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32. Kaiser Maximilian von Mexiko.

Fast drei Jahrhunderte lang blieb das von Cortez unterworfene Mexiko die wertvollste Kolonie der spanischen Krone, und trotz mancher Empörungen gegen die Gewalttätigkeit und Habsucht der spanischen Vizekönige gelang es diesen noch immer, sich in dem ehemaligen Reiche Montezumas zu behaupten. Die blutige Religion der Azteken war durch das Christentum siegreich verdrängt, aber mit ihr waren auch die tapfern und tüchtigen Indianerstämme zugrunde gegangen, die einstmals die Hochebene von Anahuac reich bevölkerten und ein nach ihren Begriffen glückliches Dasein führten. Nach und nach wurden sie in die unzugänglichen Schlupfwinkel der Urwälder und Gebirge verdrängt, und spanische Sitte und Lebensart gelangten zur unumschränkten Herrschaft. Die meisten Indianer ließen sich von den katholischen Missionaren taufen, die spanischen Ansiedler übernahmen die Bewirtschaftung und Ausbeutung des Landes, und neben den im Lande selbst geborenen Europäern, den sogenannten Kreolen, wuchs eine neue Mischlingsbevölkerung empor, die im Lauf der Jahrhunderte sich so weit ausbreitete, daß Mexiko heute zur Hälfte ein Mestizenstaat geworden ist. Nicht die Vorzüge, wohl aber die Fehler der lateinischen und mexikanischen Rasse haben sich in diesen Mestizen vorherrschend entwickelt, und seit dem Beginn des neunzehnten Jahrhunderts ist Mexiko ein revolutionärer Vulkan, dessen Anwohner stets auf plötzliche Ausbrüche vernichtender Elemente gefaßt sein müssen. Es gibt kaum ein Land der Erde, daß sich mit solcher Hartnäckigkeit in Bürgerkriegen unbarmherzig selbst zerfleischte.

Seitdem sich nun aber die Vereinigten Staaten Nordamerikas von ihrem Mutterland England unabhängig gemacht hatten, begann auch die Herrschaft der Spanier in Mittelamerika zu wanken, und im Jahre 1824 folgten die Mexikaner dem Beispiel ihrer nördlichen Nachbarn: sie proklamierten die Republik, gaben sich nach dem Muster der Vereinigten Staaten eine neue Verfassung und trieben die Spanier zum Lande hinaus. Die von den Vereinigten Staaten im Dezember 1823 verkündete »Monroedoktrin« kam ihnen sehr gelegen. Diese für die heutige und künftige Weltpolitik ungemein wichtige, vom Präsidenten Monroe erlassene Erklärung besagte kurz und bündig, daß sich keine europäische Macht mehr in die inneren Angelegenheiten amerikanischer Staaten einzumischen habe, die schöne Zeit also, wo die reichen Landstrecken Nord- und Südamerikas noch als gute Beute unternehmungslustiger Konquistadoren betrachtet wurden, endgültig vorüber sei. »Amerika für die Amerikaner« lautet heute die Formel.

Die außerordentliche Tragweite dieser Erklärung kam den europäischen Großmächten erst durch ein Ereignis zu Bewußtsein, das eine der traurigsten und erschütterndsten Episoden der modernen Geschichte bildet.

In der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts hatten die Wirren und Unruhen in Mexiko ihren Höhepunkt erreicht. Genau so wie heute, kämpften die kirchliche und die liberale Partei mit Erbitterung gegeneinander, unter wechselnden Siegen und Niederlagen, und wer denn eigentlich die gesetzmäßige Regierung bildete, war oft genug ein schwer zu lösendes Rätsel. Im Jahre 1854 standen sich nicht weniger als vier Prätendenten um das Amt des Präsidenten gegenüber, die von ihrer Partei auf den Schild erhoben wurden, sich alle auf die Stimme des Volkes berufen konnten oder sich auf die Heldentaten einer aus Räuberbanden gebildeten Soldateska verließen. 1857 erhob die liberale Partei den Indianer Juarez zum Präsidenten, einen klugen und verschlagenen, ungemein energischen und hartnäckigen, aber auch rücksichtslosen und grausamen Menschen, der jedoch von den Vereinigten Staaten als der richtige Präsident anerkannt wurde. Die Partei der Geistlichkeit hatte alle Ursache, sich gegen dieses Regiment zu wehren, denn Juarez proklamierte nicht nur völlige Religionsfreiheit, sondern hob alle Mönchsklöster auf und erklärte das kirchliche Vermögen für Nationaleigentum. 1861 machte ihn der Kongreß der mexikanischen Republik sogar zum Diktator, und er benutzte diese Macht, um alle vertragsmäßigen Zahlungen, die Mexiko auswärtigen Gläubigern schuldete, auf zwei Jahre zu vertagen.

In diesen innern Kämpfen lag Handel und Wandel natürlich völlig darnieder, Guerillabanden durchstreiften das Land, und Raub und Mord waren auf der Tagesordnung. Ausländer vor allem waren der schamlosesten Erpressung und Plünderung ausgeliefert, und den europäischen Staaten erwuchs schließlich die unabweisbare Pflicht, sich ihrer bedrängten Untertanen, deren Leben und Besitz in Mexiko gefährdet waren, anzunehmen.

Im Herbst 1861 schlossen also Spanien, England und Frankreich ein Bündnis, um Mexiko durch Waffengewalt zur Bezahlung seiner Schulden zu zwingen und ihren Untertanen zu ihrem Recht zu verhelfen. Lange dauerte aber die Einigkeit der drei Mächte nicht; England und Spanien zogen sich bald von dem gemeinsamen Unternehmen zurück, und die französischen Truppen blieben allein auf dem Platze. Dem Ehrgeiz des französischen Kaisers Napoleon III. war diese Wendung ganz erwünscht; sein offenbares Ziel war, in Mittelamerika festen Fuß zu fassen und der lateinischen Rasse, wie er sich ausdrückte, dort zum Übergewicht zu verhelfen. So kam er auf den Gedanken, in Mexiko eine von Frankreich abhängige Monarchie zu gründen, und zum künftigen Kaiser erkor er einen österreichischen Erzherzog, einen Bruder des Kaisers Franz Joseph. Mit Hilfe der französischen Bajonette veranstaltete man in den von den Franzosen besetzten Teilen Mexikos eine sogenannte Volksabstimmung, die sich natürlich für eine Monarchie aussprach, da eine Abstimmung für die Republik gar nicht zugelassen wurde, und im Sommer 1863 bot man daraufhin dem Erzherzog Maximilian die neugeschaffene Kaiserkrone an.

Maximilian war ein junger und begabter Fürst, der sich als Admiral um die Flotte seines österreichischen Vaterlandes bereits hohe Verdienste erworben hatte und zu dieser Zeit auf seinem wunderbaren Schloß Miramar bei Triest als Gouverneur ein beschauliches Leben führte, das seinem Tatendrang und Ehrgeiz nicht völlig Genüge leisten mochte. Da bot sich ihm nun plötzlich eine Aufgabe, in jeder Beziehung eines geborenen Herrschers würdig. Es galt ein anarchisches Chaos zu einem geordneten Staatswesen umzuschaffen und ein reiches Land, das sich im Bürgerkrieg zerfleischte, zu Ruhe und neuer Blüte emporzuheben! Welch verlockende Aufgabe für einen ideal gesinnten Fürsten, der Maximilian nur zu sehr war! Seine junge Gattin Charlotte, eine Tochter des Königs Leopold von Belgien, schreckte zwar vor diesen abenteuerlichen Plänen zurück. Aber hatte das mexikanische Volk nicht selbst seinen Willen kundgetan, und durfte er sich diesem Rufe entziehen? Der arme Fürst ahnte nicht, wie jene Volksabstimmung zustande gekommen war und daß bei weitem der größte Teil der Mexikaner von der neuen katholischen Majestät nichts wissen wollte. Er glaubte den Versicherungen Napoleons, nahm die dargebotene Krone an und landete am 28. Mai 1864, ein zweiter Cortez, in Vera Cruz. Am 12. Juni hielt er seinen Einzug in die Hauptstadt Mexiko, die seit einem Jahr in den Händen der Franzosen war, ohne daß aber in einer Reihe blutiger Gefechte das Heer der Republikaner vernichtet worden wäre. Der Präsident Juarez hielt sich zwar, geächtet, irgendwo bei den Indianern versteckt, aber immer neue Truppen sammelten sich um seine Generale, ein Beweis, daß es der Republik nicht an entschlossenen Anhängern fehlte.

Napoleons Rechnung enthielt nur leider eine falsche Zahl. Er hatte nicht bedacht, wie sich die Vereinigten Staaten und ihre Monroedoktrin zu seinen mexikanischen Plänen verhalten müßten. Die Regierung zu Washington hatte Juarez als gesetzmäßigen Präsidenten anerkannt, und obgleich auch sie an der Beruhigung Mexikos stark interessiert war, hatte sie es ausdrücklich abgelehnt, mit den drei europäischen Mächten gemeinsam vorzugehen. Nun waren aber die Vereinigten Staaten zur selben Zeit durch den Bürgerkrieg völlig in Anspruch genommen, und Napoleon rechnete darauf, vor dessen Beendigung sein mexikanisches Abenteuer zum glücklichen und unwiderruflichen Abschluß zu bringen. Darin täuschte er sich, und als die Regierung der Union nach dem Frieden 1865 wieder die Hände frei hatte, war ihr erstes, auf die Beseitigung des unbequemen Kaiserreichs an ihrer Südgrenze, das in den Organismus Nordamerikas so wenig paßte, hinzuarbeiten. Nach kurzer Zeit sah sich Napoleon vor die Wahl gestellt: entweder Krieg mit den Vereinigten Staaten zugunsten eines fremden Landes oder – Rückzug aus Mexiko und Verzicht auf allen Einfluß auf dessen politische Entwicklung.

Napoleon war klug genug, den friedlichen Ausweg zu wählen, er gab also seinen Truppen Befehl, sich wieder nach Europa einzuschiffen, und schon am 5. Februar 1867 rückten die letzten französischen Kolonnen aus Mexiko ab, obgleich sie der mit Maximilian geschlossene Vertrag von Miramar verpflichtet hätte, noch mindestens drei Jahr das junge Kaiserreich zu unterstützen. Bazaine hatte es nicht einmal für nötig gehalten, den Kaiser von seinem Entschluß in Kenntnis zu setzen, sondern er überließ diesen ganz plötzlich sich selbst und seinen etwa tausend Mann zählenden Truppen, obgleich die 200 000 Einwohner Mexikos keineswegs alle Freunde der kirchlichen und kaiserlichen Partei waren und die Hauptstadt stets von feindlichen Guerillabanden umschwärmt wurde, die sie leicht hätten überrumpeln können, wenn sie besser aufgepaßt hätten. Und was waren das für Truppen, denen die Zukunft des Kaiserreichs überantwortet war! Die Hefe des Volkes hatte man zusammengetrieben, Vagabunden und Bettler, die man nächtlich auf der Straße mit dem Lasso aufgriff, stumpf und apathisch gewordene Nachkommen des alten, tapfern Aztekenvolkes, die nur auf die Gelegenheit warteten, wieder auszureißen. Wer bei einem Gefecht gefangen wurde, pflegte ohne weiteres in die Armee des Feindes einzutreten; von Soldatenehre war hüben und drüben nur sehr wenig zu finden.

Schlimmer als dieser traurige Zustand der kaiserlichen Armee war aber, daß sie den ganzen Haß, der sich besonders bei den Republikanern gegen die übermütige Franzosenwirtschaft aufgehäuft hatte, nunmehr auf sich nehmen mußte, vor allem die Empörung über eine Verfügung Bazaines, daß künftig keine Gefangenen mehr gemacht, sondern jeder Gefangene kriegsrechtlich erschossen werden solle. Diese unglückliche Verfügung untergrub nicht nur die Popularität, die sich Kaiser Maximilian durch seinen liebenswürdigen Charakter, seine Leutseligkeit und Gerechtigkeit schon erworben hatte, sondern wurde ihm geradezu zum Verhängnis.

Warum nur schloß er sich nicht den französischen Truppen auf ihrem Rückwege an? Das anmaßende Auftreten Bazaines hatte es ihm unmöglich gemacht, sich unter dessen Schutz zu begeben! Der maßlose Ehrgeiz des späteren Kapitulanten von Metz hatte mit dem Gedanken gespielt, sich selbst die Kaiserkrone von Mexiko aufs Haupt setzen zu können! Das wechselnde Kriegsglück durchkreuzte aber seine Pläne, und als er jetzt von Napoleon den Befehl zum Rückzug erhielt, sollte mit ihm zugleich auch das Kaiserreich von Mexiko verschwinden! Da sich aber der ritterliche Charakter Maximilians gegen den Gedanken sträubte, seine Anhänger kurzerhand im Stich zu lassen, wollte Bazaine ihn zur Niederlegung seiner Krone zwingen, und er schreckte sogar nicht davor zurück, dem General Porfirio Diaz die Auslieferung des Kaisers anzubieten! Aber der stolze Mexikaner wies das heimtückische Angebot zurück. Bei seinem Abzug hatte dann Bazaine noch die französischen und belgischen Offiziere, die im Heere des Kaisers dienten, ebenfalls zur Rückkehr zu veranlassen gewußt.

So hatte sich Maximilian, ein Nachkomme jenes Habsburger Karls V., in dessen Namen Cortez einstmals Mexiko eroberte, die letzte Möglichkeit zur Rückkehr und zur Rettung abgeschnitten, und von einem kleinen Häuflein Getreuer umgeben, zog er am 19. Februar 1867 mit seinen beiden Generalen Miramon und Mejia in die Bergstadt Queretaro ein, freudig begrüßt von deren Bevölkerung, die sich auch bis zum Ende anhänglich erwies. Maximilians Gattin Charlotte hatte sich schon im Sommer 1866 wieder nach Europa begeben, um bei befreundeten Staaten Hilfe für die bedrängte Lage ihres Gatten zu erbitten.

Hier in Queretaro sollte es nun zum Entscheidungskampf mit dem Feinde kommen. Aber statt die sich allmählich erst sammelnden republikanischen Truppen einzeln anzugreifen, wartete der Kaiser auf den Rat des unentschlossenen Generals Miramon so lange, bis der feindliche General Escobedo, ein früherer Maultiertreiber, selbst zum Angriff überging. Man hatte sogar versäumt, die Queretaro umgebenden Bergeshöhen zu besetzen und zu befestigen, und mußte nun nachträglich unter blutigen Opfern die gefährlichsten Punkte erstürmen, von denen aus die Kanonen der Feinde die Stadt beherrschten.

Bald sah Maximilian ein, daß er ohne Verstärkung sich nicht mehr halten könne. Er sandte deshalb seinen General Marquez nach Mexiko, dort ein neues Heer zu bilden und in vierzehn Tagen zum Entsatz der Stadt zurückzukehren. Aber der General brach sein Ehrenwort, und der Kaiser sah ihn nie wieder!

Zehn Wochen dauerte die Belagerung Queretaros, und die kleine Armee des Kaisers verrichtete Wunder der Tapferkeit gegenüber dem ihr an Zahl vielfach überlegenen Feind. Noch immer hörte Kaiser Maximilian ausschließlich auf den Rat des im übrigen so tapfern Generals Miramon, der aber zu keiner Entscheidung kommen konnte und die zahlreichen, von den Kaiserlichen erzielten Erfolge nicht auszunutzen verstand. Als schließlich, als mächtigste Feindin, die Hungersnot in Queretaro ausbrach, blieb nichts anderes übrig als Übergabe der Stadt oder Durchbruch durch den Feind.

Nach langem Drängen der übrigen Generale ließ sich der Kaiser endlich bestimmen. Auf den Morgen des 15. Mai war der Ausfall verabredet, aber ehe sich noch der Kaiser bei Tagesanbruch erhob, hatte ein Verräter aus dem eigenen Heere, der Oberst Lopez, den Feind in die Stadt geführt, und alles war verloren! Mit seinen letzten Getreuen kämpfte Maximilian auf dem Hügel, der während der ganzen Zeit der Mittelpunkt seiner Schlachtordnung gewesen war, auf dem Cerro de Campaña, wie ein Löwe gegen die feindlichen Scharen. Als aber zuletzt von allen Seiten die feindlichen Kanonen des Kaisers Verschanzung zum Ziel nahmen, übergab endlich Maximilian, um der vergeblichen Metzelei Einhalt zu tun, dem Feinde seinen Degen. Stets hatte er sich freiwillig dem feindlichen Kugelregen ausgesetzt – keine Kugel war so barmherzig gewesen, ihn vor dem Schicksal zu bewahren, lebendig in die Hände des über die hartnäckige Verteidigung erbitterten Gegners zu fallen!

Dennoch hätten die Republikaner es vielleicht nicht ungern gesehen, wenn dem Kaiser die Flucht aus Queretaro gelungen wäre. Sogar der Verräter Lopez führte ihm bei Überrumpelung der Stadt eigenhändig ein Pferd zu, und auch während der Gefangenschaft des Kaisers fanden sich jederzeit Offiziere und Befehlshaber des feindlichen Heeres, die gegen Bezahlung bereit waren, dem Kaiser zur Flucht zu verhelfen.

Aber Maximilian, den die Anstrengungen des wochenlangen Kampfes und der Ekel vor der schauderhaften Gefangenenkost auf das Krankenlager geworfen hatten, konnte zu keinem endgültigen Entschluß kommen. Als er bei der ersten persönlichen Begegnung mit dem General Escobedo diesen um das Leben seiner Generale und Offiziere gebeten hatte, war ihm die Antwort geworden, daß sie als Kriegsgefangene behandelt werden würden. Auf dieses Wort des Generals verließ sich Maximilian nur allzufest; im Vertrauen darauf versäumte er die rechtzeitige Vorbereitung seiner Flucht, bis er schließlich vor der niederschmetternden Gewißheit stand, daß Juarez gegen ihn und seine Generale nach dem Gesetz verfahren werde, das der Präsident selbst im Januar 1862 erlassen hatte, und das die Anführer der kaiserlichen Armee und den Kaiser selbst zu Rebellen stempelte! Ein Kriegsgericht sollte daher über das Schicksal der Helden von Queretaro entscheiden.


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