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52. Der Südpol.

Kaum hundert Jahre sind es her, daß europäische Seefahrer sich der Küste des geheimnisvollen Festlandes zu nähern begannen, das den Südpol der Erde umgibt. James Roß, der im Jahre 1831 den magnetischen Nordpol entdeckt hatte, fuhr zehn Jahre später mit den beiden berühmten Schiffen, dem »Erebus« und dem »Terror«, die dann 1846 bei der unglücklichen Franklin-Expedition im ewigen Nordpoleis versanken, an der Küste des südlichsten aller Meere entlang, des Meeres, das noch jetzt seinen Namen trägt. Er entdeckte auf dieser Fahrt einen über viertausend Meter hohen tätigen Vulkan und gab ihm den Namen »Erebus«; ein erloschener Vulkan, den er gleichfalls entdeckte, wurde »Terror« getauft. Aber weiter kam er nicht als bis an die hohe Eisbarriere, den Rand des Inlandeises, der stellenweise achtzig Meter Höhe erreichte.

In weit späterer Zeit begann ein heftiger Wetteifer zwischen den Nationen Europas um die Erforschung des »sechsten Weltteils«, und auch Schweden beteiligte sich an diesen Versuchen.

Der Dampfer »Antarctic« war ein alter, erprobter Walfischfänger, dessen Kiel sowohl nördliche wie südliche Meere durchpflügt hatte, um Spitzbergen herum und an der Ostküste Grönlands entlang gefahren war. Aus diesem Schiff verließen Otto Nordenskjöld und seine Kameraden im Herbst des Jahres 1901 Gotenburg. Der Kapitän hieß Larsen, und unter den Teilnehmern befanden sich Dr. I. G. Andersson und Leutnant Duse.

siehe Bildunterschrift

Die Gebiete um den Südpol.

Die Fahrt ging über den Atlantischen Ozean nach Buenos Aires; die in immer gleichem Grün prangenden Wälder des Feuerlandes blieben in einiger Entfernung liegen, und am Neujahrstag 1902 ging das Schiff von Kap Hoorn aus nach Süden. Schon nach zehn Tagen gelangte man zu vereisten Inseln und bald darauf an das antarktische Festland; sein Eisrand, der sich im Westen hin zeigte, war höher als die Masten der »Antarctic«.

Im Sommer ließen sich Nordenskjöld und fünf seiner Kameraden auf einer Insel, die sie den Schneehügel nannten, ans Land setzen. Hier schlugen sie ein aus Schweden mitgebrachtes Holzhaus auf und legten Proviant auf zwanzig Monate nieder, denn so lange wollten sie auf der wüsten Insel bleiben, Beobachtungen anstellen und Ausflüge zu Forschungszwecken in der Umgegend machen. Nach Ablauf dieser Zeit sollte die »Antarctic« wiederkommen und sie abholen.

Der bald eintretende Winter brachte grimmige Kälte; jeder Wassertropfen im Haus gefror, Eisklumpen bildeten sich in allen Ecken, Schimmel überzog die Wände des Hauses, und alles wurde feucht und widerwärtig. Das beeinträchtigte jedoch die gute Laune der Ansiedler nicht, die von früh bis spät innerhalb und außerhalb ihres Hauses in eifriger Tätigkeit waren. Der Frost knarrte in den Eckbalken, und es war keine Kleinigkeit, bei 40 Grad Kälte durch den schneidenden Wind und das mehlfeine Schneegestöber zu dem aufgeschlagenen Observatorium zu gelangen. Oft sauste der Wind mit einer Geschwindigkeit dahin, wie sie die Brieftaube und der Adler erreichen, mit dreißig Meter in der Sekunde, das ist viel schneller als Schnellzüge und Rennpferde dahineilen. Auf der Windseite schmetterten kleine Steine gegen die Hauswand, und einmal entführte der Sturm das größte Boot eine ganze Strecke weit über die Eisblöcke und zersplitterte es vollständig.

siehe Bildunterschrift

Andersson auf der Wanderung zu den Schneehügeln.

siehe Bildunterschrift

Eisberge im Südpolarmeer

Beim Eintritt des Frühlings, im September, machten die Forscher Jagd auf Seehunde und Pinguine, um Proviant für den nächsten Winter zu haben, und einen Monat später begaben sich Nordenskjöld und einer der Gefährten auf eine Schlittenreise über das Eis in nördlicher Richtung. Man kann sich leicht ihre Verwunderung vorstellen, als sie nach mehrtägiger Fahrt über die endlose Eiswüste und nach zwanzigmonatiger Einsamkeit mit einemmal drei schwarze Punkte erblickten, die sich ihnen durch den Schnee hindurch näherten! Zuerst glaubten sie, es seien Pinguine; dann aber war deutlich zu erkennen, daß es Menschen waren! Die Ankömmlinge waren bärtig, kohlschwarz, ganz zerlumpt und unheimlich anzusehen, und was konnte es seltsameres geben, als hier auf diesem öden, natürlich unbewohnten Polarland plötzlich Menschen zu begegnen! Das Rätsel löste sich aber bald: Die drei Männer waren die Kameraden Andersson, Duse und der norwegische Matrose Gundersen, und ihre Wanderung hatte folgende Veranlassung gehabt:

Als der Dampfer »Antarctic« aus wärmeren Meeren zurückkehrte, um Nordenskjöld und seine Gefährten aus ihrer freiwilligen Gefangenschaft auf der Schneehügelinsel zu befreien, ließen sich diese drei Männer in der Hoffnungsbai absetzen, um sich von da aus zu Fuß nach dem Schneehügel zu begeben. Den Dampfer selbst hinderte das Eis, bis dahin durchzudringen. Mit unzureichenden Lebensmitteln versehen, mußten die drei Männer den Winter in einer erbärmlichen Steinhütte zubringen, die sie gebaut hatten, und die in ihren Vorräten entstehenden Lücken füllten sie mit dem Fleisch der Robben und Pinguine aus, die sie erbeuteten. Erst im Frühling konnten sie den Versuch machen, nach der Schneehügelinsel vorzudringen, und das Glück war ihnen günstig. Noch ehe sie ihr Ziel erreicht hatten, trafen sie, wie eben berichtet, auf Nordenskjöld und seine Begleiter. Ihre Überraschung war nicht geringer als die seine, und in der fröhlichsten Stimmung begaben sich nun alle miteinander nach der Station zurück.

Wie oft wird nicht Erfolg oder Mißerfolg einer Reise durch eine Kette von Zufällen entschieden! Durch die tückische Laune des Zufalles verunglückte Burkes Durchquerung von Australien, der wir aus unserer ersten Reise »Von Pol zu Pol« gedacht haben. Den Männern der »Antarctic« aber war der Zufall hold. Nur das Schicksal des Schiffes selbst war traurig.

Nachdem Kapitän Larsen jene drei, Andersson und seine Gefährten, in der Hoffnungsbai ans Land gesetzt hatte, versuchte er, auf einer äußeren Fahrstraße weiterzukommen; er dampfte an der Pauletinsel im Nordosten der Schneehügelinsel vorbei und fuhr dann südwärts, wurde aber wieder vom Treibeis gepackt. Ein Sturm aus Süden preßte das Schiff wie mit Schrauben in das Eis hinein und trieb es mit ihm wieder nordwärts. Ein gewaltiger Eisblock drängte sich unter den Boden der »Antarctic«, zerbrach das Steuer und den Kiel und zertrümmerte einige Rumpfplanken, so daß das Wasser in den Schiffsraum hineinströmte. Die Bemannung versuchte, die Lecke zu stopfen, und die Pumpen waren in fieberhaftem Gang. So trieb die »Antarctic« drei Wochen lang mit dem Eis umher. Dann wurden die Schollen spärlicher, und man hißte nun die Segel, um wenigstens zu versuchen, ob man noch die Pauletinsel erreichen könnte. Gelang es, das Schiff rechtzeitig auf Land auflaufen zu lassen, so wären alle Sammlungen und alles an Bord Befindliche gerettet worden. Boote, Proviant und Waffen dagegen schaffte man auf das Eis, und zwar im letzten Augenblick! Denn jetzt füllte sich das Schiff mit einem Male schnell mit Wasser und sank langsam immer tiefer, bis zuletzt der Wimpel des Mastes mit dem Namen »Antarctic« in den eisigen Wellen verschwand. So gesellte sich auch dieses Schiff der großen Flotte zu, die in den letzten Hafen drunten auf dem Meeresboden eingelaufen ist.

Die Schiffbrüchigen zogen nun ihre Boote über das Eis, schoben sie, als sie seinen Rand erreicht hatten, ins Wasser und nahmen so viel Proviant mit, wie nur hineinging. Der Rest sollte später abgeholt werden. Sie erreichten auch glücklich die Pauletinsel. Aber in der Nacht erhob sich ein schwerer Nordweststurm; hätte er sie noch in den Booten oder gar auf dem Eis überfallen, so wären sie verloren gewesen! Was an Kisten und Vorräten auf dem Eis zurückgelassen worden war, flog wie Spreu vor diesem Sturm davon.

Wohl oder übel mußte sich die Mannschaft in ihr Schicksal fügen. Sie baute sich eine Steinhütte, die sie mit Segeltuch und mit Robbenfellen bedeckte, und lebte von Pinguinen und Seehunden. Was unterdessen aus den Männern wurde, die auf dem Schneehügel auf Entsatz warteten, daran wagte niemand zu denken.

Nach acht Monaten endlich konnte Larsen mit fünf Kameraden aufbrechen, und er begab sich zuerst nach der Hoffnungsbai. Hier meldete ihm ein zurückgelassenes Schreiben, daß Andersson, Duse und Gundersen auf Schneeschuhen nach dem Schneehügel gegangen seien. Nun eilten auch er und seine Begleiter dorthin. Das Glück war ihnen günstig, wenige Stunden vor ihrer Ankunft war ein argentinisches Schiff an der Schneehügelinsel gelandet, und so konnte die ganze Schar, zwar ohne ihre »Antarctic«, aber doch mit reichen Forschungsergebnissen in ihre Heimat zurückkehren.


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