Sie ein bißchen.

Das Mädel verstand und blieb wartend hinter der Tür stehen.

Einer hatte es aber doch bemerkt, der Geschäftsführer an der Kasse hinter dem Schenktisch. Wenn er auch, wie andere Leute, nur zwei Augen im Kopf hatte, so sah er doch alle und alles, was ringsum geschah, vor und hinter ihm und zu beiden Seiten; dazu war er ja auch Geschäftsführer.

Eine Köchin aus der Herrschaftsküche kam ja zuweilen herein, das wäre ihm nicht weiter aufgefallen; aber warum hatte plötzlich das Dienstmädchen von oben durch die Tür geblickt, dachte der Geschäftsführer. Das mußte doch einen Grund haben! Er schaute nicht hin, sah aber ganz deutlich, wie sie dem zottelhaarigen Mönch mit dem Finger winkte.

»Also zur Gnädigen selber …« sagte er zu sich und fuhr in Gedanken fort: »Der Chef sitzt im Laden an der Kasse, da hat sie das Mädel über den Hof geschickt. So'n Weib!«

Afonka winkte dem Kellner, zahlte, trank langsam seinen Tee aus und schlüpfte hinter die Tür; die Blockrolle knarrte. Der Geschäftsführer rührte sich nicht, als hätte er nichts gesehen.

»Marja Karpowna läßt Sie nach oben bitten.«

Das Mädel führte ihn durch einen dunklen Gang, an einer Küche vorbei und eine steile Holztreppe hinauf. Afonka atmete erleichtert auf; er dachte: Nach oben kommt Nikolka nicht, das wagt er nicht wegen des Alten. Und da sie mich rufen läßt, ist alles in Ordnung, und Nikolka kann mir den Buckel runterrutschen.

Als sie die Treppe hinaufstiegen, fragte er – auf alle Fälle – das niedliche Fräulein ein bißchen aus.

»Was sind Sie denn hier?«

»Ich bin Marja Karpownas Dienstmädchen.«

Afonka dachte bei sich: Die Krabbe wird man vielleicht noch brauchen können.

Das Mädchen führte ihn nicht in die Wohnung, sondern wieder durch einen Gang in eine Rumpelkammer, wo allerlei alte Sachen herumlagen, zerbrochene Stühle, ausgediente Truhen mit abgerissenen Handgriffen ohne Deckel.

»Warten Sie hier, die Gnädige wird gleich kommen …«

Sie lächelte nicht, streifte ihn beim Fortgehen nur seitlings mit einem verschlagenen Blick, als wollte sie sagen: »Ich weiß nicht, warum sie dich hat kommen lassen. Da es aber in solcher Heimlichkeit geschieht, denke ich mir allerlei! …«

Nicht umsonst hatte Marja Karpowna sie in aller Eile hinunter in die Wirtsstube mit dem Auftrag gesandt, sie solle mal nachsehen, ob nicht ein rothaariger Mönch mit gebrochener Hakennase da sei, den solle sie zu ihr bringen, aber so, daß der Alte es nicht merkt …

Marja Karpowna trat ein, im Morgenkleid; alles wogte an ihr.

Ohne zu zögern, umschlang Afonka sie mit seinen sehnigen Pranken; eine Wärmewelle hüllte ihn ein. Maschenka saugte sich an seinen Lippen fest, stemmte aber gleich darauf die Hände gegen seine Schultern und stieß ihn mit aller Gewalt zurück.

»Warte doch, Afon, rühr mich nicht an! Ich bin ja doch dein, jetzt bin ich ganz dein, brauchst nicht zu fürchten, daß ich dich täuschen könnte. Wenn ich mich schon einmal dazu entschlossen habe, so soll es dabei bleiben, was auch daraus werden mag. Den Nikolai aber haben sie ins Kloster zurückgesandt.«

»Was, wirklich?« entfuhr es Afonka; die Freude verschlug ihm den Atem.

»Frau Grakina hat es mir telephonisch mitgeteilt. Ihrem Onkel ist es gelungen, die kleine Fenja irgendwie zu überrumpeln, er hat sie nach Petersburg gebracht, dort wurde die Frucht abgestoßen, und nun ist sie als ein ganz anderer Mensch zurückgekehrt. Nikolka kam gerade in dem Augenblick, als sie aus Petersburg eintrafen; er stürzte sich auf Fenja, worauf Kirill Kirillowitsch ihn mit zwei Arbeitern zum Abt zurückschicken ließ … Ich habe dich gleich bemerkt, Afonja, als du an unseren Fenstern vorübergingst; das hast du gut gemacht, daß du in die Wirtsstube einkehrtest. Und nun höre, Afonja. Miete dir ein Zimmer in der Vorstadt, ich will dir Geld geben, und gehe jeden Tag zur Abendmesse in die Johanniskirche am Friedhof. Sie gehört zu unserem Kirchspiel, und mein Alter ist der Kirchenvorsteher, geht jeden Abend hin. Bete eifrig und gehe immer als letzter fort; er wird dich bald bemerken und dich schließlich anreden – du wirst schon sehen. Dann also erzähl' ihm alles so, wie ich es dir im Kloster erklärt habe. Jetzt gib mir noch schnell einen Kuß und gehe. Dunja wird dich auf den Hof hinausführen, wo heute all die Fuhrwerke stehen; von da kommst du leicht auf die Straße.«

Marja Karpowna umschlang seinen Hals, schmiegte sich fest an ihn, legte den Kopf an seine Brust und sprang wieder flink zurück. Darauf drückte sie ihm einen Fünfundzwanzigrubelschein in die Hand und führte ihn den Gang hinab, an dessen Ende Dunja wartete.

Als sie wieder die steile Treppe hinabstiegen, fragte Dunja:

»Was hat sie denn die ganze Zeit geflüstert?«

»Das möchtest du wohl gerne wissen!«

»Ich vergehe vor Neugier …«

Sie lachte, blitzte Afonka mit den Augen an. Er dachte: Gar nicht übel sieht das Mädel aus. Na, die läuft mir nicht weg …

 

Ganz am Ende der Vorstadt, dort wo die dürftigen Zäune aus Brettern zusammengeschlagen sind, die man sich aus dem Fluß herausgeangelt hat, und die krummen, zwei- und dreifenstrigen Häuschen sich ihr durchlöchertes Dach schief auf die Seite geschoben haben, mietete sich Afonka ein Zimmerchen zu drei Rubel monatlich: ein Tisch, ein Stuhl, ein Bett – kaum daß man sich noch umdrehen konnte.

Jeden Tag ging er in die Johanniskirche zur Abendmesse, lag auf den Knien, bis der Priester wegging, schlug mit der Stirn gegen den Boden, bekreuzigte sich voll Inbrunst, entfernte sich erst, wenn der Kirchenvorsteher die für Seelenmessen gespendeten Kupfermünzen gezählt hatte. Um ihm möglichst in die Augen zu fallen, verrichtete Afonka seine Andacht vor dem Tischchen, an dem Klimow Wachskerzen verkaufte. Eines Abends war Afonka so in seine Verneigungen vertieft, daß er nicht bemerkte, wie Klimow, Kaßjan Parmjonytsch, hinter ihn trat und ihm wohl eine Minute lang schweigend zuschaute.

»Du mußt jetzt gehen, Vater, ich schließe gleich ab.«

»Entschuldigen Sie, ich habe gar nicht gemerkt, daß der Gottesdienst bereits zu Ende ist. Hier betet es sich so schön, es ist still und feierlich. Die Seele erhebt sich ungehindert in weihevolle Höhe zu dem Thron des Allmächtigen.«

»Ich habe dich früher gar nicht bemerkt, wo kommst du her?«

»Aus dem Kloster Belobereshsk. Ich habe das Kloster verlassen, um in die Welt zu gehen.«

»Man hat dich wohl wegen irgendwelcher Vergehen hinausgeworfen?«

»Gott verhüte! … Wie können Sie das nur denken, wieso sollte man dazu kommen?! Nein, ich bin selbst fortgegangen. Im Schutz des Klosters wird jeder selig, dazu sind ja die Klöster da. Aber in der Welt, inmitten all der Versuchungen, im Getriebe des eitlen menschlichen Strebens, da soll der wahre Mönch um das ewige Seelenheil ringen. Unangefochten den Weg des Heils verfolgen, wenn rings die entfesselte Hölle tobt, das ist die Aufgabe, die eines Mönches würdig ist. Darum habe ich das Kloster verlassen. Ich will in der Welt Mönch bleiben, den Dornenpfad der weltlichen Wanderschaft beschreiten, das ist die Glaubenstat, die ich in demütigem Eifer wagen will.«

»Womit verdienst du denn da deinen Unterhalt?«

»Der Heiland selbst hat uns das Gebot gegeben: Sorget nicht für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; sehet die Vögel unter dem Himmel an; sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen, und euer himmlischer Vater nähret sie doch … Was brauch' ich denn viel? Vielleicht finde ich auch wo Arbeit. Ich will gern der Geringsten einer auf Erden sein, wenn ich nur meinem Herrn dienen darf. Zu jeglicher Arbeit bin ich bereit, die mir ein Stück Brot gibt. Ein gesunder Mensch versündigt sich, wenn er um Almosen bittet … Finde ich Arbeit, so will ich für zweie schaffen, mit ebensolchem Eifer, mit dem ich demütig unserem Herrn diene.«

Er sprach, ohne sich von den Knien zu erheben, die Stirn gesenkt, halblaut, als fürchte er die Stille der Friedhofskirche zu verletzen. Der alte Kaßjan Parmjonytsch war ganz gerührt und beschloß, ihm Arbeit auf seinem Ausspannhof zu geben.

»Was für Leute Kind bist du denn?«

»Kleinbürger aus Briansk.«

»Kannst du lesen und schreiben?«

»Ich habe drei Klassen der Kreisschule besucht, und als meine Eltern starben, zog es mich ins Kloster. Mit einer alten Wallfahrerin pilgerte ich hin; von meinem fünfzehnten Lebensjahre an war ich im Kloster.«

»Kannst bei mir unterkommen, den Hof rein halten. Auch eine Zelle habe ich für dich, eine kleine Kammer unter der Treppe, da bist du auch gleich Wächter. Nachher werden wir dann weiter sehen.«

Afonka erhob sich und sank aufs neue in die Knie, sich tief vor dem Alten verneigend.

»Wie vor unserem Abt knie ich dankend vor meinem Gebieter auf dem Wege der weltlichen Pilgerschaft und preise den Herrn für die wunderbare Sendung eines Helfers und Gönners!«

Gerührt zog ihn der Alte von den Knien empor und sprach ermunternd auf den demütigen Mönch ein. Afonka hatte sein Vertrauen erworben. Gar inbrünstig und innig sprach dieser Novize, es griff einem geradezu ans Herz! … Der alte Klimow schloß die Kirchentür ab, brachte dem Oberpriester die Schlüssel ins Pfarrhaus und machte sich mit Afonka auf den Heimweg.

»Du wirst dir aber die Haare scheren müssen, sonst machen sie sich auch über mich lustig, und die Bauern, die einkehren, setzen dir zu – die reinen Halsabschneider sind's. Kaufe dir auch einen Kittel.«

Er gab ihm zehn Rubel als Vorschuß auf sein Gehalt. Die Lohnfrage hatte Afonka nicht berührt, wie er denn überhaupt für Geld wenig übrig hatte und nicht habgierig war; wenn ihm Geld in die Hände kam, machte er sich einen vergnügten Tag und gab es aus. Nicht um des Geldes willen war er Hausknecht bei dem Kaufmann Klimow geworden. Seine Liebe zu der kleinen Fenja hatte ihn in die Stadt geführt. Schön war sie wie eine Königin, die Sehnsucht nach ihr war in ihm nicht erloschen, trotzdem er das Mädchen seinem Freunde abgetreten hatte, war vielleicht darum nicht erloschen, weil er sie nicht errungen, sie nicht geküßt, sie nicht besessen hatte. Jetzt, seitdem er wußte, daß sie Nikolka nicht heiraten würde, war seine Hoffnung neu und stärker erwacht. Die Verbindung mit Maschenka Klimowa würde ihm nützlich sein; zusammen mit Maschenka war die Grakina im Kloster gewesen, also verkehrten sie wohl auch in der Stadt miteinander; er würde Fenja wiedersehen! Und wenn es nötig war, konnte er ja immer mit Maschenka brechen, sie war eine verheiratete Frau, durch nichts waren sie miteinander verbunden, er konnte tun und lassen, was er wollte.

Als sie sich dem Heumarkt näherten, sagte Kaßjan Parmjonytsch:

»Komm morgen nachmittag, vor der Vesper, und bring' deine Sachen mit; nachher gehen wir dann zusammen in die Johanniskirche. Ich werde auch was davon haben, daß du da bist – und es ist mir des Samstags abends nicht recht geheuer in der Vorstadt. Alles Spitzbuben da. Also du kommst morgen.«

Kaßjan Parmjonytsch war mit sich selbst zufrieden; er hatte ein gottgefälliges Werk getan, einem gottesfürchtigen Manne eine Unterkunft gegeben. Er schritt quer über den Platz, den Fuß immer auf die Mitte eines der runden Pflastersteine setzend und dachte: Jetzt trifft man solche Menschen gar nicht mehr. Trotzdem, meine bessere Hälfte werde ich davon nicht überzeugen können. Hat immer nur ihr Hihi und Haha im Sinn, sieht ewig zum Fenster hinaus und reist von einem Kloster zum andern. Gut, daß sie wenigstens den Herrn nicht vergessen hat. Sonst hat man nichts von ihr …

Ein mißtrauischer Gedanke kam ihm …

Aber nein, solch ein Unhold kann mir nicht gefährlich werden schon allein vor seiner gebrochenen Nase bekommt man einen Schreck, und diese Schnauze dazu! … Welch ein Mensch aber dabei – fürwahr die Seele eines Engels steckt in dieser rauhen Hülle! Sie aber ist nach kichernden Gecken, mit glatten Fratzen, aus. Einen Menschen auf seinen inneren Wert hin zu schätzen, kommt ihr gar nicht in den Sinn, und so einen Unhold sieht sie überhaupt nicht an. Ein Satan von einem Weib!

Er lächelte vergnügt und beruhigt vor sich hin.

Schon von fern erkannte Marja Karpowna am Gang ihres Mannes seine Stimmung: trat er fest und behäbig auf, so war er still zufrieden, knarrten aber die Bohlen unter seinen schleppenden Tritten, so wußte sie, daß er über sie herfallen würde mit ätzenden Worten. Hinter dem Samowar hervor blickte sie ihn prüfend an und wußte Bescheid.

»Mascha, ich habe einen Hausknecht gefunden, nein – einen Menschen.« Und er fügte dieselben Worte hinzu, die er unterwegs gedacht hatte: »Jetzt trifft man gar nicht mehr solche Menschen.«

Maschenka wußte natürlich gleich, wen er meinte, um aber keinen Verdacht in ihm aufkommen zu lassen, sagte sie unwillig:

»Am Anfang sind bei dir alle gut; wenn erst ein, zwei Monate vergangen sind, werden wir ja sehen, was für einen Kerl du dir da aufgegabelt hast.«

»Gott selbst hat ihn mir gesandt, in der Kirche auf ihn hingewiesen.«

»Gib acht, Kaßjan Parmjonytsch! …«

»Ich sage dir, eine Seele von Mensch!« Und um seiner Frau einen kleinen Stich zu versetzen und sie zu necken, fügte er hinzu: »Aber schauerlich sieht er aus, das Grauen kommt einen an! Du wirst da nichts zu gucken haben!«

Marja Karpowna frohlockte innerlich: den alten Kaßjan hatten sie fein überlistet!

Da sagte er:

»Übrigens hast du ihn vielleicht auch schon mal gesehen, er ist ein Novize aus dem Kloster Belobereshsk, das du oft besuchst.«

Es ging ihr wie ein Stich ins Herz. Wie, wenn er dahinter käme? Vielleicht wußte er es schon?! Dann würde er sie erwürgen! Wie oft hatte er ihr gedroht, sie im Schlafe zu erwürgen. Sie blickte auf seine dürren Finger, seine knochigen Hände …

Der Sicherheit halber wechselte sie das Gespräch. Die Furcht kam sie an, sie könne sich durch irgendeine Kleinigkeit verraten, Verdacht in ihm wecken – wie oft richtete nicht ein einziges kleines Wörtchen einen Menschen zugrunde! …

Als sie zu Bett ging, dachte sie an Afonka, streckte sich lang aus, träumte von ihrem letzten Sommeraufenthalt im Klosterwalde, sehnte sich nach ihm und lachte bei dem Gedanken, wie geschickt er ihren Alten durch seinen Glaubenseifer und seine inbrünstigen Gebete umgarnt hatte. Um so ungetrübter war ihre Freude, als sie allein war. Es war Freitag, der Alte aber hielt sich bei seinen Besuchen im ehelichen Schlafzimmer streng an die kirchlichen Vorschriften: Freitag war der Leidenstag des Heilands, Montag der Tag der Gottesmutter, und vor allem waren auch die Nächte vor einem Feiertag geheiligt.

Beim Einschlafen überrieselten sie Schauer, und mehrmals huschte es ihr durch den Kopf, beglückend und beunruhigend: Hübsch ist er ja nicht, aber von welch einer durchdringenden Zärtlichkeit … Wenn ich mich morgen nur nicht irgendwie verrate! …

 


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