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9

Der Abt erschien jetzt täglich auf dem Viehhof, um nach dem Rechten zu sehen. Einmal ging er auch in Arischas Zelle. Er segnete sie, und als sie in demütig vorgebeugter Haltung seine Hand an ihre Lippen geführt hatte, behielt er ihre Hände in der seinen und küßte sie auf die Schulter. Arischa errötete vor Verwirrung. Als hätte er nichts bemerkt, fragte Nikolka:

»Gefällt es Ihnen hier, Mutter Arischa?«

Sie antwortete leise, verlegen:

»Es ist schön hier …«

»So bleiben Sie doch bei uns … Auf dem Viehhof. Mutter Arefia ist alt geworden, sie schafft es nicht mehr allein, da könnten Sie ihr mit den Büchern helfen.«

»Eine Glaubenstat ist mir auferlegt …«

»Kraft der mir vom Herrn verliehenen Abtsgewalt gebe ich Ihnen meinen Segen zu einer anderen Glaubenstat; ich will Ihrer Äbtissin schreiben und auch sie um ihren Segen bitten.«

 

Das Pfingstfest war vorüber, Arischa aber konnte sich nicht entschließen, ihre Wanderschaft wieder anzutreten; so gut gefiel es ihr im Waldkloster. Um den Nonnen auf dem Viehhof nicht zur Last zu fallen, half sie ihnen fleißig bei der Arbeit, wobei sie nicht die Samtkappe trug, sondern sich ein schlichtes weißes Tüchlein um den Kopf band, was sie noch hübscher machte, da man so ihr goldrotes Haar sah.

Eines Abends erschien wieder der Abt auf dem Viehhofe und sagte zu ihr:

»Ich habe Ihrer Äbtissin geschrieben und nun ihre Antwort erhalten; Sie dürfen bei uns bleiben, die Mutter Äbtissin erteilt Ihnen ihren Segen dazu …«

Nikolka hatte gar nicht geschrieben, er betrog Arischa, um sie zum Bleiben zu veranlassen. Ohne auf ihre Antwort zu warten, wand er sich an Mutter Arefia:

»Also, Mutter Arischa bleibt vorerst hier bei dir als deine Gehilfin; sie wird statt deiner das Wirtschaftsbuch führen.«

Arischa war es recht. Sie hatte sich im Kloster erholt, ein wenig zugenommen durch die Milchkost, ihr Gesicht war noch zarter, ihre Lippen waren tiefrot wie Mohn geworden; auf ihrem Goldhaar lag – wie auf der Rinde der Fichten – ein Schimmer von Zinnober. Oft ruhten die Blicke des Abts, der täglich auf dem Viehhof vorsprach, bewundernd auf ihr; dann wurde Arischa verlegen. In der Nacht überrieselten sie wieder Schauer, unheimlich und süß. Sie erwachte, konnte nicht mehr einschlafen, die würzige Waldluft schien ihren ganzen Körper zu durchdringen; unbeweglich lag sie da, hingegossen, ein Sehnen in den Gliedern … Sie träumte vor sich hin, versuchte an den Geliebten zu denken, doch sein Bild verschwand, statt seiner sah sie das Gesicht des Abts vor sich. Sie bekreuzigte sich, um die Versuchung zu bannen; vergeblich! Als Mädchen hatte sie dies Erschauern, dies Ersterben ihres Herzens nicht zu deuten gewußt; jetzt wußte sie, daß es Liebessehnsucht war, was ihren Leib erbeben machte, der den Duft von Harz und Tannennadeln und würzige Erdsäfte in sich gesogen hatte und im Einklang mit dem Wald und der blühenden Erde atmete.

Selbst Mutter Arefia bemerkte, daß die Besuche des Abts auf dem Viehhof immer häufiger wurden.

»Früher sprach der Vater Abt nur selten einmal hier vor, jetzt aber kommt er fast jeden Tag … Um Ihretwillen, Arischa; Sie gefallen ihm.«

Arischa wurde verlegen und blieb die Antwort schuldig.

»Sie brauchen sich darüber nicht zu schämen, Mütterchen; es ist die lautere Wahrheit … Ich bin eine alte Frau, aber doch muß ich sagen: wenn ich ein Mann wäre, würde ich mich auch in Sie verlieben. Und unser Abt ist jung und bildschön dazu … Da brauchen Sie sich gar nicht zu schämen.«

 

Arischa begann sich vor dem Abt zu verstecken. Sah sie ihn kommen, so verschwand sie in den Ställen. Nikolka schritt auf dem Hof hin und her, blickte zu Mutter Arefia hinein, in Arischas Zelle, ging hierhin und dorthin, hielt es schließlich nicht aus und fragte Arefia:

»Wo ist denn deine Gehilfin?«

»Ich weiß nicht, wohl im Stall …«

Nikolka wanderte ärgerlich in den Wald hinein, ging zur Mühle, von der Mühle auf das Vorwerk, um nachzuschauen: er hatte angeordnet, ein leer stehendes Blockhäuschen instand zu setzen; das sollte Arischas Zelle werden …

Unbemerkt kam der Herbst heran; Nebel, trübe, regnerische Tage setzten ein. Das Leben im Kloster wurde eintönig. Die Sommerfrischler waren fort, keine Wallfahrer ließen sich mehr blicken; öde und leer war es im Kloster geworden. Die Mönche saßen in ihren Zellen, lösten einander beim Besuch der Gottesdienste ab, bald ging ein Teil der Bruderschaft hin, bald ein anderer. Sie beteten in ihren Zellen, machten sich allerlei zu schaffen, schnitzten Löffel, um die Zeit bis zum Frühjahr irgendwie totzuschlagen. Die Novizen stahlen sich zu den Weibern in Polpenki, die Soutanenträger spielten hinter verhängten Fenstern Karten. Eitel ist das menschliche Leben, selbst im stillen Kloster! Auch Abt Gerwaßij langweilte sich; seine einzige Freude war sein allabendlicher Gang auf den Viehhof.

Eines Tages sagte er zu seinem flachsblonden Dienstbruder:

»Die Wäsche hier bring auf den Viehhof zum Waschen. Mutter Arefia soll sie mir möglichst bald zurückschicken, mit Arischa.«

Als die Wäsche fertig war, rief Mutter Arefia Arischa herbei:

»Bringe dies zum Abt.« Als die junge Nonne sich auf den Weg machte, rief sie ihr nach: »Das Schicksal ist dir hold … Das Glück kommt selbst zu dir!«

Arischa schritt durch den dämmernden Abend. In den Gemächern der Abtei herrschte ein stilles Halbdunkel. Das ewige Lämpchen glomm. Der flachsblonde Novize zog sich zurück. Arischa wartete im Empfangszimmer; ihr Herz stockte; ein Bangen überkam sie; sie wußte nicht weshalb …

Sie wartete lange, lauschte in die Stille. Die Uhr tickte eintönig. Endlich entschloß sie sich, an die Tür zu klopfen.

Hinter der Tür sagte ein samtener Bariton freundlich:

»Treten Sie ein …«

Schweigend überreichte sie dem Abt das Bündel. Wartete auf seine Anrede. Ihr Herz schlug laut. Der Abt trat auf sie zu, blickte ihr ins Gesicht, umarmte sie. Sie wich nicht zurück. Ein Sehnen durchschauerte sie. Als er nach ihren Brüsten griff, sank sie ihm, von einem süß benehmenden Schwächegefühl überkommen, stumm in die Arme; ihr schwindelte …

Nachher sagte er flüsternd:

»Ich werde dich lieben mein Leben lang. Du wirst gleichsam meine Frau sein … Das ist keine Sünde … Was kann ich denn dafür, daß ich dich liebe, das sterbliche Fleisch nicht zu bezwingen vermag? …«

Arischa lag stumm da, lauschte auf seine Worte und fühlte, wie ihr Blut beruhigt durch die Adern rann und ihr Herz immer stiller schlug.

»Ich werde dich nicht verlassen. Du wirst auf dem Vorwerk wohnen; ich habe dir dort schon im Sommer eine Zelle instand setzen lassen. Da sind wir ungestörter, niemand wird etwas erfahren … Die Kutte lege lieber ab, du bist ja noch nicht Nonne. Eine Novize darf ohne weiteres ihr Kloster verlassen und in die Welt gehen. Laß dir ein schwarzes oder graues Kleid nähen, damit du nicht wie eine Nonne aussiehst und auch nicht wie eine Laiin …«

 

Als Arischa an den Pferdeställen vorüberschritt, glühte sie vor Scham; ihr war, als wüßten es alle, als hätten es alle gesehen. Die Pferdeknechte grüßten sie lächelnd, wollten sie anreden, sie hastete aber weiter. Früh ging sie an diesem Abend zu Bett, eine innere Unruhe war in ihr. Als sie schon halb im Schlafe lag, glaubte sie, sie habe nun auf ihrem Erdenwege wirkliche Liebe getroffen, und dachte daran, daß die Mutter Äbtissin ihr ja erlaubt hatte, im Waldkloster zu bleiben, und ihr ihren Segen erteilt, wenn sie auf ihrer Wanderschaft auf wahre Liebe stoßen sollte …

Eine Woche später siedelte Nikolka Arischa auf dem Vorwerk an und legte die Leitung der Wirtschaft in ihre Hände; zwei alte Nonnen vom Viehhof gab er ihr zur Hilfe. Die Nonnen, auf die seine Wahl gefallen war, waren zuverlässig, denn sie sündigten selbst mit den Mönchen und würden darum über Arischa Schweigen bewahren.

Pfiffig hatte Nikolka das eingefädelt: er, der Abt, genoß im Kloster die Ehefreuden eines Laien! Er war ein sorgender, geschäftiger Hausvater: sah überall nach dem Rechten, auf dem Viehhof, im Gemüsegarten, auf der Ziegelbrennerei, auf der Mühle, und schließlich, gegen Abend hin, auch auf dem Vorwerk. Zuweilen verspätete er sich, dann blieb er gleich über Nacht bei seiner Geliebten, seiner Frau, wie er sagte.

»Du bist meine Frau, Arischa. Da brauchst du dich gar nicht zu schämen.«

Schnell verging die Zeit vom Herbst bis zum Frühjahr. Arischa hatte sich an ihr neues Leben gewöhnt. Nun hoffte sie auf Mutterfreuden. Nach ihrer Berechnung mußte sie im Herbst niederkommen, freudig erwartete sie das Kind.

Über Nikolka war eine satte Ruhe und wohlwollende Gutmütigkeit gekommen; mit gelassener Würde bewegte er sich unter der Bruderschaft. Vater Pamwla flüsterte verstohlen:

»Ich habe euch gesagt, der wird noch Abt und wickelt euch alle um den kleinen Finger, ehe ihr's merkt … Ist mit allen Wassern gewaschen … Die ganze Wirtschaft hat er in Händen, steckt überall seine Nase hinein … Kauft nicht mehr Löffel auf, um Zehner zu verdienen – jetzt macht er's im großen, Brüder …«

Die alten Mönche brummten des Abends auf den Stufen vor ihren Zellen:

»Das stimmt schon, daß er alles selbst in die Hand genommen hat, dafür blüht aber unser Kloster … Haben wir je solche Kohlsuppe gegessen?! Und was für einen Gemüsegarten er angelegt hat! Dabei wälzt er die Arbeit nicht auf die Bruderschaft, sondern läßt die Wallfahrer arbeiten, sagt ihnen: ›Ihr habt freie Unterkunft und freie Verpflegung im Kloster, so tut auch etwas für das Kloster zum Ruhme Gottes; geht mal Gras mähen und jeder von euch könnte auch paar Ziegel machen‹ …«

»Tüchtig ist er, der Gerwaßij, das muß man ihm lassen …«

»Die Bruderschaft genießt auch alle möglichen Freiheiten unter ihm … Jeder von uns kann tun und lassen, was er will …«

Unverändert aber war Nikolkas Habgier geblieben. Er machte sich daran, kleine Sümmchen beiseitezulegen; kaufte er Korn für das Kloster ein, so ließ er die Rechnung auf das volle Tausend abrunden, brachte von dem Überschuß einen Hundertrubelschein Arischa auf das Vorwerk, den Rest hob er für den Fall der Not auf. Auch Arischa erwies sich als tüchtige Hausfrau, die sich wacker der Wirtschaft auf dem Vorwerk annahm. Den Nonnen, ihren Gehilfinnen, machte sie zuweilen ein Geschenk, um ihren Eifer anzuregen und ihnen den Mund zu schließen. Sie hatten es gut auf dem Vorwerk; wenn sie ihre Arbeit getan, das Vieh zur Nacht versorgt hatten, waren sie frei, gingen in den Wald, und nach ein paar hundert Schritten trafen sie demütige Mönche; zusammen genossen sie die erfrischende Waldluft, bis nach Mitternacht, hatten nie genug. Auf das Vorwerk zurückgekehrt, merkten sie dann, daß Arischa nicht allein war.

»Der Vater Abt ist bei ihr …«

»Ssst … leise …«

»Ja, ja, die Liebe …«

Wenn die Glocken zur Nachtmesse riefen, trennte sich Nikolka von Arischa, schlich leise zur Pforte hinaus, um die Nonnen nicht zu wecken. An der heiligen Pforte bemerkte Waßenka ihn, lief auf ihn zu, um seinen Segen zu empfangen.

»Nikoluschka, segne mich … Der Satan versucht mich, hilf mir, rette mich – du kannst es ja …«

Der Abt segnete ihn, winkte ihm ab.

»Sei still, Waßka. Immer noch plagt dich der Satan … Bete eifriger!«

»Ich bete ja, Nikoluschka, bete auch für dich um deiner Sünden willen. Auch dich plagt der Satan, treibt dich in den Wald … Zu wem bloß?! …«

Murmelnd sah Waßenka dem Abt nach, bis dieser in der Dunkelheit verschwand.

Nur Waßja ließ Vater Gerwaßij nicht in Ruhe. Die Bruderschaft tuschelte bloß hinter seinem Rücken, der Blöde aber sagte ihm die Wahrheit ins Gesicht.

In ruhiger Gleichmäßigkeit verliefen Nikolka Predtetschins Tage.


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