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40. Alexander von Humboldt.

Seit der Räuber Pizarro das Reich der Inka zerstört hatte, warf sich die Unternehmungslust der spanischen und portugiesischen Konquistadoren auch auf den südamerikanischen Kontinent, dessen ungeheure Ausdehnung den Kolonisten und Geographen erst langsam zum Bewußtsein kam. Die indianische Bevölkerung zog sich nach heftigen Kämpfen mehr und mehr in das Innere zurück, wo undurchdringliche, fieberschwangere Urwälder und endlose dürre Grassteppen, die Llanos, die wirksamste Wehr gegen die beutegierigen Eindringlinge bildeten. Die Küstenstriche waren bald bevölkert und kolonisiert, Europäer und Kreolen, Indianer und Mulatten teilten sich in das Land, das von den aus Afrika eingeführten Sklaven in harter Fron bestellt wurde.

Tiefer in das Innere des Landes, den Heerstraßen der großen Ströme folgend, drangen nur die Missionare der Jesuiten und später der Kapuzinermönche; aber Moskitos und Krokodile, Ameisen und Jaguar machten den wenigen Europäern das Leben zur Plage, und sie erstickten geradezu in der unerschöpflichen Vegetation, die sie erdrückend umgab. Wenige Palmstielhütten um ein hölzernes Kreuz und daneben ein Missionshaus aus Bambus galten als Dörfer oder gar Städte und wurden mit stolzen Namen in die Landkarten eingetragen, die man willkürlich mit Flußläufen und Gebirgen ausfüllte, um keine weißen Flecke auf der Karte zu behalten, und die Kabinette von Spanien und Portugal stritten sich mit großem Aufwand von List und Diplomatie um die Grenzen ihrer fernen Besitzungen, die niemand kannte und die in Wirklichkeit noch immer den Eingeborenen und der Tierwelt Südamerikas gehörten.

Dieses Dunkel, das noch zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts über Südamerika lastete, reizte einen deutschen Gelehrten, dessen Name mit der Entdeckungsgeschichte jenes Weltteils für alle Zeiten unlösbar verknüpft ist. Es ist Alexander von Humboldt. Er entwarf die erste zuverlässige Karte Südamerikas; während einer fünf Jahre dauernden Forschungsreise in das Innere folgte er dem Lauf der Ströme und zeichnete er die Konturen der Gebirge; er bestimmte Fauna und Flora, machte Studien über klimatische Verhältnisse, über Erdbeben und Vulkanausbrüche, stellte die Lage der einzelnen Ortschaften nach den Längen- und Breitengraden fest und gab den Kolonialstaaten wertvolle Winke für die Entwicklung ihrer Ansiedelungen. Diese Reise Humboldts kostete ihn mehr als 100 000 Mark, fast die Hälfte seines Vermögens, aber sie verschaffte ihm einen Weltruhm und machte ihn unsterblich; vielleicht hat es niemals einen Gelehrten gegeben, der sich Zeit seines Lebens in allen fünf Erdteilen einer solchen Popularität erfreute, wie Humboldt!

Am 14. September des Jahres 1769, in dem auch Napoleon und sein Besieger Wellington zur Welt kamen, wurde Humboldt in Berlin geboren. Mit seinem Bruder Wilhelm, der gleichfalls am Himmel deutscher Wissenschaft als Stern erster Größe leuchtet, erhielt er eine sorgfältige Erziehung. Aber der künftige große Entdeckungsreisende, der sich später den äußersten Strapazen gewachsen zeigte, war in seiner Jugend so zart und schwächlich, daß seine Erzieher ihn nicht allzusehr mit Lernen quälen mochten. Während Bruder Wilhelm von Kind auf hervorragende Begabung zeigte, schien es bei Alexander zweifelhaft, ob er es jemals zum Besuch einer Universität bringen werde. Aber eine leidenschaftliche Liebhaberei verriet sich schon in dem ernsten und schüchternen Knaben: er sammelte mit unermüdlichem Eifer Käfer und Schmetterlinge, Steine und Muscheln, preßte Pflanzen und verwaltete seine Schätze in Kästchen und Schachteln mit so peinlicher Ordnung, daß er den Scherznamen »der kleine Apotheker« erhielt. Erst mit den zunehmenden Jahren festigte sich seine Gesundheit so weit, daß er von den besten Lehrern Berlins gemeinsam mit dem Bruder für die Universität vorbereitet werden konnte, die er 1787 in Frankfurt an der Oder bezog.

Der Vater war schon früh gestorben, und der Wille der Mutter bestimmte den jüngern Bruder Alexander zum Staatsmann, während sich der ältere der Rechtswissenschaft widmen sollte. Deshalb studierte Alexander zunächst das Finanzfach; als er aber dann nach Göttingen kam, wandte er sich seinen geliebten Naturwissenschaften zu und befreundete sich dort eng mit dem Südseereisenden Georg Forster, mit dem er eine durch Forsters Schilderung berühmte Rheinreise machte und England und Frankreich besuchte. Dieser anregende Verkehr mit einem so glühenden Bewunderer der Tropenwelt, wie Forster war, weckte in Humboldt eine leidenschaftliche Sehnsucht nach den Ländern jenseits des Äquators, und die Lektüre einer kleinen Erzählung des französischen Schriftstellers de Saint-Pierre, die eine der Inseln der Südsee zum Hintergrund hat, wurde ihm ein unvergeßliches Erlebnis. Diese Erzählung ist wohl jedem meiner Leser bekannt, sie heißt »Paul und Virginie« und ist eines der verbreitetsten Bücher der Welt.

Während dann Humboldt eine Handelsakademie in Hamburg und die Bergakademie zu Freiberg besuchte, verlor er seinen Jugendtraum, Entdeckungsreisen in fremde Länder zu machen, nicht aus den Augen, und alles, was er in diesen Jahren studierte, sollte nur dazu dienen, umfassende wissenschaftliche Resultate von den geplanten Reisen vorzubereiten. Anfang 1792 wurde er Assessor im Departement für Bergbau und Hüttenbetrieb, und in königlichem Auftrag bereiste er die Bergwerke in den fränkischen Fürstentümern, die Steinsalzgruben Oberbayerns und das Salzkammergut. Geologie, Physik und Naturwissenschaft waren seine Lieblingsstudien, und seine ersten Bücher brachten ihn schon mit den größten damaligen Gelehrten in Briefwechsel oder persönliche Berührung.

Der Tod der Mutter im Jahre 1796 setzte die beiden Brüder in den Besitz eines ansehnlichen Vermögens. Damit war für Alexander die Zeit gekommen, seine Jugendträume zu verwirklichen. Er schüttelte die Fesseln seines Amtes ab und begab sich auf Reisen. Mehrere Versuche, Anschluß an wissenschaftliche Expeditionen zu finden, schlugen fehl; er beschloß daher, auf eigene Faust auf Entdeckungen auszugehen. Bei einem Aufenthalt in Paris hatte er den französischen Botaniker Aimé Bonpland kennen gelernt, und ein längerer Aufenthalt in Spanien verschaffte ihm die Gunst des spanischen Hofes, den er für seine Pläne mit Erfolg zu interessieren wußte. Damit hatte er den Schlüssel zu Südamerika und zu allen spanischen Besitzungen im Stillen Ozean in der Hand, und am 5. Juni 1799 schiffte er sich mit seinem Freunde Bonpland zu einer auf Jahre berechneten großen Entdeckungsreise ein.


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