Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

8

Endlich war Frau Grakinas Bruder Kirill Kirillowitsch aus dem Auslande zurückgekehrt, doch getraute sie sich nicht, ihm gleich mit der unseligen Botschaft zu kommen, sie hoffte auf eine sich bietende Gelegenheit, eine günstige Stimmung.

Kirill Kirillowitsch sah die kleine Fenja im Laufe der Tage ein paarmal prüfend an und bemerkte, daß etwas nicht in Ordnung schien.

»Sage mal, Fenja, was hast du eigentlich? Bist du unglücklich verliebt, oder fühlst du dich nicht wohl?«

Er stellte die Frage bei Tisch. Das junge Mädchen errötete und kämpfte gegen aufsteigende Tränen.

Die Mutter kam ihr zu Hilfe.

»Ich möchte nachher mit dir sprechen, Kirill.«

»Also habe ich richtig geraten? Verliebt ist meine kleine Nichte? Da feiern wir wohl bald fröhliche Hochzeit?«

Nach dem Essen zerknüllte er eine Prise duftigen Tabaks zwischen den Fingern, stopfte seine Pfeife und bat seine Schwester in sein Arbeitszimmer.

Antonina Kirillowna – dieselbe, die noch vor wenigen Monaten so hart, steinhart gewesen war – hatte kaum die Schwelle überschritten, als sie in Tränen ausbrach, und zwar nicht in Weibertränen – sie weinte wie ein Mann, lautlos rannen ihr die Tränen aus den plötzlich geröteten Augen.

»Na, Tonja! … Setz' dich, sprich.«

Er ließ sich auch selbst in einen Lehnstuhl nieder und fuhr sich gewohnheitsgemäß mit der Hand über die Wangen, als wollte er feststellen, ob er auch frisch rasiert sei. Frau Grakina hatte beabsichtigt, ihm ruhig und gefaßt alles der Reihe nach zu berichten, es kam aber alles zusammen und kunterbunt durcheinandergemischt heraus; sie sprang von einem zum andern, begann mit der Mitte, schloß mit dem Anfang und vergaß das Ende.

»Wir waren also in der Sommerfrische im Klosterwald, wo wir ja auch im vorigen Jahr den Sommer verbracht hatten. Frau Klimowa war auch wieder mit uns. Du kennst sie ja … Läßt sich mit den Mönchen ein, und ich habe den Schaden davon. Dann fuhr ich auf ein paar Tage in die Stadt, um Wirtschaftseinkäufe zu machen. Als ich zurückkam, stellte sich heraus, daß sie da Boot gefahren waren, mit Mönchen. Unter ihnen war ein junger, hübscher … Er ist Vorsänger im Klosterchor.«

»Nun und Fenja hat sich in ihn verliebt? Das ist doch nicht so schlimm, dafür ist sie ja ein Mädel!«

»Er will herkommen und um ihre Hand anhalten.«

»Was? Ein Mönch will um die kleine Fenja anhalten?! Putzig!«

»Nicht das ist das Schlimme, aber verstehst du, die Klimowa hat nicht aufgepaßt. Ist im Walde spazierengegangen und hat das Mädel allein gelassen. Da hat er sie denn zu einer Bootfahrt zu zweien verlockt. Und … sie ist seine Frau geworden.«

»Hm, das gefällt mir weniger. Frau eines Mönches! …«

»Er ist noch nicht Mönch, bloß Novize, aus geistlichem Stande. Wenn man die nötigen Schritte tut, kann er Diakonus werden …«

»Unsere kleine Fenja Frau eines Diakons?!«

»So sage mir, was man tun kann? Sie liebt ihn … Verstehst du?«

»Warte mal, das muß ich mir überlegen …«

Kirill Kirillowitsch stopfte sich wieder die Pfeife mit wohlriechendem englischen Tabak, schloß halb die Augen, stieß Rauchwolken von sich und sann nach.

»Daß sie kein Mädchen mehr ist, ist schlimm … Tut mir leid, die Kleine … Ein liebes Mädel, große Schwärmerin, aber ein liebes Mädel …«

»Ich würde sie diesem Nikolai schließlich geben, mögen sie's versuchen. Ich will ihm schreiben, mag er herkommen.«

»Mag er kommen. Ich möchte mir diesen Bewerber aus geistlichem Stande in Gestalt eines angehenden Mönches einmal ansehen. Hat er wenigstens das Seminar absolviert?«

»Nein, nur die geistliche Schule. Er scheint aber ein guter Junge zu sein.«

»Bist wohl auch selbst ein bißchen verliebt in ihn?«

»Du machst Witze! Fenja ist schwanger von ihm.«

»Na, mag er kommen, nachher sehen wir weiter. Und mit der Kleinen will ich mal selbst sprechen.«

Der Ingenieur lächelte, wobei er die Augen halb schloß; in ihnen glommen Funken, als schmiede er heimlich Pläne.

Er geleitete seine Schwester zur Tür, wandte sich um, lächelte wieder mit zusammengekniffenen Augen, strich sich mit der Hand über die Wangen. Dann versank er aufs neue in einen Lehnstuhl, streckte die Beine von sich, überlegte.

Plötzlich stand er kurz auf, trat an den Schreibtisch, fertigte einen Scheck auf zehntausend Rubel aus und klingelte in seinem Büro an.

Ein Sekretär kam eilig die Treppe heraufgestürzt.

»Bringen Sie dies morgen früh in die Bank; die Summe ist mir telegraphisch nach Petersburg zu überweisen, Hotel Europe, Michailowskaja Straße … Wenn der englische Techniker eintrifft, soll er die neuen Maschinen montieren, aber vor meiner Rückkehr nicht anlassen. Ich bin in zehn Tagen zurück. Halt … Traber und Rennwagen. »Traber und Rennwagen«: Gemeint ist ein leichter, vierrädriger Wagen mit langem Sitz, auf dem zwei Mann, einer hinter dem andern, rittlings sitzen können. Der Kutscher Stephan geht auf den Bahnhof und bringt den Gaul zurück.«

Darauf schrieb Kirill Kirillowitsch einen Brief. Zuerst den vollen Titel, darauf folgte:

»Der Frau Direktorin des … Lyzeums.

Meine Nichte Fenja Grakina ist infolge einer Blinddarmentzündung, die einen operativen Eingriff erfordert, leider verhindert, zum Schulbeginn zu erscheinen. In vorzüglicher Hochachtung usw.«

Vergnügt verließ Kirill Kirillowitsch sein Arbeitszimmer und begab sich in die alte Hälfte des Hauses, wo hundertjähriger Weihrauchduft alles durchzogen hatte, Spinngewebe in verborgenen Winkeln hingen, aus eisenbeschlagenen Truhen ein Geruch von Tabak und Naphthalin aufstieg, und die gestärkten Röcke einer letzten im Hause aufgenommenen Waise, der nunmehr ehrwürdigen Pulcheria Jakowlewna, raschelten. Der Ingenieur schritt auf das Zimmer der kleinen Fenja zu.

In ihrem weißen Zimmer mit blaugeblümten Tapeten, Mullgardinen an den Fenstern, die auch blaue Blümchen trugen, lag die kleine Fenja mit geschlossenen Augen auf ihrem Bett, gedanken- und tränenlos, das Gesicht in das weiße Kissen gegraben. Sie antwortete nicht, als an der Tür geklopft wurde.

Kirill Kirillowitsch trat ein.

»Schläfst du, Fenja?«

»Nein, Onkel.«

»Darf ich herein? Ich bringe dir frohe Botschaft.«

Sie richtete sich auf, ihr goldener Zopf hatte sich halb gelöst. Sie hatte gebebt und gehofft … Ihr Onkel war einverstanden!

»Ich wußte ja gar nicht, daß du einen Bräutigam hast. Ich wünsche dir Glück. Aber darum braucht man doch das Essen und Trinken nicht aufzugeben … Du kleine Schwärmerin! … Fahren wir mal spazieren, willst du? Mit dem Traber? Wenn dir der Wind ordentlich um die Nase weht, fliegt alle Schwermut davon. Kommst du mit?«

Zaudernd, als wage sie noch nicht an ihr Glück zu glauben, blickte die kleine Fenja ihren Onkel Kirja an, ernsten Gesichts, nur aus den Augen brach ein schüchternes Lächeln. Sie warf den halbgelösten Zopf über Schulter und Brust und begann, ebenso zaudernd, langsam die Strähnen ineinanderzuflechten, doch allmählich ging es immer flinker und flinker, und unter den hurtigen Bewegungen ihrer Finger atmete, lebte sie wieder auf.

Onkel Kirja war ein seltener Gast in ihrem Zimmer, und dazu ein Gast, der Freude brachte. Es kam wohl vor, daß er sie hier und da einmal zu einer Ausfahrt aufforderte, wenn es sich gerade so machte, aber daß er selbst in ihr Zimmer gekommen wäre, um sie abzuholen, das war noch nicht dagewesen. Vielleicht hatte er ihr persönlich die freudige Nachricht bringen wollen? …

Sie konnte es noch gar nicht fassen …

Da trat er auf sie zu, legte ihr die Hand, die nach englischem Tabak und Maiglöckchen roch, zärtlich auf den Scheitel und sagte:

»Er darf auch herkommen …«

Die kleine Fenja merkte gar nicht mehr, daß ihr bis oben an den Hals jämmerlich übel war.

»Zieh deinen weißen Hermelinpelz an. Wir fahren weit, aus der Stadt hinaus, und noch weiter …«

Hanf und Stricke, Bauern und Geld, Schwinger und Maschinen, darin ging er auf, ihr Onkel – und nun hatte er plötzlich an seine Nichte gedacht!

Antonina Kirillowna lugte zum Fenster hinaus, sah die beiden abfahren, trat vor das Heiligenbild, bekreuzigte sich und seufzte erleichtert auf.

 

Hinaus zur Stadt ging's, mit angezogener Leine, wie der Wind stoben sie dahin. Es war ein sonniger Spätsommertag, glatt und eben der Weg …

Der Blick des Ingenieurs hing zwischen den Ohren des Hengstes, zuweilen warf er ein paar kurze Worte nach rückwärts, die die kleine Fenja hinter ihm aus dem Winde auffing.

»Wenn du erst Frau Diakon bist, gibt's das nicht mehr. Schickt sich nicht für die Frau eines Geistlichen. Es ist aber schön – diese endlose Weite! Nicht?«

Er dachte bei sich: Daß ich sie einem Mönch gebe? Nie! Habgierige Bande! Hat er sie erst, dann heißt's Geld und wieder Geld … Er wandte halb den Kopf.

»Dieses goldene Haar zu einem Zobelpelz? Muß schön sein! Eine Augenweide für einen Künstler, der etwas davon versteht.«

Und weiter spann er an seinem Gedanken: Noch fünf Jahre, und wir stehen gesichert da, mit Millionen … Ich soll Geld aus dem Betrieb ziehen? Und für wen? Für einen Mönch! Nie!

»Willst du, ich laß dein Bild malen! … Ich hatte einen Freund, jetzt ist er Akademiker, sieht aus wie ein Dichter, Tituskopf, schwarze Augen … Hast du schon mal ein Barett gesehen? Er trug ein Samtbarett …«

Nie. Dann mag sie schon lieber selbst ihr Geld vergeuden, mag sich zusammenkaufen, was ihr in den Sinn kommt, was nur ihr Herz begehrt. Ist noch jung – viel wird's nicht sein …

»Bist du erst Frau Diakon, hört's auch mit den bunten Lappen auf. In so' ner Art Schlafrock läufst du dann umher, hast einen Haufen Kinder … Was fängst du dann mit deinem Gelde an? … Die Freiheit kann man sich damit nicht kaufen. Du hast noch gar nichts von der Welt gesehen, warst noch nicht einmal im Ausland, in Übersee … Es liegt was darin, wenn man so über die Meere zieht! … Als Diakonsfrau sitzt du dein Leben lang am Fenster und siehst dir die Leute an, die vorübergehen. Du kennst doch die Frau unseres Diakons an der Kathedrale … Nicht übel, was? Dein Los!«

Der kleinen Fenja wurde recht unbehaglich zumute; ihr war, als preßte sich ihr Herz zusammen, ganz weh wurde ihr. Plötzlich fiel ihr ein, wie böse und schroff Nikolai gewesen war, als er erfuhr, daß sie Marja Karpowna alles gestanden hatte; er hatte ausgesehen, als hätte er sie schlagen mögen. Sie dachte: Er hat es nicht gewagt. Und da kam ihr das Empfinden, das sie zu unterdrücken suchte, als es fast zu einem Gedanken wurde: Er hätte es beinahe getan, er könnte es einmal tun …

Kirill Kirillowitsch fuhr hartnäckig fort:

»Ich möchte ein Bild von dir haben: dein Goldhaar über schwarzbraunem Zobel und grüne Seide dazu.«

Er ließ lockende Zukunftsbilder vor ihr erstehen, lockerte die Zügel, der Hengst, schaumbedeckt, fiel in Schritt, Kirill Kirillowitsch lachte vergnügt auf.

»Weiß du was, Fenka – wir brennen durch!«

»Wie das, Onkel? Wohin?«

»Wohin du willst! Was sagst du zu Petersburg, hm? … Deine Mutter wird warten, und wir kommen nicht. Sie schickt Boten auf die Suche aus – wir bleiben verschwunden. Da kommt ein Eiltelegramm: Wir bummeln in Petersburg!«

Der kleinen Fenja schien es ein lustiger Einfall, mit ihrem Onkel durchzubrennen.

»Zum letzten Male bietet sich dir eine solche Gelegenheit. Bist du erst verheiratet, so läßt dich dein Mann nicht fort, und auch du selbst wirst deine Kinder nicht im Stich lassen wollen. Verzeih – ich rede frisch von der Leber weg … Ich glaube, du sitzt auch jetzt schon nicht mehr ganz allein da hinter mir. Also, abgemacht?«

Er zog die Uhr.

»In einer halben Stunde geht der Schnellzug. Wir kommen gerade noch hin.«

Sie flogen dahin, ihr Onkel brüllte die Wagen und Leute an, die ihnen in den Weg kamen. Man sah sich nach ihnen um, tauschte Bemerkungen aus.

»Mit einem Mädel …«

»Der versteht die Sache – hat's wohl auf der Hochschule gelernt.«

»Ja, ja, sein seliger Vater hielt's anders.«

Die kleine Fenja hatte nicht geantwortet und so zugestimmt, ganz im Bann der Worte ihres Onkels. Nach der tollen Fahrt, bei der ihr in wehendem Winde der Atem gestockt hatte, schlief sie im Zuge bald ein und erwachte erst, als sie Twer bereits hinter sich hatten. Auch ihr Onkel war eingeschlafen, und um seine Lippen spielte ein Lächeln.

Durch die Snamenskaja Straße, von Straßenbahngeläute umschrillt, ging's auf einem Lichatsch »Lichatsch«: Droschke mit flinkem Pferd und Pneumatiks an den Rädern. den Newskij entlang …

Die kleine Fenja, der in dem Menschengewimmel vor den Augen ganz wirr geworden war, saß stumm an seiner Seite.

 

Neueingekleidet, in knisternder Seide, schlenderte sie am Arm ihres Onkels aus den Modehäusern ins Theater, jagte von den Inseln »Inseln«: Die malerischen Newainseln, bekannt durch ihre Luxusrestaurants, sind beliebte Ausflugsorte der Petersburger. in die Museen.

Unangenehm war nur, daß die Übelkeit nicht weichen wollte.

»Bist du erst Frau Diakonus, so siehst du nichts mehr vom Petersburger Leben. Ich würde an deiner Stelle die Hochzeit einstweilen aufschieben, es hat damit doch keine solche Eile. Wenn du verheiratet bist, mußt du dir auch den Gedanken an den Besuch der Hochschule aus dem Kopf schlagen. Von siebzehn Jahren an sein Leben lang das gleiche einförmige Dasein …«

So philosophierte Onkel Kirja in einem hell erleuchteten Saal beim Abendessen, hob den geschliffenen Kelch, blickte mit zusammengekniffenen Augen durch das perlende Naß, goß auch Fenjas Glas wieder voll mit blondem Wein, der Wünsche und Gedanken durcheinander wirbelt und alle Grenzen verwischt.

»Als ich Student war, hatte ich mich auch in ein ungebildetes Mädchen verliebt; zum Glück rettete mich mein Vater – schickte mich nach dem Kaukasus auf den Bummel. Ich sage: zum Glück – ich bin ihm herzlich dankbar dafür. Zwanzig Jahre war ich alt, meine ganze Jugend stand noch vor mir! Um nichts und wieder nichts hätte ich beinahe mein Leben verpfuscht – und du bist erst siebzehn …«

Die kleine Fenja zuckte zusammen, drückte ihr Taschentuch an den Mund und verschwand im Laufschritt. Ganz blaß kehrte sie zurück …

Eine ganze Woche lang, vom Morgen bis in die Nacht hinein nagten sich Onkel Kirjas wohlüberlegte Worte in Fenjas Vorstellungswelt ein. Über das frische freie Leben an der Hochschule sprach er zu ihr, über die köstliche, ungebundene Jugendzeit, über jauchzende, freie Liebe. Und einst fragte er leise:

»Fenja, Mädel, willst du denn wirklich die Frau eines Diakons werden?«

»Ich weiß nicht, Onkel Kirja, ich finde mich nicht mehr zurecht … Ich möchte für mein Leben gern auf die Hochschule, und ich liebe ihn – und ich tu mir so leid – nicht um meine Liebe ist es mir leid, ich selbst tu mir leid. Ich weiß nicht, wie ich das ausdrücken soll …«

»Schiebe die Hochzeit einstweilen auf. Vielleicht wird er auf dich warten, vielleicht auch nicht – dann bist du frei, gewinnst einmal einen anderen lieb, vielleicht einen Studenten – aus ganz Rußland strömen ja die jungen Leute hier zusammen zu dem großen Fest der welterobernden Jugend. Wenn dein Nikolai auf die Universität könnte …«

»Das will Petrowskij tun.«

»Da ist also noch einer? Noch ein Anbeter – vielleicht gewinnst du den einmal lieb? Es ist immer so – im kritischen Augenblick taucht stets noch ein zweiter auf. Also das hätten wir denn beschlossen – du gehst auf die Hochschule!«

»Bloß … mir ist immer so übel.«

»Fenja, als alter Onkel, der dich von Herzen lieb hat, will ich dir mal was sagen: wenn du willst, gibt's das mit der Übelkeit nicht mehr, gibt's überhaupt nichts mehr, verstehst du? Nichts … Du brauchst nur ein Wort zu sagen, und ich helfe dir, du brauchst keinen Finger zu rühren.«

Ungestüm, ohne auch nur einen Augenblick der Überlegung, entfuhr es ihr:

»Onkel Kirja, ja!«

Am gleichen Abend ging's im Lichatsch auf den Wassilij-Ostrow »Wassilij-Ostrow« ( = Wassilij-Insel): Stadtteil in Petersburg. in eine vornehme Klinik für heimlich Schwangere, Kostenpunkt zweieinhalbtausend, mit allen Bequemlichkeiten und ausgezeichneter Verpflegung … Nicht an Hand eines Zeitungsinserats, sondern auf Empfehlung eines berühmten Arztes, eines ersten Fachmannes auf dem Gebiet, hatte Kirill Kirillowitsch dieses Haus gewählt.

Er küßte die kleine Fenja zum Abschied, hätte sie in seiner Freude über den guten Abschluß ihres Ausfluges nach Petersburg sogar beinahe bekreuzigt, und drückte ihr eine Schachtel mit Kognakkirschen in die Hand.

»In vierzehn Tagen hole ich dich ab.«

Aus dem Krankenhaus jagte Kirill Kirillowitsch geradeswegs auf den Nikolajewskij-Bahnhof, hielt nicht einmal an, um sich englischen Tabak zu besorgen – die neuen Maschinen warteten, mußten angelassen werden, seine Millionenpläne warteten. Unterwegs sandte er an seine Schwester ein Telegramm: »Heimkehre, alles wohl.«

Er streckte sich auf der gepolsterten Wagenbank aus, ohne die Pfeife aus dem Munde zu nehmen, vertiefte sich mit seinen Gedanken in Zahlen, Berechnungen, Pläne, wobei sein Herz lauter schlug …

»Ich stecke alles Geld hinein, dessen ich habhaft werden kann. Das Grakinsche und Drakinsche Kapital zusammengeschmissen … Dann hab' ich die Börsenpreise in der Hand. Bis zu Fenjas Verheiratung arbeite ich auch mit ihrem Gelde, und nachher soll ich es einem Nichtstuer aus dem Kloster auszahlen? … Solange sie allein ist, verbraucht sie keine fünf Prozent von ihrem Reingewinn … Den heiratet sie nie – Mädchenschwärmerei.«

Zu Hause ging er, in Hut und Mantel, in die Wohnung der Schwester hinüber.

»Und wo ist Fenitschka?«

»Ich habe sie im Krankenhause gelassen. Sei ohne Sorge – die Leute sind zuverlässig. Und ihre Liebe, das ist ein Frühlingsvogel; solange es Sommer war, blühte sie, als aber der Herbst winkte, zog es sie in die Ferne, nach Übersee, da flatterte sie davon – auf Nimmerwiedersehen. Auf die Hochschule will sie. Die Hochzeit ist verschoben.«

»Wie soll denn das werden? Ich habe geschrieben, Nikolai soll herkommen.«

»Mag er; ich möchte ihn mir mal ansehen.«

»Und Fenja?«

»Wird bald zurückkehren, gesund an Körper und Seele. Sind die Maschinen montiert? Da werden wir denn unser eigenes elektrisches Licht haben. Fenja hole ich selbst aus Petersburg ab.«

Antonina Kirillowna war erfreut und bekümmert zugleich und weinte vor Freude und Sorge um die Tochter. Stumm hörte sie den Reden der Pulcheria Jakowlewna zu, die aus Enttäuschung über die so unselig verlaufene Liebe der beiden Trauer angelegt hatte: ein schwarzes Kaschmirkleid und ein schwarzes Seidentüchlein, und nicht mehr in gestärkten Röcken einherging, um kein Geräusch zu machen und durch das Rascheln der Röcke ihre Wohltäterin nicht zu beunruhigen. Am Abend sprach sie im Flüsterton auf Antonina Kirillowna ein:

»Das kommt in den besten Häusern vor, Mütterchen – gegen Armut und Unheil wächst noch kein Kräutlein. Seien Sie mir nicht bös, ich spreche aus vollem Herzen … Wir finden schon einen Mann für sie, einen jungen, schönen, so einen, wie ihr Bruder Kirill Kirillowitsch ist – einen gelehrten, aus der Hauptstadt. Unsereiner ist ja zäh, zäh wie die Katzen sind wir, das ist schon solch eine Zunft, das Weibsvolk, nicht unterzukriegen … Wird schon alles wieder gut werden. Bald feiert sie Hochzeit mit einem anderen. Und schließlich ist Fenitschka doch keine Nonne, um einen Mönch zu heiraten! Das aber war nicht recht, meine Gönnerin, daß man sie zum Arzt gebracht hat – da helfen Kräuterchen, ganz unmerklich, in aller Stille. Das da tut weh, ist eine wahre Qual, durch Kräuterchen hätten wir sie ganz ohne Schmerzen kuriert. Aber der Herr ist ja gnädig! Es wird schon alles wieder gut werden, wenn auch Kräuterchen besser gewesen wären …«

 

Einen Kräuteraufguß bekam die kleine Fenja nicht zu trinken, sondern man legte die angehende jungfräuliche Mutter auf einen weißen Tisch, band die gespreizten Beine mit Riemen fest, damit sie sich nicht sperren, nicht rühren könne, und schabte ihr zusammen mit Blut und dem atmenden Schleimklümpchen die Jungmädchenseele aus, warf alles zusammen in den Mülleimer.

Furchtlos und ergeben war sie hineingegangen, hatte nicht gedacht, daß sie, krampfdurchzuckt, schreien würde wie ein Tier: in ihr Innerstes drang der ausgeglühte schabende Stahl, zerfleischte Körper und Seele.

Still und teilnahmslos, mit blutlosem Gesicht lag die kleine Fenja zwischen den Laken; Nikolai und Nikodim waren zu Geistererscheinungen verblaßt. Im Krankenhaus tuschelte man:

»Halbwüchsiges Mädel … Hat sich sehr gequält – drei Monate … Liebe ist gnadenlos. Ob er sie hintergangen hat?«

In der Nacht redete sie irr.

Bis zum Morgen saß eine Schwester an ihrem Bett. Diese erzählte einer Kranken:

»Ihr Onkel hat sie hergebracht. Schwerreiche Leute … Millionäre.«

»Mit dem eigenen Onkel? Sollte es möglich sein?!«

»Ich weiß nicht, mir ist nichts Näheres bekannt, bloß daß es schwerreiche Leute sind. War sehr geheimnisvoll. Kommen aus der Provinz. Handeln mit Hanf …«

Mehrere Tage lang hatte die kleine Fenja hohes Fieber und redete in den Nächten irr. Eines Morgens aber erwachte sie wieder mit blanken blauen Augen.

Der Arzt, der einen sich weich kräuselnden Bart hatte und einen Kneifer trug, sagte nach dem Rundgang, erleichtert aufatmend:

»Alles steht gut – die Krise ist vorüber … Es sah recht bedenklich aus.«

Die kleine Fenja trank zur Kräftigung schluckweise Wein, wurde mit jedem Schluck kräftiger und – eine andere.

 

Eines Tages erschien Onkel Kirja, eine Samtschachtel mit Weinkirschen unter dem Arm und einen Ring mit einem Rubin, in ein Seidentüchlein gehüllt, in der Hand.

An der Isaak-Kathedrale vorüber ging's in einem lautlosen Ford, beim fröhlichen Singsang der Autohupe, den Newskij entlang auf die Michailowskaja Straße. Mit einem verschmitzten Augenaufschlag, wie eine Frau, sagte die kleine Fenja:

»Onkel Kirja, ich will die Verlobung auflösen. Ich will's ihm selbst sagen, aber Sie müssen dabei sein – gut? Wollen Sie mir beistehen?«

»Dafür küsse ich dich ab – bist ein vernünftiges Mädel. Wünsche dir was!«

»Hungrig bin ich – ein gutes Abendessen.«

Nach dem Mahl, beim Obst, sagte Fenja, lebhaft angeregt:

»Ich hasse ihn jetzt, hasse ihn für alles, alles. Mir ist, als wäre ich ein anderer Mensch geworden nach … Und ich will leben, eine Sehnsucht nach dem Leben ist in mir.«

Sie brach ab, schauerte im Gedenken an die überstandene Qual zusammen, warf dann entschlossen den Kopf zurück und sagte fröhlich, mit starker Betonung:

»Ich will auf die Hochschule, Onkel Kirja … Das eröffnet mir ein weiteres Leben.«

»Jetzt bist du frei, kannst tun und lassen, was du willst.«

Im Schnellzug ging es nach Hause.

Die kleine Fenja bezog nicht mehr ihr weißes Zimmerchen mit den Mullgardinen und Blümchen, sondern in der neuen Hälfte des Hauses ein Zimmer, das elektrisches Licht hatte und schwere Portieren, im englischen Geschmack ihres Onkels Kirja, und in diesem Zimmer saß sie nicht stumm und still und eingesperrt wie eine Nonne, sondern oft klang ihr und ihrer Freundinnen fröhliches Lachen in das Arbeitszimmer ihres Onkels hinüber.

 


 << zurück weiter >>