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56. Die Erde.

Wir liegen also auf der Mondoberfläche und sehen, wie die Sonne ihre Strahlen auf die Erde fluten läßt. Aber diese leuchtet nicht wie ein silberweißer Schild uns entgegen, sondern das Licht spielt auf ihr in grellen Farben. Es sieht fast so aus, als bestände sie aus dünnem Porzellan, das von innen heraus durch eine riesige elektrische Lampe erhellt wird. So schwebt sie über uns, grell gegen den nachtschwarzen Himmel abstechend. Sie verbreitet ein so starkes Licht, daß die Nacht auf dem Monde durchaus nicht dunkel ist. Die Erde erscheint vom Monde aus gesehen 13½ mal so groß wie der Mond von der Erde aus. Daher ist das auf die Mondoberfläche fallende Erdlicht so stark, daß es von der Erde aus mit bloßem Auge sichtbar ist, sobald der Mond seine Hörner über dem Horizont der Erde erhebt.

Warum aber ist der kreisrunde Rand der Erde nicht ganz klar und scharf? Das kommt von der Brechung des Sonnenlichts in der Lufthülle, die ihre Oberfläche umschließt. Und warum sieht in diesem Augenblick die ganze Erde glänzend grün wie Malachit aus? Nun, sie kehrt dem Monde gerade den Stillen Ozean zu. Deutlich sieht man Hawaï und Tahiti und zahllose andere Inseln. Und die weißen Streifen, die ihren Gürtel um den Äquator spannen? Das sind Wolkenmassen, die der Passatwind über das Meer hinjagt. Droben im Norden sind die Beringstraße zwischen Alaska und Asiens Ostkap erkennbar, und noch weiter nördlich glänzt ein großer weißer Fleck – das ist das Packeis um den Nordpol herum.

Wie aber erklärt sich das blendende Licht, das von der Mitte der Erde auszugehen scheint und so scharf ist, daß unsere Augen es nicht ertragen können? Das ist das Spiegelbild der Sonne im Stillen Ozean. Es blitzt wie eine Diamanteninsel im Meer, und sein Gefunkel ist fast ebenso blendend wie die Sonne selbst.

Die Stunden verrinnen, und wir sehen deutlich, wie sich die Erde von Westen nach Osten um ihre Achse dreht. An ihrem Ostrand verschlingt die Dämmerung allmählich die gewaltigen Wasserfelder des Stillen Ozeans; sie treten nun in die Nacht ein, die auf der andern Hälfte der Erde herrscht. Und an ihrer Stelle kommen vom Westrand her hellere Gürtel herauf. Hier ist Kamtschatka, Japan und Korea und dort die mächtige Brücke der Sundainseln, die nach dem glänzenden Festland Australien hinüberführt. Nun geht die Sonne über Siam und Malaka auf. In den Dschungeln des Gangesdeltas bricht ein neuer Tag an, und die wilden Elefanten, die über Nacht im Stehen geschlafen haben, begrüßen das Tagesgestirn mit gellenden Trompetenstößen, die durch die Wälder Indiens und Ceylons schmettern. –

Nach sieben Stunden ist ganz Asien langsam in unsern Gesichtskreis hineingeglitten. Auf der nördlichen Halbkugel herrscht der Sommer. Asien schillert in zahlreichen Farben, die bald lebhaft und rein, bald gedämpft und unklar sind. Die indischen Halbinseln, China und Japan erscheinen scharf grün, noch dunkelgrüner als vorher der Ozean. Der größte Teil Asiens aber ist leuchtend gelb – das sind die Wüsten im Innern dieses Kontinents. Zwischen dem Grünen und dem Gelben ziehen sich mächtige graue Gürtel hin, die Bergketten Tibets und Hochasiens, die hier und da mit weißen Streifen von ewigem Schnee gezeichnet sind, der Himalaja und mein lieber Transhimalaja!

Nun betrachtet Indien genauer! Seht ihr die großen weißen Flecke, die aus Südwesten heransegeln? Die Westküste Indiens erscheint wie verwischt, und die weiße Farbe verschlingt langsam die grüne. Die weißen Felder scheinen lange Ausläufer nach Tibet hineinzustrecken, dort aber verblassen sie, und zu den Wüsten im Innern gelangen sie nie. Diese weißen Felder, die über die Erdoberfläche hingleiten, sind die regenschweren Wolkenmassen des Südwestmonsuns.

Und nun die scharfen Linien im Herzen von Asien? Das sind die Wälder des Tarim und der Lop-nor. Und warum nur verschwinden sie jetzt langsam? Der gelbe Wüstenton scheint sie allmählich zu bedecken. Das ist gewiß ein Sandsturm, der mit ungeheurer Geschwindigkeit über die Wüste dahinjagt. –

Zwischen dem Persischen Golf und dem Roten Meer wird das gelbe Arabien sichtbar, und nördlich davon zeichnen sich drei scharfe, dunkelblaue Flecke ab, der Aralsee, das Kaspische und das Schwarze Meer.

So ist der Anblick Asiens vom Monde aus im Sommer. Welch anderes Bild würden wir sehen, wenn wir Zeit hätten, den Winter abzuwarten! Ganz Sibirien ist dann kreideweiß von Schnee, und die weißen Streifen aus den Gebirgen haben an Breite und Umfang zugenommen. Im Herbst wieder schimmern die vorhin so grünen Laubwälder strohgelb und rot, und wenn ihre Blätter gefallen sind, erscheinen sie vom Monde aus als hellgraue Gürtel und Flecke.

Wieder vergehen einige Stunden, und ganz Europa tritt aus dem Dunkel hervor. Das Morgenlicht streicht wie Fackelschein von Osten nach Westen über unsern Erdteil. Nun wandern die weißen Männer und Frauen zur Arbeit, nun beginnen alle Hämmer und Maschinen in den Fabriken zu schlagen und zu surren, und das geräuschvolle Leben in den Großstädten erwacht aufs neue. Wir unterscheiden deutlich unsere Heimat im Herzen Europas, und wir sehen Italien in das dunkelblaue Mittelmeer hinauszeigen wie eine gegen die Küste von Tripolis gerichtete Pfeilspitze.

Südlich davon dehnt sich ein gewaltiges Feld gelb wie die Wüste Gobi aus; das ist die Sahara, und noch weiter südwärts liegt, gefleckt wie das Fell einer Hyäne, der Sudan. Um den Äquator herum erscheint Afrika durch seine Urwälder dunkelgrün, und die sich verschmälernde Südzunge dieses Weltteils schimmert in gelben und grauen Farbentönen.

Es ist Mittag über Europa und Afrika, und langsam gleiten beide Erdteile dem Abend entgegen, der sie unserm Auge wieder verhüllt. Wenn dann der breite grüne Gürtel des Atlantischen Ozeans, der sich von Pol zu Pol über die ganze Erde hinzieht, in unsern Gesichtskreis tritt, blendet uns wieder das Spiegelbild der Sonne in der Oberfläche des Meeres.

Südlich vom Äquator kommt der brasilianische Keil Südamerikas hervor, und bald werden im Norden Neufundland und Labrador sichtbar. Noch einige Stunden, und in ganz Amerika herrscht heller Tag. Dann sind die Bewohner der neuen Welt an der Arbeit, während in der alten Welt alles schon schlummert oder sich auf die Nacht vorbereitet.

Aber auch Amerikas Tag geht zu Ende. Am äußersten Ostrand der Erde glüht noch die Abendsonne auf den Gipfeln der Anden, aber auch sie verschwinden in der Dämmerung ebenso wie die Felsengebirge, und dann kommt wieder das große malachitgrüne Feld, der Stille Ozean. Die Erde hat eine Drehung um ihre Achse vollendet. –

Wir aber warten geduldig in der Bucht der Mitte. Endlich nähert sich die lange Mondnacht ihrem Ende. Ein kleiner, scharf glänzender Lichtpunkt zeigt sich in unserer Nähe, einige tausend Meter über der Oberfläche des Mondes. Er wächst langsam, und andere Punkte beginnen silberweiß zu scheinen. Die ausgehende Sonne beleuchtet die höchsten Spitzen der Ringberge. Aber noch dauert es eine gute Weile, bis der oberste Rand der Sonnenscheibe selbst sich über dem Horizont des Mondes erhebt. Kein Morgenrot streut seinen Purpurschimmer auf die kahlen Berge ringsum, kein Farbenspiel zeigt sich im Weltenraum, und nicht das kleinste goldene Wölkchen segelt über den Horizont. Ganz plötzlich kehrt hier die Sonne zurück, und keine gedämpften Töne mildern hier den Übergang zwischen Tag und Nacht. Wieder werfen die Berge lange, tintenschwarze Schatten, die Kälte verschwindet mit einem Schlag, und wir schmoren in glühender Hitze. Nun geht die Grenze zwischen Licht und Schatten auch über die Bucht der Mitte – dann sagen sie auf Erden, daß der Mond im ersten Viertel sei.

Betrachten wir wieder unsere Erde, so zeigt auch sie nur die eine Hälfte ihrer dem Monde zugekehrten Scheibe. Die andere liegt unter nächtlichem Schatten. Sie gleicht daher einem gewaltigen Halbmond; aber sie ist vom Mond aus gesehen im letzten Viertel. Und nun sehen wir noch deutlicher als vorher, wie Weltteile und Weltmeere der Reihe nach in das Dunkel der Nacht eintreten. Nur der Nordpol erfreut sich eines Tages, der sechs Monate währt; zu gleicher Zeit herrscht am Südpol eine Nacht, die ebenfalls ein halbes Jahr dauert.

Nach einer Woche steht die Sonne wieder über uns im Zenit. Dann ist die Erde verschwunden, denn jetzt kehrt sie dem Mond ihre ganze Nachtseite zu. Wenn wir auf der Erde Vollmond haben, ist auf dem Mond »Neuerde«; die Erde wiederum ist voll, wenn der Mond dunkel ist.

Wenn wir aber die Sonne mit der Hand verdecken, so daß sie unsere Augen nicht blendet, können wir auch jetzt die Erde noch unterscheiden. Die Kugel selbst und ihre Randlinie sehen wir freilich nicht, statt dessen aber unzählige kleine Lichtpunkte, die uns ihre Lage verraten. Einige sind gelbrot, andere blauweiß; das sind die Lavaseen des Kilaueas und ähnliche rote Fackeln in dem Ring von Vulkanen, der die Küsten des Stillen Ozeans umgibt. In Nordamerika und Afrika leuchtet hier und da ein Prärie- und Savannenbrand, und Großfeuer, die Europas Wälder verzehren, sind bis zum Monde hin sichtbar. Der bläuliche Schein, der sich in zahllosen kleinen Tüpfelchen bemerkbar macht, ist das elektrische Licht in Berlin, Hamburg, Paris, London, Neuyork und andern Großstädten der Erde!

Die Gluthitze um uns hat ihren höchsten Grad erreicht. Jetzt nähert sich vor unsern Augen die Sonne der Erdkugel! Schon ist sie am Rand der Erde angelangt, und nun verkleinert sich die Sonnenscheibe langsam, um schließlich ganz zu verschwinden. Dann wird es auf dem Monde wieder kalt und dunkel. Der Erdschatten schreitet über die Fläche des Vollmonds hin; die Erdbewohner nennen das eine Mondfinsternis. Aber lange dauert es nicht, und die Sonnenscheibe tritt am entgegengesetzten Rand der Erde wieder hervor, die Finsternis ist vorüber, und der Erdschatten verliert sich wieder als spitzer Kegel im unendlichen Weltenraum.


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