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[7]

Es war März geworden – nicht mehr Winter und noch nicht Frühling; bald taute es, bald trat wieder Kälte und Frost ein. Da wäre es schön gewesen, zu Hause zu sitzen oder hinter dem Schenktisch; statt dessen aber mußte sich Afonka mit allerlei verdächtigen Leuten aus der Vorstadt in Vergnügungslokalen herumtreiben, und das während der großen Fasten! Aber der nötige Helfer mußte gefunden werden. Lossew hatte auf drei Mann hingewiesen, die an den Markttagen die Preise der Pferde in die Höhe zu treiben pflegten, wenn es nötig war, hatte sich selbst aber zurückgezogen: er sei immer bereit, seinen Klienten einen guten Rat zu erteilen, doch sich an Kriminalsachen beteiligen, das tue er nicht, das erlaube ihm seine Berufsehre nicht, erklärte er.

Dazu war der alte Klimow wieder verreist, und Afonka mußte Maschenka des Nachts bewachen und zärtlich zu ihr sein. Bisher hatte sie sich wenigstens mit den nächtlichen Zusammenkünften im Hause begnügt, jetzt aber war ihr in den Sinn gekommen, sich mit ihm in Badestuben zu treffen. In der molligen Wärme, im Anzug des ersten Menschenpaares fühlte man sich dort geradezu wie im Paradiese, ja man vergaß ganz, daß man noch auf Erden weilte, wenn die Wellen der Seligkeit, der süßen Erbsünde über einem zusammenschlugen. Einst lag Maschenka nach dem Bade erschöpft und beglückt auf dem Diwan im Ankleideraum der Badestube und bemerkte wehmütig:

»Ach, Afonja, wie dumm wir doch waren … Das hätten wir ja auch machen können, wenn mein Alter da war! In Zukunft wollen wir klüger sein und unsere Liebe genießen, auch wenn er in der Stadt ist – noch süßer ist die Liebe, wenn ringsum Gefahren lauern!«

Als Klimow zurückkehrte, fragte er Afonka:

»Nun, hast du jemand gefunden?«

»Ich habe drei Mann ins Auge gefaßt, muß sie mir aber erst näher ansehen. Über das Nähere und den Preis ist noch nicht verhandelt worden.«

»Sieh zu, daß du zur Zeit fertig wirst.«

Dunja kam oft des Abends zu Afonka in die Kammer und hinterbrachte ihm jedes Wort, das der Alte gesagt hatte. Beim Abschied zögerte sie dann, schmiegte sich eifersüchtig an ihn, erschauerte unter seinen Küssen, flüsterte:

»Wenn es doch bald zu Ende wäre, Afonja! Bis zum Herbst ist es ja nicht allzu weit, aber ich kann Ihren Verkehr mit der Gnädigen gar nicht mehr ruhig mit ansehen – es verletzt mich so, und Sie verausgaben nur unnütz Ihre Kraft. Für die Gnädige ist es bloß Spiel, für mich ist es das Leben, und wenn Sie Ihre ganze Kraft ihr hingeben, was bleibt dann schließlich für mich übrig?! … Sie werden nachher gar nichts mehr von Zärtlichkeiten wissen wollen …«

»Jetzt haben wir nicht mehr lange zu warten …«

»Nicht mehr lange! Inzwischen aber vergnügen Sie sich mit der Gnädigen und gehen jetzt sogar mit ihr in die Badestube. Sie ißt jetzt kein Fleisch, hält streng die Fasten, aber wenn sie sich mit einem Manne in der Badestube austobt, dann denkt sie nicht ans Fasten.«

»Was macht es dir aus?«

»Mir?! Ich kann das nicht länger mit ansehen, hat sie mir doch gesagt, daß sie jetzt auch dann mit dir in der Badestube zusammenkommen will, wenn der Alte zu Hause ist. ›In der Seitzewschen Badestube treffen wir uns, Dunja‹, hat sie mir erklärt, ›ich sage es dir auf alle Fälle, damit du Bescheid weißt, wenn etwas vorfällt‹.«

Eines Abends teilte sie Afonka mit:

»Heute haben sie über die Drakins oder Grakins gesprochen, ich habe an der Tür gelauscht, konnte aber nicht alles verstehen. Um einen Wechsel handelte es sich. Er sagte, er wüßte nicht recht, was mit ihm machen, ob er ihn zum Schein verkaufen oder lieber bei sich behalten solle. Es sei keine Kleinigkeit, dreihunderttausend Rubel in fremde Hände zu legen, auch wenn es ein Vertrauensmann ist – wenn er nun mit dem Wechsel losziehe oder sonst was anstelle?«

»Was haben sie denn beschlossen?«

»Ich habe weiter nichts gehört, sie waren ans Fenster getreten … Der Alte brummte aber noch lange vor sich hin …«

Wieder verzehrte sich Afonka in Unruhe. Würde Klimow den Wechsel abschieben oder nicht? Wenn der Wechsel aus dem Schreibpult verschwand, war alles verloren, sein Leben lang würde er dann hinter dem Schenktisch sitzen und Maschenkas Gelüste stillen müssen! … Als er herkam, hatte er nicht gedacht, daß ihm das einmal zur Last fallen könnte. Im Kloster, bei dem satten Leben, waren die Mönche zum Frühling hin so liebesgierig, so ausgehungert, daß sie im Sommer lüstern durch den Wald streiften, sich wie reißende Tiere auf Kaufmannsfrauen stürzten. Zwar hatte er Atempausen während der Anwesenheit des Alten, aber sobald er wieder mit Maschenka zusammenkam, setzte sie ihm so ungestüm zu, daß selbst seine unerschöpfliche Manneskraft schließlich nachzulassen schien. Nein, seine Freiheit müßte er zurückhaben, mußte sie sich abringen vom Schicksal und zugleich Fenjas Retter werden!

 

In der Vorstadt besuchte Afonka mit den drei Burschen, die er ins Auge gefaßt hatte, verschiedene Lokale, spielte mit ihnen Karten, ließ sie zur Aufmunterung gewinnen, deutete bald dem einen, bald dem anderen an, daß er eine Sache für ihn habe – der rote Hahn müsse jemand aufs Dach gesetzt werden. Sie schraken zurück, erklärten, sie hätten keine Lust, ins Zuchthaus zu kommen, auch würde die Arbeit einen Batzen Geld kosten. Einer schien willig, trat sogar als Hanfschwinger in Drakins Fabrik ein, kundschaftete in der Fabrik und in den Speichern alle Ecken und Winkel aus.

»Sie haben da überall zuverlässige Wächter, Afanaßij Timofejewitsch, und feste Schlösser – es wird ein schweres Stück Arbeit sein.«

»Rück' mit dem Preis heraus.«

»Unter zwanzigtausend kann ich's nicht machen. Komme ich ins Zuchthaus, so ist's aus mit meiner Karriere, sie schreiben's einem in den Ausweis hinein … Gut, wenn ich mich aus dem Staube machen kann, sonst gelte ich mein Leben lang als Zuchthäusler.«

Petrowitsch hatte bald heraus, mit wem Afonka Unterhandlungen führte, und sandte den Kellner Wassilij zu den Burschen, um eine Zusammenkunft mit ihnen zu verabreden. Diese kam zustande, doch erfuhr Petrowitsch nur wenig von ihnen.

»Wir haben noch nichts Bestimmtes abgemacht, können uns über den Preis nicht einigen.«

»Laß die Hälfte ab, den Rest zahle ich dir.«

»Wofür das?«

»Ich will den Afonka ins Zuchthaus bringen, hat mich um meine Stelle gebracht, lebt mit der Gnädigen, und immer, wenn ich ihn überführen wollte, hat er mich hineingesetzt, ein geriebener Gauner! Ich will ihm den Garaus machen.«

Die Burschen grinsten, sagten ihm aber nichts Näheres. Sie wandten sich an Lossew um Rat, was sie tun sollten: Petrowitsch wolle es dem alten Klimow und Afonka einbrocken – wessen Partei sollten sie ergreifen?

Lossew erwiderte hitzig:

»Schafsköpfe seid ihr, das sieht man auf den ersten Blick! Von dem jungen, unerfahrenen Afonka könnt ihr doch mehr herausreißen; zieht die Sache in die Länge, um einen Druck auf ihn auszuüben. Eine Bombensache ist's, sage ich euch, so was kommt einem nicht jeden Tag unter die Hände; an solch einen Menschen muß man sich halten … Petrowitsch aber ist alt und gerieben, mit allen Hunden gehetzt, der zieht euch das Fell über die Ohren, während ihr noch mit ihnen wackelt – keinen roten Heller seht ihr von dem.«

So hatte Petrowitsch nichts ausrichten können, doch erhielt er auch weitere Nachrichten über die Angelegenheit durch Wassilij, dem es gelungen war, das Vertrauen der Burschen zu erwerben, indem er sich als Afonkas Anhänger ausgab – Petrowitschs Absichten seien ihm nicht bekannt gewesen – und den Burschen zuredete, sie möchten Afanaßij Timofejewitsch nicht zu arg mit dem Preise zusetzen, er sei ein gar zu guter Mensch.

 

Hin und her wurde Afonka gezerrt, drehte und wand sich wie ein Eichhörnchen im Rad zwischen Schenktisch, Maschenka und der Drakinschen Angelegenheit. Maschenka bestellte ihn sich jetzt, auch wenn der Alte zu Hause war, in die Seitzewsche Badestube, die an der Adelsstraße lag; durch die ganze Stadt mußte man fahren, um hinzukommen. Es war ein dreistöckiges Ziegelgebäude, dem gegenüber das neue Gefängnis, auch aus roten Ziegelsteinen gebaut, emporragte; auf beiden Seiten der Straße aber, zum Stadtinnern hin, wohnten die Adelsfamilien in ihren von Gärten umgebenen Villen. Petrowitsch war es nicht in den Sinn gekommen, Marja Karpownas Gänge zu beobachten, und wenn Afonka zu ihr in die Badestube ging, fuhr er mit der Straßenbahn hin. Wenn Petrowitsch ihn einsteigen sah, wußte er, daß es sich nicht um die Drakinsche Angelegenheit handelte, sondern wohl um Wirtschaftseinkäufe; das ging ihn nichts weiter an.

Kurz vor der Karwoche begann Kaßjan Parmjonytsch zu fasten und sich zum heiligen Abendmahl vorzubereiten, Marja Karpowna aber beschloß in die Badestube zu fahren und rief Dunja.

»Geh und sage Afanaßij Timofejewitsch, daß ich in die Badestube fahre, er weiß schon Bescheid.«

Dunja eilte hinunter in die Wirtschaft und flüsterte Afonka die Mitteilung zu. Afonka machte sich auf den Weg, und da es ein freundlicher Abend im April war, empfand er nach dem Tabaksqualm und dem Spirituosengeruch in der Wirtschaft den Wunsch, ein bißchen frische Luft zu schöpfen, und beschloß, zu Fuß hinzugehen. Petrowitsch folgte ihm von fern. Wenn man über den Hügel durch die Vorstadt ging, war es ganz nah. Der Weg führte durch stille Gäßchen an Zäunen und Gärten vorüber. Es war ein angenehmer Spaziergang; die Knospen waren im Entfalten, und von den Feldern draußen trug der Wind den Geruch frischgepflügter Erde herüber. Afonka schritt den Hügel hinauf, bog in die Adelsstraße ein; vor der Badestube ging er wartend auf und ab.

Petrowitsch stand im Schatten einer Pforte und dachte bei sich: Wie kommt er darauf, zu dieser Zeit in die Badestube zu gehen? … Er erwartet jemand. Den muß ich mir mal ansehen!

Eine kleine Weile war vergangen, da kam Marja Karpowna in einer Droschke vorgefahren. Petrowitsch erkannte sie am Gang, auch sah er Afonka auf sie zugehen. Die Freude verschlug ihm den Atem.

»Jetzt habe ich dich in der Falle! Mit dem Beweisstück in der Hand, sozusagen …«

So schnell er laufen konnte, eilte er den Berg hinauf. Als er zu Hause ankam, brannte in der Betstube des Alten Licht, also war er von der Abendmesse zurückgekehrt und betete. Petrowitsch schlich die Hintertreppe hinauf, die Tür war noch nicht abgeschlossen, schlüpfte in den Gang und klopfte an die Tür der Betstube.

Der Alte, in seiner Andacht gestört, trat zornig heraus.

»Was willst du?«

»Ich komme in einer vertraulichen Angelegenheit, Kaßjan Parmjonytsch.«

»Sprich gleich hier, niemand ist da. Was ist das wieder für eine vertrauliche Angelegenheit?«

»Ich weiß gar nicht, wie ich es sagen soll – es will mir nicht über die Zunge. Um Afonka handelt es sich … Damals habe ich Ihnen mitgeteilt, daß ich ihn im Schlafzimmer der gnädigen Frau gesehen habe, und heute bringe ich eine noch schlimmere Nachricht …«

»Nun?«

»Ich habe die beiden vor der Seitzewschen Badestube gesehen – sie sind zusammen hineingegangen.«

»Unsinn! Das kann nicht sein!«

»Ich kann es beschwören.«

»Laß anspannen, ich fahre hin. Du wartest hier.«

Petrowitsch eilte in den Stall, der Alte schlug die Tür zur Betstube zu, Dunja aber, die im dunklen Vorzimmer gelauscht hatte, warf ihr Jäckchen um und stürmte, so schnell wie die Füße sie tragen wollten, den Hügel hinauf, um vor dem Alten da zu sein. Wie ein Sturmwind eilte sie durch das Stockwerk, in dem die Einzelbäder lagen, und flehte fast weinend den Bademeister an, ihr zu sagen, in welchem Zimmer sich die beiden befänden.

»Du kennst sie ja, die Frau des Großkaufmanns Klimow, sie kommt oft her. Ich muß sie sprechen, zu Hause ist ein Unglück geschehen …«

Der Bademeister wies sie zurecht. Dunja klopfte. Marja Karpowna fragte hinter der Tür:

»Wer ist da?«

»Ich bin es, Dunja. Öffnen sie schnell, gnädige Frau – ein Unglück! …«

Die beiden hatten noch nicht gebadet, vorerst im Ankleidezimmer geplaudert. Marja Karpowna hatte noch ihren Rock an. Afonka mußte sich aber wohl schon entkleidet haben, denn man hörte ihn im Nebenraum mit den Messingschlüsseln klirren.

»Was ist geschehen, sprich!«

»Petrowitsch hat Ihnen nachgespürt, kam schnaufend zu Hause an, der gnädige Herr hat anspannen lassen, er muß jeden Augenblick eintreffen. Ziehen Sie sich rasch an.«

»Was tut man da?!«

»Ich bleibe hier und erkläre dem Herrn, Petrowitsch habe sich in der Dunkelheit geirrt. Mag Kaßjan Parmjonytsch mich anschreien, ich nehme es gern auf mich … Vergessen Sie nicht, dem Bademeister ein gutes Trinkgeld zu geben.«

Hastig zog Marja Karpowna sich an, klingelte dem Bademeister – er kam im Trab herbeigeeilt – und drückte ihm einen Zehnrubelschein in die Hand.

»Wenn jemand nach mir fragt, sagst du, ich sei nicht hier gewesen, verstehst du? Ich komme bald wieder, dann bekommst du ebensoviel. Wenn er durchaus hinein will, zeige ihm die beiden.«

»Seien Sie ganz unbesorgt, ich verstehe schon … Meine Hochachtung! …«

 

Die Badestube ist verschwiegen wie ein Grab, und die Bademeister sind stumm, als wären sie die Beichtiger der menschlichen Schwäche. Nimmt ein ehrwürdiger Familienvater ein Bad und drückt zweimal auf die Klingel, so erscheint statt des Bademeisters ein Mädel, man braucht bloß zweimal auf die Klingel zu drücken, und der Bademeister erhält zur Belohnung ein Trinkgeld von dem Herrn und einen Prozentsatz vom Verdienst des Mädels. Speziell zu diesem Zweck hielten sich immer einige Mädchen aus feinstem Hause in der Nähe auf, und wenn einmal alle belegt waren, jagte der Bademeister in einer Droschke in die Vorstadt nach einem Hause mit einer roten Laterne. Nach einigen Tagen kam dann wohl auch die Gattin mit den Töchtern, um ein Bad zu nehmen, und der Bademeister blickte so unbefangen, als wüßte er nichts davon, daß ihr Gemahl vor kurzem mit einem Mädel da war. Und kam die Gattin in aller Heimlichkeit mit dem Hausfreund, so erhielt der Bademeister ganze zehn Rubel, und das schloß ihm den Mund so fest, daß selbst der Untersuchungsrichter kein Wort aus ihm herausbringen konnte, geschweige denn der Herr Gemahl.

»Ich weiß nicht, wen Sie meinen, es kommen viele Leute her – wie soll man sich da zurechtfinden!«

Das Äußere der Verdächtigen wird beschrieben, ihr Gang, die Form der Nase, die Farbe der Augen, doch der Bademeister antwortet unbeirrt:

»Solche eine habe ich hier niemals gesehen.«

Nie verrät einen der Bademeister, denn wenn der Besitzer der Badeanstalt erfährt, daß der Mann unzuverlässig ist, wird er ohne weiteres entlassen, während er sehr an seiner Stelle hängt, hat er doch gerade durch solche Gäste hübsche Nebeneinkünfte. Sie bestellen sich Obst und Wein in die Badestube, woran er auch gut verdient, und geben reichliche Trinkgelder; schon um ihr Gewissen zu entlasten, sind sie gern bereit, ein Sühneopfer zu bringen …

 

Kaum war Marja Karpowna in der Dunkelheit hinter der Ecke verschwunden, als Kaßjan Parmjonytsch in seinem Wagen heranjagte.

Unterwegs überkam Maschenka zehrende Eifersucht. Bis jetzt war Dunja Mädchen geblieben – nach jener Nacht, als Maschenka sie selbst zu Afonka geschickt hatte, hatte sie Dunja mit aller Schärfe auf den Zahn gefühlt und wußte Bescheid. Und nun hatte sich Dunja selbst als Retterin angeboten, war aus eigenem Antrieb dageblieben; Maschenka biß sich grollend auf die Lippen. Wegen des Alten machte sie sich keine Sorgen, er hatte sie nicht erwischt und konnte ihr nichts nachweisen, im Gegenteil: Petrowitsch würde einen Denkzettel erhalten, was ihm sehr zu wünschen war. Und wenn der Alte sich heimlich Gedanken machte, so würde er doch nicht darüber hinweg können, daß er die beiden zusammen in der Badestube getroffen hatte. Nur eines fürchtete Maschenka, daß ihr Alter nun auf der Heirat der beiden bestehen würde. Dann wäre sie genötigt, wieder Pilgerfahrten nach dem Kloster zu unternehmen, um ihre Andachten zu verrichten, oder sich sonstwie einrichten.

Dunja hatte sich die Sache bereits unterwegs zurechtgelegt, als sie durch die Nacht stürmte. Alle ihre Besuche bei Afonka hatten bisher zu nichts geführt, bloß halb tot geküßt war sie immer von ihm auf ihre Truhe zurückgekehrt. Jetzt mußte es sich entscheiden: entweder liebte er sie nicht oder sie wurde sein, und er mußte sie heiraten.

 

Als die Tür sich hinter Maschenka geschlossen hatte, kleidete Dunja sich eilig aus. Während sie die Wäsche abstreifte, wurde ihr so bange, daß ihr Herz still stand und sie an nichts zu denken wagte. Ihr war, als stürze sie in einen Abgrund, als sie den Schlüssel zur Korridortür noch einmal umdrehte.

Afonka hatte Wort für Wort das Gespräch der beiden gehört, hatte etwas sagen wollen, aber nicht gewagt, nackt im Adamkostüm zu erscheinen – vor beiden – er wäre vor Scham gestorben! Die Tür schlug hinter Maschenka zu; nun mochte kommen, was kommen wollte … Abgerissen und wirr stürzten ihm die Gedanken durch den Kopf: Sich über das Mädel stürzen, sie müde, sie krank lieben? Sie nicht anrühren, sich nicht einlassen mit ihr? Und als er daran dachte, daß bald der Alte erscheinen würde und er Maschenka retten müsse, um sich selbst zu retten, wurde ihm ganz wirr im Kopf. Schließlich entschied er wütend, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Wenn Dunja sich ihm selbst an den Hals warf, konnte er sie nicht zurückweisen, sie waren alle miteinander verknüpft, und er brauchte das Mädchen als Helferin, wenn er den Schlüssel in der Betstube benutzen wollte. Und wenn sie erst sein war, würde sie mit ihm durch dick und dünn gehen als seine Braut, die Hoffnung auf eine baldige Heirat im Herzen.

Halb tot vor Angst und Bangigkeit schlüpfte Dunja in die Badestube und hing sich ihm mit geschlossenen Augen an den Hals. Die Kühle ihrer rosigen Haut versengte seinen Leib – die köstliche Nähe des sterblichen Fleisches fegte alles Grübeln hinweg …

Dann, als der Alte gegen die Tür zu donnern begann, wollte Afonka nicht mehr von dem Mädchen lassen; alles war vergessen – die kleine Fenja, Maschenka, der Alte, sich selbst und seine Pläne hatte er in den Armen des Mädels vergessen. Dunja kam erst zu sich, als das Gepolter an der Tür immer lauter wurde.

»Das ist er selbst, geh, Afonja, öffne. Mag er sie hier suchen.«

 

Kaßjan Parmjonytsch war schnaufend die Treppe hinaufgestiegen und hatte den Bademeister erwischt.

»Ist meine Gattin hier?«

»Ihre Gattin? Wer ist denn das?«

»Die Frau des Kaufmanns Klimow!«

»Eine ganze Menge Leute sind da – wie soll ich wissen, ob Ihre Gattin darunter ist? Vielleicht ist sie hier, warten Sie, allmählich kommen die Leute ja heraus.«

»Machst du dich lustig über mich? Antworte, sonst lasse ich die Polizei holen und schlage Krach.«

»Das gibt's bei uns nicht – wir müßten Sie hinausweisen.«

Der Alte ächzte vor Aufregung, zog einen Fünfrubelschein heraus, drückte ihn dem Bademeister in die Hand.

»Sie ist nicht allein hier, ein Mann ist mit ihr, ein rothaariger, baumlanger Kerl …«

»Stimmt, der ist mir aufgefallen – Zimmer fünf – da ist auch jemand bei ihm drinnen …«

Der alte Klimow stürzte hin, klopfte, donnerte dann gegen die Tür.

Die Leute steckten die Köpfe aus den Türspalten heraus, wechselten Flüsterworte, sahen dem Alten kichernd zu. Der Bademeister stand stumm wie eine Mumie daneben, bloß in seinen Augen hüpften lustige Fünkchen.

Schließlich erklang Afonkas Stimme wütend hinter der Tür:

»Was ist denn los?«

»Mach' auf, ich bin es, der Chef, Kaßjan Parmjonytsch.«

»Ich bin nicht allein, kann niemand hereinlassen.«

»Öffne, hörst du, was ich sage? Öffne oder ich schlage die Tür ein!«

»Na, schön, aber warten Sie einen Augenblick, ich will wenigstens ein Laken überwerfen … Was wollen Sie von mir? …«

Die Tür fiel hinter dem Alten ins Schloß; im Gang erscholl lautes Lachen; der Bademeister schmunzelte …

Kaßjan Parmjonytsch trat auf Afonka zu:

»Zeige sie mir, wo ist sie? Marja Karpowna, komm heraus, sonst hole ich dich! …«

Afonka stellte sich vor die Tür zum Baderaum.

»Kaßjan Parmjonytsch, ich lasse Sie da nicht hinein, versuchen Sie's lieber nicht. Nicht Marja Karpowna ist hier, wie kommen Sie nur auf den Gedanken?!«

»Ich muß sie sehen, ich gehe nicht eher fort von hier! Mascha, komm augenblicklich heraus, hörst du? Sonst komme ich hin und schlage dich tot.«

»Schämen Sie sich, Kaßjan Parmjonytsch! Zugegeben, ich habe gefehlt – wenn man den ganzen Tag im Wirtshaus sitzt, könnte man es leicht auch ärger treiben. Aber daß ich meinem Herrn und Gönner eine solche Schmach antun könnte – das ist doch undenkbar! Ich müßte ja selbst mein ärgster Feind sein, wenn ich so etwas täte! Ihr Vertrauen ist alles, was ich habe, das werde ich doch nicht leichtsinnig aufs Spiel setzen. In Ihrem Auftrage muß ich mit den Burschen in der Vorstadt bummeln, Mädels sind dabei, und da habe ich's denn selbst einmal nicht mehr ausgehalten. Aber meinem Gönner werde ich darum doch keine Schande antun! … Warten Sie hier, ich will ihr wenigstens ein Laken bringen, damit sie sich etwas zudecken kann.«

Doch der Alte konnte nicht mehr an sich halten … Als Afonka die Tür freigab, um das Laken zu holen, stürzte er in den Baderaum.

»Verdammte, wieder du! Du warst doch zu Hause?«

»Die gnädige Frau war in die Stadt gefahren, und Sie waren in die Betstube gegangen, da dachte ich, niemand würde es merken, wenn ich auf ein Stündchen verschwinde …«

»Afonka, komm her!«

»Seien Sie mir nicht böse, Kaßjan Parmjonytsch, im Herbst heirate ich sie … Dunja ist doch meine Braut.«

»Ach, das meine ich nicht! Sage mir offen und ehrlich: war sie hier? Ja, ja, meine Frau, Marja Karpowna?«

»Gott, Kaßjan Parmjonytsch, was meinen Sie denn eigentlich, wir wären alle drei zusammen hier gewesen?!«

»Da finde sich der Teufel zurecht!«

 

Als Kaßjan Parmjonytsch heimkehrte, saß Petrowitsch im Vorzimmer und wartete.

»Ist meine Frau nach Hause gekommen?«

»Nein, bisher nicht …«

Kaßjan Parmjonytsch stürzte über Petrowitsch her, denn an irgend jemand mußte er seine Wut auslassen, die ihn zu ersticken drohte.

»Du scheinst es dir in den Kopf gesetzt zu haben, mich vor der ganzen Stadt lächerlich zu machen. Sobald Afanaßij mit einem Weib zusammen ist, spukt meine Frau in deinem Duselkopf! … Einen schönen Freundschaftsdienst hast du mir da vor dem heiligen Abendmahl erwiesen!«

»Bei Gott, ich meinte, die gnädige Frau gesehen zu haben …«

»Was, du redest noch?«

Rasend vor Wut schlug ihm der Alte blindlings mit den Fäusten ins Gesicht.

»Daß dein Fuß morgen nicht mehr in meinem Hause ist!«

 

Über eine halbe Stunde lang schritt Kaßjan Parmjonytsch in der guten Stube erregt auf und ab, zerrte an seinem spärlichen Bärtchen, dachte laut:

»Sie war da, sie war bestimmt da … Steckt mit Dunja unter einer Decke …« Dann überkam ihn wieder Zweifel. »Aber das ist doch unmöglich! Dunja ist doch seine Braut … Mascha wird sich doch nicht mit ihrem Dienstmädchen in ihn teilen! Seine Dirne schmeiß ich hinaus, und meine soll auch was erleben …« Seine alte Regel kam ihm in den Sinn. »Man hängt den Dieb nicht, ehe man ihn gefangen hat … Will selber aufpassen … Soll einen Denkzettel kriegen, werde sie schon abfangen …« Ein anderer Gedanke warf wieder alles über den Haufen. »Wenn ich die Dunja fortjage, wird Afanaßij sich rächen, verrät mich noch an Drakin. Die Sache scheint vor dem Abschluß zu stehen, sie feilschen jetzt um den Preis …« Zuletzt beschloß er: »Im Herbst setze ich beide, Afonka und Dunja, vor die Tür. Werfe ihm die letzten Fünfzehnhundert hin … Troll' dich, Schweinehund, und sei mir, verdammtem Knechte Gottes, nicht böse darum …« Verletzt, im Innersten gekränkt fühlte er sich; Bitterkeit erfüllte ihn ganz, verdrängte alles andere. »Aus dem Schmutz habe ich ihn emporgehoben, zu einem Menschen gemacht. Nach zehn Jahren wäre er hier Herr gewesen – und so hat er mir gedankt! Die Stirn schlug er sich blutig bei seinen Verneigungen, bis Mitternacht sang er Psalmen …« Dann überkam ihn eine reumütige Stimmung, hatte er doch vor kurzem gebeichtet; seine eigenen Versündigungen, seine belastete Seele kamen ihm in den Sinn. »Vielleicht hat ihn wirklich das Wirtshaus vom rechten Pfade abgebracht – er wäre nicht der erste, den die Schenke auf dem Gewissen hat … Die Leute hier sind die wahren Halsabschneider, und die Sache mit Drakin, das Bummeln mit den Burschen aus der Vorstadt ist wirklich eine Versuchung … Ich verheirate ihn mit seiner Dunja. Wenn er aufmuckt, schleppe ich ihn selbst zum Pfaffen. Dann habe ich wenigstens ein gutes Werk im Leben getan …« Ganz in der Tiefe, nur halb bewußt, kam ihm der beruhigende Gedanke: »Wenn er erst verheiratet ist, brauche ich mir auch keine Sorgen mehr um meine Marja Karpowna zu machen, nicht mehr die Schande zu fürchten …«

Er bemerkte nicht, wie seine Frau zurückkehrte. Als sie ins Zimmer trat, sah er sie einen Augenblick verwundert an, fragte dann dumpf:

»Wo warst du so lange? …«

»Ich habe dir doch gesagt, daß ich in die Stadt gehe, Besorgungen machen … Ein Kleid zum Abendmahl habe ich mir bestellt.«

Und wieder sagte er wie damals beim ersten Male:

»Paß auf, Marja! Man hängt den Dieb nicht, ehe man ihn gefangen hat – fange ich dich aber, so klage dich selbst an!«

Bis Mitternacht betete der alte Klimow vor dem Bilde der Gottesmutter von Kasan.

Maschenka schluchzte in ihre Kissen. Wenn sie Afonka auch nicht wirklich liebte, so hatte sie sich doch an ihn gewöhnt, er war ihr unentbehrlich geworden mit seiner stürmischen Zärtlichkeit. Beruhigt lebte sie an seiner Seite dahin, war freundlich zu ihrem Manne, und wenn dieser des Nachts zu ihr kam, zärtlich wurde, sie aber nicht zu befriedigen vermochte, grollte sie ihm nicht, weil ihr Blut ruhig und gesättigt war. Wenn der Mensch das sinnliche Verlangen des Blutes gestillt hat, ist er gütiger, menschlicher, ist bereit, alles Kränkende zu vergessen, das aus unbefriedigter Sinnlichkeit entsteht, die wie ein Dämon in uns rast. Bitter schwer würde es ihr fallen, sich von Afonka zu trennen! Dunja liebte ihn, darum war sie in der Badestube bei ihm geblieben. Das hatte Maschenka gleich gespürt, als sie in jener Nacht das Mädchen zu ihm geschickt und dieses unberührt zurückgekommen war. Bitterer Schmerz hatte in ihrer Stimme gebebt, die tiefste Kränkung, die einem Mädchen widerfahren kann, das sich liebend hingeben wollte und von dem Geliebten verschmäht worden ist. Es gibt keine tiefere Kränkung als verschmähte Liebe; nur blindergebene Leidenschaft kann darüber hinweghelfen und der verzweifelte Entschluß, bis zum äußersten zu gehen. Diese verzweifelte Entschlossenheit hatte Maschenka an Dunja gespürt, als das Mädchen sich in ihrer Gegenwart in der Badestube zu entkleiden begonnen hatte. Nicht, daß Dunja als Siegerin über ihre Herrin frohlockt hätte, aber aus ihren Blicken hatte das Bewußtsein der Überlegenheit ihres Mädchentums gesprochen, dieser geheimnisvollen, sieghaften Macht über den Mann. Dem Anblick ihrer jungfräulichen Nacktheit würde Afonka nicht widerstehen können, das war Maschenka klar, und dann würde ihr die erlösende Befreiung ihres schwachen Fleisches durch seine Leidenschaft nicht mehr zur Verfügung stehen …

Erst um Mitternacht kehrte Afonka mit Dunja in seine Kammer zurück. Er behielt das Mädchen bis zum Morgen bei sich, nicht, weil er sie liebte, sondern weil er wie ein Rauschsüchtiger sich nicht satt trinken konnte an ihrer Unschuld.

Am nächsten Morgen fragte Maschenka Dunja bloß:

»Er hat dich genommen? … Ja?«

Das Mädchen antwortete nicht, blickte ihre Herrin nur kurz und böse an, als hätte Maschenka mit schmutzigen Händen an etwas Zartes in ihrem Herzen gerührt, doch nicht verletzt fühlte sich Dunja, Haß gegen ihre Herrin erwachte in ihr.

Maschenka hatte der Blick genügt, um klar zu sehen. Trotzdem holte sie aus ihrer Kommode ein altertümliches gestanztes Schmuckkästchen hervor, setzte sich auf einen Schemel am Ofen, öffnete das Kästchen und rief Dunja zu sich.

»Komm her, Dunja, wähle dir aus, was dir gefällt, es soll mir um nichts leid sein – du hast mir gestern das Leben gerettet … Verstehst du – das Leben …«

»Ich will nichts haben … Was sollte ich damit!«

»Wenn du dafür nichts annehmen willst, so wähle dir ein Schmuckstück als Hochzeitsgeschenk.«

Maschenkas Stimme bebte; die ganze Bitterkeit, die sich in ihrem Herzen angesammelt hatte, klang aus ihren Worten. Dunja spürte es und trat, obwohl zögernd und unwillig, näher und wählte ein schlichtes Ringlein mit Türkisrosetten.

Beide fühlten, daß sie Feinde und doch miteinander verknüpft waren.

 


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